Die Spekulationen:
- Aus den Foreneinträgen (Links sind hier soweit ich weiß nicht erlaubt, oder?) kommt heraus, dass um die Kompositionstheorie auffällig viel Nebel gemacht wird, obwohl die Aufgabe von Didaktikliteratur ja die Gegenteilige ist.
- Ein Schüler eines Schillinger-Schülers lobt die Rhythmus-Theorie und tadelt die Kompositionstheorie.
- Innerhalb eines überwiegenden Neutral- bis Contra-Schillinger-Forumsdiskurses gibt es einen Beitrag, der offensichtlich gekauft wurde, weil er so unglaublich viel lobt und sich einfach wie ein typischer Endorsement-Werbetext liest. (Sowas ist schon ein hartes Stück. Hierzulande wäre das der Exitus für einen Theoretiker.)
- Der Absatz "Why the Schillinger Society?" auf der entsprechenden Seite ist ein Werbetext mit kommerziellen Zielen.
- Aus dem FAQ des "Lydian[...].com" wird aus den vielen Allgemeinplätzen deutlich, dass v.a. interessierte Laien angesprochen werden.
- Eine Theorie, die alles zu umfassen versucht, kann kaum gelingen, darin ist sich die deutsche Musiktheorie momentan einig.
Die Fakten:
- Absatz 2 des FAQ: Den objektivistischen Ansatz fast zeitgleich (etwas früher) v.a. Hindemith mit seiner "Unterweisung im Tonsatz" verfolgt. Sowas muss dort angeführt werden.
- Absatz 3: Über die Gravitation in der Musik hat Ernst Kurth ca. 50 Jahre vor Schillinger endlos viel geschrieben. So viel, dass Kurth praktisch synonym zur Gravitation in der Musik ist. Von "unlike any other theory..." kann also nicht die Rede sein.
- Ich würde mal behaupten, dass Kurth jedem Absolventen eines Theoriestudiums bekannt sein dürfte. Deshalb wundert mich diese falsche Angabe (+ Plagiat) zusätzlich. Entweder ist der Autor uninformiert, oder er möchte Schillinger unrechtmäßig hoch loben. Durch den Geniekult der um ihn gemacht wird würde ich v.a. auf letzteres tippen.
- Absatz 4: "
Every tone within Western music's equal tempered tuning relates to every other tone by either being close to - or distant from - the center of gravity, which is the tonic (or "DO" of the Lydian Scale." Das "Center of gravity" ist in keiner gängigen Temperatur Grundton der lydischen Skala, schon gar nicht in der "equal tempered". Das Gravitationszentrum ist entweder die ionische Tonika, oder es gibt kein punktuelles, weil der Tonraum nach unten offen ist. Ansonsten könnte man noch die akustische Skala ins Boot holen.
- Absatz 5: Quinten werden in der pythagoräischen Stimmung gestapelt, nämlich mit den weißen Tasten. Die beiden miteinander konkurrierenden Grundtöne bzw. "
most vertically unified harmonic order" sind dann C-Dur mit C als diatonischer Grundton und D-Dorisch mit D als pythagoräischer Grundton in der Mitte der Quintstapelung. Das ist historisch eindeutig belegbar und wurde von Komponisten gezielt ausgespielt. Auch das wird nicht im FAQ erwähnt.
- Absatz 6: "The Major Scale is known as a diatonic (meaning: two tonic) scale" Falsche und uninformierte Herleitung des Begriffs: Diatonik bedeutet "durch Töne oder durch Ganztöne gehend". Evtl. kann man noch "zwei Halbtöne" als Bedeutung anführen. Auf keinen Fall zwei Grundtöne.
- Absatz 9: "Its contribution is relevant in all stylistic genres of music and from all time periods"Die Theorie ist so unhistorisch wie kaum eine andere.
Usw. Das ist jetzt mehr geworden, als ich dachte. Ich will damit den Russel oder Schillinger nicht schlecht machen, evtl. sind die Bücher ja trotzdem gut. Und auch fachlich schlechte Bücher können sehr anregend sein, insb. wenn sie eine alternative Herangehensweise an Tonorganisation bieten. Trotzdem habe ich noch nie so ein uninformiertes und unwissenschaftliches (obwohl versucht wird, Wissenschaftlichkeit vorzugaukeln) Vorwort/FAQ gelesen.
Alle Stichpunkte zusammen ergeben ein ziemlich negatives Bild. Stellt euch mal vor, das Arnold Schönberg-Center würde so schreiben.