Guten Abend zusammen. Bin ja länger nicht mehr hier gewesen, aber wie ich sehe, ist immer noch die gleiche Handvoll eifriger Experten anwesend. Und engagiert wie eh und je. Finde ich klasse. Auch Ich habe mir mal beide Gesangsproben angehört und muss sagen: was für eine farbenreiche, resonante, schöne Stimme. Bitte, bitte, dran bleiben!
Wie bei allen Gesangsanwärtern geht es hier wie immer um das Trainieren der von meinen Vorrednern bereits genannten magischen drei "S" der Gesangstechnik:
1. Stimmbandschluss
2. Stimmsitz
3. Stütze
Und wie die Experten das ebenfalls bereits richtig analysiert haben, fehlt es bei dir halt in jedem der drei Bereichen auch an den magischen
drei "K" der Gesangstechnik: Kraft, Kontinuität, Koordination.
Im Ergebnis hört man daher aktuell eine schöne (qua glücklicher Geburt
aber eben auch noch sehr wacklige Stimme.
Allerdings werde Ich niemals verstehen, warum Gesangspädagogen ihre Schüler - wie auch in diesem Fall wieder - stets gleich von Anfang an mit der sogenannten "Stütze" quälen, bevor nicht Nummer 1 (Stimmbandschluss) und Nummer 2 (Stimmsitz) halbwegs verstanden sind und einigermaßen kontrolliert funktionieren.
Durch meinen recht steinigen Weg vom Stimmlegastheniker zum Coversänger bin ich mir heute nämlich sehr sicher:
Ohne guten Stimmbandschluss (1) kannst du den korrekten Stimmsitz (2) nicht erspüren
und
ohne guten Stimmsitz (2) kannst du die korrekte Stütze (3) nicht erspüren.
Auch wenn man für alle drei Aspekte von Anfang an Übungen machen kann und sollte:
Die Reihenfolge des Lernfokus ist m.E. absolut entscheidend, weil der Schüler sich sonst schlicht verliert.
Böse ausgedrückt: Kein verantwortungsvoller Tennistrainer wird etwas von "Top-Spin" daher faseln, wenn er sehen kann, dass dir bei jedem zweiten Schlag der Schläger aus der Hand fliegt und du nur bei jedem 4. Mal überhaupt den Ball triffst. Das gleiche Prinzip gilt übrigens auch für die oben genannten drei "K". Auch deren Reihenfolge ist keinesfalls willkürlich gewählt.
In deinem Gesang hört man: hier und da stützt du gut (bei den tieferen brustigen Tönen) und dann wieder gar nicht, nämlich bei den hohen falsettigen Tönen, die dir nicht gefallen und die in dem Song von "Beyond..." so fett klingen.
Diese hohen Töne abermit gezielter Arbeit an der Stütze "fett" zu bekommen, das kannst du in dieser Lernphase absolut und komplett vergessen!!
Und ich erkläre auch gerne warum:
Deine Stimmbänder sind in dieser Höhe einfach (noch) nicht in der Lage "modal" zu schwingen, das heißt in einer ausgewogenen Mischung aus dem "schweren muskulären" und dem "leichten mukosären" Stimmbandmodus (hierzu gibt es im Forum sehr gehaltvolle Beiträge u.a. auch von broeschies). Letzteren alleine nennt man auch Randstimme, beide zusammen Vollstimme. Für den schweren Modus allein gibt es hingegen zumindest im Deutschen keine populäre Bezeichnung. Er wird aber z.B. bei der klassischen Männer-Stimmübung "Ozeandampfer" gerne isoliert verwendet.
Die Sängerin von "Beyond..." singt im Songbeispiel definitiv auch in der Höhe durchgängig "modal", während du in deiner Hörprobe hier den "leichten Modus" nahezu isoliert nutzt.
Bevor du über Stimmsitz oder gar Stütze überhaupt nachdenken brauchst, muss es dir erst einmal gelingen, in den hohen Lagen den "schweren Modus" in den Klang einzumischen und allein das ist ein verdammt langwieriges Stück Arbeit. Denn die beiden Modi vertragen sich von Natur aus nicht besonders gut und zwar umso schlechter je höher es stimmlich hinaus geht.
Im Augenblick hast du aufgrund der Untrainiertheit deiner Stimmbänder in der Höhe offensichtlich nur zwei Möglichkeiten:
1. den schweren Modus mitlaufen lassen, dann krächzt es und die Stimme bricht, weil deine Randstimme (auch) aufgrund mangelnden Stimmbandschlusses (sic!) zu schwach ist, den schweren Modus zu integrieren, das heißt mit ihm zu verschmelzen.
2. den schweren Modus durch Anspannung bestimmter Muskelgruppen "stillegen" und nur die Randstimme schwingen lassen. Welche isoliert aber eher dünn und kraftlos klingt. Das ist es was du im Moment tust.
Dein nächster Schritt muss daher vorübergehend sein: Mut zur Hässlichkeit!
Sing die hohen Passagen bewusst mit krächzender, gebrochener aber gelockerter Stimme! Krächzen=guter Stimmbandschluss! Spüre wie hier der schwere und der leichte Modus miteinander ringen. Diesen Kampf zuzulassen ist erstmal wichtig. Mit der Zeit (Tage, Wochen!) wirst du merken, dass das Krächzen allmählich weniger krächzig wird. Lebende Systeme haben eine natürliche Neigung dazu, unharmonische Bewegungen zu ökonomisieren und zu harmonisieren. Was vor ein paar Tagen noch wie ein Krähe geklungen hat nähert sich nach und nach dem rauhen aber definierten Klang eines Kazoo. Das ist die modale Stimme. Mach damit laute "Sirenen", also Glissandi über deinen gesamten Stimmumfang am besten auf "Mähh" (Tipp dazu: mal auf Youtube nach "Robert Lunte" suchen). Es darf dabei scheppern. Schön kommt später.
Irgendwann schaffst du es den scharfen Kazoo-Klang nahtlos von unten bis in die Höhe und wieder runter zu ziehen ohne das es bricht oder fiept. Dabei können dir die Kollegen "Twang" und "Apfelbiss" gute Dienste leisten (einfach mal im Forum nach diesen Begriffen suchen)
Das ist das erste Ziel und die einzig sinnvolle Basis um sich danach auf den Stimmsitz, d.h. die Gesangsvokalbildung im Rachen/Gaumen statt in der Mundhöhle (die brauchst du zum Artikulieren!) und anschließend auf die Stütze (Ankopplung der Körperresonanz an den schweren Modus) zu konzentrieren.
Das coole ist, dass wenn du das "Kazoo" von unten bis oben beherrscht, du bereits die für den Stimmsitz und die Stütze relevanten Muskeln auf eine unbewusste Weise sinnvoll einsetzt. Denn ohne die Moderierung und Harmonisierrung des schweren Modus durch eine ansatzweise Stütze und ohne die Fokussierung des leichten Modus durch einen gewissen Stimmsitz würden die beiden Modi bei hoher Lautstärke nicht zusammen klarkommen und deine Stimme würde jetzt immer noch auseinanderfallen und brechen. Die magischen drei "S" arbeiten hier bereits auf eine rudimentäre Weise zusammen.
Im nächsten Schritt mach dir bewusst, welche Veränderungen du bei in ng-Position verharrender Zunge allein mit dem weichen Gaumen und allen HINTER dem Zungenrücken richtung Rachen gelegenen Muskeln bewirken kannst. Dann finde für jede Tonhöhe und für jeden Vokal mit Hilfe dieser Muskeln das subjektive Resonanzmaximum. So trainierst du den Stimmsitz.
Singst du auf diese Weise mit maximal spürbarer "Kopfresonanz" (später lernst du evt. noch zwischen Masken und Rachen=Pharyngealresonanz unterscheiden) und hälst deinen Hals bewusst offen, wirst du merken, dass du den so verstärkten Klang jetzt auch fühlbar nach unten in den Brustraum schicken kannst.
Im nächsten Schritt hechele wie ein Hund auf verschiedenen Tonhöhen und spüre was passiert, wenn du auf dem gleichen Ton hechelst, den du singst und was wenn du die Quinte, die Quarte oder die Terz darüber oder darunter hechelst. Werde immer präziser beim Kombinieren deiner Gesangstonhöhe mit einer passenden Hecheltonhöhe. Du liegst immer dann richtig wenn du ein Maximum an Resonanz hinter dem Brustbein spürst.
Erst wenn du auch das automatisiert hast, bist du wirklich reif für die Stütze:
Untere Rippen weit halten, Rückenmuskeln anspannen, Zwerchfell unten parken und mit den unteren Bauchmuskeln in einer zähen, fließenden Bewegung... du weißt Bescheid...
Jetzt und wirklich erst jetzt,wo die modale Stimmbandfunktion und der Stimmsitz voll am Start sind, wirst du augenblicklich den dramatischen Effekt spüren, den die durch die Stütze erhöhte Körperspannung auf die Fülle und die Gleichmäßigkeit deines Tons hat. Plötzlich resonieren tiefe Töne bis unten in den Bauch hinein und sogar die höchsten noch mindestens runter zum Brustbein.
Und dann kommt irgendwann auch die Zeit, wo immer öfter alle drei Aspekte (Stimmbandschluss, Stimmsitz und Stütze) plötzlich wie von Geisterhand ineinandergreifen und gemeinsam beginnen den Tanz deines natürlichen Vibratos aufzuführen. Everything falls into place magically.
Das ist der Moment wo deine Singstimme zu ihrer wahren Größe aufblühen und dein Ton so robust und lebendig wie eine eigenes Lebewesen im Raum stehen wird, während du selbst nicht mehr dazu tun kannst als einfach nur daneben zu stehen und zu staunen. Das ist ein absolut großartiger Moment. Freu dich drauf.
PS: es gibt hunderte effektiver Gesangsübungen keine Frage, aber je mehr du dir selbst klar bist, welcher der oben genannten Aspekte bei der jeweiligen Übung besonders im Fokus steht, desto besser kannst du die Übungen in der für Anfänger richtigen Reihenfolge sinnvoll aufeinander aufbauen und unnötigen Frust vermeiden. Have fun