Man sollte hier folgende Punkte bedenken:
Thermisches Weglaufen:
Wenn man dem Verstärker zuviel Spannung zumutet, also beispielsweise bei 220V auf der 220V-Stellung den Ruhestrom einstellt und dann steckt man ihn irgendwann mal an eine Dose mit 240V, dann kann es je nach Endröhrentyp (Hersteller) und Kathodenzusammensetzungen zu einem Weglaufen der Arbeitspunkte kommen.
Das ist kein Hirngespinst von mir, sondern wurde leider durch viele unfreiwilige Tests in Verstärkern von Bekannten/Freunden bestätigt. Besonders mit älteren Röhren bestimmter Hersteller gibt es da Probleme.
Der Grund dafür ist ganz einfach, dass bei manchen Kathodenmaterialien bei Überheizung die Emission unverhältnismäßig stark ansteigt und damit auch der Ruhestrom. Das ergibt dann mehr Wärme, eine noch wärmere Röhre, noch mehr Emission...
Auch Ablagerungen auf den Gittern sind problematisch, insbesondere am Steuergitter. Wenn sich Kathodenmaterial auf dem Steuergitter ablagert und erhitzt wird, dann emittiert das Steuergitter Elektronen, die das Steuergitter positiver machen, also die Steuergitterspannung in die positive Richtung verschieben.
Das bedingt eine Ruhestromerhöhung, die führt zu mehr Hitze, die führt zu mehr Emission am Steuergitter, das führt zu mehr Ruhestrom...
Die bei nahezu ALLEN Gitarrenverstärkern unzulässig hohe Auslegung der Gitterableitwiderstände in der Endstufe (meist 220k, bei vielen EL34 sind nur 100k erlaubt!) vereinfacht diesen Wegzieheffekt deutlich. Dazu kommt dann noch die fast immer viel zu hohe Ug2 der Röhe...
Diese Effekte zeigen sich vor allem bei überheizten Röhren bestimmter Hersteller. Manche Röhren erhöhen ihre Emission bei Erhöhung der Heizspannung fast nicht, bei anderen ist das deutlich messbar.
Ruhestrom:
Eine Pentode (EL34, EL84...) sowie BPT (6L6GC, 5881....) ist eine Konstantstromsenke.
Dieser Strom (hier: Ruhestrom) hängt von den Betriebsspannungen an der Röhre ab, zu denen Heizspannung, Steuergitter-und Schirmgitterspannung gehören.
Der Ruhestrom ist dabei von der Anodenspannung relativ unabhängig (siehe Kurvenscharen im Datenblatt), da es sich um eine Konstantstromsenke handelt.
Das heißt, wenn ich dieser Röhre eine bestimmte Ug2 und eine bestimmte Ug1 gebe, dann fließt durch sie ein konstanter Ruhestrom Ia0.
Wenn die Netzspannung steigt, dann steigen die eigentlich immer unstabilisierten Ug2 und Ug1, aber in verschiedene Richtungen. Das heißt: Ug2 wird positiver => Strom steigt. Ug1 wird negativer => Strom sinkt.
In der Realität würde das jetzt dazu führen, dass die Röhre ungefähr beim eingestellten Ruhestrom bleibt, da sich diese Effekte großteils kompensieren.
Wenn jetzt aber die Heizspannung verändert wird, dann kann es je nach Röhre dennoch zu einer nicht zu vernachlässigenden Zunahme des Ruhestroms kommen und das führt dann zur thermischen Überlastung und zum oben angesprochenen Weglaufen.
Betriebsspannungen und Bemessungsspannungen:
Viele Verstärker sind von den Kondensatoren her spannungsmäßig sehr grenzwertig ausgelegt. Das heißt bei 450 V Betriebsspannung wird der Kondensator mit 500 V bemessen. Das genügt der Anforderung nach 110% Netzspannung gerade noch (495 V). Wenn jetzt der Verstärker auf 220 V steht und perfekte 230 V am Netz anliegen, dann sind das bereits 470 V am Elko. Werden es 110% Netzspannung (253 V), dann liegen am Elko 518 V an. Dafür ist der Kondensator nicht ausfelegt und die Antwort auf die Frage, ob er das aushält, ist Glückssache.
Einige Geräte sind noch knapper ausgelegt, das heißt man findet in ihnen 500 V Kondensatoren, in denen bei normaler Netzspannung 490 V anliegen. Was da passiert, kann sich jeder selber ausrechnen.
Gleiches gilt für Koppelkondensatoren, besonders beim Kaltstart des Verstärkers. Hier können die Koppelkondensatoren an den Endröhren durchschlagen und zu viel zu hohen Ruheströmen führen, was der Verstärker mit defekten Sicherungen quittiert.
Sättigungseffekte
Ein Netztrafo ist für eine gewisse Netzspannung gewickelt. Überschreitet man diese nennenswert, kommt es zu Sättigungseffekten im Kern, was zu einer Überlastung / Überhitzung des Trafos führt. Dann schmilzt die Drahtisolation, der Trafo bekommt einen Windungsschluss und ist reif für die Tonne.
Bei einem alten Marshall kostet ein Ersatz incl. Einbau geschätzt 250.
Abhilfe
Seitens des Konstrukteurs:
- vernünftige Ug2 in der Endstufe wählen
- Kondensatoren ausreichend dimensionieren, sodass auch bei +20% am Netz keine Überlastungen auftreten.
- Ruhestromüberwachung
- gute Röhren wählen
- Ug1 und Ug2 Spannungen stabilisieren
Seitens des Anwenders:
- Netzspannung am Amp zu hoch wählen (240V), um auf der sicheren Seite zu sein
- Netzspannungskonstanter verwenden
- Ruhestrom etwas niedriger einstellen lassen.
und in welchem rahmen, wenn, wirkt es sich auf das röhrenbiasing aus? thx
Gar nicht bis deutlich, je nach Stabilsierungsmaßnahmen und verwendeten Röhren.
Ich messe das beim BIAS einstellen und ich messe auch, was das Gerät tut, wenn man es mit 250 V fährt...aber ich bin glaube ich auch nicht normal.
MfG Stephan