Der Vergleich hinkt aber, denn im linguistischen Bereich habe ich die Möglichkeit einen aus verschiedenen Kulturkreisen (Sprachen) zu wählen und da wiederum Epochen. Diese Möglichkeit gibt es bei Musik nicht, weil der Kanon immer noch der gleiche wie vor 100 Jahren ist + Jazz.
Diese Möglichkeit gibt es in der Musik wohl, wenn auch nicht in der ganzen Bandbreite an einer (deutschen, aber nicht nur) Musikhochschule.
In einer Stadt wie Köln, die eine sehr multikulturelle Einwohnerschaft hat, findet man ohne große Mühe z.B. arabische professionelle Musiker, die auch ihre Instrumente und ihre Musik unterrichten. Das ist dann natürlich kein akademischer Unterricht im Sinne eines Hochschulstudiums, ich würde aber meinen, dass die ´klassische´ Lehrer-Schüler-Beziehung mit einem (privaten) Lehrer dem nicht nachstehen muss, und womöglich dem Studium arabischer oder indischer Musik angemessener ist, da diese Unterrichtsform in diesen Kulturkreisen nach wie vor tradiert ist.
Läuft das nicht darauf hinaus, nur eine(?!) Theorie gelten zu lassen, die sich auf bestimmte Stile beschränkt
Nein, im Gegenteil, es würde darauf hinaus laufen, dass es ein ganzes und ganz umfangreiches Kompendium an "Theorien", analytischen Werkzeugen, Stilregeln etc. geben müsste, angepasst an die verschiedenen Epochen, Stile, Regionen usw.
Wobei es die ja alle bereits gibt und sie alle verfügbar sind, man muss sie sich nur selber zusammen stellen.
Im Übrigen fällt es mir schwer, Arroganz und Überheblichkeit als Merkmale einer Theorie anzusehen. Das ist vielleicht nur eine Frage der sprachlichen Präzision. Auf alle Fälle scheint mir die Aussage, dass jede Menge Ausnahmeregeln zulässig wären, nicht ohne Weiteres für Arroganz und Überheblichkeit zu sprechen.
Das stimmt, eine Theorie steht nicht selber für Arroganz und Überheblichkeit, allenfalls deren Urheber und Anwender. Auch sind Ausnahmeregeln per se keine Ursache oder Begründung für Arroganz.
Aber wenn es zu jeder Regel eine Ausnahmeregel
innerhalb einer "Theorie" gibt, dann wird diese inkonsistent und überschreitet irgendwann vielleicht die Grenze zur Absurdität.
Einige Beispiele: In der mittelalterlichen Musik mit Stimmungen mit reinen Terzen galten die Terzen als dissonant, das hat sich bekanntlich später und bis heute grundlegend geändert. Im Quintorganum der frühen Mehrstimmigkeit bewegen sich die beiden Stimmen in Quintparallelen, diese sind später im mehrstimmigen Satz strengstens verboten. In der Renaissancemusik, die an sich tonal ist, muss ein Stück nicht in der Tonart enden, in der es begonnen hat, später wird das tonale Zentrum immer wichtiger und am Ende eines Stückes oder Satzes soll sich der tonale Kreis wieder schließen, selbst die in Bach-Chorälen noch oft zu findenden Dur-Abschlüsse eines Chorals, der in Moll steht, wird man in Schuberts Liedschaffen schwerlich finden.
Von der Ausweitung der Tonalität bis an die Grenzen bei Wagner und die Überwindung der Dur-Moll-Tonalität auf eine je eigene Weise bei Debussy oder Schönberg ganz zu schweigen.
Dabei habe ich Jazz und die Musik anderer Ethnien noch gar nicht erwähnt.
Wie soll das alles unter einen Hut passen im Sinne einer umfassenden Musiktheorie? Ich sehe da keinen sinnvollen Weg. Auch keine Notwendigkeit, wer sich da jeweils einarbeiten will, kann es, nichts wird unterdrückt und rein musikalisch betrachtet sehe ich die verschiedenen Stile und Ethnien als Musik-Sphären, die sich in gegenseitigem Respekt gegenüber stehen (was für die ausübenden Musiker sicher und leider nicht immer gilt), und die sich gelegentlich berühren und anregen können.
Schließlich und endlich scheinen wir doch zu wissen, dass in Bezug auf so manche naturwissenschaftliche Erkenntnis heute akzeptiert wird, dass sie nur unter bestimmten Voraussetzungen gilt. Vielleicht wäre eine entsprechende Einstellung auch in Bezug auf die Musik(theorie) nicht abwegig?
Eben das sehe ich im Prinzip genauso, womöglich habe ich mich da einfach nicht präzise genug ausgedrückt.
Die theoretischen Konzepte in der Musik gelten eben nur für die Stile und Genres, für die sie gemacht und gedacht sind. Zueinander können sich dabei durchaus Widersprüche ergeben, wie ich vorhin versucht habe darzustellen. Macht aber nichts, jednefalls solange nichts, solange sich die "Theorien" nebeneinander in Frieden stehen lassen und nicht den Anspruch erheben, auch für ein anderes Genre (womöglich auch noch voll umfänglich) gelten zu wollen, wo sie aber eigentlich gar nichts zu suchen haben.
Gemeinsamkeiten wird man gleichwohl finden, denn es handelt sich ja immer um Musik, um
Klänge.
Klänge, die uns
berühren.
In der Möglichkeit, uns emotional berühren zu können, sehe ich die größte Gemeinsamkeit jeglicher Musik überhaupt.
Ob das eine Cello-Suite von Bach, Wagners "Tristan", das Riff aus "Smoke on the Water" oder "Body and Soul" oder, oder oder ... ist, ist dabei egal. Berühren kann jedes dieser Stücke. Es kann auch ein und dieselbe Person sein, die von allen diesen Stücken (und noch vielen anderen und anderen Genres) berührt wird.
Insofern sehe ich die Musik durchaus als eine "universelle Sprache", als die sie gerne bezeichnet wird. Die "Theorien" der Musik sind es nicht, denn sie sind analytische, abstrakte, intellektuelle Konstrukte mit eingegrenztem Wirkungs- und Zuständigkeitsbereich.
Aber die Emotion geht weit darüber hinaus, und gleichzeitig viel, viel tiefer. Ich wüsste keine "Theorie", die das fassen könnte.