LoboMix
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Da gebe ich dir recht, ich hatte ja schon von meinen diesbezüglichen Erfahrungen aus meiner Studienzeit geschrieben die genau in diese Richtung gingen.Nur denke ich, dass eben dieser Prozess ausgeklammert wird, weil es leider immer noch genug Leute in diesen Institutionen gibt, die dieser anderen Musik dann ihren qualitativen Wert absprechen, anstelle von ihr zu lernen.
Leider wurde dieses Scheuklappen-Denken bis heute nicht ausgerottet, ich lehne eine solche Engstirnigkeit jedenfalls ab und schaue selber gerne über den Tellerrand.
Nichtsdestotrotz bleiben der Generalbass, die Stufen- und die Funktionstheorie wichtige Werkzeuge, auch wenn sie für vieles aus der Zeit nach 1900 nicht mehr brauchbar sind. Da muss man halt dafür sorgen, dass man seinen "Werkzeugkasten" erweitert, da stimme ich dir auch voll und ganz zu.
Außerdem halte ich es für ein fatales Missverständnis jeglicher Theorie, besonders in der Musik, wenn man davon ausgeht, dass man mit diesen Theorien jegliche Musik hinlänglich oder gar umfassend erklären und fassen könnte. (Gute) Musik ist etwas dynamisches, höchst lebendiges, daran werden alle Theorien im letzten scheitern. Wer meint, dass das Erlernen der Theorie genügt um schließlich kreativ zu komponieren, irrt. Dessen Ergebnisse werden im besten Fall gutes bis sehr gutes Handwerk sein (was ich ich aber gar nicht gering schätzen oder abtun möchte), aber nicht unbedingt kreativ und fesselnd.
Schon bei Bach kommt man manchmal ins Schwitzen, wenn man nur seine Choräle mit der Funktionstheorie versucht umfassend zu analysieren. Das wird aber gerne so gemacht und man kommt durchaus zu sinnvollen Ergebnissen, aber man sollte sich immer bewusst sein, dass Bach und seine Zeitgenossen mit Funktionstheorie nichts am Hut hatten, die kam erst über 150 Jahre später in die Welt. Auch das ist ein Grund, solche Dinge wie den Generalbass nicht auszuklammern, denn ansonsten kann zu leicht der Eindruck entstehen, dass die Altvorderen schon in Stufen und/oder Funktionen gedacht hatten.
Überhaupt spotten die großen Komponisten (überhaupt alle kreativen Musiker) jeder Theorie, wobei sie in der Regel die theoretischen Systeme ihrer Zeit sehr gut kannten und gut darin ausgebildet waren. Mozart war z.B. durchaus vertraut mit dem Kontrapunkt eines J.S. Bach.
Auch für uns Nachfolgende ist es sinnvoll, über die Lehren und die Konventionen der jeweiligen Zeit Bescheid zu wissen, so kann man überhaupt erst erkennen, worin das seinerzeit so neue und revolutionäre z.B. bei Beethoven lag und warum er seine Zeitgenossen immer wieder so verstörte.
So ganz kleine Nischen sind die "alte" Musik, also des Barock, der Klassik und Romantik im übrigen nicht. Da ist der Kreis der Rezipienten serieller Musik sicher deutlich kleiner. Und da die Pop-Musik wie ich weiter oben schon schrieb sich grundsätzlich der Dur-Moll-Tonalität bedient und sich an ihr ausrichtet, und das Pop-Genre sicher das populärste Genre weltweit ist, passen die klassischen Theorie-Werkzeuge dort nach wie vor sehr gut und müssen im Grunde nur ein wenig erweitert werden (z.B. um "Tensions").
Engstirnigkeit und Abschottung sind auch hier höchst kontraproduktiv und im Endeffekt lähmend.
Um es nochmal zu betonen: Nicht die Theorien, Methoden und Werkzeuge sind das Problem, sondern die Haltung und das Bewusstsein in der diese oft vermittelt werden.
Wenn ein Lateinlehrer behaupten würde, es sei deshalb wichtig, Latein zu lernen, weil man in halb Europa so sprechen und schreiben würde (wie zu Zeiten des römischen Reiches), dann würde man ihn zurecht für schwachsinnig erklären.
Wenn jemand Musiktheorie in einer vergleichbaren Haltung vermitteln möchte, sollte man auch dies nachdrücklich als Schwachsinn kenntlich machen.
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