Die Erwartungen an den ONE sind aber auch himmelhoch.
Die Leute™ lesen "polyphoner Moog" und erwarten 16 exakte Klone der Klangerzeugung von Rick Wrights Minimoog, mit dem er damals "Shine On You Crazy Diamond" eingespielt hat, in speicherbar in einem Gehäuse. Natürlich alles voll echtanalog mit NOS-Teilen (inklusive Hüllkurven, LFOs und am liebsten auch noch echtanaloge Klone klassischer Effekte vom Schulte Compact Phaser über den EMS Vocoder 2000 bis zum Roland RE-201), damit es auch alles so richtig schön amtlich und warm und fett klingt – so fett, daß das Ding jeden Mix über den Haufen fährt und man nie alle 16 Stimmen auf einmal nutzen kann. Sogar SMD geht nicht, weil "Mimimi, SMD klingt schon wieder wie digital". Alle sitzen auf glühenden Kohlen, bis SynMag oder Sound On Sound das Ding gegen einen echten Früh-70er-Jahre-Minimoog mit Original-VCO-Board antreten läßt und das Fazit lautet: Klingt identisch.
Wenn dann aber die Kiste mit vollanalogem Signalweg nicht so rauscharm ist wie Omnisphere oder Massive, ist das wieder scheiße. Liegt in der Natur der Sache, wird aber mokiert. Wenn Moog einen Mk II raushaut, der nicht kaum mehr rauscht, weil ganz neue VCOs auf Basis modernster Technik verbaut sind, kommt wieder das Gejammer, daß der nicht mehr so fett klingt.
Ist ja beim Minimoog nicht groß anders. Viele hätten am liebsten einen der ganz, ganz wenigen verbliebenen 1970/71er Minimoogs mit dem ganz alten VCO-Board, weil der von allen den fettesten Klang haben soll. Wenn sie dann einen ergattern können, stellen sie fest, daß sich das Mistding ständig verstimmt, und tragen ihn x-mal in die Werft, die auch nichts ausrichten kann, weil einfach die ganz frühen Moog-VCO-Schaltungen kacke sind. Aber genau diese kacke Schaltungen sorgen für den sagenhaft fetten Sound. (Und man sollte ihn warmlaufen lassen, bevor man ihn spielt. Das ist kein VA.)
Ich glaub, vielen ist ganz einfach nicht klar, was "analog" eigentlich mit sich bringt. Je mehr man die Vorteile von "analog" auskosten kann, desto mehr kriegt man auch die Nachteile um die Ohren gehauen. Klar will man den superfetten Sound klassischer diskreter Analogschaltungen wie in den 70ern haben. Aber dann muß man mit driftenden VCOs leben, die auch mal mitten im Betrieb nachgestimmt werden wollen.
Wo man schon mal dabei ist, überträgt man womöglich noch die Featuritis, die man sich zu Zeiten des VA-Wettrüstens oder gar im eigenen Software-Studio angewöhnt hat, auf echtanalog. 16 volldiskrete Stimmen mindestens, besser 32. Pro Stimme nicht unter drei Hüllkurven auf dem Geschwindigkeitsniveau einer Yamaha GX-1 (die die schnellsten Polysynth-Hüllkurven überhaupt hat), vier LFOs pro Stimme, vier pro Multimode-Part (um beide LFO-Fraktionen zufriedenzustellen), die jeweils bis in den Audiobereich gehen (25 kHz). Dann auch nicht einfach nur Moog-Tiefpaß, sondern Multimode muß schon sein. Also SEM-State-Variable-Filter mit rein. Wo wir schon mal dabei sind, beide Filter aus'm CS80, das aus der 303 muß auch noch, Jupiter-8-Filter, Juno-106-Filter, die Nerds kriegen ihr Steiner-Parker-Filter, Zwei- und Vierpol à la ARP, VCS3-Filter, hab ich jetzt mal was vergessen? Also mehr Kram rein als in vier Studio Electronics C.O.D.E. 8. Und natürlich interne Effekte, die auch wieder Klone von Klassikern sind und mindestens viermal vorhanden sein müssen, weil man ja in der Supernova oder im Virus auch pro Multimode-Part alles jeweils einmal hat.
Nicht nur darf das ganze Gerödel dann nicht rauschen, sondern der ganze Synth darf nicht größer sein als ein Prophet '08 (für Nerds nicht größer als ein Virus Indigo) und nicht mehr als zehn Kilo wiegen, weil man hat ja Rücken. Und mehr als zwei große Zettel UVP darf er auch nicht kosten, sonst wird man mucksch, verschränkt die Arme und wartet auf den Behringer-Klon.
Ich weiß ja, daß heute mit dem Preislimit des Tyrell-N6-Konzepts mehr möglich ist als das Tyrell-N6-Konzept (wer sich noch erinnert). Aber die Fahnenstange hat immer noch ein Ende.
Martman