Hey, der Thread muss mir irgendwie entgangen sei. Ich habe mich ziehmlich viel mit reinen, mitteltönigen und gleichstufigen Stimmungen und dem Bezug zu unserem Notensystem auseinandergesetzt, hier also mal meine Einschätzung / Meinung zum Notensystem:
(vieles dürfte für die meisten unverständlich sein, aber ich finde es bei der Fragestellung wichtig ein wenig ins Detail zu gehen, um die Bedeutung der Notenschrift erfassen zu können)
- Informationsgehalt:
Unser Notensystem kann man auf die Tonhöheninformation beschränkt in erster Linie als ein Mittel sehen, Tönen (auf einen Referenzton wie den Kammerton a = 440Hz bezogen) und Intervallen eine Position in einem Oktav-Quint-Raster zuzuordnen.
Bei musikalischen Stimmungen die auf Quintstapelung und Oktavgleichheit beruhen, so wie die pythagoreische Stimmung (reine Quinten mit Verhältnis 3:2) oder Stimmungen die auf dem selben Prinzip aufbauen, aber mit modifizierter Quinte (z.B. 12-Stufige Stimmung, unterschiedliche mitteltönige Stimmungen, oder deren nahezu perfekte Annäherung durch eine 19- oder 31-Stufige Stimmung), ist unser Notationssystem eindeutig, wenn es darum geht einer gegebenen Note eine zu spielende Tonhöhe zuzuordnen. In die andere Richtung dagegen (Tonhöhe -> Note) ist es nur dann eindeutig, wenn sich kein geschlossener Quintenzirkel ergibt, also nicht bei den eben genannten gleichstufigen Stimmungen.
Geht es aber über Oktaven und Quinten hinaus, dann reicht unser Notensystem bezüglich der Eindeutigkeit nicht mehr aus, was insbesondere die Intonation in reiner Stimmung betrifft: Wenn man 4 reine Quinten (Verhältnis 3:2) übereinanderlegt, dann erhält man (unter Voraussetzung von Oktavgleichheit) eine große Terz mit Stimmungsverhältnis 81:64. Eine große Terz mit reinem Stimmungsverhältnis 5:4 dagegen lässt sich nicht durch Quintstapelung erzeugen, es ist ein von der Quint-Achse völlig unabhängiges Intervall (selbst bei Oktavgleichheit). Der Grund ist der, dass Oktave (2:1) und Quinte (3:2) nur Intervalle generieren können, in denen die Primfaktoren 2 und 3 vorkommen, die große Terz (5:4) hat aber den Primfaktor 5 im Intervallverhältnis. Wenn unser Notationssystem also eine große Terz vorgibt, dann heißt das in erster Linie 81:64, aber der Musiker hat dann die Möglichkeit, das Intervall in 80:64 = 5:4 um zu interpretieren (ein syntonisches Komma = 81:80 = 21.5 Cent tiefer gespielt). Will man das zu spielende Intervall genau spezifizieren, statt dem ausführenden Musiker die Interpretationsfreiheit zu lassen, oder dem Musiker die Möglichkeit geben, seine Tonhöhen-Interpretationen im Notenbild festzuhalten, so kann das Notensystem leicht zur Eindeutigkeit erweitert werden, indem man die Versetzungszeichen \ (Erniedrigung um syntonisches Komma) und / (Erhöhung um syntonisches Komma) einführt. Die C-Dur-Leiter würde man dann z.B. durch C D E\ F G A\ B\ C (1 2 3\ 4 5 6\ j7\ 8) festhalten, die A\-Molltonleiter dagegen durch A\ B\ C D\ E\ F G A\ (1 2 b3/ 4 5 b6/ 7/ 8). Es fällt auf dass das D in beiden Tonleitern unterschiedlich ist, da man wegen den Hauptfunktionen (S T D bzw. s t d) in C-Dur lieber die Wolfsquinte G - D\ vermeidet und D - A\ in Kauf nimmt, in Moll ist es umgekehrt.
Die durch \ und / erweiterte Notation ist auch gut auf Stimmungen anwendbar, in denen die beste Annäherung an die große Terz 5:4 sich nicht durch viermalige Stapelung der besten Annäherung an die reine Quinte (3:2) erzeugen lässt, so wie das z.B. in der 53-Stufigen Stimmung ist, in der die Quinte praktisch perfekt angenähert ist, und die große Terz ziehmlich gut (nur 1.4 Cent zu niedrig, dazu im Vergleich die 12-Stufige große Terz: 13.7 Cent zu hoch). Unser Notationssystem ist auch beliebig erweiterbar, indem man einfach neue Versetzungszeichen dazu nimmt, wenn man z.B. die Naturseptime 7:4 festhalten will. Vierteltöne könnte man z.B. als Unterschied zwischen dem in Oktavlage gebrachten 11. Teilton 11:8 (551.3 Cent) und der reinen Quarte 4:3 (498 Cent) interpretieren, oder als 36:35 (48.8 Cent) (Unterschied zwischen der terzgestapelten kleinen Septime 9:5 und der Naturseptime 7:4). In der 24-Stufigen Stimmung könnte man dann die gleichen Versetzungszeichen wie für die reine Stimmung verwenden, und einfach den temperierten Vierteltonschritt spielen.
Fazit: Unser Notationssystem ist zwar genauer als eine chromatische Notation (für 12-Stufige Stimmung sogar genauer als nötig), für die reine Stimmung dagegen zu ungenau. Sie kann aber problemlos durch weitere Versetzungszeichen ergänzt werden, wenn man die Töne und Intervalle genau festhalten will.
Darstellung:
Die Darstellung ist mehr oder wenig willkürlich, und es ist hier oft Geschmackssache, was einem nun besser gefällt:
- Ich sehe keinen Grund warum die Verwendung von 7 Stammtönen "die einzig richtige" sein sollte. Unser Notationssystem hat 7 Stammtöne im Quintabstand (F C G D A E B), und die Versetzungszeichen #/b, die einen Ton um 7 Quinten - 4 Oktaven verschieben (ergibt eine übermäßige Prime), womit jeder Ton / auf einer Quintachse spezifiziert werden kann; ähnlich wie wir in unserem Dezimalsystem 10 Ziffern besitzen und Möglichkeiten, diese "Stammzahlen" um Vielfache von 10 zu erhöhen oder zu erniedrigen. Aber genau wie auch z.B. ein (auf 12 basierendes) Duodezimalsystem möglich wäre, so wäre in der Musik auch ein Notationssystem möglich, das auf z.B. 5 Stammtönen (Versetzungszeichen = kleine Sekunde) oder 12 Stammtönen (Versetzungszeichen = pythagoreisches Komma) basiert. Man darf allerdings auch die Übersicht im Notensystem nicht außer Acht lassen, da zu viele Stammtöne poder zu viele Versetzungszeichen unübersichtlich werden können, und da denke ich sind 7 Stammtöne schon nicht verkehrt. Die Anzahl der Stammtöne ist für mich trotzdem nicht viel mehr als ein Aspekt der Darstellung, und wird meiner Meinung nach viel zu oft überbewertet, wenn z.B. die Verwendung von 7 Stammtönen als Grund dafür genannt wird, dass man in einem alterierten Akkord #9 statt b10 schreiben sollte (womit ich bloß die simple Begründung kritisiere, nicht unbedingt aber die Folgerung).
Übrigens: Ich habe jetzt letzt sogar eine auf 12 Stammtönen basierende Art von "Intonationstabulatur" entwickelt, die einem erweiterten Notensystem vom Informationsgehalt her absolut ebenbürtig ist, da die 12 Stammintervalle im Abstand reiner Quinten 3:2 liegen, und sie beliebig durch weitere Versetzungszeichen ergänzt werden kann. Diese Art der Notation ist insbesondere melodisch sehr genau, und man sieht sehr gut wie hoch die Intervalle zu intonieren sind, wenn man sich ein bisschen eingearbeitet hat. Hier ein Screenshot von einem Programm dazu, an dem ich momentan arbeite:
(für bundlose Gitarre gedacht, aber auch auf Streichinstrumente anwendbar)
- Ich kann nur immer wieder mit dem Kopf schütteln wenn ich wieder daran denke, dass man noch heute mit den Intervallen bei 1 (Prime) anfängt zu zählen. Ein "Prime" ist eine 0: Das Anwenden diese Intervalls ändert nichts, genau wie das Addieren einer 0 nichts ändert, und ob man sie nach rauf oder runter spielt ist ebenfalls egal (genau wie es egal ist, ob man 0 nun addiert oder subtrahiert). Würde man die Intervalle 1 niedriger notieren, so würde man die "Oktaven" z.B. als 7, 14, 21 (-> 7er-Reihe) notieren, statt als 8, 15, 22, und Terzstapelungen ("Terz" = 2) könnte man einfach als 2er-Reihe aufschreiben: 0, 2, 4, 6, 8 statt 1, 3, 5, 7, 9. Intervalle um 1 zu hoch notieren ist genau so sinnlos, wie es sinnlos wäre Halbtonschritte um 1 zu hoch zu notieren.
- Reine, große/kleine und übermäßige/verminderte Intervalle: Auch diese Einteilung ist etwas willkürlich. Man könnte z.B. genau so gut wie man 7 Stammtöne bestimmt hat auch 7 Stammintervalle bestimmen, die man als "rein" bezeichnet, und Abweichungen davon so verwenden, wie man es mit Alterationen von reinen Intervallen macht. Oder man würde z.B. nur die Prime als rein bezeichnen, die ersten 7 Intervalle in Quintrichtung (Intervalle von Lydisch) als groß, die ersten 7 Intervalle in Quartrichtung (Intervalle von Lokrisch) als klein, und vermindert/übermäßig wie gehabt.
- Variationen in der Notenschrift: Was das betrifft verwende ich bevorzugt die internationale Notenschrift (B und Bb statt h und b, F# und Gb statt fis und ges). Der Grund? Im Verhältnis zur deutschen Schreibweise ist sie relativ stimmig aufgebaut, und sie besitzt längst nicht so viele unnötige Ausnahmeregelungen (als Programmierer, der diverse Algorithmen zur Erzeugung von Noten- und Intervallnamen geschrieben hat weiß ich das besonders zu würdigen ^^). Lästig ist allerdings die komische Regelung mit den Septimen: Die Bezeichnung "maj7" ist im Prinzip unnötig, und man könnte statt dessen z.B. die Regelung treffen, dass die Intervalle von Ionisch keine Vorzeichen erhalten, und Alterationen dieser Intervalle mit # oder b festgehalten werden (1 2 3 4 5 6 7 8 für Dur, 1 2 b3 4 5 b6 b7 8 für Moll).
Fazit: Ich persönlich würde hier erst einmal eine Grundsanierung vornehmen, wenn das Notensystem nicht schon so stark verbreitet wäre.
Edit: Sorry, ich weiß, meine Texte sind manchmal grauenvoll zu lesen, selbst für Leute die sich mit der Thematik etwas mehr beschäftigt haben. Das ist halt nicht gerade eine meiner Stärken, sowas verständlich rüberzubringen.