Das ist falsch, falsch, falsch, und führt nur zu Schwierigkeiten beim Erlernen von Musiktheorie...
Schwierigkeiten beim Erlernen der Musiktheorie sehe ich nicht, da unsere Notenschreibweise ja von einer Oktavidentität ausgeht und die entsprechenden Noten mit den gleichen Buchstaben bezeichnet.
Das war in der Musikgeschichte nicht immer so. Die "Musica Echiriadis", eine Lehrschrift aus dem 9. Jahrhundert n. Chr., die in mehreren Hundert Exemplaren erhalten ist,
"ließ bei der Tonbezeichnung nur die Quintidentität gelten und vernachlässigte die Oktave zu Gunsten einer Gleichbenennung von Tönen im Non- und schließlich im Tredezimabstand."
(Quelle: Reihentechnik und musikalische Gestalt bei Arnold Schönberg (Beihefte Zum Archiv Fur Musikwissenschaft) von Christian Möllers*von Steiner Franz Verlag (Gebundene Ausgabe - Dezember 1977),
Seite 4)
Auch in der englischsprachigen Wikipedia wird belegt, daß die Oktavidentität nicht immer selbstverständlich war:
Octave equivalency is a part of most "advanced musical cultures", but is far from universal in "primitive" and early music.[4][5]
[4] Nettl, 1956; Sachs, C. and Kunst, J. (1962). In The wellsprings of music, ed. Kunst, J. The Hague: Marinus Nijhoff.
[5] Nettl, 1956; Sachs, C. and Kunst, J. (1962). Cited in Burns, Edward M. (1999), p.217.
Der Kern unseres Streites liegt wohl in der Frage, ob man die beiden Töne einer Oktave als einen oder als zwei Töne betrachten soll.
Wie die o.g. Hinweise zeigen, betrachteten frühere und primitive Kulturen die zwei Töne einer Oktave durchaus als zwei Töne. Auch jedes Kind würde das sagen, wenn ihm nicht vorher durch Erwachsene etwas anderes eingetrichtert wurde.
Die Töne der Oktave sind sehr ähnlich und weisen, nach der Prim und vor der Quint den höchsten Verschmelzungsgrad aller Intervalle auf.
Keine einzige Harmonielehre baut über einem oktavierten Ton nocheinmal eine Tonleiter auf...
Warum sollte sie? Die Harmonielehre hat die Oktavidentität zur Voraussetzung. Sie ist aber nicht der Urprung der Musik, sondern wohl eher der einstimmige Gesang.
In Berücksichtigung dieser Gegebenheiten ist die o.g. Aussage von Ziegenrücker m.E. viel eher akzeptabel, als eine Sicht, die aussagt, daß "beim Spielen oder Singen der Tonleiter meist der erste Ton oktaviert an die Tonleiter angehängt wird."
Ähnliches wie bei Ziegenrücker findet man wohl auch in der überwiegenden Mehrzahl von entsprechenden Büchern und lexikalischen Artikeln, nicht nur bei Ziegenrücker und das aus gutem Grund.
Spaßeshalber schaue ich in Meyers Grosses Handlexikon unter Tonleiter nach:
Ob Dur, Moll, chromatisch oder Ganzton: Immer wird der oktavierte Ton mit aufgeführt. Ebenso bei den Beispielen der C-Dur oder chromatischen-Tonlieter in
http://de.wikipedia.org/wiki/Tonleiter,
http://de.wikipedia.org/wiki/Ton_(Musik) usw.
Du kannst Dich gerne außerhalb dieser Konvention stellen. Ich weiß ja, wie Deine Aussage gemeint ist und habe keine Probleme damit. Du favorisierst eben die Perspektive der Hamonielehre, ich gewichte die Sicht der Melodik stärker als Du.
Grüße
Klaus