Nichts gegen Dein Herangehen, geschätzter
@Jongleur - zumal ich das ziemlich sichere Gefühl habe, dass wir überhaupt nicht weit auseinanderliegen.
Aber ich habe das Gefühl, wir reden aneinander vorbei. Du ziehst Schlüsse aus dem, was ich schreibe, die ich so nicht gemeint oder intendiert habe.
Was schon hiermit anfängt:
Nenne mir Beispiele, wo Schreibhandwerk schadet. Bitte, bitte,..
Ich habe nicht davon gesprochen,
dass das Schreibhandwerk schadet, sondern ich habe davon gesprochen, dass die Sprache einerseits Grenzen hat (siehe auch den Schluss meines posts) und dass die Sprache, gerade wenn man sich in ihren flow begibt, was vor allem beim vorwiegend assoziativen Schreiben passiert, ihre eigene Zugkraft und Eigenmächtigkeit entwickelt. Ich halte das für keinen Nachteil - ich halte es für etwas, dessen Wirkung man kennen sollte. Und ich halte es für etwas, dessen Wirkung man - zumindest teilweise - beschreiben kann.
Das verstehe ich leider nicht. Was auch immer ich texte: es besteht nur aus Worten und Zeichen und nennt sich in der Summe: Sprache! Und was meinst du mit „ungewohnten Abwandlungen“? Ich sprach ja von Gegensätzen - und die sind mir bekannt…
Was verstehst du unter „konsequent sprachlichen Abweichungen“? Kannst du dafür mal Beispiele nennen?
Beides gehört zu diesem, meinem Gedankengang.
Einfaches Beispiel: Im flow des Schreibens fließt mir aus der Feder "Schweigen ist Gold". Als bekanntes Sprichwort, weshalb es mir auch so leicht aus der Feder fließt. Daraus mache ich entweder sofort oder im Nachgang: "Reden ist Gold".
Das ist ein Beispiel für die sprachliche Abweichung, die ich meine. Das ist konkret genau das inhaltliche Gegenteil des Sprichwortes und hat für mich einen sprachlichen Reiz, weil man - wenn man das Sprichwort kennt - hier stolpert, ins Stutzen und Nachdenken gerät. Das ist das, was ich mit der "sprachlichen Abweichung" meine.
Die würde ich aber nicht einsetzen, wenn ich eigentlich inhaltlich doch "Schweigen ist Gold" meine. Diese Abweichung hätte also sprachlichen Reiz, würde aber gegen das verstoßen, was ich eigentlich ausdrücken möchte. Ich würde es also nicht verwenden, obwohl es einen sprachlichen Reiz hätte, dies zu tun.
Was ICH sagen will, ist eigentlich einfach: So wie wir mit Tag und Nacht leben, obwohl beides Gegensätze sind, leben wir mit Innen und Außen, Berg und Tal, Himmel und und Erde, altem und neuen Wissen, kleinen und großen Unterschieden, die als gut, besser, am besten scheinbar eine Kette bilden und dennoch in ihren Unterschieden bemerkenswert wären. Auch das Meer kann als eine Gesamtheit gesehen werden und enthält zugleich unendlich viele Gegensätze! Wir leben täglich .,, und dennoch mit dem Tod. Wir leben auch täglich mit Liebe, innerlichen Momenten der Untreue und haben nette Worte wie Notlüge für vernünftige Sprache.
DAS meine ich auch.
Ich könnte hierzu noch mehr schreiben -
etwa, dass es meiner Auffassung nach zunächst nur um Unterschiede geht. Erst in unserer Vorstellung, was kulturelle Vorstellungen - etwa des Abendlandes einschließt - werden aus Unterschieden Gegensätze oder Widersprüche.
Um es in einem Bild zu sagen: YING und YANG meinen etwas Unterschiedliches - sie sind sozusagen Pole. Aber sie bilden zusammen einen Kreis.
Wenn man will, das organische Ganze, von dem ich in einer anderen Passage sprach.
Ich denke, hier sind wir überhaupt nicht auseinander - ich glaube, wir meinen das Gleiche.
Ich nutze viele Minute des Wartens beim Arzt oder an einer Ampel, um über die „Komplexität“ nachzudenken. Aber ich nenne das halt „Widersprüche“. Weil mein Kopf eben auf „Widersprüche“ viel lebensnäher reagiert.
Ich gebe zu, dass es mich etwas verärgert, dass Worte wie „Gegensätze“ oder „Widersprüche“ behandelt werden wie rohe Eier, als sprächen sie gegen ein organisches Ganzes! Tun sie nicht!!!!
Da ich aber generell eher in Form von Gegensätzen und deren Dialektik und/oder mehreren Perspektiven denke und empfinde, sind bei mir - so kommt es mir zumindest vor - die Texte, in denen mehrere Perspektiven, Gedanken, Entwicklungen und/oder Gefühle vorkommen, eher in der Überzahl.
Wieso findest Du, dass ich hier "Gegensätze" oder "Widersprüche" behandele wir rohe Eier? Und in meinem post ist das die einzige Stelle, in der ich von "Gegensätzen" oder "Widersprüchen" rede.
Wenn Dein Kopf auf "Widersprüche" viel lebensnäher reagiert, habe ich da überhaupt nichts gegen. Allerdings gibt es auch ein sehr verbreitetes dichotomisches Denken -
das ich DIR NICHT unterstelle - das vor allem im Abendland eine sehr verheerende Tradition und Wirkungen hat: das Unterteilen in "Wir" und "Ihr" (um nur ein Beispiel zu nennen), das dann im Weiteren nur gedacht wird als
entweder "Wir" oder "Ihr". Warum ich das hier schreibe, wenn ich doch davon ausgehe, dass es nicht Deine Auffassung von Gegensätzen sind? Weil es eben eine sehr verbreitete Form der Behandlung oder der Auffassung von Gegensätzen ist.
Und weil ich mich davon abgrenzen will - und dazu ist es aus meiner Sicht nötig, "Widerspruch" oder "Gegensatz" zu umreißen, wenn man - bzw. wenn ich - klar machen möchte, was ich unter "Widerspruch" oder "Gegensatz" fasse. Ich meine mit "Gegensatz" oder "Widerspruch" nicht das, was es im dichotomischen Denken bezeichnet.
Verstehe ich richtig: Du musst vorher das organische Ganze erfassen können?
Nein - denn ich schrieb:
Mein formuliertes Ziel wäre die Schaffung eines "organischen Ganzen".
"Ziel" ist das genaue Gegenteil von "Voraussetzung".
Das Schreibhandwerk beinhaltet den sprachlichen Ausdruck!
Richtig. AUSDRUCK. Das ist das, was ich unter "Form" verstehe.
Das andere ist der INHALT - das, was ich ausdrücken möchte.
Das organische Ganze wäre für mich die kongeniale Synthese von Form und Inhalt - also, dass das,
was ich meine, mit dem übereinstimmt (oder im Idealfall kongenial zusammenfällt) mit dem,
wie ich es sprachlich ausdrücke.
Auch hier vermute ich, dass wir übereinstimmen werden.
Eine (sprachliche) Form ist Ausdruck eines Inhalts - es ist nicht der Inhalt selbst. Und der Inhalt ist unterschieden von der Form. Was unter anderem heißt, dass ich ein und den selben Inhalt in unterschiedlichen sprachlichen Formen darstellen kann. Das ist doch einer der Gründe dafür, warum beispielsweise eine glückliche, liebevolle Begegnung in ganz unterschiedlichen songtexten auf unterschiedliche Art und Weise ausgedrückt werden kann - bei ein und demselben Inhalt.
Bei etlichen meiner Texte gilt: "form follows function" - frei übersetzt: der Inhalt bestimmt die Form.
Damit habe ich direkt in meinem post vorangestellt, wie ich grundsätzlich das Verhältnis von Form und Inhalt auffasse.
Man kann ganz unterschiedliche Auffassungen darüber haben, wie Form und Inhalt zusammen wirken oder wirken sollten, ob das eine das andere dominiert etc. Ich vermute hingegen, dass Du auch eher auf ein kongeniales Zusammenwirken von Form und Inhalt aus bist.
Ein für mich taugliches Beispiel dafür, was ich weiter oben die "Zugkraft" der Sprache genannt habe, ist meine Erfahrung damit, dass es für mich einen Unterschied macht, ob ich in deutsch oder englisch schreibe - vor allem, wenn ich vorwiegend assoziativ orientiert schreibe. So etwas wie "Reden ist Silber, Schweigen ist Gold" fällt mir vielleicht in einem deutschen Text ein, aber nicht in einem englischen Text. Ein englischer Text würde mich sprachlich woanders hin führen. Alliterationen gibt es in deutsch und englisch - aber die Worte (und ihre Inhalte) sind unterschiedlich - deshalb wird die Anwendung von Alliterationen als sprachliches Mittel auch zu unterschiedlichen Texten, Assoziationen und Inhalten führen. "Herz" reimt sich nur im Deutschen auf "Schmerz". Das ist ein Beispiel dafür, dass die Verwendung von Reimen in unterschiedlichen Sprachen zu anderen Ausdrücken und Ergebnissen führt.
Das meine ich mit "Zugkraft" der Sprache.
Das Schreibhandwerk beinhaltet den sprachlichen Ausdruck!
Meine These bzw. Auffassung ist: Das Schreibhandwerk IST das Handwerk des sprachlichen Ausdrucks.
Was lässt es denn dabei aus? Gedanken? Nein!
Genau - es läßt nicht die Gedanken aus. Schon weil Gedanken schon im Vorhinein sprachliche Form haben. Gedanken gänzlich ohne Sprache sind nicht möglich. (Vorstellungen und Träume hingegen schon.) Trotzdem IST Sprache nicht gleichzusetzen mit Gedanken.
Widerspruch! Töne sind Musik und kein Text und keine Worte.
Man kann natürlich Töne beschreiben, aber das ist eine
Beschreibung von Tönen - und nicht die Töne selbst. Der Klang einer zufallenden Tür (und die Aufnahme davon) oder ein Ton oder eine Melodie (und die Aufnahme davon) SIND Töne (bzw. Geräusche oder Melodien) - und ich kann sie
hören (oder die Aufnahme davon).
Der Text ist eine sprachliche (bzw. textliche) Darstellung bzw. Beschreibung einer zufallenden Tür oder einer Melodie - und nicht das Geräusch bzw. die Melodie selbst. Und die sprachlichen oder textlichen Beschreibungen ein und desselben Geräusches oder ein und derselben Melodie können sehr unterschiedlich sein - das Geräusch oder die Melodie als solche bleibt genau so, wie sie ist.
Das ist für mich die Freiheit der Sprache genauso wie es die Grenze der Sprache ist: die Sprache ist eine Beschreibung des Geräusches oder des Tones und nie das Geräusch oder der Ton selbst.
Umgekehrt hat auch das Geräusch oder der Ton oder die Melodie ihre Freiheit und ihre Grenzen.
Ich denke bzw. vermute, dass wir auch da einer Meinung sind.
Oder vielleicht auch nicht.
Herzliche Grüße
x-Riff