Damals... heute... This I love...
Die ersten Jahre der 1990er verbrachte ich in einem Internat. Ein Zimmerkumpel hatte die "Appetite for destruction" auf Kassette. "Nightrain" warf mich um. Bald das ganze Album. Gerade um diese Zeit kamen auch die Illusion-Alben heraus. Im Wohnheim gab es einen Musikkeller. Und irgendein Typ konnte ein bisschen E-Gitarre spielen. Als ich das zum ersten Mal hörte, hatte ich meine Erleuchtung. Ich lernte schnell. Besorgte mir die Off-The-Record Bücher von "Appetite..." & den beiden "Use your Illusion". Die Musik war hypnotisch. Axl oder Slash? Ich mochte sie beide. Hatte ich doch später in meinen Bands (jeweils Trios) auch beide Rollen inne: Sänger, Rhythmus- und Leadgitarrist.
1993 sah ich GnR in Frankfurt, Waldstadion. (Vorband war damals übrigens Brian May. So konnte ich auch noch einen anderen meiner Helden einmal live sehen.) Nach Frankfurt gaben die Gunners noch genau 11 Konzerte in der klassischen Formation. Mit dem Ausstieg von Slash 1996 war klar, dass die Band von nun an nur noch in Axls Phantasie existieren würde.
Als es schon sehr schlecht um die Gunners stand - so um 1994 herum, genau weiß ich es nicht mehr - las ich ein Interview mit Axl. Er war trotz allem irgendwie zuversichtlich und meinte, er hätte gerade einen Song namens "This Love" fertig; der sei (wörtlich) "das Beste, was ich je geschrieben habe." Da bekam ich natürlich ganz große Ohren. Ich kannte alle 46 Songs der Band. Wenn Axl vom "Besten, was er je geschrieben hatte" sprach, gab es etwas, worauf man sich als Fan freuen konnte. Der Titel "This Love" brannte sich bei mir ein wie eine schöne Frau, die man nur für eine einzige Sekunde gesehen hat, aber nicht mehr vergessen kann.
Die neuen Line-Up-Experimente interessierten mich nicht. Manchmal musste ich noch an Axls Aussage "das Beste, was ich je geschrieben habe" denken und fragte mich, was er wohl so treiben mochte. Die Jahre gingen dahin. Die Vergangenheit wurde zum Märchen: es war einmal eine Band namens Guns n' Roses... Ich verlor das Interesse an der Band.
Dann kam "Chinese Democracy". Ich suchte nach einem Song namens "This Love". Es gab einen, der so ähnlich hieß: "This I love". Das musste er sein, der Beste, den Axl je geschrieben hatte. Ich hörte ihn an - und war enttäuscht. Das Tempo passte nicht. Der Song war meinem Gefühl nach viel zu schnell. Zu hektisch für eine Ballade. Vielleicht der Stress, unter dem Axl die ganze Zeit stand, als er sich und aller Welt beweisen wollte, dass ER Guns n' Roses war? Das Solo von Fink war super gespielt - aber zu perfekt. Als würde man Emotionen digitalisieren und sie dann als Nullen und Einsen wieder ausspucken. Ich fand, nur ein Song hatte die alte Klasse: "Sorry". Bei einigen gab es ein paar gute Stellen, aber eben auch andere, die es wieder verdarben. Trotzdem war das Album nicht wirklich schlecht. Doch insgesamt blieb zu wenig von "Chinese Democracy" bei mir hängen. Die Band war irrelevant geworden. "This I love" vergaß ich wieder. War wohl nichts gewesen mit "dem Besten, was ich je geschrieben habe".
Noch einmal über 7 Jahre später die Reunion. Als ich das obige Video sah, verstand ich endlich, was Axl 1994 gemeint hatte, als es sagte, der Song sei das Beste, was er je geschrieben hätte. Vielleicht ist er nicht der Beste. Aber viel besser, als auf "Chinese Democracy". Als wäre endlich die Hülle herunter gezogen worden. Weil der Spirit wieder da ist. Weil Axl seinen alten Gitarristen wieder hat. Zusammen sind sie einfach mehr, als die Summe ihrer einzelnen Rollen. Selten habe ich das deutlicher gespürt, als auf dem Video oben. Slash spielt ein Solo, als müsste er die ganzen 23 Jahre Warten herauslassen und in diese weichen, singenden Linien packen. Axl schaut ihm dabei zu wie ein Pate, der weiß, dass das jetzt, genau jetzt, der Moment ist, auf den er 23 Jahre lang gewartet hat. Er singt wie ein Sportler, der bereit ist für den ganz großen Kampf. Vielleicht weinen sie zusammen in diesem Lied - jeder auf seine Weise...
Ganz anders als Led Zeppelins Eintagsfliegen-Comback, das genauso von Nostalgie umhaucht war, wie es ein ABBA-Comback oder eines der Beatles (gewesen) wäre, sind Guns n Roses auch nach 30 Jahren immer noch die Band, die absolut in die Zeit passt. Deren Songs immer noch voll auf die Zwölf gehen. Und das mit Mitte 50. Was für eine Kraft gehört dazu, so lange an einer Vision festzuhalten, nicht aufzugeben und es am Ende allen zu zeigen. Axl hat allen, die das nicht für möglich hielten und sich ein Jahrzehnt lang über ihn lustig machten, obwohl sie nie selbst etwas Großes leisteten, den Finger gezeigt und das Maul gestopft.