Holla, Martman, da bleibt ja kaum was nach bei deiner Streichliste.....
Doch, aber zum einen bin ich wohl mehr als zehn Jahre älter als der Forendurchschnitt, und zum anderen bin ich für meinen Musikgeschmack immer noch zu jung. Will sagen: Die Musik, die ich mag, kennen von den meisten hier allenfalls noch die Eltern.
Es gab nämlich schon vor 1990 Musik.
Und was "hipstereske World Music" ist, musst du mir mal an nem Beispiel erklären, das hab' ich ja noch nie gehört.
Darf bloß nicht europäisch oder nordamerikanisch oder nach Rock oder Pop oder Mainstream klingen, möglichst weit weg davon. Der Kram, der gerne in den typischen bis klischeehaften Indie-Szene-Cafés im Hintergrund dudelt. Bevorzugt lateinamerikanisch.
Was'n das für 'ne Band, deine Band? Gibt's was zu hören von euch im Netz? Bilder, Videos, Dates...??
*neugierignachbohr....*
Erste Warnung vorweg: 100% Cover.
Zweite Warnung vorweg: Ich bin mit Abstand der jüngste in der Band. Bassist und Gitarrist haben die Band vor bald 34 Jahren gegründet.
Dritte Warnung vorweg: Die Band muß nicht unbedingt meine Perfektionsansprüche erfüllen, die man von mir im Keyboards- und Coverband-Bereich kennt.
Jones
Bis zum ersten Satz warst du mit noch sympathisch aber dann kam;
Geht gar nicht: jüngere Charts, jüngerer Indie/Alternative, praktisch alles an EDM/Electronica ab Mitte der 90er, *core, Metal mit wenigen Ausnahmen, die allesamt schon in den 80ern oder früher existierten (schließt alles an Metal ab Mitte der 90er ein), Gangsta Rap, Volksmusik/deutscher Ethnopop, Schlager bis Mitte der 60er und ab Mitte der 80er, der ganze Ballermann-/Après-Ski-Kram, verkopfter Jazz
Was ist bitte verkopfter Jazz
Das ist Jazz, der verkopft ist.
Zum einen der ganze "Bloß nicht an irgendwelche musikalischen Konventionen halten"-Free Jazz, dem jeglicher Unterhaltungswert abgeht, weil er nur existiert, damit sich a) die Musiker wie eine super-alternative Elite vorkommen können, und b) das Publikum auch. Bewußt, gezielt disharmonisch, krummstmögliche Taktmaße ($PRIMZAHL/8 ungeachtet der geswingten Achtel und so Scherze), scheinbar chaotisch, tatsächlich perfekt durchkomponiert. Denn nur so wird man Elite: indem man dieses Chaos beliebig oft exakt replizieren kann.
Dave Brubeck explizit ausgenommen. Brubeck wird immer Kult sein.
Zum anderen Orchesterjazz, wie er schon seit einigen Jahrzehnten in Deutschland aufgefaßt wird: als akademische Disziplin, in der man (und das ist jetzt kein Witz) sogar einen Doktortitel erwerben kann. Kalt, glatt, emotionslos, durchanalysiert, perfektionistisch. Die Steigerung des Swing der 20er bis 40er Jahre. Wo der Laie fetzigen Swing mit knalligen Hörnern hört, höre ich eine Band, in der praktisch jeder Musiker ein Automaton ist, rein kopfgesteuert, seinen Part runterspielend wie eine programmierte Maschine, und selbst die Solisten spielen nicht frei, sondern jede Phrasierung ist ausnotiert und wird repliziert, fast wie wenn da ein Sequencer laufen würde.
Artgerechte Haltung von Hörnern in einem coolen Kontext sieht anders aus: R&B (prä-Seal, prä-R. Kelly, prä-Whitney Houston), Soul, Funk.
Hat das eigentlich irgend einen Grund, dass eine zwei Millionen Einwohner-Stadt wie Hamburg (immerhin größer als Madrid und Paris zusammen) hier irgend wo unter "ferner liefen" abgefrühstückt wird während irgend welche süddeutschen Provinznester sogar ihr eigenes Unterforum bekommen?
Weil Hamburg nicht gerade musikerfreundlich ist.
Es gibt kaum bezahlbare Probenräume, so daß Bandgründungen nahezu unmöglich sind, und wenn doch, finden sie im Umland statt.
Es gibt kaum Liveclubs, die sind über die Jahre gestorben. Die, die es noch gibt, sind entweder winzige Kneipen mit Alibi-Bühne (z. B. Live) oder musikalisch gefühlt oder tatsächlich spezialisiert (z. B. Stellwerk: Jazz, Waagenbau: Electro, Ballroom: Metal) oder beides. Die, die in Frage kämen, können es sich leisten, sehr, sehr wählerisch zu sein in der Auswahl ihrer Bands, weil sie mit Anfragen überflutet werden und auf Monate ausgebucht sind, dito alle Stadtfestbühnen (altonale, Hafengeburtstag...). Man kann also nicht nur nirgendwo proben, sondern auch nirgendwo auftreten, wenn man keinen Namen oder nicht das richtige Konzept hat.
Coverbands haben sowieso verkackt. Gute Tributebands, die billiger sind als The Australian Pink Floyd Show, kommen pro Jahr einmal ins Logo und vielleicht einmal in den Rieckhof. Auf Stadtfeste kommen nur einige wenige professionelle Top40-Bands. Der Rest darf das platte Land bespaßen.
Selbst für die ganz Großen gibt's hier nicht viel. Musical geht immer und immer besser (Neue Flora, Operettenhaus, Musicalzelt, z. T. Fliegende Bauten), aber Konzerte? Die O2 World ex Color Line Arena gibt's erst seit Anfang des Jahrtausends, davor ging's in die Alsterdorfer Sporthalle mit miesem Sound, die gar nicht für Musikveranstaltungen vorgesehen ist. Kein Wunder, daß die ganz Großen oft lieber nach Kiel in die Ostseehalle fuhren. CCH und Laeiszhalle ex Musikhalle sind für Unterhaltungsmusik ungeeignet, das Molotov ist ein rumpeliger Kellerladen mit fragwürdigem Namen, und das Logo ist eine enge Sauna ohne Deckenhöhe.
Im krassen Gegensatz dazu steht die gute Verfügbarkeit von Equipment. Es gibt Musikgeschäfte vom kleinen Ein-Mann-Laden bis zu Just Music ex Amptown. Aber gut, das spielt keine Rolle mehr in Zeiten, wo trotz allem die Hamburger fleißig aus Treppendorf bestellen.
Letzten Endes hat die ganze Stadt Hamburg nur noch eine Zielgruppe: die Elite. Yuppies. Die reichen und schönen Hochglanzkarrieristen. Für die wird ein Szeneviertel nach dem anderen komplett gentrifiziert und yuppiefiziert. Einerseits wollen sie sich ganz toll finden, wenn sie in coolen, hippen, trendy Vierteln mit großem Namen und irrwitzigen Preisen im Café sitzen und entweder laktosefreien Latte Macchiato aus Kaffeebohnen aus fairem, kontrolliertem Anbau (weil exklusiver und teurer) oder französischen Prosecco schlürfen, derweil der maximal 12 Monate alte Audi (S5, RS5, Q7, TT, R8) oder BMW (M6, X6, vielleicht Z4) vor der Tür steht. Andererseits sind die ganzen unsanierten Altbauten ihnen zu rustikal, da erwarten sie für ihr Geld Neubauten mit topaktueller Architektur. Und das bisherige Publikum ist auch lästig. Die haben ihre Schuldigkeit getan, nämlich dem Viertel seinen Szeneruf zu verleihen, jetzt müssen sie weg. Man will unter sich bleiben.
Das betrifft nicht nur die aktuellen Szeneviertel, also Kiez, Schanze, Karoviertel, Gängeviertel und die Lange Reihe, oder Neubauviertel wie die HafenCity, die ursprünglich verkauft wurde als kostengünstig und familienfreundlich, bei der aber von vornherein klar war, daß das ein Yuppieviertel wird. Das wird so weitergehen. Aktuell versucht man, die Indieszene nach Wilhelmsburg zu locken. Dann wird das nämlich das nächste Szeneviertel, auf das sich die Yuppiehorden als nächstes stürzen können. Was kommt als nächstes? Barmbek?
Natürlich hat die Szene das Ganze schon lange durchblickt. Daß man kein fünf- bis sechsstelliges Nettomonatseinkommen hat, heißt noch lange nicht, daß man doof ist oder leicht zu beeinflussen.
Martman