Ordnest Du die verminderten Quintfälle auch funktionsharmonisch den Quintfällen zu - im Sinne einer ähnlichen Schlusswirkung? Oder ist es eher eine Möglichkeit der Ausweichung mit dem beschriebenen "harmonischen Band"?
M.E. ist die Quintfallsequenz nicht wirklich funktionsharmonisch zu erklären. Sie ist eben eine Sequenz und keine Variante einer Kadenz. Einer
Sequenz wohnt das Bestreben inne, immer weiter zu machen und
nie aufzuhören. Das Gegenteil trifft auf die
Kadenz zu. Sie möchte
Schluß machen und das möglichst überzeugend.
Die verminderten Quintfälle im o.g. Beispiel unterscheiden sich vom verminderten Quintfall in der Diatonik. Der letztere wird ja mit einer b5 realisiert. Dieses Intervall taucht aber in keinem Akkord der diskutierten Takte 6 bis 9 auf.
Ich sehe das in diesen Takten drei Mal analog angewandte Verfahren als eine gute Möglichkeit, in andere Tonarten auszuweichen. Durch das erwähnte "harmonische Band" je zweier gleichklingender Akkordtöne verschafft der jeweiligen Akkordfolge eine Plausibilität. So wird erreicht, daß die eigentliche Fremdheit der neuen Tonarten akzeptiert wird.
Ein interessanter Trick um in entfernte Tonarten zu gelangen bzw. um die Musik harmonisch reichhaltig zu gestalten.
Es gibt (musikalische) Dinge, die werden nicht besser und auch nicht klarer dadurch, daß man sie (harmonisch) zu Tode analysiert.
Meine Meinung ist, daß erst dann etwas "zu Tode" analysiert ist, wenn es nichts sinnvolles mehr zu analysieren gibt. Das trifft auf das diskutierte Beispiel nicht zu. Wir sind ja hier im UF "Harmonielehre, Analyse". Also zerlegen wir doch, was das Zeug hält!
Die Anatomen haben durch die Sektion ungeheuer viel über den Aufbau des menschlichen Organismus gelernt. Analog können wir viel darüber lernen, wie Stücke interessanter Komponisten aufgebaut sind. Das schadet nicht, sondern es kann sehr dabei helfen, neue Kompositionen zu erstellen. Da können die erkannten Bauprinzipien nämlich u.U. gut angewandt werden.
Diese Kenntnisse allein machen allerdings noch keine gute Komposition aus, denn dazu bedarf es noch den Sinn für das Ganze. Ein überzeugendes Ganzes (bzw. Gestalt) ist immer mehr als die Summe seiner Teile.
Doch ohne, zumindest die intuitive Kenntnis wichtiger Teile wird man auch keine überzeugende Gestaltung einer Komposition hinbekommen.
In der gesamten Akkordfolge sehe ich folgende Prinzipien verwirklicht:
Cmaj7 - B-7(b5): Stufenbewegung unter Beibehaltung der Diatonik.
B-7(b5) - E7: Quintfall, allerdings ausgehend vom Halbverminderten. Das "harmonische Band" zweier Töne unterstützt die Plausibilität der Akkordfolge.
Es folgen Quintfälle, teilweise findet die Variante (Moll<->Dur) Verwendung - von Takt 5 auf 6 sogar hintereinander.
Bis Beginn von Takt 11 hatte ich oben schon analysiert.
Takt 11: Cmaj7 - A7: Ansatz einer chromatischen Modulation (c -> c#). (Wieder "harmonisches Band" aus zwei Tönen.)
Es folgen abermals Quintfälle, bis der Ausgangsakkord wieder erreicht werden kann.
Viele Grüße
Klaus