Lasst uns nicht über Aging streiten - ich mag schön geagete Gitarren, aber dieses Aging sieht einfach sehr unwirklich, ja fast schon skurril-lächerlich aus!
Wenn ich ehrlich bin, ist das für mich eher die Regel als die Ausnahme. Es wundert mich auch nicht weiter, da nach meinem Eindruck die weitaus meisten geageten Gitarren unter relic und heavy relic fallen, während das bei echten alten Gitarren extrem selten zu sein scheint.
Was auch logisch erscheint, nachdem sich unter den Gitarristen bereits in den 70ern herumgesprochen hatte, dass die Pre-CBS deutlich besser waren. Auch wenn es danach noch ein wenig länger gedauert hat, bis die Preise deutlich über die der Neuware angestiegen sind, haben auch (und vielleicht gerade) die Leute, die sich nur eine gebrauchte Fender leisten konnten, diese meistens sehr gut behandelt, ihren Schatz nur im Koffer transportiert usw.. Es gibt also schon mal nur wenig Anschauungsmaterial, das einen realen Zerstörungsgrad wie bei der Strat von Rory Gallagher aufweist.
Ich hab mir mal andere Gitarren von Jason Smith angesehen, und ich muss sagen - der kanns einfach nicht. Die haben alle jede Menge angebliche Gebrauchs-Macken, die an allen möglichen Stellen sitzen, an die man gar nicht hinkommt. Zum Beispiel diesen fast immer zu sehenden heftigen Abrieb an der unteren vorderen Kante. Soll da simuliert werden, dass einer immer an einem Mikrofonständer gerieben hat, der mit grobem Sandpapier umwickelt war...?
Auch irgendwelche Kratzspuren, die direkt am Tremolo an Stellen enden, wo eigentlich ein toter Winkel ist - in den käme man nur rein, wenn die Gitarre beim Unfall nicht zusammengebaut war oder man mit einem Werkzeug absichtlich dort hinstichelt.
Von daher geht es mir bei den weitaus meisten Relics so, dass ich die einfach als simulierte Alterungsspuren akzeptieren kann, sondern eher als den "Shabby Look", den man bei Möbeln findet - und bei denen auch niemand den Anspruch erhebt, dass es als reale Alterung durchgehen muss. Dementsprechend empfinde ich das Etikett "Relic"schon als ziemlich anmaßend, denn es heißt ja übersetzt soviel wie "Überbleibsel, Relikt".
OK...was ich auch schon nach 2,5 Sekunden sah und sich beim Anspielen sehr negativ bemerkbar machte: die beiden E-Saiten liefen viel zu weit außen über den Hals...
Das ist ja bekanntermaßen eh ein Problem des Entwurfs von Fender. Die ursprünglich (und daher auch bei Vintage-orientierten Strats) verwendete Saitenführung des Tremolos ist eben grenzwertig breit. Speziell in den oberen Lagen setzt ein Funktionieren also voraus, dass der Hals wirklich korrekt ausgerichtet ist, aber auch, dass die Bundenden seitlich nicht zu weit angeschrägt bzw. abgerundet sind.
So eine Bearbeitung fühlt sich natürlich sehr angenehm an, und so ein Gefühl wird der Kunde in den höchsten Preisklassen ja nicht ganz zu Unrecht erwarten - nur geht es halt aufgrund der vorgegebenen Geometrie bei einem Vitage-Trem schlicht nicht so extrem. Genau deshalb hat man bei Charvel damals das Übel an der Wurzel gepackt und den Halsfuß um 1/16" verbreitert. Und dann kann man sogar den ganzen Hals an der Seite abrunden, wie es bei aktuellen Charvels und auch der Player Plus gemacht wird - hier allerdings ermöglicht durch das kleinere String Spacing der Bridge.
Könnte man natürlich auch bei einer Relic erreichen, indem man eine Bridge einsetzt, die das breite Schrauben- aber ein schmaleres Saitenspacing hat. Macht Fender aber nicht, weil - Vintage und so.
Zur Abrichtung der Bünde bzw. der Halseinstellung kann ich jetzt nichts zur konkreten Gitarre sagen, das mag ja evtl. durch (leider Vintage-bedingt auch sehr umständliches) Nachstellen des Halses in den Griff zu bekommen sein. Ich setze mal voraus, dass die Bünde perfekt abgerichtet wurden, aber ein Hals aus Holz bewegt sich immer mal ein bisschen. Ja, man findet immer mal wieder Gitarren mit Vintage-Radius und sehr guter Saitenlage, bei denen Bendings trotzdem nicht gleich absterben - aber die Ansprüche an die Abrichtung und die Holzqualität sind dann eben sehr hoch, und die Fehlertoleranz zunehmend geringer. Ich habe mich anfangs auch gewundert, wie nahe PRS bei der Silver Sky SE an den Original-Specs geblieben ist, dann aber für den Halsradius statt 7,25" die sehr unüblichen 8,5" gewählt hat. Dahinter steckte vermutlich genau die Erkenntnis, dass man das spezielle Spielgefühl besser bewahren wollte als mit 10" oder mehr, aber bei einer SE nicht den gleichen Aufwand an Material und Arbeit investieren kann.
Ich will also keineswegs sagen, dass Jason Smith generell keine Gitarren bauen kann, und das kann ich mir auch nicht vorstellen.
Nur finde ich a) sein Relicing grauenvoll und b) ein strenges Vintage-Konzept technisch ungeeignet, um bestimmte moderne Komfort-Extras zu integrieren.
Das ist auch letztlich der Vorwurf, den man aus meiner Sicht dem CS schon machen kann, nämlich dass man den Kunden da irgendwo was vormacht, statt ehrlich zu sagen: das ist eine Vintage-Kopie, und da muss man bestimmten Dingen einfach leben, wie eben den etwas steileren Bundenden. Ich weiß, man findet solche Hinweise auch hier und da mal bei Fender, aber was eigentlich transprortiert wird, ist schon ein anderer Anspruch.
Gruß, bagotrix
P.S.:
Bei meiner Suche nach weiteren Jason Smith-Relics habe ich auch diesen Artikel gefunden:
https://www.gearnews.de/fender-custom-shop-relic-schablone-lackierung/
Falls das keine Fake-Story ist (und dann hätte Fender in über 3 Jahren vermutlich schon was dagegen getan), muss ich nun wirklich sagen: Ein Master Builder, der seinen Namen für sowas hergibt...?