Hmm, ich bin noch nicht so alt (27) hab aber auch schon einige Veränderungen hinsichtlich der Wahrnehmung von Musik und vor allem meines eigenen Musikgeschmacks durchgemacht.
Angefangen hat eigentlich alles mit der EAV, die mein Bruder heimlich in den Osten auf Kassette überspielt bekam. Ich war damals vielleicht 5 oder 6 Jahre alt und konnte damit nichts weiter anfangen, fand aber die Motive die diese Jungs besangen wie den "Märchenprinz" und den "Banküberfall". Die "Fata Morgana" hingegen konnt ich überhaupt nicht ausstehen. Ich vermute, das lag an den Anklängen der arabischen Tonleitern, die ich damals für mich zu melancholisch empfand. Ich mochte lieber fröhliche Musik. So gefiel mir auch "Sing mei Sachse sing" und "auf die Bäume ihr Affen, der Wald wird gefegt" von Hauff und Henkler sehr gut, die mein Vater an manchem Abend auf den Plattenteller legte. Mit 8 oder 9 begann ich mit dem Klavierspiel. Mein Klavierlehrer mochte sehr die Stücke von Beethoven, Johann Strauß und auf Noten, was mich nicht störte, allerdings auch nicht tangierte. Mein eigenes Interesse für Musik war damals überhaupt nicht ausgeprägt. Die Anfänge dessen kamen etwa mit 11 - 12 als mein damals bester Freund ein Mix-Tape von REM, Greenday und ähnlicher Musik hatte. Die Musik gefiel mir sehr gut, jedoch hatte ich keine eigenen Ambitionen mich damit weiter zu beschäftigen, sein Sega-Mastersystem war für mich weitaus interessanter. Später entdeckte ich bei ihm Kraftwerk und die Prinzen, K2, Stefan Raab (ein Bett im Kornfeld), und dann eine Musik, die ich bis heute noch nicht mag und zwar Rave und Hardcoretechno. Er besorgte sich eine Thunderdome-CD nach der anderen. Das war glaub ich auch die Zeit in der unsere Freundschaft erste Risse bekam.
Ich konzentrierte mich lieber auf die Musik, die aus dem Fernseher kam. Ich liebte E-Rotic, die Fun Factory und Rednex. Ich versuchte auch den Titel "I wanna be with you" auf dem Klavier nachzuspielen, gab aber mangels Erfolgs und Selbstvertrauens bald wieder auf. Naja, da stand ich nun, konnte zwar ziemlich gut nach Noten spielen nach 4 - 5 Jahren Klavierunterricht, aber hatte keine Ahnung, meine eigenen Ideen auf dem Klavier umzusetzen geschweige denn von ner eigenen Begleitung, was sich auch noch bis 1997/98 so beibehalten sollte. Mein Bruder war mittlerweile auf dem Punk-Trip gelandet, eine damals für mich abartige Musik. Tote Hosen, Dritte Wahl, Skeptiker... damit konnte ich überhaupt nichts anfangen. Und die Ärzte, die waren kein Punk, die waren ja lustig. So verging die Zeit und ebenso die Schule, eine neue Situation mußte bewältigt werden, die Lehre. Hier sah ich nun auch endlich die Gelegenheit gekommen, mich meines Klavier- und mittlerweile auch Akkordionlehrers (Ich kann auch heut noch Herbert Roth und einige Seemannslieder nach Noten) zu entledigen, den ich schon seit 2-3 Jahren ziemlich satt hatte. Aber meine Oma köderte mich immer mit einem Taschengeld. Naja, wenn ich heut so darüber nachdenke, hätt ich ihm gesagt, dass ich gerne eher was modernes spielen möchte wär er vielleicht auch drauf eingegangen, wieso ich's nicht gemacht hab, darauf muß ich leider eine Antwort schuldig bleiben. Ich weiß es selber nicht.
Ich fiel nun in ein musikalisches Loch, dass ich damit zu stopfen begann, die Musiksammlung meines Bruders zu durchwühlen. Da waren sie auf einmal Dritte Wahl und die Skeptiker. Die Schreckensmusik von einst, die Lieblingsmusik von jetzt. Auch Juliane Werding, für die sich mein Bruder interessierte kam mit in die Anlage, leider nur solang mein Bruder nicht da war, doch das war so gut wie jedes Wochenende. Ich versuchte diese Wende in meinem Leben erst zu verhüllen, wollte nicht zugeben, dass ich mich veränderte, doch Schritt für Schritt begann ich es mehr zu zeigen. Ich folgte meinem Bruder nicht nur in diesem Belang, sondern auch in unseren örtlichen Jugendclub, wo ich die Bekanntschaft eines Mannes machte, der mein Leben in jeder Hinsicht gewaltig veränderte und auch einen neuen musikalischen Bruch bewirkte. Durch ihn, der in mir langsam meine Eigenständigkeit weckte und förderte begann ich mich für 77-er Punk und Ska zu interessieren. Die Deutsch-Punk-Zeit war ruckartig abgeschlossen. Außerdem zog ich von zu hause aus.
Ich begann mit ihm den Plan zu entwickeln eine Ska-Band aufzubauen, die bis zu ihrem Ende um 2000 meist nur aus 2 Leuten bestand, ihm und mir (Keyboard/Gesang und Gitarre/Gesang)). Ich lernte endlich ohne Noten zu spielen (wenn auch nur einfache Rhythmen) und hatte ein neues Ziel. Mit dieser Formation hatten wir sogar 2 Auftritte, für die extra jemand aus Hamburg angereist kam. Ein 40-jähriger aber geistig jung gebliebener Sänger und Gitarrist. Aber nachdem er nach Dresden zog ging auch für mich die Zeit des Ska und 77er Punk zu Ende.
In der Zeit, die ich mit ihm verbrachte, lebte ich in einem alternativen Haus. Dort kam ich in Kontakt mit Hardcore, Emo-Core und Screamo. Ende der 90er schien für mich die gesamte Punk-Szene nur noch aus diesem zu bestehen, wogegen ich doch auch andere Erfahrungen machte. Viel später erst begriff ich, dass es einen gewaltigen Unterschied zwischen der Punker-Szene und der, mir fällt jetzt kein Begriff dafür außer "alternativen Linken" dafür ein. Ich konnte mich an die Musik dieser Szene überhaupt nicht begeistern, wurde aber ständig damit konfrontiert bis zu meinem Auszug 2001 in meine erste eigene Wohnung damit konfrontiert.
Doch weiter zu meiner eigenen Entwicklung. Schon einige Zeit bevor mein Freund ankündigte wegzugehen hatte ich im Kaufland eine Do-CD entdeckt, die einen nachdenklichen schwarzen Trompeter zeigte. Auf der Packung stand "Miles Davis - From his last Concert in Avignon". Die Cds waren günstig und so nahm ich sie mit. Als ich sie zum ersten Mal anhörte wurde ich einfach nur abgestoßen. Das war für mich der reinste Katzenjammer, niemals konnte ich mir vorstellen, dass solch ein Mensch eine dermassen verstörende Musik machen könnte. Die CD verließ mein CD-Laufwerk wieder und Schluß. Durch Zufall erhielt ich aber die "Ava Adore" von den Smashing Pumpkins, die meine Jagd auf deren Stücke einleitete und Moby und Herbert Grönemeyer, die mich auch sehr begeisterten.
Etwa zur gleichen Zeit begann eine Bekannte von mir in der Nähe zu studieren, was mich alldienstäglich in den dortigen Studentenkeller lenkte. Dies war meine erste Erfahrung mit einer Disko, da ich bisher nur das Konzertleben kennengelernt hatte. Um 2000 - 2002 liefen dort die Hits auf 5 - 6 Musikrichtungen jede Woche aufs neue (ebenso nach diesen Musikrichtungen aufgeteilt). Das waren Hippiemusik, Wave, Pop, Punk-Hits, deutsche Musik und andere. Mit großer Regelmäßigkeit aber die gleichen Sachen, weshalb ich einige dieser Stücke auch heute noch mitsingen kann.
So wurde es nun 2002 und ich ging auch hin und ich hatte mir eine CD von Duke Ellington und Louis Armstrong besorgt. Insbesondere die Virtuosität Ellingtons beeindruckte mich und so lenkte ich fortan meinen Blick auf den Jazz, der mich ungefähr die nächsten 2 - 3 Jahre begleitete. Ich folgte in diesem Jahr meinem Bekannten nach Dresden, hinterließ meiner Heimatstadt noch ein Abgeschiedsgeschenk um unsere Ska-Band zu retten, wohl aber im Inneren wissend, dass dies nur als Vorwand diente um etwas neues zu beginnen und stürzte mich dort in eine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger. Meinen Bekannten hab ich in Dresden noch ca. 2 - 3 mal gesehen. Als Abschied an meine Heimatstadt hinterließ ich noch den Auftritt eines kleinen Projekts, dass Klassik und Punk kombinierte. (Das Ergebnis von 3 - 4 Proben)
In Dresden empfing mich dann zum ersten Mal eine Fülle an Musik, in meiner Schule entwickelte sich gerade ein Chor mit Schulband, an dem ich auch teilnahm. Dort befand sich ein sehr guter Funk und Pop-Pianist, an dem ich mich von da an orierentierte. Für mich war das aber zu dieser Zeit auch Jazz, den Unterschied begriff ich erst später, was in mir zu Konfusion führte. Die Musikszene der Stadt blühte, ich hatte noch nie so viele Weggehmöglichkeiten auf eine Haufen erlebt und begann mich zunächst in Schulprojekten am Klavier in Richtung Rock weiterzuentwickeln.
2003 zog ich mit einer ehemaligen Klassenkameradin zusammen, die mich ins Marracesh in Dresden zog, wo ich das erste Mal als Zuschauer einer Session beiwohnte. Ich hätte mich niemals getraut mit diesen "Profi"-Musikern dort zusammenzuspielen, war aber total fasziniert vom Entstehen und Werden der Songs und begann dort regelmäßig vorbeizuschauen. Meine Faszination für improvisierte Musik löste dies aus.
Außerdem begann ich immer noch meiner vermeintlichen Profession zum Jazz folgend Unterricht bei einem Professor der ansässigen Musik-Hochschule zu nehmen, um dort die Aufnahmeprüfung zu schaffen. Ich lernte in dieser Zeit viel über Jazz, erreichte aber nie den Status, da tatsächlich an einer Prüfung teilzunehmen, zumal zu einer Profession auch ein unbändiger Wille zählt, den ich aber nicht vorzuweisen hatte.
Ich spielte dann zwischenzeitlich in einer Gothic-Rock und in einer Ska-Band mit bevor mich der Sänger dieser Band (den ich schon aus Chorzeiten kannte und selbst in die Band geholt hatte) ansprach ob ich nicht Lust hätte mit ihm eine eigene Band zu gründen. So entstand "jamBlock". Wir repräsentierten eine Mischung aus vielen Musikrichtungen, die meist vom Gitarristen beeinflußt wurden, so machten wir zunächst eher Funk-lastige Musik während wir nach einem Gitarristenwechsel ziemlich Reggae-Rock lastige Musik präsentierten. Immer gewürzt mit einer Soul-Rock-Stimme. Ich glaub diese Zeit hat mich in meiner musikalischen Entwicklung extrem gefördert, da ich das schwächste Glied in der Reihe war, aber genug Ehrgeiz um besser zu werden und mit den Musikern in eine Reihe aufzuschließen. Gelungen ist mir das nie, jedoch hab ich angefangen nun auch auf den Sessions mitzuspielen, da die Liedentwicklung innerhalb der Band auch dem Session-Schema glich fiel mir das jetzt leichter.
Mein persönlicher Musikgeschmack wandelte sich während dieser Periode hin zu Funk- und Soul-Sachen. 2007 mußten wir jedoch nach über 50 Konzerten unsere Auflösung bekanntgeben. Seitdem bin ich eigentlich nur noch auf Sessions und habe mich an kleinen kurzfristigen Projekten beteiligt. Mein Musikgeschmack hat sich weiter gewandelt hin zu modernem Rock (Franz Ferdinand, dEUs, Hamburger Schule) Aber auch die Smashing Pumpkins hab ich wieder entdeckt.
Ich glaub auch, dass ich mittlerweile ein Schema dahinter feststellen, was mich wirklich interessiert. Das ist Musik, die bis tief in die Seele eindringt. Egal welcher Art denn von all diesen Bands auch, vor allem, die die ich über lange Zeit gehört habe hinterlassen auch heute noch eine Gänsehaut bei mir.
Noch eine kleine Anmerkung zur "linken alternativen Szene" auch dort hab ich weitere Einblicke bekommen, diese hat sich meines Erachtens von HC, Screamo, und Emo-Core weg hin in Richtung Hard-Tek und Drum'n'Base gewandelt, was ich auch sehr faszinierend fand, weil die Leute, die zu meiner Zeit diese Szene darstellten, ausgerechnet mit dieser Musik überhaupt nichts anfangen konnten.
So, bin mal gespannt, ob das einer bis zu Ende liest, ist doch sehr lang geworden
LG
Johannes