Hallo Frank!
Worin genau liegt denn für Euch der Unterschied zwischen E-Piano und Klavier?
Ein großer Bereich ist die Anschlagdynamik:
- Wie empfindlich ist die Tastatur, wenn man nur ganz leicht drauf drückt? Beim Keyboard kommt vielleicht gar kein Ton raus. Beim Klavier passiert zumindest ein bisschen was. Und sei es nur, dass der Dämpfer nicht mehr auf der Saite liegt und sie deswegen mitschwingen kann, wenn andere Töne gespielt werden. (Diese physikalische Wechselwirkung kann inzwischen auch simuliert werden, ist aber nicht der Standard soweit ich weiß).
- Wie stark kann ich eine Taste anschlagen, bis ich die maximale Lautstärke erreicht habe? Auch hier hat das echte Klavier einen viel höheren Spielraum.
- Kombiniert ergeben die ersten beiden Faktoren den Dynamikumfang. Der ist natürlich nicht bei allen Keyboards gleich, es gibt durchaus Qualitätsunterschiede. Ein kleiner Dynammikumfang erschwert das Spielen gewissermaßen, weil kleine Unterschiede in der Anschlagsstärke stärker differenziert werden. Da kommts dann darauf an, wie der Sound programmiert ist.
Der Sounddesigner hat zwei Möglichkeiten. Entweder erentscheidet sich, dass er den ganzen Dynamikumfang eines echten Klaviers einfangen will. D.h. ein ziemlich starker Anschlag, der auf dem Keyboard schon die Skala sprengen würde, und ein super leichter Anschlag liegen auf einmal viel näher bei einander. Oder der Sounddesigner entscheidet sich für eine realistischere Herangehensweise. Dann kommt man als Spieler an die Grenze, dass man fühlt, dass der Klaviersound eigentlich noch lauter zu spielen sein müsste, aber egal wie stark man draufhaut, es wird nicht lauter - weil man den Dynamikumfang der Tastatur erreicht hat, aber nicht den Dynamikunfang des Klaviers, das gesamplet wurde. Man fühlt sich also gebremst.
In diesem Sinne finde ich das Spielen auf einem echten Klavier einfacher. Selbst wenn jedes Klavier anders ist (wie dir ja schon aufgefallen ist), lernt man recht intuitiv, es unter Kontrolle zu haben. Und es ist tatsächlich einfacher, weil der Dynamikumfang so groß ist.
Dazu kommt, dass in der digitalen Technik alles immer in Stufen passiert, in dem Fall meistens maximal in 127 Stufen, denn das ist der Standard von Midi. Die meisten gesamplete Klaviersounds arbeiten aber mit viel gröberen Einteilungen. Pro Taste werden z.B. nur vier verschieden starke Anschäge gesamplet, und der Rest wird nur über die Veränderung der Lautstärke simuliert. Dabei ändert sich bei einer Änderung des Anschlags ja nicht nur die Lautstärke, sondern auch der Klang.
Ein weiterer Wichtiger Bereich ist die Psychologie (zumindest würd ichs mal so nennen):
- Bei einem Klavier stehen die Kraft, die du reinsteckst und die Lautstärke, die du rausbekommst, immer in einem Verhältnis, das sich natürlich anfühlt, weil es natürlich ist.Und es ist relativ laut! Ich würde - wenn ich alleine spiele - ein Keyboard wahrscheinlich nie so laut drehen. Vielleicht geht es nur mir so.
- Bei einem Klavier fühlt man die Vibration in den Fingern. Das ist ein zusätzliches Feedback, das sich irgendwie einfach gut anfühlt. Ich weiß gar nicht warum, aber auch das trägt für mich zum Spielgefühl bei.
Und zu guter Letzt der Sound:
- Der Sound bei einem Keyboard kann nur so gut sein wie die Originalaufnahme, niemals besser. Man kann beim Programmieren des Sounds noch Fehler ausbügeln, man kann Schwächen z.B. durch einen Halleffekt vertuschen, aber das ist nur Kosmetik.
- Bei einem Keyboard ist man von der Qualität der Boxen / Kopfhörer abhängig. Die müssen das ganze Frequenzspektrum möglichst unverfälscht wiedergeben.
- Das gleiche gilt natürlich für Verstärker usw. - jedes Glied in dieser Signalkette kann höchstens versuchen, "neutral" zu sein, aber in der Realität gibt es an jeder Stelle kleine oder große Qualitätsverluste, die sich nach und nach aufaddieren.
Es gibt ganz viele Unterschiede, und einige davon sind uns wahrscheinlich gar nicht bewusst. Ein blödes Beispiel: Ich habe lange Keyboard im Stehen gespielt und mich dann mal an ein Klavier gesetzt - das war ein ganz anderes Gefühl. Dann hab ich mich irgendwann an ein Digitales Piano gesetzt und gemerkt: Allein schon dass ich sitze, gibt mir ein anderes Gefühl, ganz unabhängig von der Technik. Deswegen glaube ich wir sind manchmal nicht unbedingt gut darin, zu beurteilen, was an welchem Instrument besser oder schlechter ist. Und wir fallen schnell zurück auf allgemein anerkannte Thesen wie "Original ist immer besser".
die Schlussfolgerung, dass ein Klavierspieler immer auch Keyboard spielen kann, umgekehrt aber nur selten, sehe ich eigentlich nicht so.
Ich auch nicht. Sogar eher im Gegenteil, wie ich oben beschrieben habe: Der höhere Dynamikumfang eines Klaviers verzeiht einem eher kleine Unterschiede in der Anschlagsstärke.
Es kommt aber auch ein bisschen drauf an, was man mit Keyboard meint. Vielleicht kommt diese Aussage aus der Zeit, als viele Keyboards überhaupt keine realistischen Sounds hatten und auch keine Anschlagdynamik. Wenn man dann erst auf einem Keyboard lernt, entwickelt man nicht die Motorik für unterschiedliche Anschlagstärke, weil das Keyboard diese komplett ignoriert und den Sound immer in der gleichen Stärke spielt. Dann ist der Umstieg auf ein Klavier natürlich ein anderer. Wobei ich ehrlich gesagt glaube, dass der Zusammenhang von Anschlagstärke und Lautstärke so intuitiv ist, dass sich das auch nachträglich schnell erlernen lässt.