Im Grunde hat Clavia als Zielgruppe nur noch die AP/EP/B3-Fraktion und da besonders die älteren Semester. Wenn die ihren Nord Electro nicht wie wild splitten können, juckt die das nicht. Auf Musicplayer.com geben sich über 60jährige Keyboarder die Klinke in die Hand, die prinzipiell pro Tastatur immer nur einen Sound spielen, weil sie das so gewohnt sind von Hammond, Rhodes, Mellotron, Clavinet & Co. und alles andere sie verwirren würde. Und viele von denen schwören auf Nord. Die sind auch leicht zufriedenzustellen. Heiße neue Features wollen die nicht. Denen reicht "more of the same", was Entwicklungskosten spart.
Viele halten auch deshalb an Nord fest, weil sie die "schon immer" gekauft haben und keinen Bock haben, die Marke zu wechseln. Die werden nur untreu, wenn entweder jemand anders was baut, was ihnen noch wesentlich besser paßt, Nord komplett abstinkt oder Nord aus irgendeinem Grund aufhört, das zu bauen, was sie haben wollen. Selbst wenn Dexibell jetzt was droppen sollte, was noch einen Tick besser ist als Nord, ist das kein Grund zum Wechseln. (Gerasterte Zugriegel gehen aber über "einen Tick" hinaus.)
Da schlagen eher die zu, denen ihr SV1 oder King Korg langsam zu alt wird. Kennt man ja aus dem Alleinunterhaltersektor. Yamaha Tyros war geil, aber uninteressant, weil alle Technics spielten und immer gespielt hatten, nicht selten seit seligen SX-C600/C700-Zeiten. Wirklich im großen Maßstab verkauft hat es sich erst, nachdem das SX-KN7000 keinen Nachfolger mehr bekam und die Entertainer trotzdem ihren regelmäßigen GAS-Fix brauchten. Da war dann aber auch Goldgräberstimmung angesagt, es gab haufenweise Markenumsteiger abzufischen, und auch Korg versuchte, seinen Teil vom Kuchen abzukriegen.
Die Synthnerds hat Clavia komplett aus den Augen verloren. Bester Beweis ist der Shortcut-VA namens A1 für die Ich-will-geile-Analogsounds-aber-nicht-groß-schrauben-Klientel. Ein Teil der Nerds hält immer noch fest an den Maschinen von vor 15–20 Jahren, Nord Modular, NL3 etc. Der einzige Grund, warum die Modulars noch nicht zum gebrauchtpreislichen Flug zum Mond angesetzt haben, ist, weil sich noch nicht rumgesprochen hat, daß der Modular Editor auch unter Windows 10 noch läuft – und weil er auf aktuellen Macs gar nicht mehr geht (obwohl ich für meinen Micro Modular heute mehr kriegen würde, als er damals neu kostete). Die meisten kaufen aus Schweden nur noch Sachen von Elektron, zumal deren Produkte auch kompatibler sind zu der Achse von der Berliner Schule bis zur EDM.
Dabei – wie du schon sagst – gibt es einige, die heiß auf aktualisierte Neuauflagen gewisser Klassiker sind. Nord Wave sowieso, wobei man da im Prinzip den NL4 als Basis nehmen und vielviel mehr Flash oder gar eine SSD einbauen könnte. Dann erschlägt man auch den Bandkeyboarder gleich mit, der immer noch nach Möglichkeiten sucht, riesige Sample-Libraries abzustreamen, ohne einen potentiell fragilen Klapprechner mitzunehmen. (Bis sich rumspricht, daß Clavia immer noch keine vernünftige Multisample-Unterstützung implementiert hat. Dem Nerd wär das egal. Der braucht die Kiste nur für Noise-Samples und zum Einfliegen von Stereobackings, die man vielleicht auch mal lustig filtern könnte.)
Und wenn sie einen G3 bringen würden, würden bei den Händlern wieder Wartelisten ausliegen, weil sie mit Bauen nicht mehr hinterherkämen. Schlau wäre, auf einen externen Editor zu verzichten, weil das immer das Risiko birgt, daß der nach ein paar Betriebssystemgenerationen nicht mehr läuft (auch wenn gerade der alte Modular-Editor ein Paradebeispiel für "läuft unter fast allem" ist). Aktueller Trend in dieser Hälfte des Jahrzehnts ist der webbasierte Editor mit einem Webserver in der Maschine selber. Siehe Nonlinear Labs C15. Wenn man sowas nicht mit Eintagsfliegen-Webstandards baut, die übermorgen wieder obsolet sind und von keinem Browser mehr unterstützt werden, kannst du eine so ausgestattete Maschine mit allem editieren, was einen grafikfähigen Browser hat.
Aber ich glaube auch langsam, daß Clavia seine Entwicklungsabteilung aufs notwendigste Minimum reduziert hat. Was ist denn da in den letzten Jahren wirklich Bahnbrechendes rausgekommen? Sogar die Nord Drum halte ich für einen Wolpertinger aus Nord Lead und der guten alten ddrum-Technologie.
Noch ein Wort zum NL3: Ich glaube, da sind die Nerds auch langsam zwiegespalten. Damals waren Endlosencoder mit LED-Kränzen noch geil. Inzwischen hat man mit Endlosencodern aber mehr Scheiße erlebt, als einem lieb ist. Beim Alesis Micron fiel der einzige Encoder gern aus, über den die ganze Kiste programmiert wird. Und Dave Smith mußte den Prophet '08 von Endlosencodern auf Potis umstellen, weil eine ganze Encoderlieferung so grottig war, daß ihnen niemand mehr traute. Viele sind da deshalb sehr vorsichtig geworden und kaufen nichts mehr mit Endlosencodern, gebraucht erst recht nicht.
Martman