Das Bebop-Geheimnis (Chords & zugehörige Skalen)

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Hey Leute,

ich bin mir nicht sicher, ob das Thema hier ins Forum oder woanders hinein gehört, aber ich poste einfach mal drauf los:

Seit 2 Jahren spiele ich nun Jazz und kann zu jedem Standard einigermaßen gut improvisieren, Bossa Nova, Blues und Standard-Balladen oder Riffs sind kein Problem.
Jetzt wollte ich mich an Bebop und Hardbop heranwagen und komme irgendwie nicht voran... Aus etlichen Youtube-Videos habe ich schon viele Bruchteile aufschnappen können, aber die meisten "piano lessons" schneiden dann das Video, wenn's interessant wird - und dann soll man auf unseriösen Websites Geld zahlen, um irgendwelche "lessons" zu bekommen.. Das ist mir dann doch etwas zu doof... :D
Nichtsdestotrotz möchte ich versuchen, auf professionellem Niveau Bebop zu erlernen - an der Technik oder dem Theorieverständnis sollte es nicht mangeln - als Musikhochschulstudent... Hoffentlich :redface:

Skalen wie die normalen Blues-Tonleitern und Pentatonik-Skalen benutze ich bereits. Mit Kirchentonarten habe ich mich nicht soo viel "praktisch" beschäftigt, außer die lokrische Tonleiter für den Stil des Flamenco-Jazz bei gewissen Stücken.
Dass Bebop viel mit dimished chords und kleinen Terzen arbeitet, ist mir schon bekannt. Einige Läufe und Motive beherrsche ich bereits, aber die könnte man an einer Hand abzählen.
Jetzt wurde mir folgendes schon beigebracht: Man benutzt allgemein 3 verschiedene Tonleitern, folgende auf C7 (Eb7) (F#/Gb) (A7): bebopskala#1.jpg
Die zweite Tonleiter baut auf D7 (E7) (Ab7) (B7): bebopskala#2.jpg
...und die dritte auf E7 (G7) (Bb7) (Db7): bebopskala#3.jpg



Diese Bezeichnungen (Skalen und zugehörige Akkorde) scheinen aber mir nicht ganz einzuleuchten... Soll ich jetzt - jedes Mal, wenn ich während eines Songs zu G-Dur wechsle - zu dieser Zeit Skala#3 spielen, bei Cmaj7 zB dann wieder Skala#1? Das klingt irgendwie seltsam, oder?

Was ist das große Geheimnis? Werden wirklich bei jedem Akkordwechsel andere Skalen benutzt oder bleibt man überwiegend (wie beim Blues) bei einer Tonleiter?
Hat jemand außerdem kleine Übungen oder (ohne-Piano!-)Play-Alongs parat, mit der ich mich an Bebop heranwagen kann?

Eine kleine Übung wäre zum Beispiel ein einfaches I-II-V-Riff in C-Dur oder so, man sagt mir die Akkorde, die die linke Hand spielt und verrät mir, welche Tonleiter(n) ich wo benutzen kann. Dann kann ich langsam üben und damit anfangen..
:) Oder vielleicht gibt es ein cooles Play-Along, bei dem die Akkorde fast nie wechseln, dann kann ich mich erstmal auf einer der 3 Tonleitern austoben und muss ich "springen".

Wenn ich mir Größen wie Art Tatum anhöre, könnte ich dahinschmelzen. Aber ich möchte klein anfangen! Her mit euren Übungen, ich warte nur auf die richtige Art und Weise, mir die Tonleitern einzuhämmern!! :)
Vielen Dank im Voraus!
Vincent
 
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hi,

Aus etlichen Youtube-Videos habe ich schon viele Bruchteile aufschnappen können, aber die meisten "piano lessons" schneiden dann das Video, wenn's interessant wird - und dann soll man auf unseriösen Websites Geld zahlen, um irgendwelche "lessons" zu bekommen.. Das ist mir dann doch etwas zu doof...
biggrin.gif

Nichtsdestotrotz möchte ich versuchen, auf professionellem Niveau Bebop zu erlernen
komisch, ich find es gar nicht unseriös, für Arbeit Geld zu verlangen.

Du fragst nach dem Geheimnis... es gibt keins. Die Musik ist etwa 70 Jahre alt und es wird überall auf der Welt darüber gelehrt, es gibt auch unzählige Bücher, ob für Jazz/Beboppiano oder allgemein.

Auf Tonleitern solltest du dich nicht zu sehr versteifen, du brauchst
- Akkordtöne (Arpeggien),
- Umspielungen,
- passende Phrasierung (Rhythmik etc.)

Ich kann es ohne Instrument nicht mal so eben kurz erklären, und dir jetzt Noten aufzuschreiben und Hörbeispiele aufzunehmen wäre mir viel zu aufwändig.

Vorschläge:
- die schon genannten Bebop-Pianobücher
- kauf dir das Omnibook, das sind die transkribierten Charlie-Parker-Soli (und Themen). Hast ein Leben lang dran zu üben. Selbst im Zeitlupentempo mühsam Note für Note dahergestückelt ist die Musik traumhaft schön und du lernst richtig was. Nimm dir daraus ein Stück, spiel nach und analysier es.
- Du könntest Unterricht nehmen bei jemand, der Bebop spielen kann (!), von unpersönlichen Internetlessons halte ich nichts.

--

Zu deinen oben gezeigten drei Skalen:

das ist die Halbton/Ganztonleiter. Wird über dom7b9-Akkorde gespielt.
Wie du siehst, ist es eine symmetrische Tonleiter, die nur aus HT/GT-Schritten abwechselnd besteht. Dieselbe Tonleiter aber auf dem 2.Ton angefangen wäre die Ganzton/Halbtonleiter, die wird über diminished Akkorde gespielt, daher auch diminished scale genannt.

Wenn du dich mit diminished Akkorden schon beschäftigt hast, weißt du sicher, dass es davon nur drei verschiedene gibt, alles weitere sind nur Umkehrungen immer derselben Akkorde. Logischerweise gibt es auch von dieser Tonleiter nur drei Formen.

Das sind die drei Tonleitern, die du oben beschrieben hast.
Mit Bebop im speziellen hat das nicht viel zu tun. Und die Anwendung, man solle unbedingt eine dieser scales spielen (wie du für die Akkorde G und Cmaj7 vorgeschlagen bzw. gefragt hast), ist ungnädig gesagt falsch.

--

noch was Anderes:
Weniger ist oft mehr, nicht nur was Musik betrifft... das gilt auch für Schriftarten, Schriftgrößen, Fettdruck, Unterstreichen :) Dein Text wird chaotisch und schwer lesbar. Statt etwas hervorzuheben, übertönen sich deine Sätze gegenseitig. Nur so ein Tipp fürs nächste Mal.
 
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Nicht, daß ich selbst dieses Vorhaben in ausreichendem Maße umgesetzt hätte ... LEIDER ... aber würde ich es noch einmal tun, würde ich ein besonderes Augenmerk auf die "upper structures" der Akkorde legen, und am Instrument studieren, was sich mit denen melodisch so anfangen läßt. Abgesehen natürlich vom Standard-Ratschlag: Jazz, und damit auch Bebop, ist vorwiegend eine RHYTHMISCHE Veranstaltung ... DARIN liegt das meiste seines Wesens.

LG - Thomas
 
Vielen Dank für die Antworten.
Zuerst zum Formalen: Sorry, das mit den Schriftarten war so nicht geplant. Wollte eigentlich die Größe der eingefügten Bilder ändern und hab's dann einfach so gelassen... :D

Dass es Hunderte von Büchern, Videos und Seiten gibt, ist mir ja bekannt. Vielleicht ist eine falsche Betrachtung der Tatsache, aber meiner Meinung nach lassen sich zum Bebop viel weniger "kompaktes" Wissen und musikalische Analysen im Netz finden als zum Blues oder einem anderen Genre. Aber gut, ich besitze ja alle REAL BOOKs und habe schon einmal einen Charlie Parker-Titel auseinander genommen (bzw. es versucht^^). Damit werde ich mich in Zukunft noch mehr beschäftigen. Vielleicht sollte ich mir wirklich ein Bebop-Pianobuch zulegen.
Hat da zufällig jemand eine Literatur-Empfehlung?

Danke auch für den Tipp mit den upper structures. Daran werde ich arbeiten.
Um meine letzte Frage nochmal aufzugreifen: Gibt's einen Bebop-Titel bzw. eine Akkordfolge für die linke Hand, mit der ich mich ebenfalls beschäftigen könnte?

Vincent
 
Gibt's einen Bebop-Titel bzw. eine Akkordfolge für die linke Hand, mit der ich mich ebenfalls beschäftigen könnte?

Vielleicht am ehesten "Confirmation" ...

Nicht, daß diese Nummer besser wäre als andere ... aber die ständigen II-V in dieser Nummer sind doch recht typisch für Bebop-Harmoniserungen. Und die ersten 4 Takte von "Confirmation" werden auch gerne als Varante im Blues eingesetzt ("confirmation-Changes") ... da lernt man auch gleich in dieser Hinsicht etwas ...

Thomas
 
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Deine zweite oben aufgeführte Skala ist falsch, denn sie beginnt mit 2 Halbtönen.

Michum und turko haben ja schon die Kernpunkte erwähnt.

Werden wirklich bei jedem Akkordwechsel andere Skalen benutzt oder bleibt man überwiegend (wie beim Blues) bei einer Tonleiter?
Hat jemand außerdem kleine Übungen oder (ohne-Piano!-)Play-Alongs parat, mit der ich mich an Bebop heranwagen kann?

Natürlich hat jeder Akkord seine eigene Chordscale, aber das heißt ja noch lange nicht dass Du jetzt jede Chordscale hoch und runter spielen musst.
Auf der anderen Seite wird mit einer Skala, z.B. die Blues-Skala, auch mal eine ganze Passage bedient.

Schlüssel zur Melodik des Be-Bop sind die Approaches.
Du solltest sie sehr sorgfältig üben. Zunächst innerhalb einer Harmonie und dann aber vor allem im Einsatz bei den Übergängen von einer Harmonie zur nächsten. Be-Bop lebt von Akkordwechseln.
Approaches gibt es Diatonische und Chromatische.
Diatonische Approaches sind Scale-approaches und werden meist zum vorbereiten der Zieltöne (1, 3 und 5 eines Akkordes) von oben benutzt.
Chromatische Approaches werden sehr oft zum vorbereiten der Zieltöne von unten benutzt.

Darüber hinaus gibt es noch Kombinationen, so z.B. chrom. -> diat. -> Zielton oder umgekehrt.

Übe das zuunächst immer innerhalb einer Harmonie. Später wenn Du sicher bist kannst Du die IIm7 V7 damit ausschmücken.




VBPianoMusic schrieb:
Wenn ich mir Größen wie Art Tatum anhöre, könnte ich dahinschmelzen.

Tatum war zwar kein Be-Boper aber deshalb trotzdem der Größte. :)
 
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VBPianoMusic schrieb:
Hat da zufällig jemand eine Literatur-Empfehlung?

Also ich kann folgende zwei Bücher wärmstens empfehlen:

http://www.syntropia.de/analyse-skalentheorie-basis-phlertschen-grundlagenharmonik-p-13485.html ( ein wenig runterscrollen auf der Seite)

und:

http://www.amazon.de/Grundlagenharmonik-Aktualisierte-Neuausgabe-auditivem-Schwerpunkt/dp/3921729955


Diese beiden Bücher schaffen endlich Ordnung im unübersehbaren Skalen- Dschungel und führen Blues, Jazz und BeBop auf einfache Grundlagen (Arpeggien und Akkorde) zurück. Werner Pöhlert hat mich persönlich endgültig befreit von den extrem kopflastigen Versuchen der studierten Klassik- Fraktion, den Jazz zu verstehen:hat:
 
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Diese beiden Bücher schaffen endlich Ordnung im unübersehbaren Skalen- Dschungel und führen Blues, Jazz und BeBop auf einfache Grundlagen (Arpeggien und Akkorde) zurück. Werner Pöhlert hat mich persönlich endgültig befreit von den extrem kopflastigen Versuchen der studierten Klassik- Fraktion, den Jazz zu verstehen:hat:

Diese Aussage steckt voller Extreme. Der Skalen-Dschungel ist nicht unübersehbar. Und Jazz-Theorie wurde nicht von klassisch ausgebildeten Brillenträgern entwickelt. Pöhlert ist EINE Sicht- und Denkweise die in der Anwendung musikalisch zu anderen Ergebnissen führt.

Ich würde sowas niemandem als Einstiegsliteratur empfehlen!
 
Ja sorry, ich sagte ja, dass der Ansatz von Werner Pöhlert "mich persönlich befreit" hat. Damit wollte ich sagen, dass ich hier nur meine eigene Sichtweise schildere^^

Letztlich gibts doch nur 12 verschiedene Töne... wozu also zig und aberzig Skalen? Was soll ich mit "hypermixolydisch- Kumoi" in einem Blues oder Jazz- Standard? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Charlie Parker & Co sich wirklich um "diminished Lydian", "superlokrisch" oder "Hirajoshi" geschert haben...:mampf:
 
Letztlich gibts doch nur 12 verschiedene Töne... wozu also zig und aberzig Skalen? Was soll ich mit "hypermixolydisch- Kumoi" in einem Blues oder Jazz- Standard? Ich kann mir einfach nicht vorstellen, dass Charlie Parker & Co sich wirklich um "diminished Lydian", "superlokrisch" oder "Hirajoshi" geschert haben...:mampf:

Das haben sie (nach meiner Ansicht) nicht. Aber man muß eben schon mal über alle Maßen Talent, musikalische Intuition und "Einfühlungsvermögen" haben, um sich diese Musik auf DIESE Weise so erschließen zu können. Uns anderen, die wir mit weniger von alldem auskommen müssen, bleibt, zumindest teilweise, noch der Umweg über das "Studieren" dieser Musik. Sie analysieren, um sie nachbauen zu können.

Und wenn man etwas analysieren will, muß man es systematisieren ... das heißt, irgendeine Art von Ordnung hineinbringen. Und nichts anderes tun die Skalen. Sie bringen eine jeweils verschiedene Art von Ordnung (und Wertigkeit) in die "nur 12 Töne", deren Kombinationsmöglichkeiten allerdings nahezu unendlich sind. Je nach musikalischer Situation (denn die SIND ja durchaus verschieden), eine andere Ordnung/Skala.

Nicht zuletzt braucht es diese Systematisierung und die Benennung verschiedener musikalischer Situationen in Gestalt von Skalen, um überhaupt darüber REDEN zu können. Andernfalls könnte man sich nur vorsingenderweise über den Gehalt eines Charly-Parker-Solos unterhalten ...

Obschon ich persönlich also die Zweckmäßigkeit von alledem (mittlerweile) nicht mehr bestreiten wollte, halte ich ganz persönlich es doch eher mit Clark Terry´s Leitsatz, wonach man Jazz am ehesten lernt durch: Imitate - Assimilate - Innovate ... wobei die allermeisten von uns wahrscheinlich in den ersten beiden Stufen hängen bleiben werden ... :)

LG - Thomas
 
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Wieviele Skalen benutzt man denn um Bebop zu spielen?

7 Modi der Durtonleiter, Melodisch Moll, Alteriert, HM5, HTGT.

Das wars im wesentlichen. Alles andere ist Spielerei.

Letztlich haben BeBop Interpreten wohl am ehesten nach den Akkorden improvisiert. Davon gibt's etwa genausoviele, denn jeder dieser Skala entspricht ja auch ein Akkord.
 
hab ich doch oben in #2 schon geschrieben.
Auf Tonleitern solltest du dich nicht zu sehr versteifen, du brauchst
- Akkordtöne (Arpeggien),
- Umspielungen,
- passende Phrasierung (Rhythmik etc.)

Wenn die Arpeggien durch mehr Töne zu einer fließenden Linie verbunden werden, entsteht natürlich eine Tonleiter. Das kann aber genausogut chromatisch oder eine passende diatonische oder auch eine eigentlich ganz unpassende Tonleiter sein - aber der Zielton ist immer ein beabsichtigter Akkordton.

Ich schließe daraus: darum gehts in erster Linie. Sobald man Arpeggiotöne geschickt und genretypisch umschnörkelt und wieder auf richtigen Akkordtönen landet, hat man den Bebop-Sound. Welche Tonleiter sich daraus ergibt ist eher nebensächlich. Jedenfalls ist das bei den Leuten so, die ich mir angehört habe und von denen ich Charlie Parker einfach mal als Idealvorlage nenne. Es mag (bestimmt) Ausnahmen geben, die wirklich einen Skalen-Ansatz verfolgen; wenn ihr eine kennt bitte nennen^^.
Skalen ohne den rhythmischen Bezug zum Begleitakkord (=Akkordtöne auf die gewünschten Schwerpunkte) klingen nach gar nichts in meinen Ohren.

Empfehlenswertes Buch:
welches Pianobuch ich mal hatte, hab ich leider vergessen, war aus der Bücherei...
- auf jeden Fall das genannte Omnibook.
- Dann die David Baker-Bücher zur Bebop Scale. Siehe auch die Beiträge hier. Und http://en.wikipedia.org/wiki/Bebop_scale
- andere Transkriptionen, dich werden ja vor allem die Pianisten interessieren, aber was Solospiel betrifft orientier dich ruhig an den Bläsern.
Weil, jemand wie Monk wird vielleicht ein bisschen zu "far out" sein, wenn man grad erst anfängt sich in Bebop reinzufinden. Bud Powell ist wahrscheinlich eine gute Vorlage... was auch immer. Hinhören, nachempfinden, raushören usw.
 
turko schrieb:
Aber man muß eben schon mal über alle Maßen Talent, musikalische Intuition und "Einfühlungsvermögen" haben, um sich diese Musik auf DIESE Weise so erschließen zu können. Uns anderen, die wir mit weniger von alldem auskommen müssen, bleibt, zumindest teilweise, noch der Umweg über das "Studieren" dieser Musik. Sie analysieren, um sie nachbauen zu können.

Ja, ich kann gut nachvollziehen, was Du meinst. Allerdings scheint mir genau hier die Wuzel des Problems zu liegen: Blues und Jazz/BeBop ist ja nicht an der Uni entstanden, sondern als lebendiges Kulturgut, als lebendig gelebte Musik. Vielleicht legt hier sogar eins der grundlegenden "erkenntnistheoretischen" Probleme der westlichen Kultur überhaupt: Man versucht die Dinge generell zu verstehen, indem man sie zerpflückt, auseinandernimmt, unters Mikroskop legt und in allen Details die Einzelteile analysiert... das Lebendige jedoch bleibt dabei auf der Strecke. Die Blueser und Jazzer waren in erster Linie Praktiker und ihr wichtigstes Werkzeug war nicht das Skalpell, sondern das Ohr.

Klar gibt es, wie Du sagst, unendliche Kombinationsmöglichkeiten der gegebenen 12 Töne. Und klar, wir brauchen ein gewisses theoretisches Rüstzeug, wenn wir im Nachhinein den Jazz verstehen wollen, wir haben ja leider nicht die Möglichkeit, mal eben ins "Birdland" abzutauchen und per Ohr von den Cats abzukupfern oder uns von ihnen Tips geben zu lassen. Aber dieses theoretische Rüstzeug sollte meiner Ansicht nach so einfach und überschaubar wie möglich gehalten werden, man hat ja während des Spielens gar keine Zeit groß zu überlegen^^

turko schrieb:
Imitate - Assimilate - Innovate

Ja, da stimme ich vollkommen überein. So ist es ja in jeder echten und lebendigen Kultur- die Theorie kommt also immer erst später, hinkt also gewissermaßen immer hinterher.

chaos.klaus schrieb:
Letztlich haben BeBop Interpreten wohl am ehesten nach den Akkorden improvisiert. Davon gibt's etwa genausoviele, denn jeder dieser Skala entspricht ja auch ein Akkord.

Ja, sie haben nach Akkorden improvisiert. Auch ich als Gitarrist orientiere mich immer an Akkorden, nicht an Skalen. Und so schreibt denn auch michum:

michum schrieb:
Wenn die Arpeggien durch mehr Töne zu einer fließenden Linie verbunden werden, entsteht natürlich eine Tonleiter. Das kann aber genausogut chromatisch oder eine passende diatonische oder auch eine eigentlich ganz unpassende Tonleiter sein - aber der Zielton ist immer ein beabsichtigter Akkordton.

Ich schließe daraus: darum gehts in erster Linie. Sobald man Arpeggiotöne geschickt und genretypisch umschnörkelt und wieder auf richtigen Akkordtönen landet, hat man den Bebop-Sound. Welche Tonleiter sich daraus ergibt ist eher nebensächlich. Jedenfalls ist das bei den Leuten so, die ich mir angehört habe und von denen ich Charlie Parker einfach mal als Idealvorlage nenne. Es mag (bestimmt) Ausnahmen geben, die wirklich einen Skalen-Ansatz verfolgen; wenn ihr eine kennt bitte nennen^^.
Skalen ohne den rhythmischen Bezug zum Begleitakkord (=Akkordtöne auf die gewünschten Schwerpunkte) klingen nach gar nichts in meinen Ohren.

Dem schliesse ich mich 100% an. Zerlegte Akkorde ergeben Arpeggien, Terzstrukturen, keine Skalen ( die in der Regel einem Halbton- Ganzton- Muster folgen). Und diese Arpeggien kann man halt in nahezu unendlicher Variation ausschmücken, umspielen. Wollte man da sämtliche möglichen Skalen, die sich daraus ergeben, katalogisieren, dann käme man nie zum Ende. Nehmen wir an, ein Physiker würde versuchen, einem Kleinkind an der Schultafel das Laufen beizubringen- er könnte tausend Jahre damit zubringen, aber das Kind würde trotzdem niemals auf die Beine kommen.

Ich versuche daher, die Theorie auf meinem Griffbrett so gering wie irgend möglich zu halten, um nicht in der Live- Situation den Überblick zu verlieren. Natürlich bin ich sehr froh, theoretische Kenntnisse zu haben. Aber wie gesagt, ich orientiere mich grundsätzlich an Akkorden ( ist für Gitarreros auch sehr naheliegend !!), ich orientiere mich an Terzstrukturen, nicht an Skalen. Die Skalen ergeben sich so ganz spontan in unendlicher Variation aus den umspielten, ausgeschmückten Terzstrukturen- man benennt nur nicht jede einzelne Skala, die dabei spontan entsteht, mit super- exotischen Namen, um sie in irgendwelche Karteikästen zu sortieren:D... Skalen kommen und gehn- aber Akkorde bleiben, sie sind für mich persönlich der solid Ground, auf dem ich immer den Überblick behalte.
 
Zerlegte Akkorde ergeben Arpeggien, Terzstrukturen, keine Skalen
Doch ... die Terzschichtung kann man ja ruhig über zwei Oktaven mit einigen Tensions erweitern.

Und diese Arpeggien kann man halt in nahezu unendlicher Variation ausschmücken, umspielen. Wollte man da sämtliche möglichen Skalen, die sich daraus ergeben, katalogisieren, dann käme man nie zum Ende.
Die Möglichkeiten sind bei weitem nicht endlos. Du wirfst Dinge durcheinander. Skalen sind ein Approach, chromatische Umspielungen ein ander. Selbst wenn ich mich entscheide über einen m7-Akkorde Dorisch zu spielen, heißt dass ja nicht dass zB die b13 und die Durterz in der Line nicht vorkommendarf ...

Nehmen wir an, ein Physiker würde versuchen, einem Kleinkind an der Schultafel das Laufen beizubringen- er könnte tausend Jahre damit zubringen, aber das Kind würde trotzdem niemals auf die Beine kommen.
Es gibt erstaunlicherweise immerwieder Kinder von Physikern die das Laufen doch erlernen. Das Konzept einen Fuß vor den anderen zu setzen, könnte man vielleicht tatsächlich in (bewegten) Schaubildern vermitteln. Natürlich muss man es verstehen und üben.

Die Skalen ergeben sich so ganz spontan in unendlicher Variation
Mit deinen Worten:
Letztlich gibts doch nur 12 verschiedene Töne
 
Danke für die umfangreichen Diskussionsbeiträge!

Ich werde nicht auf jedes Detail eingehen, habe mir aber alles interessiert durchgelesen und bin dankbar für die Hilfe.
Unwissend davon habe ich gestern morgen zufällig ein sehr sehr hilfreiches Video auf Youtube gefunden, ein "Meiserkurs von Dave Frank", einem amerikanischen Pianisten aus New York, der dort seine eigene Jazz-Schule aufgebaut hat. Er hat ein Tutorial für fortgeschrittene Musiker entwickelt, in dem man neue chord progressions und Motive für die left hand erlernen kann. Das Video ist ausführlich, man kann sich viele Wochen damit beschäftigen, wenn man alle 15 stylistic elements beherrschen möchte - und das Beste: es ist kompakt und gratis.



Ich habe gleich mit dem ersten Motiv angefangen und schon erhebliche Fortschritte gemacht. So langsam sitzt die linke Hand und ich fange mit dem Improvisieren an. Es ist toll und ich kann nur bestätigen, was michum und Co. gesagt haben: es ist besser, sich nach den Akkorden zu richten, nicht stur irgendwelche Skalen spielen - sondern mit den Harmonien spielen und Motive, Melodien und Rhythmen entwickeln.
Denn wie turko (bzw. Clark Terry) sagte: Imitate - Assimilate - Innovate. Genauso hat das gestern und heute funktioniert!:great:

Danke auch für die Literaturempfehlungen. Darauf werde ich auf jeden Fall zurückkommen - Omnibook & Co. schauen sehr interessant aus.

Vielleicht liegt es an meiner 13+jährigen Klassik-Ausbildung oder der Tatsache, dass ich Blues stur mit der jwl. "Blues-Tonleiter" gelernt habe - aber ich habe mich eindeutig zu sehr auf's Theoretische konzentriert.:rolleyes:
 
freut mich sehr, dass du voran kommst. Und schön, so eine Rückmeldung zu lesen :) Also viel Spaß weiter!
 
... übrigens, ein kleiner Trick, um generell die Ohren zu öffnen, hat mir mal ein echtes Aha- Erlebniss in Sachen Improvisation und Comping verschafft:

Einfach mal einen Akkord spielen ( oder Arpeggio bei Einzeltoninstrumenten) und dann überlegen, welcher weitere Akkord enthält einen beliebigen Ton aus diesem ersten Akkord... und dann diesen Akkord spielen... und dann weiter überlegen, welcher Akkord enthält einen Ton aus dem zweiten Akkord und dann diesen Akkord spielen usw usw... Wenn ich also als erstes einen C- Dur spiele, dann ist zB die Terz E auch in A- Dur enthalten oder auch in Am oder A7 oder A7/9/13 oder in E7 oder in Dsus2 oder weiss der Himmel, wo noch ( das E in diesem neuen Akkord erstmal beibehalten wegen der Stimmführung)... so kann man einen Akkord an den nächsten hängen und es klingt immer schlüssig und aufregend. Auf diese Weise kann man die verschiedensten Voicings ineinandergreifen lassen und weitere Melodielinien kommen dann auch von ganz alleine...
 
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Tierisches Video!
 
Dem kann ich mich nur anschliessen, yoh, der Mann hats wirklich drauf, ein Jazzer wie aus dem Bilderbuch:great:...


A propos Physiker^^:

Ein Ingenieur, ein Mathematiker und ein Physiker sind beim Pferderennen. Sie überlegen, ob es möglich ist, zu berechnen, welches Pferd gewinnt.
Nach einer Woche treffen sie sich wieder.
"Ich habe überall nachgeschaut", meint der Ingenieur, "aber es gibt einfach keine Tabelle für Pferderrennen."
Der Mathematiker hat zwar bewiesen, dass eine Formel existiert, er hatte aber nicht genügend Zeit, sie aufzustellen.
Der Physiker meint: "Ich habe eine Formel erstellt, mit der man exakt berechnen kann, welches Pferd gewinnt, sie hat allerdings einen Haken: Sie gilt nur für reibungsfrei gelagerte, punktförmige Pferde im Vakuum."
:D
 
Ein Physiker ist in erster Linie ein Problemlöser. Wenn abzusehen ist, dass die Lösung des Problems ohne Formeln und durch reines Ausprobieren zu erreichen ist, dann wird er eben das tun.

Außerdem würdet ihr staunen, wenn ihr wüsstet wie wenig die Ergebnisse einer Rechnung mit so absurd anmutenden Näherungen wie "punktförmige Pferde im Vakuum" von der Realität (dem Experiment) abweichen. ;)
 

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