Was in diesem Thread meines Erachtens noch mehr herausgestellt werden sollte, ist der Einfluß der Zielgruppe des Originals und somit auch der Tributeband. Sprich, was für ein Publikum erwartet einen, wenn man was für einen Musiker oder was für eine Band kopiert? Und was erwartet das Publikum?
Natürlich gibt es viele Beispiele, wo Tributebands auf ein eher anspruchsarmes bis -loses Publikum treffen, das eigentlich nur abfeiern, abrocken will und weder Nerds noch pedantische Hardcorefans noch Musikerpolizei enthält. Was erwarten Westernhagen-Fans von einer Westernhagen-Tributeband wie Pfefferminz? Oder von einer Status-Quo-Tributeband wie Quo?
Ein Extrem in die andere Richtung wären Rush. Das ist mir vor einiger Zeit beim Herumlesen über den Weg gelaufen: Eine Rush-Tributeband hätte nicht nur eine schwierige Aufgabenstellung, nämlich Rush zu kopieren, sondern dann auch noch ein
extrem schwieriges Publikum.
Sehen wir uns mal die Situation an: Rush spielen hochgradig verkopften Art Rock. Im Gegensatz zu Pink Floyd haben sie daher nicht mal Airplay, außer mit ein wenig Glück auf mehr oder weniger spezialisierten Internetsendern, jedenfalls nicht im UKW-Radio. Somit sind sie der breiten Masse nicht zugänglich, die breite Masse kennt Rush nicht, die breite Masse kann mit Rush nichts anfangen musikalisch schon mal erst recht nicht. Folglich haben Rush keine "Casual Listeners", sondern nur Hardcore-Fans. Regelrechte Nerds, die für Rush leben. Und weil die so schön verkopft-frickeliges Zeug spielen, sprechen sie ganz besonders Musiker an.
Konsequenz: Ein Rush-Publikum
besteht aus Musikerpolizei. Weil das aber alles Fans sind, gehen sie trotzdem ab auf ihre Art: Sie spielen Luftinstrumente. Aber nicht nur so ungefähr, denn sie sind a) vielfach tatsächlich Musiker und kennen b) jedes Stück von Rush bis zur letzten Note in- und auswendig. Man achte mal darauf: Bei Rush-Konzerten gibt es immer mehrere Dutzend Luftdrummer, die die Studioversionen der Rush-Songs bis zum letzten Tom- oder Splash-Schlag exakt im Timing nachspielen Rush sind nicht Rock & Roll, da muß man davon ausgehen, daß jeder kleinste Ton komponiert und arrangiert ist. Und wenn der Trommler auf der Bühne gegenüber der Studioversion auch nur einen solchen Schlag ausläßt: Minuspunkte.
Wenn Rush-Fans mit Rush selber so hart ins Gericht gehen, und das tun sie, dann tun sie das mit einer Tributeband erst recht. Der Rush-Geek läßt nur die Replica durchgehen. Und der Rush-Geek wird vom Publikum einer Rush-Tributeband 100% der Leute ausmachen. Wie gesagt, keine "Casual Listeners", die breite Masse kann mit Rush nichts anfangen, also bleiben diese Typen übrig. Typen, weil sich nur Männer für Rush interessieren und weibliche Wesen im Publikum zwangsweise von ihren Freunden mitgeschleppt wurden als Gegenleistung dafür, sie zum Norah-Jones-Konzert zu begleiten. Die stehen dann da und sehen der Band desinteressiert bis gelangweilt zu, die ihr Freund unverständlicherweise so toll findet.
Wenn man nun mit einer Rush-Tributeband auf der Bühne steht und sogar ein Publikum hat, dann sollte man besser verdammt gut und vom Original praktisch nicht zu unterscheiden sein. Denn falls man das nicht ist aus dem Publikum könnte man jederzeit mehrere Dutzend Tributebands zusammenrekrutieren, die das hier und jetzt besser könnten. Wenn einer von euch die exakten Figuren von Rush nicht hinbekommt, könnt ihr binnen Sekunden einen besseren Ersatzmann aus der ersten Reihe auf die Bühne ziehen. Ihr könnt aber kein Publikum beeindrucken oder auch nur gut unterhalten, das das, was ihr macht, besser könnte. Die Chancen stehen gut, daß ihr im Publikum sogar einen besseren Geddy Lee findet als euren bis hin zum Gesang.
Überflüssig zu erwähnen, daß Rush nicht Mystery Science Theater 3000 sind (auch wenn sich die Zielgruppen streckenweise überschneiden) und die Fans nicht zum Konzert gehen, um es verreißen zu können.
Ebenso überflüssig zu erwähnen, daß Rush-Fans Wert auf Originalequipment legen.
Da legt sich der Drummer einer Tributeband auch schon mal eine exakte, vollständige 1:1-Kopie von Neil Pearts Schlagzeug zu für 42.000 kanadische Dollar.
Generell kann man leider sagen: Je aufwendiger das Original ist, desto anspruchsvoller sind die Fans, und desto höher ist der Anteil der Anspruchsvollen im Publikum gerade einer Tributeband. Für eine Tributeband steigt der Aufwand also exponential an, denn um so größer ist ihre Verpflichtung, das Original exakt zu kopieren, ebenso wie der Detailgrad, zu dem sie diese Kopie umsetzen müssen.
Noch einmal umgekehrt: Bei einer Grateful-Dead-Tributeband würden auch hartgesottene Fans nicht erwarten, daß sie konkrete Dead-Aufnahmen Note für Note exakt nachspielt oder gar originale Bühnenbauten nachbildet.* Im Gegenteil, wer das von einem Dead-Tribute erwartet, hört die falsche Band. Die Dead waren immer eine Jam-Band. Es sollte grundlegend nach den Dead klingen, ja, aber wo die Dead improvisiert und gejammt haben, sollte, nein,
muß sich auch eine Tributeband die Freiheit nehmen. Da setzt sich keiner hin und transkribiert Jerry-Garcia-Soli bis ins Detail. Da setzt man sich eher hin und lernt, wie Jerry Garcia zu improvisieren.
Auch die Grateful Dead sind obskur genug, daß es herzlich wenig Gelegenheitspublikum geben dürfte. Ich meine, welcher normale Kieler-Woche- oder Maschseefest-Besucher würde wohl auf die Idee kommen, sich einfach mal spontan eine Grateful-Dead-Tributeband anzuhören (oder die Dead selber, gäbe es sie denn noch)? Um so pflegeleichter ist aber der gewaltig hohe Fan-Anteil im Publikum, der die Dead gut kennt und somit den Vergleich zur Tributeband ziehen kann.
Die Späthippies, die noch die Hauptzielgruppe der Dead sein dürften, machen auch die Equipmentauswahl und das exakte Bühnenbild nicht zum KO-Kriterium, solange es gut genug nach den Dead klingt. Bei einer Jamband hört man auch soundmäßig nicht so genau hin, ob das jetzt exakt repliziert ist wie soll das auch gehen, wenn die Band denselben Song nie zu auch nur 20% zweimal gleich spielt. Und für einen so gefühlt chaotischen Haufen wie ein Dead-Tribute interessiert sich auch die Mupo nicht; die mäkelt dann lieber an der Police-Tributeband rum, die gerade "Walking On The Moon" einen Ganzton tiefer gespielt hat, weil deren Sänger nicht ganz so hoch kommt wie der junge Sting, und außerdem das Gitarrendelay einen Tick zu langsam gedreht hat.
*Die Wall of Sound ist so abgedreht, daß keiner erwartet, daß eine Tributeband die auffährt, nicht mal als Attrappe. Wenn sie da wäre, und sei es wie gesagt als Attrappe (die immer noch teurer wäre als eine der typischen Marshallwand-Attrappen, aber nicht als Attrappe, sondern aus echten Marshalls), dann würde das Anerkennung finden, aber ein Dead-Tribute-Auftritt steht und fällt sicherlich nicht mit einer funktionsfähigen Wall of Sound abgesehen davon, daß kaum eine Tributeband je auf eine Bühne kommt, die auch nur breit genug für dieses Monster wäre, geschweige denn vom VA die Erlaubnis bekäme, Tage vorher mit dem Aufbau anzufangen und erst Tage später das Ding wieder demontiert zu haben. Die Dead, die mehrere Exemplare hatten, weil der Auf- und Abbau so lange dauerte, haben sie selber auch nur zwei Jahre lang eingesetzt.
Martman