Es stammt zwar aus einem völlig anderen Genre, aber bei dieser Gelegenheit möchte ich euch (uns) eine kleine Anekdote nicht vorenthalten, die mir seinerzeit mein Klavierlehrer erzählt hat:
Mitte der 80er Jahre (1984 oder 1985) hat der bekannte russische Pianist
Svjatoslav Richter hier in Freiburg im
Paulussaal ein Konzert gegeben. Damals war
Vitaly Margulis, auch ein russischer Pianist, Klavierprofessor an der Musikhochschule in Freiburg. Die beiden kannten sich wohl aus russischen Zeiten, wo sie beide unter demselben Regime zu leiden hatten.
Nun beschloß also Vitaly Margulis seinen Freund Svjatoslav Richter im Paulussaal am Nachmittag vor dem Konzert zu besuchen, der davon aber nichts wußte. Auf dem Programm stand u.a. eine Sonate von
Alexander Skrjabin, die die mit einem raketenstartähnlichem Lauf beginnt. Richter war noch am Üben, daher versteckte sich Margulis hinter einem Vorhang, um ihn nicht zu stören. Was er von dort beobachtet hat, berichtete er wiederum meinem Klavierlehrer:
Der Saal war also leer, Svjatoslav Richter kam auf die Bühne, verbeugte sich vor dem leeren Saal, ging an den Flügel, setzte sich und spielte die ersten 4 Takte dieses raketenstartähnlichen Laufes. Dann stand er auf, ging wieder hinter die Bühne, kam nochmal auf die Bühne, verbeugte sich wieder vor dem leeren Saal, ging zum Flügel, setzte sich, spielte wieder diese ersten 4 Takte. Dann stand er wieder auf, ging hinter die Bühne, kam erneut auf die Bühne, verbeugte sich vor dem leeren Saal, ging zum Flügel ...
Diesen Vorgang wiederholte er so an die 20 mal ...
Richter hat also den Bühnenaufgang für die Skrjabin-Sonate ca. 20 mal geübt. Für ein Bach-Präludium wäre er vermutlich ganz anders auf die Bühne gekommen.
Ich war damals auf dem Konzert
. Der SWF hat damals alles mitgeschnitten, die Aufnahmen schlummern aber wahrscheinlich in deren Archiv. Diese Anekdote habe ich allerdings erst Jahre später erfahren, sie hat aber mein Bewußtsein dafür, wie man auf die Bühne kommt, erheblich verändert.
Viele Grße,
McCoy
PS:
Ein mindestens genauso großes Problem ist für mich der Bühnenabgang:
Wie geht man von der Bühne?
Chick Corea z.B. verbeugt sich gar nicht. Er empfängt stehend seinen Applaus, hebt die Hand zum Gruße und geht ab ("ich beuge mich vor niemandem"). Margulis z.B. empfängt seinen Applaus aufrecht stehend, wartet einen Augenblick, verbeugt sich dann und geht.
Bei Bands finde ich es besonders schwierig: meist ist es nicht abgesprochen, man stolpert irgendwie nach vorne, verbeugt sich, fühlt sich dabei komisch und freut sich, wenn man entweder noch eine Zugabe spielen oder endlich von der Bühne gehen kann ...
Meiner Meinung nach ist auch das ein Punkt zum Proben. Ich habe z.B. eine Erfahrung gemacht, daß ein Bandmitglied partout nach dem letzten Stück nach wenigen Sekunden sofort wieder auf die Bühne stürzen wollte, um die abgesprochene Zugabe unterzubringen - unabhängig davon, ob ,das Publikum überhaupt noch eine Zugabe will oder nicht. Dieses Bandmitglied mußte imner zurückgehalten werden.