... Jazzharmonien .... Nochmal meine Frage: wie kommt man drauf? Anscheinend ist das nicht einfach, wie man an diesem bisher sehr fruchtlosen Thread merkt ;-) ...
Naja, ich bemüh mich ja, da etwas Schwung reinzukriegen. Also erklär ich jetzt, wie man's richtig macht - ha!
(ich denke, dass Du einiges davon schon weißt und kannst - aber bevor wir da jetzt ewig hin- und herdiskutieren, wo diese Grenze ist, schreib ich einfach alles "ab ovo" auf).
Ich fürchte ein wenig (oder ein wenig mehr), aus Deinen bisherigen missgestimmten Kommentaren, dass Dir das zu "unkonkret" ist ... dazu sag ich weiter unten was (wenn's so ist):
a) Zuerst muss man folgendes können: Sich ans Klavier setzen und einen Gershwin-Song, ein Gospel, ein "modernes" (70er-Jahre) Kirchenlied ("Gib Herr unsres Lebens, dass wir nicht vergebens ..."), eventuell ein Schubertlied oder gern auch diesen Brahms hier, auf jeden Fall ein Mozartsonatenthema, einen alten Choral und Kinderlieder "ganz normal" mit Standard-"Jazz"harmonien (so aus den 1930er-Jahren - nenne wir's einmal "frühe Gershwin-Schule") begleiten.
"Ganz normal" heißt hier, dass man ohne zu denken eine Kadenz mit Tritonus-Substitution reinspielt; dass man 7, 7maj und 13-Akkorde "anbringt"; dass man eine häufig chromatisch laufende Bassstimme dazuspielt. Dabei geht's nicht um irgendwelche Großartigkeit und auch nicht darum, es immer "korrekt" zu machen, sondern darum, dieses absolute Grundrepetoire im kleinen Finger und im inneren Gehör zu haben.
(Die Analogie in der Klassik sind Albertibass und 08/15-Choral-Begleitung: Um überhaupt einen klassischen Satz hinzubringen, muss man diese zwei Dinge spielenderweise so automatisch beherrschen, dass einem dabei schon wieder nur langweilig ist. Auch hier darf man gern einige Satzfehler machen und manchmal eine "komische Kurve" bei einem Harmonieübergang produzieren, weil man z.B. einen DD nicht richtig "auf-der-löst", weil die Melodie anders weitergeht, als man sich gewünscht hätte. Das macht nichts, wenn man nur
hört, dass es so nicht richtig ok war ...).
Wenn man dieses
Harmonie-Spielen nicht kann, dann wird's nichts werden (sag ich; da kann man anderer Meinung sein - aber das ist meine Meinung). Warum? Weil Musik, am Ende des Tages, das ist, was man hört - und zwar "leider" auf mehreren Zeitmaßstäben, darunter mindestens:
1. Direkte Folge von Akkorden - die "logischen Auflösungen", die "Trugschluss-Muster", die "Standard-Kadenzen", ...
2. Phrasen-Folge - "Liedform" - Sequenzmuster mit 4...8 Takten Spannweite, T-D-Wechsel in dieser Größenordnung
3. Noch größere Muster - "Sonatenhauptsatzform", Menuett-Trio-Konstruktion, "verse-chorus"
Und nur beim Nahezu-in-Echtzeit-Spielen kriegt man alle diese Muster zugleich auf die Reihe. Meine Behauptung ist, kurz gesagt: Damit jemand das halbwegs gut auf Papier "arrangierend/komponierend" erfinden kann, muss er's/sie's auch spielend können. Das erstere ist schwerer als das zweitere.
Wie lernt man das? Woran weiß man, dass man's kann? Daran:
* Ich habe am Donnerstag in der Chorprobe Noten eines neuen Stückes aufs Klavier gelegt bekommen (ohne Klavierbegleitung) und die nette Bitte: "Du kannst uns doch dabei begleiten!" Natürlich kann ich das. Ich spiele nicht, was dasteht (kein "alles-vom-Blatt-spielen"), sondern eben eine Begleitung, die "im wesentlichen" passt (=ich spiele die Melodie vom Blatt - wobei ich da ja Töne weglassen kann, weil's der Chor eh singt - und dazu die "richtig vorausschauenden" 08/15-Harmonien, mit "viel Vergnügen und wenig Ratio").
* Und gestern hab ich einen Gottesdienst zur Hälfte begleitet, mit lauter Liedern, die ich nicht kannte - der Organist hat mich während des Glockenläutens(!) eingeladen, einmal auf seiner Orgel zu probieren. Na dann, auf geht's - die Gemeinde kann die Lieder eh, also kann ich mich ruhig einmal verspielen; und ab der zweiten Strophe kann ich Harmonie-Experimente machen (gehen sich hier zwei chromatische Durchgangsnoten aus? Mist - schräg angekommen ... na, dann halt wieder mit der Tonika weiter ...).
b) Was man natürlich eh dauernd tut, ist sich Musik anzuhören. Da findet man dann ewig viele Muster, die man kennt - Peterson und Armstrong und Michael Jackson und Queen verwenden viele Standardmuster, die man beim Autofahren als "kenn ich schon" mithören kann. Dann kommen aber häufig Muster, die sind "zu schwierig": "Wie ist er da hin gekommen, dass er dann so weitermachen konnte?" Ich weiß, dass ich an mehreren Jobim-Stücken bis heute verzweifle ... Und dann gibt's die dazwischen: Kann ich noch nicht, könnt ich aber können ... "muss man ja nur dann so anders weitermachen".
c) Und beim Selberspielen findet man auch - versehentlich: weil man falsch spielt; oder durch Herumgesuche - Muster, die man sich merken möchte. 95% davon vergess ich leider wieder - ich nehm mir schon immer vor, endlich immer diese Herumspielereien aufzunehmen (Handy), um die eine Wendung mir dann zu notieren ...
d) Und mit all diesem Zeugs im Rucksack legt man los. Ich mache es leider noch immer zu häufig am Rechner - mittlerweile glaube ich, dass die Fotos der Komponisten und Arrangeure, wie sie da am Klavier sitzen, einen guten Grund haben: Dort probiert und spielt man anders - z.B. teils "skizzenhafter" - als wenn man sich immer den "vollen Apparat" anhört. Aber hier gibt's sicher beliebig viele und persönlich verschieden effektive Arbeitsweisen ...
Das war's.
Wieso bist Du nun nicht zufrieden (unterstell ich einmal ... und wenn nicht Du, dann sicher sonstwer)?
Das Problem ist (für mich):
Diesen Prozess zu zeigen und zu erklären ist fast nicht möglich, ohne es zu tun. Nehmen wir meinen Versuch oben, der nicht gut ist. Wie würde ich von dort weitergehen? Ich würde mich ans Klavier setzen und ein paar Varianten an Stellen schnell(!) ausprobieren, die mir "irgendwie nicht passen". Da würd ich gar nicht viel diskutieren, wieso und warum, sondern einfach schauen, ob eine andere Idee sich besser "reinflanschen" lässt. Manchmal führt das dazu, dass man einen ganzen "Eckpunkt" / "Zielharmonie" verwirft, weil man eben glaubt, anders zum Ziel zu kommen ("es besser ist" - aber das klingt so "argumentierbar", so "nach einer Regel besser"; "zum Ziel kommen" ist was "Flexibleres"). Und dabei überlegt man sich auf mehreren Zeitebenen - siehe oben -, was das für Konsequenzen hat (z.B. kann eine ganz kleine Änderung an einer einzigen Harmonie in einer Phrase eine Mega-Änderung später nach sich ziehen, weil man nach einem Sequenzmuster diese Phrase wiederholt, aber ausgerechnet an dieser Stelle der Sequenz "interessant abzweigt" - was nach der Änderung nicht mehr geht - und deshalb ändert man dann doch nicht ...).
Was wir hier aber tun (Du, ich, viele andere), ist, immer wieder,
Endergebnisse zu zeigen: "Mein Versuch ...", "mein Vorschlag ...". Aber diese Endergebnisse zeigen genau
nicht, wie man dazu
gekommen ist, also Dein "
wie kommt man drauf?" Oben steht nun endlich - bin ich nicht großartig? - (a), b), c), d)), wie man drauf kommt. Aber eben grauenhaft generell - ich bin halt doch nicht großartig.
Und Du wirst lachen, oder nicht: Ich hör mir Stücke von mir selber an, die ich vor 1 oder 2 oder 4 Jahren arrangiert oder komponiert habe - und
ich weiß nicht mehr, wie ich drauf gekommen bin (als reiner Hobby-Arrangeur, der viel zu wenig Zeit neben Beruf und Familie dafür hat, habe ich
keine "ansteigende Erkenntniskurve" - ich werde
nicht "immer besser", sondern im Urlaub etwas besser, dann wieder schlechter, dann reiß ich mich zusammen und spiele(!) mehr - es wird etwas besser, dann wieder nicht ...).
Daraus schließe ich, dass man ein ganzes Bündel an Fähigkeiten zugleich braucht (eben Konkretes aus a)...d) oben), damit man (zumindest) seinen eigenen Ansprüchen entsprechend was produziert.
Jetzt hör ich auf und lass mich von Dir und anderen zerreißen ...
... wir können aber versuchen, uns auch gegenseitig Teilstücke dieses "Findens" erklären - ist halt aufwendig, und ab nächster Woche hab ich eher weniger Zeit, leider.
H.M.