zu alten Geigen, die vor etwa 1850 gebaut wurden, lässt sich grundsätzlich sagen, dass sie nicht mehr im Originalzustand sind, wenn sie im heute üblichen Konzertbetrieb verwendet werden. Auch Stradivarigeigen wurden nahezu ausnahmslos umgebaut. Der Geigenhals und das Griffbrett wurden verlängert, der Hals etwas steiler gestellt und es wurde ein höherer Steg verwendet. Der originale Wirbelkasten mit Schnecke blieb erhalten und wurde am neuen Hals angeschäfte. Dadurch wurde der Saitendruck auf die Decke etwas größer. In Folge dessen musste zusätzlich auch ein etwas dickerer Bassbalken eingebaut werden.
Die meisten alten Violinen haben einen Deckenstimmriss. Der Riss entsteht oft an der Stelle, an der der Stimmstock sitzt. Die einzige Möglichkeit der Reparatur ist, an dieser Stelle ein Stimmfutter einzusetzen. Trotz vieler Reparaturen klingen viele alte Instrumente auch heute noch hervorragend.
Warum ich bei den Blindtests skeptisch bin liegt daran, dass die wirklich hervorragenden Solisteninstrumente für diese Tests normalerweise nicht zur Verfügung stehen. Jede Stradivarigeige klingt anders. Ich kenne Stradivarigeigen und durfte die eine oder andere schon einmal anspielen. Nicht alle Stradivaris klingen gut. Das wesentliche große ist doch, dass Stradivari mit seinem Modell eine Vorlage geschaffen hat, die bis heute nahezu unverändert nachgebaut wird.
Ich kenne einige Kolleg*innen, die felsenfest davon überzeugt sind, dass eine neue Geige niemals so gut klingen kann wie eine mindestens zweihundert Jahre alte. Die nehmen Kredite auf an denen sie Jahrzehnte abbezahlen, um sich so ein Instrument kaufen zu können. Ich selbst durfte einige Jahre ein Dienstinstrument spielen: ein Giuseppe Antonio Rocca, erste Hälfte 19. Jh. Wert heute um die 250 000 bis 300 000 €.
Richtig glücklich wurde ich mit diesem Instrument nie.
Stradivari betrieb in Cremona eine Werkstatt. Die Instrumente wurden von angestellten Geigenbauern vorgearbeitet und nur die Endausarbeitung wurde vom Meister selbst bewerkstellig. Nach seinem Tod führte Carlo Bergonzi die Werkstatt weiter. Von ihm gibt es nur wenige Geigen, die jedoch als Solisteninstrumente ebenfalls sehr gesucht sind und im Klang und ihrer Ausführung den Strads in nichts nachstehen. Die geringe Anzahl seiner Geigen, etwas unter 50, legt den Verdacht nahe, dass er auch zuvor bereits für Stradivari gearbeitet hat.
Wie bereits in einem Beitrag zuvor von mir erwähnt, werden alte Geigen nicht nur als Musikinstrumente, sondern als Antiquitäten gehandelt. Ich denke, dass die neue Geige, die ich spiele, einer Stradivari in nichts nachsteht. Wenn ich ein Instrument in die Hand bekomme, weiß ich sehr schnell, in welchem Klangspektrum sich die Geige bewegt. Natürlich muss eine neue Geige eingespielt werden. Das dauert meiner Meinung nach aber nicht Jahre, sondern wenige Monate. Eine große Rolle spielt für mich dabei auch die Gewöhnung an das Instrument.
Für die wenigen großen Solisten gehört es auch zum Image eine Stradivari oder Guarneri del Gesù zu spielen. Wenn eine Geige von berühmten Solisten gespielt wurde, steigert das auch ihren Handelswert. Damit erklärt sich vielleicht zum Teil, warum diese Instrumente von ihren Eigentümern immer wieder gerne verliehen werden.
Ich bin nicht davon überzeugt, dass ein bestimmter Pilz im Holz notwendig ist, um eine hervorragende Geige zu bauen. Gutes Klangholz gibt es nach wie vor. Es gibt Händler, die sich darauf spezialisiert haben. Ein wirklich guter Geigenbauer sollte drei Eigenschaften in sich vereinigen: er muss ein exzellenter Handwerker sein, ein gutes Gehör haben und ein gewisses Maß an Musikalität mitbringen. Jedes Holz ist anders. Deshalb muss sich ein Geigenbauer beim Neubau auch sehr auf seine Intuition und sein Gehör verlassen können.
Der Geigenbauer Martin Schleske ist studierter Physiker. Er hat mit vielen Experimenten, Messungen, Schwingungs- und Klangvergleichen versucht, dem optimalen Klang nahe zu kommen. Er hat versucht das Schwingungsverhalten alter hervorragender Instrumente möglichst exakt zu vermessen und in Folge sogenannte Klangkopien herzustellen Ich selbst habe Geigen von ihm ausprobiert. Mir persönlich gefallen sie nicht. Ich kenn aber viele Kollegen, die ganz begeistert von seiner Arbeit sind. Auch unter uns Musikern gehen die Meinungen über Instrumente oft stark auseinander. Sein Buch “Herztöne oder lauschen auf den Klang des Lebens“ ist aber auf jeden Fall lesenswert.
Wesentlich ist, eine Geige hat keine Mechanik wie ein Klavier. Wir Musiker sind somit Teil des Instruments, denn der Klang hängt von sehr vielen Parametern ab, die wir selbst beeinflussen können. Dazu gehört auch die Gewöhnung an das Instrument und seinen Eigenheiten.
Wenn zwei Geiger das selbe Instrument spielen ist der Unterschied größer, als wenn ein Geiger auf zwei verschiedenen Instrumenten spielt. Ich hatte verschiedene Instrumente in meinem Besitz, unter anderem eine Giuseppe Antonio Rocca, eine alte Italiener unbekannter Herkunft und eben jetzt die Geige von Nicolas Gooch aus dem Jahr 2006. Am Ende klingt mein Ton immer ähnlich. Von der letztgenannten bin ich persönlich restlos begeistert, möchte sie nie wieder hergeben und auch auf keiner anderen spielen.