1) Uneingeweihte in mir vermutet, dass es seinen Grund hat, dass eine Röhrenvorstufe doch ungleich komplizierter ist, als das Innenleben vieler Verzerrerpedale. Und der Abergläubige in mir sagt, dass die Zerre aus einer Röhrenschaltung wenigstens mehr Pathos hat, als die Zerre aus einer Transistorschaltung.
Wenn es bspw. die Mesa Road King-Verzerrung mit all ihren Nuancen auch aus einem analogen Pedal gäbe, warum dann überhaupt noch den Amp bauen? (btw. gefragt, gibt es sowas?)
2) Für mich sind Distortionpedale, die vor den Cleankanal gehängt werden, aber zugleich auch nicht sonderlich attraktiv, da ich dafür mit Sicherheit einen anderen Cleansound einstellen müsste, dann würde mir der wiederum fehlen, oder ich müsste sie irgendwo in den Loop packen, das wäre mir dann zu umständlich. Da nutze ich lieber gleich die Vorstufenzerre und gut ist.
1) Als jemand, der langsam aber sicher Ahnung vom Design von solchen Schaltkreisen hat, ganz im Gegenteil!
Die Preamps vieler Röhrenverstärker (besonders was die "Klassiker" wie JCM800 angeht) sind oft keineswegs komplizierter aufgebaut, als die so Schaltungen mancher Zerrpedale. Viele der "alten" Zerrer sind natürlich wesentlich reduzierter und das hört man zum Teil auch. Es gibt jedoch moderne Designs, die quasi nichts anderes sind, als Preampschaltungen aus Röhrenamps. Nur sind die Vorstufenröhren eben meistens durch Op-Amps oder JFET-Transistoren ersetzt. Und dann gibt es ja auch welche, die sogar Röhren haben.
Ich trau mich hier sogar zu sagen, dass so manche "antiquierte" oder einfache Zerrpedalschaltung dynamischer Verhalten kann, als so mancher Röhrenamp.
Wieso überhaupt noch Amps bauen, wenn man alles mit Pedalen lösen kann? Es geht ja ohnehin in Richtung "Floorboard Only"-Rig in letzter Zeit, siehe AX8, Kemper Stage, Line 6 Helix, BluGuitar Amp-1, Orange Terror Stamp, etc.
Die Technologie ist da, um sowohl digitale, sowie analoge Technik klein, laut, leicht und gutklingend zu kriegen, klassische Vollröhre wird da nicht drin sein. Ist vielleicht nur eine Frage der Zeit, bis weitere Hersteller auf den Zug aufspringen.
Nachteil der Floor-Units ist aber wahrscheinlich die Langlebigkeit und Reparierbarkeit. Kompakt gebaute, teils empfindliche Technologie und dann stampft man auf noch darauf herum mit den Füßen.
Sowas reparieren stell ich mir schwierig vor. Sogar die alten through-hole PCBs sind teils schon nervig, wenn die Hersteller von Eingangsbuchsen bis Potis usw alles am Board montieren und du das komplette Teil auseinander nehmen muss, nur um überhaupt anschauen zu können, was da los ist. Kaputte Schalter und Potis ausbauen ist da um einiges aufwändiger. An SMD-Teile trau ich mich nicht einmal wirklich ran. Selbiges gilt für Verstärker: Die Handwired-Variante ist für den Techniker einfacher zu reparieren, weil alles einfacher zugänglich ist und man den Überblick hat.
2) Das ist nun etwas pauschal, es gibt auf vielen Zerrern sowas wie einen Tone-Knob oder gar 3- und mehr-Band EQs, mit denen man den Sound gut anpassen kann. Meistens reicht eine effiziente Tone-Kontrolle sogar völlig aus. Kommt aber natürlich auch auf den Amp an. Glaube bei der heutigen Auswahl findet aber jeder ein brauchbares Pedal für sich.
Man hört oder liest ja immer mal, dass Zerrpedale den Sound indirekter, flacher und kleiner machen. Das kann man pauschal aber nicht sagen. Es gibt natürlich viele 08/15 Zerrer, die genau das tun. Die von mir genutzten Pedale tun das allerdings nicht. Im Gegenteil, sie blasen den Amp sogar noch auf.
Die Pedale, die den Sound kleiner und flacher machen, funktionieren oft gut als Booster für High-Gain und Leads, wo mehr Kompression und Definition gefragt ist. Oder wenn man an Treble-Booster denkt (sind zwar keine Verzerrer per se, werden aber ähnlich verwendet wie besagte Verzerrer), können sie einen andernfalls matschigen Amp viel direkter klingen lassen.
Pedale, wie Big Muffs und Rats, die für sich schon sehr fett sind und Zerrer, die dem Ampsound sogar mehr "Fett" und "Suppe" geben (copyright Session Olli), fallen da keinesfalls in die Kategorie "klein". Flach vielleicht durch Kompression, man hat aber denselben Effekt mit aufgerissenem Gain in High-Gain Amps, v.a. wenn dann noch geboostet wird.
Wie gesagt, hat alles seine Anwendung und das ist auch gut so.