Begleitung für La Mer (Das Meer)

  • Ersteller juergen001
  • Erstellt am
Hallo zusammen,
wenn ich die Beiträge hier so lese, komme ich mir als Arrangeurin vor wie der Tausendfüßler, der nicht mehr laufen kann, sobald man ihn an die Anzahl seiner Beine erinnert. Wenn ich so ein Lied arrangieren soll, sehe ich mir zunächst den Text an. Trenet gibt hier eine Momentaufnahme, ein Stimmungsbild. Vielleicht eine Abendstimmung an der Atlantikküste? Wer weiß. Bei seiner Interpretation wächst mit dem Fortgang immer mehr seine Begeisterung für dieses Meer. Auch die Begleitung wird immer lebendiger. Ich würde die Begleitung bis zum Ende durcharrangieren, so wie das ja auch auf der Aufnahme zu hören ist. (Natürlich kann man die Melodie nehmen und ein Swing-Arrangement schreiben. Dann hat das jedoch nichts mehr mit dem Lied selber zu tun.) Als zweites versuche ich die rhythmische Struktur des Liedes zu erfassen. Auch wenn es wie in den Notenbeispielen im 4/4 Takt steht, so höre ich es als alla breve. 16tel-Noten und eine unruhig rhythmisierte Bassbegleitung stören die Struktur des Liedes. Zumindest ganz am Anfang. Wenn man die 16tel in etwa so spielt wie die Achtelbegleitung der Aufnahme, dann müsste die Gesangsstimme langsamer ablaufen. Damit wird der Text zerdehnt, der ja in etwa einer Sprechgeschwindigkeit nahekommen sollte. Später, wenn die Begeisterung für dieses Meer steigt, kann man 16tel als umspielende Verdichtung des Ausdrucks einsetzen. Die Bassdurchgänge würde ich übernehmen, wie im Original.
Es macht für mich immer einen großen Unterschied, ob es sich um gesungenen Text handelt, oder um reine Musik.
Am wenigsten mache ich mir inzwischen Gedanken über Tonsatzregeln, wer sie zuerst beschrieben hat und warum. Vielleicht liegt das daran, dass ich anders strukturiert vorgehe. Bevor ich etwas zu Papier bringe, habe ich meist eine präzise Vorstellung davon, was am Ende herauskommen soll.

@juergen001 vielleicht machst Du Dir die Mühe, das ganze Lied durchzuarrangieren. Ich weiß, das ist viel Arbeit, aber es rentiert sich! Dafür geht es beim nächsten mal garantiert schneller. 😊 Einfach die Originale noch ganz oft anhören, darüber nachdenken, was der Text im Fortgang alles ausdrückt. Vielleicht auch ein wenig herumimprovisieren am Klavier. So ein Projekt muss wachsen. Du hast schon so viel tolle Arbeit hineingesteckt, dass es sich wirklich rentiert weiterzumachen.

——————————

Um ein Beispiel zu bringen wie ich vorgehe:

Der Auftrag war: Lieder von Astor Piazzolla zu arrangieren, für Klaviertrio und Gesang. Da das noch vor Zeiten von Youtube war, stand mir lediglich eine Aufnahme von Milva mit einem kleinen Tango-Orchester (tolle Musiker im übrigen) zur Verfügung. Brauchbare Noten dazu, waren zu diesem Zeitpunkt nicht aufzutreiben. Die Sängerin, für die ich arrangieren sollte, ist eine hervorragende Opernsängerin; eine ganz andere Stimme also. Das Klaviertrio sind klassische Musiker, die es nicht gewohnt sind zu improvisieren. Die Musiker auf der CD konnten das offensichtlich, besonders der großartige Bandoneonspieler. Meine Musiker brauchten einen genauen Notentext. Es musste also meine Interpretation dessen werden, was ich da gehört und Empfunden habe. Trotzdem sollte stilistisch aber möglichst viel von Piazzolla übrig bleiben. Da es sich bei allen um hervorragende Musiker handelt, konnte ich jedoch auch davon ausgehen, dass am Ende von denen noch eine Menge interpretatorischer, eigener Ideen umgesetzt werden. Sie kannten die zugrunde liegende CD ja auch. Das sollte man alles bedenken, bevor man zu arbeiten beginnt. Ein Arrangement ist immer nur so gut, wie die Musiker, die es dann spielen. (Man darf deshalb nicht zu überheblich werden, wenn es am Ende gut klingt.)

Ich habe mir also die CD immer und immer wieder angehört, um die Stimmung zu erfassen und um eine Idee zu bekommen, wie ich das für eine ganz andere Besetzung und eine ganz andere Sängerin umsetzen kann. Das geringste Problem ist für mich bei so einem Projekt die Harmonisierung. Die steht sowieso in etwa fest. Außerdem denke ich meist eher kontrapunktisch. Besonders in einer solchen Besetzung. Ich habe ja zusätzlich zur Singstimme noch zwei Melodieinstrumente zur Verfügung, die ich korrespondierend zur Gesangsstimme einsetzen möchte. Nicht zu vergessen, dass auch das Klavier für Umspielungen zur Verfügung steht. Beim Schreiben bin ich mir fast nie irgendwelcher Tonsatzregeln bewusst. Wenn es komplizierter wird, muss ich daran denken, dass sich die jeweiligen Stimmen auch auf dem Instrument gut umsetzen lassen. Das setzt natürlich eine Menge Erfahrung und auch theoretische Kenntnisse voraus. Das war im vorliegenden Fall natürlich kein Problem, da ich ja selber vom Streichinstrument komme. Habe jedoch bereits auch eine Menge für ganz andere Instrumente geschrieben. Also auch beim Arrangieren heißt es Üben …. Üben … Üben! Ich gehöre noch zu der Generation, die das ohne Computer lernen mussten. War also nix mit Ausprobieren am Sequenzer.

Zurück zu meinem Beispiel:
Astor Piazzolla:
Chiqulin de Bachin (Text: H. Ferrer)
(deutsche Übersetzung übernommen aus: Arne Birkenstock, u.a.: Tango)




Por las noches, cara sucia
de angelito con bluyín,
vende rosas en las mesas
del boliche de Bachín:
si la luna brilla
sobre la parilla,
come lunay pan de hollín ...
Des nachts verkauft das schmutzige
Gesicht des Engels in Blue Jeans
Rosen an den Tischen
der Kneipe in Bachín:
wenn der Mond auf den Grill
scheint,
ißt er Mond und verkohltes Brot
shim.gif
Cada día en su tristeza
que no quiere amanecer,
lo madruga un seis de enero
con la estrella del revés;
y tres reyes gatos
roban sus zapatos
uno izquierdo y el otro ...
también!
Jeden Tag in seiner Tristesse,
die nicht aufklaren will,
weckt ihn ein sechster Januar
mit der Kehrseite des Sterns;
und drei diebische Könige
stehlen seine Schuhe
den linken und den anderen ...
dazu!
shim.gif
Chiquilín
dame un ramo de vos
así salgo a vender
mis vergüenzas en flor ... !
Beleáme con tres rosas
que duelan a cuenta
del hambre que no te entendí
Chiquilín ...
Chiquilín
schenke mir einen Deiner Sträuße,
damit ich meine Scham
als Blumen verkaufen gehen kann ... !
Bewerfe mich mit drei Rosen,
die schmerzen sollen, auf Rechnung
Deines Hungers, den ich nicht verstand.
Chiquilín ...
shim.gif
Cuando el sol pone a los pibes
delantales de aprender,
él aprende cuanto cero
le quedaba por saber;
y a su madre mira,
yira que te yira
pero no la quiere ver ...
Wenn die Sonne den Kindern die
Schürze des Lernens anzieht,
lernt er, dass ihm nichts zu
wissen übrigblieb,
und schaut seine Mutter an,
die an der Straße auf und ab geht,
aber will sie nicht sehen.
shim.gif
Cada aurora, en la basura
con un pan y un tallarín,
se fabrica un barrilete
para irse ... y sigue!
Es un hombre extraño
- niño de mil añosque por
dentro le enreda el piolín ...
Jede Morgenröte, im Müll
mit einem Brot und einer Nudel;
baut er sich einen Drachen, um
wegzufliegen ... und bleibt!
Er ist ein komischer Mensch
- tausend Jahre altes Kind, dem sich
innerlich die Drachenschnur verwickelt.
shim.gif
Chiquilín
dame un ramo de vos
así salgo a vender
mis vergüenzas en flor ... !
Beleáme con tres rosas
que duelan a cuenta
del hambre que no te entendí
Chiquilín ...
Chiquilín
schenke mir einen Deiner Sträuße,
damit ich meine Scham
als Blumen verkaufen gehen kann ... !
Bewerfe mich mit drei Rosen,
die schmerzen sollen, auf Rechnung
Deines Hungers, den ich nicht verstand.
Chiquilín ...
 
Zuletzt bearbeitet:
  • Gefällt mir
Reaktionen: 1 Benutzer
Weil du, @Daniela Violine, auf die Bedeutung des Textes für eine Begleitung oder ein Arrangement hingewiesen hast, sei er hier noch mal zitiert:

La mer
Qu'on voit danser
Le long des golfes clairs
A des reflets d'argent
La mer
Des reflets changeants
Sous la pluie
La mer
Qu'au ciel d'été confond
Ses blancs moutons
Avec les anges si purs
La mer
Bergère d'azur, infinie
Voyez
Près des étangs
Ces grands roseaux mouillés
Voyez
Ces oiseaux blancs
Et ces maisons rouillées
La mer
Les a bercés
Le long des golfes clairs
Et d'une chanson d'amour
La mer
A bercé mon cœur pour la vie
La mer
Qu'on voit danser
Le long des golfes clairs
A des reflets d'argent
La mer
Des reflets changeants
Sous la pluie
La mer
Au ciel d'été confond
Ses blancs moutons
Avec les anges si purs
La mer
Bergère d'azur, infinie
Voyez (voyez)
Près des étangs (près des étangs)
Ces grands roseaux mouillés (voyez ces roseaux)
Voyez (voyez)
Ces oiseaux blancs (ces oiseaux blancs)
Et ces maisons rouillées (la-la-la-la-la-la)
La mer
Les a bercés (les a bercés)
Le long des golfes clairs
Et d'une chanson d'amour
La mer
A bercé mon cœur pour la vie


Dazu eine Übertagung ins Deutsche:

Das Meer, das man
an den klaren Küsten der Meeresbuchten entlang tanzen sieht
hat silberfarbene Lichtspiegelungen
Das Meer
Lichtspiegelungen sich verändernd
im Regen

Das Meer
vermischt am Sommerhimmel
seine weißen Schaumkronen**
mit den so reinen Engeln
Das Meer, Hüter
eines unendlichen Blaus.

Seht
bei den Weihern
dieses hohe, feuchte Schilfrohr
Seht
diese weißen Vögel
und diese rostigen Hütten*.

Das Meer
hat sie umschmeichelt
entlang der klaren Meeresbuchten
und mit einem Liebeslied
hat das Meer
mein Herz beruhigt für mein ganzes Leben.

(Quelle: https://lyricstranslate.com/de/la-mer-das-meer.html#songtranslation)

Der Übersetzer weist zurecht darauf hin, dass der Text im Original sehr poetisch und daher nicht so einfach zu übersetzen ist. Er hat daher auf eine Nachdichtung verzichtet, die zur Melodie passen würde, sondern eine mehr beschreibende Form gewählt, die den Inhalt wahrscheinlich besser trifft.
(Hier sein Kommentar:
Ein sehr poetischer Text, in dem die Grammatik etwas zu kurz kommt, daher auch schwierig zu übersetzen ist.
*Z.B. maison roulliées: Können Häuser rostig/verrostet sein?
**Was ist mit den anges purs gemeint? Ich neige dazu, den Text anders als in meiner Übersetzung zu verstehen:
Das Meer vermischt seine weißen Schaumkronen (moutons blancs gibt das aber nicht her) mit den Wolken am Himmel.)
 
Z.B. maison roulliées: Können Häuser rostig/verrostet sein?

Ja: Blechhütten! Es dürften hier aber eher "rostbraune Häuser" gemeint sein (warum sollte man unbedingt von "Hütten" ausgehen?) ...

Was ist mit den anges purs gemeint? Ich neige dazu, den Text anders als in meiner Übersetzung zu verstehen:
Das Meer vermischt seine weißen Schaumkronen (moutons blancs gibt das aber nicht her) mit den Wolken am Himmel.)

Deine Übersetzung ist auf jeden Fall sinngemäß richtig: Das Meer verwechselt (!) seine Schaumkronen mit den Schäfchenwolken am Sommerhimmel - soweit die nüchterne Prosa.
  • "Weiße Schaumkronen" ist korrekt: Moutons blancs bezieht sich eindeutig auf "mouton d'écume" (Schaumkrone).
  • La mer (...) confond ... : Das Meer verwechselt (und zwar oben und unten) - "vermischen" im Sinne von "ineinander übergehen" würde die reflexive Form bedingen.
In Anlehnung an Jean Arps "Les hirondelles croient aux anges des nuages" ("Die Schwalben glauben an Engelswolken", d.h. sie verwechseln Wolken mit Engeln) kann confondre hier auch frei mit "glauben" übersetzt werden.
  • Anges purs: Wörtlich natürlich "reine Engel". Analog zur Herde der weissen Schäfchen würde ich hier mit "Engelsscharen" übersetzten. Was er sicherlich meint, sind "Schäfchenwolken" (frz. nuages de laine, wörtl. "Woll-Wolken"), die Schäfchen-Karte hat er aber bereits beim Meeresschaum gezogen - daher auch die Konfusion des Meeres ;) ...
Um das Originalmetrum wenigstens ansatzweise erhalten zu können, tausche ich die Zeilen 3 und 4 aus:

La mer
Au ciel d'été confond
Ses blancs moutons
Avec les anges si purs


Das Meer ...
Am Sommerhimmel glaubt's
Der Engel Schar
Sei weißer Meeresschaum.

Etwas viel Schwulst, passt aber irgendwie ...
 
Zuletzt bearbeitet von einem Moderator:
Deine Übersetzung ...
Auch wenn ich tatsächlich des Französischen einigermaßen mächtig bin, gebührt mir kein Lob für diese Übersetzung, denn sie ist nicht von mir. Der Autor der verlinkten Quelle nennt sich in diesem Übersetzter-Forum "Natur Provence", was gewiss auf eine frankophile Neigung hindeutet.
Mein Anteil war lediglich, im Internet eine Übersetzung zu suchen und zu finden, die mir plausibel vorkommt und die so gut wie möglich den Gehalt, Sinn und den Inhalt des Originals ins Deutsche überträgt.
Ja: Blechhütten! Es dürften hier aber eher "rostbraune Häuser" gemeint sein
"Rostbraun" als Beschreibung der Farbgebung der Häuser dürfte es sicher treffen.
Rost und von diesem ausgehend rostfarbene Schlieren, etwa an einer Fassade, ist aber in Meerersnähe auch nicht so ungewöhnlich.
Ich konnte das selber mal aus der Nähe beobachten, als ich einige male in einer Wohnung in einem Haus direkt an der Strandpromenade in einer kleinen Gemeinde etwas nördlich von Dünkirchen Urlaub machen konnte, das Haus gehörte damals Bekannten von mir. An der Fassade dieses Hauses, das im Jahr 1906 gebaut wurde, gab es etliche schmiedeeiserne Gitter, etwa an der Veranda. Dem Schmiedeeisen konnte man beim Rosten zusehen, die salzige Meeresluft war für diese Gitter zu aggressiv. Streichen half zwar, aber auch die Haltbarkeit der Anstriche war nur von kurzer Dauer.
Vielleicht hatte Trenet ja ebensolche Impressionen beim Texten von "La Mer".
 
Du hast schon so viel tolle Arbeit hineingesteckt, dass es sich wirklich rentiert weiterzumachen.
Hallo Daniela Violine

Ganz lieben Dank für Deinen umfangreichen Post und das positive Feedback. :)
Freue mich, dass ich wohl auf dem richtigen Weg bin:cool:
Natürlich mache ich weiter; poste es wenn ich weiter gekommen bin.

LG
Jürgen
 

Ähnliche Themen


Unser weiteres Online-Angebot:
Bassic.de · Deejayforum.de · Sequencer.de · Clavio.de · Guitarworld.de · Recording.de

Musiker-Board Logo
Zurück
Oben