Autotune vs. Realität

  • Ersteller Abendspaziergang
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Es gibt einen Unterschied zwischen Kunst und Erfolg. Kunst kommt von können ich kann mich darin vertiefen und verlieren, bin aber dennoch enttäuscht wenn der Erfolg sich nicht einstellt. Kunst kann noch so aus sich selbst leuchten in der falschen Zeit der falschen Mode der falschen Erwartung "des Marktes" passiert kein Erfolg. Die Kunst/Musikgeschichte (auch die jüngere) ist voll von Beispielen.
Will ich kunstvoll sein oder erfolgreich, je nach gestellter Frage unterscheiden sich die Antworten als auch die eingesetzten Hilfsmittel ( = Instrumente). Die Kunst ist nicht verantwortlich für Erfolg oder Mißerfolg, wie nutze ich "Kunst", wie setzt ich (meine) Kunst ein, kommt dem Erfolg schon näher. Darin ist auch der Dialog enthalten, was funktioniert was nicht. Wenn das Publikum Metal hören will hilft das (Mozart-)Klavierkonzert in d-moll nicht wirklich selbst wenn es äußerst kunstvoll vorgetragen würde. Ein socher Vortrag wäre möglicherweise kunstvoll, aber nicht erfolgreich.

Wir sind Menschen, genau das machen wir, wir setzen das ein was wir haben (gut können - Kunst) und für den Rest (was wir nicht so gut können) verwenden wir Werkzeuge, Instrumente, Hilfsmittel um das Ziel (das selbst gesteckt ist) zu erreichen. Was nun mit Autotune passiert oder nicht kann man finden wie man möchte, aber es ist ein (Parade-)Beispiel für unsere menschliche Herangehensweise um eine Problemstellung zu lösen, ein Ziel zu erreichen.

Kunst kann bisweilen auch täuschen, aber der Erfolg täuscht nie. Wir assoziieren nur sehr oft die falsche Person (Figur, Produkt) mit dem Erfolg.

Lady Gaga ohne Lady Gaga, kann singen wie sie möchte, niemanden würde ein "unplugged" interessieren, weil niemand sie kennen würde.
 
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hier mal ein praktisches songbeispiel, daß sicher die realität gut darstellt, um erfolg zu haben:

Ridin' down the highway
Goin' to a show
Stop in all the byways
Playin' rock 'n' roll
Gettin' robbed
Gettin' stoned
Gettin' beat up
Broken boned
Gettin' had
Gettin' took
I tell you folks
It's harder than it looks
It's a long way to the top

autotune ist schon verführerisch. anfangs habe ich es ausprobiert und fand die ergebnisse gut.
blöd ist nur, wenn man dann eines tages live singen soll und das autotune nur begrenzt helfen kann, weil es sonst seltsam klingt.
das war dann der startschuß für den gesangsunterricht.
seit dem kann ich auf autotune verzichten. solange ich mit höre, intoniere ich relativ ordentlich.
 
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Alle meine LieblingssängerInnen aus 5 Dekaden Pop/Rock wiederum haben gemeinsam, dass sie technisch wohl eher eingeschränkt sind - aber sie haben direkt identifizierbare Stimmen. Vermutlich ist das sogar eine direkte Folge ihrer "Einschränkungen". Man beschränkt sich auf das, was man kann und daraus entsteht dann etwas eigenes. (Ich halte das auch für übertragbar auf Instrumentalisten; Musiker, die "alles spielen können", haben selten einen eigenen Stil entwickeln können)

Madonnas Stimme - um bei dem Beispiel zu bleiben - hat Wiedererkennunsgwert und ich würde auch sagen, dass es typische Madonna-Melodien gibt, anhand derer man sie direkt erkennt - wobei dieser "Stil" möglicherweise auch Folge eines begrenzten Stimmumfangs ist? Mal davon abgesehen, dass Madonna ab Mitte der 80er massig Geld für Gesangs- und Tanztraining ausgegeben haben dürfte... Aber sie hat (dennoch) ihren Stil gefunden/bewahrt.

Die Aussage möchte ich nochmal kurz heraus und als Anlass nehmen, dass ich nich missverstanden werde:

Was du gesagt hast unterschreibe ich so zu 100% und entspricht auch meiner Denke.
Meine Aussage dass Madonna (oder sonstwer) keine sonderlich gute Sängerin ist, bezog sich lediglich auf den technischen Aspekt des Gesangs. Zu der Künstlerin Madonna gehört natürlich weitaus aus mehr als ihre Gesangsskills.

Grade deswegen bin ich auch nicht so autotune-feindlich. Wenn jemand nicht sonderlich gut singen kann, aber dieses Tool hilft die Person so in Szene zu setzen, dass gute Songs dabei herauskommen: Bitte sehr.

Ich käme niemals auf die Idee zu sagen "Die kann ja gar nicht wirklich toll singen... jetz find ich den Song und die ganze Kunstfigur schlecht".
Antipasti hat ja hier schon zu Beginn angedeutet, dass Akademisierung im Popbereich einen größeren Einfluss auf die "Gleichförmigkeit" hat, als dass Tonkorrektur nun so ein Problem wäre.

Es sei auch noch darauf hingwiesen, dass Deutschland in meinen Augen ein besonders innovationsfeindliches Land ist was Kunst (bzw Musik im Speziellen) angeht. Es ist hierzulande extrem schwierig einen eigenständigen Sound zu entwickeln, weil die Menschen so gepolt sind eher zu sagen "was ist das denn für ein müll?" als zu sagen "das klingt interessant... ich geb dem mal ne Chance". Äußerlichkeiten spielen da meist auch noch eine große Rolle, da auffällige Optik sehr schnell herabgewürdigt wird... deswegen sehen die deutschen Popartists auch größtenteils aus wie gemalte Schwiegersöhne und Schwiegertöchter.

Was bisher auch höchstens indirekt erwähnt wurde, ist, dass Autotune und Tonkorrekturen in vielen Songs unerlässlich sind, weil die Vocals sonst nicht im Kontext funktionieren könnten. Wenn die meisten (oder alle) anderen Elemente synthetisch erzeugt und nahezu "perfekt" und sauber in Szene gesetzt sind, dann würden die Vocals wie ein kompletter Fremdkörper auf einem Song wirken, wenn sie "authentischer" wären... kann man ja gern beim Beispiel von dem Gaga/Grande-Song bleiben.
 
Ich käme niemals auf die Idee zu sagen "Die kann ja gar nicht wirklich toll singen... jetz find ich den Song und die ganze Kunstfigur schlecht".

wer nicht singen kann soll es lassen.
Kunstfiguren im Sinne von "künstliche Figuren" (also die ohne viel Technik nicht auskommen) finde ich persönlich schlecht weil eben künstlich, nicht natürlich.

Antipasti hat ja hier schon zu Beginn angedeutet, dass Akademisierung im Popbereich einen größeren Einfluss auf die "Gleichförmigkeit" hat, als dass Tonkorrektur nun so ein Problem wäre.

Ja, aber sie führt zur Gleichförmigkeit. Erstes wichtigstes Merkmal ist halt die Stimme. Wenn die alle gleich klingen, ist die entsprechende Musik gleichförmig gemacht worden.
Und alle finden das toll. Das finde ich komisch.

Was waren das noch für Zeiten als Shane McGowan schrecklich schief ins Mikro grölen durfte. Das wäre heute unmöglich.

By the way die "Sängerinnen" im Eingangsbeitrag habe ich mir schon angehört. Für mich klingen die alle gleich, egal ob sie nun Gaga oder Madonna oder sonstwie heißen.

Sängerinnen im eigentlichen Sinne sind das für mich nicht, sondern Show-"tanten", mit Betonung auf Optik. Singen müssen die nicht können, sondern mit dem Hintern wackeln und sonstwie auf erotisch machen, und dazu, daß sie diese künstlichen Figuren nach außen tragen können, die sich gut vermarkten läßt (denn nur darum geht es), trägt Autotune im Wesentlichen bei.
 
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Sängerinnen im eigentlichen Sinne sind das für mich nicht, sondern Show-"tanten", mit Betonung auf Optik. Singen müssen die nicht können, sondern mit dem Hintern wackeln und sonstwie auf erotisch machen, und dazu, daß sie diese künstlichen Figuren nach außen tragen können, die sich gut vermarkten läßt (denn nur darum geht es), trägt Autotune im Wesentlichen bei.

Täusch dich da mal nicht .... sie mögen Outfits tragen, die eher an Pornostars denken lassen, und sich auf der Bühne mitunter auch so aufführen, aber die meisten (eigentlich alle) amerikanischen Popsängerinnen können verdammt gut singen.
 
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(...) bezog sich lediglich auf den technischen Aspekt des Gesangs. Zu der Künstlerin Madonna gehört natürlich weitaus aus mehr als ihre Gesangsskills.
Hatte ich bei Dir auch nicht so herausgelesen, ihr Talent wird aber abseits von Dir oft damit abgetan, sie habe lediglich ein "Stimmchen". Madonna sehe ich auch als "Gesamtkunstwerk", sie hat aber auch viel für die Emazipation getan, sie hatte früh die absolute Kontrolle über ihr Image und was sie erreichen wollte und das zu einer Zeit, als Frauenbilder/Rollenverständnis weiß Gott noch ein anderes war als heute.

Gut, zusammen mit Michael Jackson hat sie natürlich irgendwo die Blaupause für das heutige Bühnengehopse gelegt, wo die Musik nur einer von vielen (Erfolgs-)Faktoren ist. Trotzdem - oder gerade deswegen - müssen ihre heutigen Epigonen/Nachfolgerinnen aber auch erst mal beweisen, über vier Jahrzehnte in dem Business mitmischen zu können... An ihrem Status und ihren Verdiensten kratzen jedenfalls nicht ein paar versemmelte Töne beim ESC.

Antipasti hat ja hier schon zu Beginn angedeutet, dass Akademisierung im Popbereich einen größeren Einfluss auf die "Gleichförmigkeit" hat, als dass Tonkorrektur nun so ein Problem wäre.
Ja, fand ich ebenfalls sehr schlüssig. Autotune ist vielleicht ein Symptom einer Entwicklung, aber sicher nicht die Ursache.

Was bisher auch höchstens indirekt erwähnt wurde, ist, dass Autotune und Tonkorrekturen in vielen Songs unerlässlich sind, weil die Vocals sonst nicht im Kontext funktionieren könnten. Wenn die meisten (oder alle) anderen Elemente synthetisch erzeugt und nahezu "perfekt" und sauber in Szene gesetzt sind, dann würden die Vocals wie ein kompletter Fremdkörper auf einem Song wirken, wenn sie "authentischer" wären...

So gesehen wird ja auch ein Schuh daraus und so wie sich jedes Genre und Subgenre über bestimmte Stilmerkmale definiert - die durchaus einem Wandel unterliegen - so kommt die derzeitige Mainstreammusik (zu der ich den Radio-Pop, Giesinger, Foster & Co. und sicher auch den deutschsprachigen Gangsta-Rap zähle) halt momentan nicht ohne dieses Stilmittel aus. Soweit, so gewöhnlich ...

... ich gebe aber trotzdem nicht die Hoffnung auf, dass das irgendwann auch wieder verschwindet - so, wie wir uns seit den 80ern ja auch nicht durchgängig an DX7-Sounds oder gegateten Snares mit Kathedralen-Nachhall erfreuen ... ;-)

Es sei auch noch darauf hingwiesen, dass Deutschland in meinen Augen ein besonders innovationsfeindliches Land ist was Kunst (bzw Musik im Speziellen) angeht. Es ist hierzulande extrem schwierig einen eigenständigen Sound zu entwickeln, weil die Menschen so gepolt sind eher zu sagen "was ist das denn für ein müll?" als zu sagen "das klingt interessant... ich geb dem mal ne Chance".

Falls Du/Ihr es noch nicht gesehen habt: Die Doku über Conny Plank in der ARD-Mediathek ist sehr gelungen und sein Schaffen/seine Philosophie hat großen Bezug zu Deiner These.
 
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Aus Planks Studio kamen sensationell gute Analog-Aufnahmen - empfehlenswert auf original-Vinyl /ot
 
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Falls Du/Ihr es noch nicht gesehen habt: Die Doku über Conny Plank in der ARD-Mediathek ist sehr gelungen und sein Schaffen/seine Philosophie hat großen Bezug zu Deiner These.

Ich hab mir das direkt mal reingezogen... herrausragende Doku. Vielen vielen Dank für die Empfehlung. :heartbeat:
Es hat mir sogar 1-2 Tränchen entlockt die Jungs von Whodini aus New York zu sehen und wie sie über die Zeit sprechen.

Die ganze Dokumentation ist auch ein indirektes Statement für die kulturelle und musikalische Vielfalt und dass Musik, Klänge und Ideen keine Grenzen und Nationalitäten kennen. Diese künstlerische Offenheit fehlt mir so oft, wie sie conny plank offensichtlich hatte.


Ein Song mit extremen Autotune-Einsatz der mir dazu immer wieder als positives Beispiel einfällt (hab ihn hier aufm Board auch schonmal an anderer Stelle erwähnt und es passt bestens, weil Sting auch im Zusammenhang mit Gaga schon genannt wurde):



Sting dazu sagt folgendes:




Das ist also eine Konstellation, wo ein junger amerikanischer Rapper (rip) inspiriert von dem Emo-Punk Sound von vor 10-15 Jahren ein Song macht, wo im Beat Sting gecovert wird. Eine Kreuzung aus Atlanta-Trap, Hiphop, amerikanischen Emopunk und Sting... und wer daran zweifelt, ob Juice Wrld ein "echter" Musiker ist wegen dem Autotune, darf gerne mal "juice wrld freestyle" bei Youtube eingeben und sich anschauen wie er teils stundenlang zu - egal was - freestyled.
 
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wer nicht singen kann soll es lassen.

Was waren das noch für Zeiten als Shane McGowan schrecklich schief ins Mikro grölen durfte.

Hier widersprichst du dir selber. Ich würde sagen, auch wer nicht singen kann, soll singen, weil 1. nur so lernt man es und 2. hätte es sowas wie die Pogues nicht gegeben. Fakt ist, dass Derartiges in den öffentlichen Medien nicht mehr stattfindet. Da ist kein Platz mehr für Experimente. Ich würde jedenfalls einen schiefen McGowan jederzeit einem autogetuneten Retortengesang vorziehen.
 
Die ganze Dokumentation ist auch ein indirektes Statement für die kulturelle und musikalische Vielfalt und dass Musik, Klänge und Ideen keine Grenzen und Nationalitäten kennen. Diese künstlerische Offenheit fehlt mir so oft, wie sie conny plank offensichtlich hatte.
... sie kam mir ja vermutlich auch nicht umsonst in den Sinn, als ich Deine Zeilen las ;-)

Es hat mir sogar 1-2 Tränchen entlockt die Jungs von Whodini aus New York zu sehen und wie sie über die Zeit sprechen.
... das ging mir an der Stelle genau so ;-)

Schade, dass er durch seinen frühen Tod etwas in Vergessenheit geraten scheint. Einer der interviewten Musiker sagte so etwas wie: "Du entdeckst plötzlich, dass einige der coolsten Alben in deiner Sammlung von ein und dem selben Typen produziert wurden" - in der LP-Sammlung meines Vaters fand ich etliche Plank-Produktionen von den frühen Kraftwerk über Eloy, Neu! und Grobschnitt, ich selbst mochte Ultravox, mir fiel ein, wei einer meiner besten Jugendfreunde total steil auf "Les Rita Mitsouko" ging, die ich nicht als Plank-Produktion auf dem Schirm hatte - und erst durch die Doku habe ich gelernt, dass er Gianna Nannini zum Durchbruch verholfen hat - die war im deutschen Radio der 80er dann ja auch omnipräsent. Das er Heinz Rudolfs Kunzes Durchbuchs-Album produziert hat, war mir auch neu. Plank kannte offensichtliche überhaupt keine kulturellen oder stilistischen Grenzen, es ging nur um die Identität des Künstlers und dessen Musik. Beeindruckend!


Hier trennen sich dann unsere Wege aber wieder, lieber Phil: ;-)
Ein Song mit extremen Autotune-Einsatz der mir dazu immer wieder als positives Beispiel einfällt (...)

Das Lied kenne ich natürlich aus dem Radio, meine Wahrnehmung dazu war allerdings immer und bleibt wohl auch: "Hit-Schema F: Man nehme ein Sample eines Songs, der jung genug ist, dass dessen Melodie der Zielgruppe irgendwie unterbewusst vertraut sein könnte, aber alt genug, dass sie es nicht bewusst als Sample bemerken - hier Stings bereits wie oft (?) verwurstetes "Shape Of My Heart"), dazu dann eine gerappte Strophe, ein eingängiger Refrain, das ganze im Hinblick auf Beats und Sounds möglichst zeitgeistig produziert (selbstverständlich inkl. Autotune) - schon hat man Hit-Potential.

Mir fehlt da offensichtlich der Zugang, bei aktueller Pop-Musik die Spreu vom Weizen trennen zu können, für mich ist der Song so beliebig und "auf dem Reißbrett designt" wie 99% dessen, was man zur Zeit im Radio hört. Damit will ich nicht in Frage stellen, dass der Sänger durchaus etwas drauf hat. Bei dem Song geht's dann aber doch eher um Kohle als um Mut zu etwas Eigenem, Neuem, von Marktchancen losgelöstem (?).


Seit ich den Thread hier gelegentlich verfolge, denke immer wieder mal drüber nach, was mich an "Autotune" so stört, was möglicherweise tiefer geht, als das Offensichtliche (das Klangergebnis).

Deine Aussage "Wenn die meisten (oder alle) anderen Elemente synthetisch erzeugt und nahezu "perfekt" und sauber in Szene gesetzt sind, dann würden die Vocals wie ein kompletter Fremdkörper auf einem Song wirken" hat mir da weitergeholfen:

Es ist wohl, dass "Autotune" für mich ein Sympton einer Entwicklung ist, der ich sehr kritisch gegenüberstehe - und das ist der durch die Digitalisierung vorangetriebenen Drang zur "Selbstoptimierung". Der hier eben auch den künstlerischen Output betrifft: Jeder kreative Output eines Menschen MUSS optimiert werden: Handy-Schnappschüsse gehen durch Filter, keiner traut sich mehr, sein verpickeltes Gesicht oder altersbedingte (...?) Augenringe in natura zu zeigen. Alles muss immer "mega" sein.

Und das setzt sich in der Musik fort und hat für mich längst eine andere Qualität erreicht, als - wie seit Anbeginn der Tontechnik - dezent Kompression oder EQ einzusetzen, um Stimmen zu stützen, bzw. deren Charakter herauszuarbeiten.

Das wird jetzt pseudo-philosophisch/esoterisch klingen (ich selbst halte mich eigentlich eher für einen liberalen Pragmatiker mit Anflügen von Idealismus), aber die Digitalisierung des analogen Wesens "Mensch" schreitet an allen Ebenen voran - und macht eben auch nicht vor der Kunst halt. Das beobachte ich mit Unbehagen.

Was nicht heisst, dass ich bestreiten will, dass digitale Werkzeuge der Kreativität nicht enorme neue Möglichkeiten eröffnen - aber Hand in Hand damit geht eben auch dieser Optimierungswahn, kleinste Abweichungen vom digitalen Ideal werden zunehmend als Makel wahrgenommen.

Womit wir wieder beim Punkt "Konditionierung (durch - vermeintliche - Perfektion) sind: Ich war durch die (wie ich finde) musikalisch sehr diversen und offenen 90er durchgängig bandmäßig unterwegs, dass hatte (immerhin...) "semi-professionelles Niveau, wir spielten viel und bekamen ordentliche Gagen. Das ließ schlagartig nach, als (gefühlt) VIVA und MTV Anfang der 2000er ihren Zenit erreichten. Es kamen weniger Leute zu Konzerten, unsere Interpretation im Musikerkreis war, dass die Kids offenbar lieber perfekt inszenierte Videos schauen, als Auftritte von (fehlbaren) Amateur-Musikern. Diese Interpretation muss nicht stimmen, aber es passierte irgend etwas. Auch entstand diese DJ-Kultur - die Studi fragten nicht mehr "wer spielt denn da heute" sondern "wer legt denn da auf?". Für mich war das auch schon ein erster Schritt hin zu "glatte Perfektion schlägt imperfektes Musikhandwerk", die erst danach einsetzende Digitalisierung der gesamten Musikwelt führte zu dem, was wir heute haben.

Ich habe unbedingt den Eindruck, dass viele "digital natives" eine digital optimierte Version einer imperfekten analogen Vorlage als Realität wahrnehmen ... Das ist im Hinblick auf Musik/mit Autotune optimierte Stimmen ja noch harmlos, aber ich frage mich, welche Risiken diese Konditionierung birgt, wenn man an Manipulation auf ganz anderen Ebenen denkt... denen die verzerrte Wahrnehmung der (immer noch analogen/nicht-virtuellen) Realität möglicherweise Vorschub leistet?

PS: Ironisch: Kraftwerks Konzept der "Mensch Maschine" (das rückblickend musikalisch betrachtet doch eher liebevoll/naiv analog anmutet) ist heute teilweise konsequenter verwirklicht, als die das vor 40 Jahren vorweg genommen haben ;-)
 
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Es ist ein Irrtum zu meinen diese Konditionierung gibt es erst "seit kurzem" (die gibt es immer).

(Manche) DJs sind ebenso virtuos wie Instrumentalisten und Sänger (wenn sie üben und mit Leidenschaft bei der Sache sind). Wer meint "auflegen" sein einfach, mal ausprobieren oder "Beatbox-Loopstation" Videos schauen ... . Das eine "wurde fad" das andere "modern".

Es werden immer neue Klänge (Klangräume, ...) erschlossen und etabliert während andere vergessen und antiquiert werdern. Nur um nach genügend langer Zeit wieder entdeckt zu werden. Gerne hört man "etwas bekanntes" aber dann "wird es fad" und es braucht was neues. Auch "perfekter Gesang und cleanes Arrangement" nutzt sich ab (hat es ja schon) und es werden neue Klangräume geboren oder wiederentdeckt.

"Autotune"-Hilfsmittel gibt es schon sehr lange. Wer schon mal in einer Kirche gesungen hat weiß, dass es dort viel einfacher ist, Instrumente die genau die Stimme mitspielen (z.b. die meisten Operettenarien).

Wir alle sind Produkte unserer Konditionierung, ein Teilaspekt der Kunst ist es gerade diese bewusst zu erleben und ein klein wenig zu überwinden.
 
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Wir alle sind Produkte unserer Konditionierung, ein Teilaspekt der Kunst ist es gerade diese bewusst zu erleben und ein klein wenig zu überwinden.

Na das kann man nicht so grob pauschalisieren.

Konditionierung geschieht oft einfach so und im sozialen Bereich ist sie auch sinnvoll.

Ich höre mir so einen künstlichen Kram nicht an. Ich bin in dem Bereich nicht konditioniert. Ich entscheide mich ganz bewußt gegen so etwas.

Und damit hast du auch genau das Mittel an der Hand, dich nicht konditionieren zu lassen. Aber kann sein vielleicht gefällt es dir ja auch, konditioniert wie die Masse der Menschen zu leben.
--- Beiträge wurden zusammengefasst ---
Jeder kreative Output eines Menschen MUSS optimiert werden: Handy-Schnappschüsse gehen durch Filter, keiner traut sich mehr, sein verpickeltes Gesicht oder altersbedingte (...?) Augenringe in natura zu zeigen. Alles muss immer "mega" sein.

Optimierung ist wohl schon normal bzw. das Streben danach. Deshalb üben Menschen. Aber Optimierung über Technik? Und wieso muß alles immer supertoll sein?
Das ist nicht menschlich, finde ich.
 
Optimierung ist wohl schon normal bzw. das Streben danach. Deshalb üben Menschen. Aber Optimierung über Technik? Und wieso muß alles immer supertoll sein?
Das ist nicht menschlich, finde ich.

Ganz im Gegenteil. "Optimierung über Technik" ist das nahezu menschlichste, was es gibt.
Durch den aufrechten Gang wurden unsere Hände frei und der Mensch (bzw seine Vorfahren) konnte damit Werkzeuge herstellen und benutzen. Dies hat hauptsächlich zur intelektuellen Entwicklung des Menschen beigetragen und ihn zu der Spezies werden lassen, die der Mensch heute ist.

Mensch und Werkzeug gehören untrennbar zusammen.
 
Mal ne kleine Zwischenfrage: wie oft laufen die Verfechter der "unverfälschten Stimme" einem guten Producer auf und hören eben doch getunten Gesang?
Sänger hier? Macht alle mal, 10 Spuren, nicht verraten wer autotuned und dann raten wir:great:
Jaaa, so viele Variablen daneben.... aber Sommerloch und so;)
 
Ich mag auch nicht "Fakebook, Instakram" o. wie all diese "Fakeschuppen" heißen.
Bei Duftpunk find ich den Gesang z.B. absolut ok. Jeder hört sofort, dass die Stimme manipuliert ist.
Andere Künstler verwenden eine "Telefon, Megaphon, Grammophon, Vocoder o. was auch immer, alles gut. Jeder hört sofort, dies ist eine verfremdete/manipulierte Stimme.

... wenn aber ein Sänger**in nur mittels subtiler Tonhöhenkorrektur "Autotune" ein "Liedlein" trällern kann, Sorry, dann isser für mich raus.

Dies ist meine Meinung!

Gruß
SlapBummPop
 
Mal ne kleine Zwischenfrage: wie oft laufen die Verfechter der "unverfälschten Stimme" einem guten Producer auf und hören eben doch getunten Gesang?


Danke für diese Frage, auf die ich gerne antworte! Sie bringt meines Erachtens die Diskussion auf den Boden der Realität zurück:


In vielen veröffentlichten, radiotauglichen Songs der letzten 20 Jahre, wurden durch einen fachkundigen Toningenieur Intonationskorrekturen durchgeführt, die KEIN Zuhörer wahrnehmen wird.

Das sind gezielte Eingriffe in einzelne Noten (kann aber durchaus mehrfach in einer Passage vorkommen). Das macht man allerdings nicht mit einem AUTOTUNE-Modus, der alles automatisch korrigiert, sondern manuell durch einen muskalisch geschulten Fachmann, auf Basis einzelner Noten.

Die Melodyne-Software in seiner Vollversion (und nicht abgespeckt als Plugin z.B. über iZotope-Produkte) ist dabei die Referenzsoftware.

Derartige Intonationskorrekturen werden übrigens durchaus auch mal bei Gitarrensoli bzw. Streichinstrumenten (wurde ja auch schon erwähnt) gemacht.

Ich rede allerdings eben nicht von einem BEWUSST eingesetzten AUTOTUNE-Mode, der einen Soundeffekt erzeugen soll wie es bei Pop-Musik mitunter der Fall ist.


Wer also Intonationskorrekturen mittels Software bei Vocals, Gitarren und Streichinstrumenten ablehnt, wird sich von einem Großteil der U-Musik der letzten 20 Jahre verabschieden müssen. das Problem wird nur sein: er kann sie nicht von den nicht nachbearbeiteten Aufnahmen unterscheiden :D


Um es auf den Punkt zu bringen:

Der Threadtitel "Autotune vs. Realität" suggeriert, dass eine Intonationskorrektursoftware nicht der Realität entspricht. Das Gegenteil ist der Fall:

In allen professionellen Studios dieser Welt (und auch bei Homerecording) werden in den letzten ca. 20 Jahren Intonationskorrektursoftware als eines von vielen Tools verwendet.

Und das findet NICHT nur bei Musikern statt, die schlecht intonieren, sondern gelegentlich auch bei Musikern, die gut intonieren, einen klasse Take gemacht haben, der aber bei z.B. zwei Noten OFF ist. Das ist nix Verwerfliches, sondern einfach nur NORMAL.

Und es ist auch nicht so, dass jeder schlechte Sänger, der eine AUTOTUNE-Software benutzt, automatisch ein guter Sänger ist.
Dazu gehört - Gott sei Dank - noch viel mehr Musikalität.
 
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Intonationskorrektur und Autotune sind doch, wie du selber schreibst, zwei Paar Schuhe. Mal eine Note manuell mit Melodyne 15 cent irgendwo hin pitchen, ist klanglich und im Ergebnis was völlig anderes als Autotune.
 
Das sind nicht zwei paar Schuhe:

Es sind zwei unterschiedliche Herangehensweisen der Intonationskorrektur: bei AUTOTUNE macht es die Software, unter Vorgabe von einstellbaren Parametern.
Im anderen Falle der Intonationskorrektur werden diese manuell durch musikalisch Fachkundige vorgenommen, weil der AUTOTUNE-Modus häufig auch unmusikalisch klingt.


Und das kann durchaus auch mehr als nur zwei Noten in einem Take umfassen.


Der AUTOTUNE-Modus wird bei professionellen Aufnahmen daher eher selten zur Intonationskorrektur angewendet - außer als BEWUSST und hörbar eingesetzter Effekt.


Intonationskorrektur im eigentlichen Sinne ist suptil und bewusst NICHT hörbar. Das erfordert manuelle Eingriffe und musikalische Kenntnisse.


In einigen der hier aufgeführten Beiträge und Videobeispiele - inkl. Nennung der Musiker - wird aber so getan, als gäbe es diesen Unterschied nicht (möglicherweise mangels Praxisbezug).


Das was hier als AUTOTUNE bezeichnet wird, ist vielfach eben die manuelle Intonationskorrektur, weil AUTOTUNE-Software verschiedenste Szenarien eben gar nicht sauber verarbeiten kann, z.B.:

- gebunden gesungene Noten,
- angesungene Noten,
- Blue Notes.


Mir ist es wichtig, zu vermitteln, dass Intonationssoftware seit ca. 20 Jahren ein NORMALES Tool in Studioumfeldern darstellt und eben nichts Anrüchiges an sich hat.
Vielfach wird man es - wie erwähnt - gar nicht hören, ob ein derartiges Tool eingesetzt wird oder nicht.


Des weiteren ist mir wichtig, zu verdeutlichen, dass schlechte Musiker (ob Sänger oder Instrumentalisten ist egal) durch Einsatz derartiger Tools NIE IM LEBEN gute Musiker werden - weder auf einer Aufnahme noch Live, weil im Prinzip immer die folgende Regel gilt:


Der Musiker am Anfang der Signalkette bestimmt - ich sage einmal zu ca. 80% - das Endergebnis. Der restliche Teil (ca. 20%) der Signalkette ist Technik bzw. andere Faktoren (wie Raum).
 
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Autotune hat auch noch einen graphischen Modus, der ähnlich wie Melodyne funktioniert... (das sei der Vollständigkeithalber ma erwähnt)

Speziell wegen melodyne würde ich keiner multitrack-aufnahme vertrauen, was "echtheit" angeht.
 
Des weiteren ist mir wichtig, zu verdeutlichen, dass schlechte Musiker (ob Sänger oder Instrumentalisten ist egal) durch Einsatz derartiger Tools NIE IM LEBEN gute Musiker werden - weder auf einer Aufnahme noch Live, weil im Prinzip immer die folgende Regel gilt:


Der Musiker am Anfang der Signalkette bestimmt - ich sage einmal zu ca. 80% - das Endergebnis. Der restliche Teil (ca. 20%) der Signalkette ist Technik bzw. andere Faktoren (wie Raum).
Volle Zustimmung. Ein Bekannter von mir ist ein ganz ordentlicher Musiker. Seine Frau hat gerade eine EP veröffentlicht und ich dachte, das wird wohl gutes Zeug sein. Kurz reingehört und völlig genervt ausgemacht. Bei der Produktion wurden alle Register gezogen, aber die Frau ist einefach keine gute Sängerin und ihre Texte sind total nichtssagend. Da kann der Rest nicht drüber hinwegtäuschen. :nix:
Da fällt mir ein, dass ich in letzter Zeit noch so ne Produktion gehört hab. Hauptsächlich elektronisch gehalten und an sich so produziert, dass ich sagen würde: Der Produzent hat alles richtig gemacht. Außer der Sängerin zu sagen: "Mädel, deine Songs sind einfach nix, lass es bleiben."
 
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