Artikel: Portrait über Hans Thomann bei Zeit-Online

  • Ersteller Johannes Hofmann
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Wenn anderswo die Saiten teurer sind muss das nicht zu teuer sein. Es kann sogar sein dass dieser kleine Laden da weniger Gewinn mit macht als der große Internetversandhandel. Aber man muss dann für sich entscheiden ob einem das Drumherum so viel Geld wert ist. Mir ist es das nicht, aber mehr noch weil ich das Drumherum eher nervig finde.

"Saiten" ist ein gutes Thema um vielleicht ein bisschen die Problematik kleiner Händler zu erläutern. ich versuche das ohne Wertung, einfach nur als Anregung zum nachdenken...

Wenn man den Begriff Saiten bei Thomann eingibt, erhält man zZt 3122 Treffer. Selbst wenn man annimmt, dass 50% davon Saiten für Streichpsalter, Drehleiern, Fiedeln und Zithern sind, bleiben immer noch ~1500 Saitenprodukte für Gitarren und Bässe. Allein die Firma D'Addario hat ~400 verschiedene Produkte. Bei Ernie Ball sind es >600.

Alles in allem gibt es bestimmt 50 und mehr verschiedene Hersteller von Saiten.

Will nun ein Händler Saiten anbieten, dann muss er welche einkaufen. Damit er sie billiger einkaufen kann, als er sie verkaufen möchte, muss er entsprechende Mengen abnehmen. Und zwar von JEDER Firma! Bekommt nun ein Kunde von irgendwo (zB hier aus dem Forum) die Eingebung, es doch mal mit XYZ C-234 Saiten in den Stärken von XX-YY zu probieren, kann er die einfach bei Thomann bestellen. Er testet sie, stellt fest dass damit sein "Smoke on the Water" auch nicht authentisch klingt und probiert beim nächsten mal andere.

Marschiert er aber mit seinem Wunsch in den nächstgelegenen kleinen Laden, dann hat dieser oft ein Problem, weil er schlichtweg eine andere Marke in Mengen eingekauft hat und den Wunsch des Kunden nicht erfüllen kann.

Nun ja, was tut er? Er diskutiert mit dem Kunden und versucht diesem nah zu legen, doch einen anderen Satz zu kaufen. Selbst wenn der Kunde sich überreden lässt, entsteht der Nachteil eines evtl längeren Gespräches, das leicht mehr kosten kann, als die Saiten selbst. Noch schlimmer ist aber, dass der Händler damit die Verantwortung trägt, wenn nun trotz Beratung "Smoke on the Water" nicht authentisch klingt und trotz des Zeitaufwands bei dem Kunden das Gefühl entsteht, schlecht beraten worden zu sein.

So, und nun übertragt das Beispiel auf Kabel, Mikrofone, Amps, Gitarren... eben auf alles.
 
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Ich habe verstanden ! :) Dank an King - J (König Johannes ) und Big-M (der große Matthias) :D
 
In meiner Heimatstadt, Bremerhaven, hat vor einem Monat das Musikhaus Steiner geschlossen - das einzige Musikgeschäft der Stadt. Ein ganz konkretes Beispiel der Kehrseite der Medaille:

http://www.nordsee-zeitung.de/regio...und-Muegge-in-der-Insolvenz-_arid,658721.html

Natürlich liegt es auch daran, dass die Preise bei Thomann für viele Sachen billiger sind. Fakt bleibt allerdings, dass sich die Informationen und Vergleichsmöglichkeiten (nicht allein auf den Preis bezogen) für Konsumenten derart erweitert haben, dass sich das Verhältnis vom Kunden zum Händler drastisch gewandelt hat. Nicht zuletzt Foren wie das Musiker-Board haben daran einen guten Anteil. War früher der Händler "Experte" in seinem Sortiment, kennen heute Kunden den speziellen Teil des Marktes, der sie gerade interessiert, mitunter besser als der Händler vor Ort. Wenn ich mich ohnehin online informiere, welches USB-Audio-Interface am besten mit meiner Hardware harmoniert, ist es nur ein kleiner Schritt, es auch gleich online zu bestellen - mein Händler hat es höchstwahrscheinlich nicht vorrätig, und wenn ich es über ihn bestellen lasse, warte ich länger, zahle meist mehr, und habe keine Möglichkeit, es umzutauschen, falls es doch Probleme gibt. Wenn Thomann den Händler vor Ort verdrängt, liegt das also nicht nur an seiner Preispolitik.

Finanzberater oder Versicherungsmakler, die auf Provisionsbasis arbeiten, werden an mir keinen Euro verdienen, eben weil ich mich online besser informieren kann. Möchte ich dennoch in wichtigen Fragen kompetenten Rat, bin ich bereit, einen entsprechenden Fachmann zu konsultieren, und dafür ein angemessenes Honorar zu bezahlen. Vielleicht wäre dies auch ein Modell für den Fachhandel: Beratung und Ausprobieren gegen Honorar, dafür Preise und Geschäftsbedingungen wie im Versandhandel. Von denen, die kostenlos ausprobieren und online kaufen, und - machen wir uns nichts vor - auch von denen, die großzügig Picks und Saiten für 5 Euro vor Ort kaufen, aber die neue Gitarre online bestellen, kann niemand leben.

Am Ende übrig bleiben die, die wirklichen Mehrwert bieten (z.B. die Gitarrenbauer, bei denen man Beratung bekommt, wie man sie bei Thomann nicht findet, und deren Kunden deshalb bereit sind, bewusst mehr zu zahlen), und die ganz großen, die maximale Auswahl und niedrigste Preise bieten. Wer, wie Steiner, weder das eine noch das andere sein kann, bleibt auf der Strecke. Und auch wenn wir ihr Verschwinden laut bedauern, seien wir ehrlich: Was ist unser Verlust?

Vielleicht würde ich heute nicht Gitarre spielen, wenn mir meine Eltern vor über 20 Jahren nicht bei Steiner eine Blockflöte (Flauto von Moeck) gekauft hätten. Vielleicht kaufe ich meinen Kindern mal eine bei Thomann? Für 22,50 Euro, statt 26,50 Euro UVP. Und sie können sich vorher sogar Klangbeispiele anhören. Was ist unser Verlust?
 
James_Cooper
  • Gelöscht von klaatu

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