Ich hasse die Deutsche Bahn. Aus tiefstem Innern.
Es war nicht die Verspätung, die der ICE schon in Karlsruhe hatte. Die war noch human genug, um sich keine Sorgen um den Anschlusszug in Mannheim machen zu müssen. So an die 15 Minuten Pufferzeit plant man ja schon in weiser Voraussicht ein. Es war aber alles, was danach kam.
Zum Beispiel dass ausgerechnet mein reservierter Sitzplatz - wenn man an einem Sonntag Abend einmal die komplette zweistündige Fahrt von Karlsruhe nach Köln stehen musste, dann ist einem von da an ein Sitzplatz die 4 € für die Reservierung wert - sich im einzigen Abteil des Zuges befand, in dem die Klimaanlage ausgefallen war. Klasse. Dass um mich in meiner Vierersitzgruppe gleich zwei Leute ihre Laptops benutzen, deren Lüftungsschlitze anscheinend beide genau auf mich ausgerichtet sind, macht es auch nicht unbedingt besser. Oben im Himmel beginnen die Schicksalsgötter zu schmunzeln. Und so setze ich schon zu einer schnippischen Bemerkung an, als die Schaffnerin mir mitteilt, dass mir wegen der Situation ein Freigetränk im Speisewagen Bordbistro zusteht, die ich mir dann aber doch verkneife, als mir klar wird: dort funktioniert mit Sicherheit die Klimaanlage. Also auf zum Speisewagen Bordbistro. Mein eigenes blödes Timing fällt allerdings mit dem Halt am Mainzer Hauptbahnhof zusammen, so dass aufgrund ein- und aussteigender Passagiere mein Eintreffen dort mit etwa zehnminütiger Verspätung stattfindet.
Ich finde, dass ich mir inzwischen ein Bier verdient habe. Wenn ich gewusst hätte, was noch auf mich zukommt, hätte ich gefragt, ob der Freigetränkgutschein auch Wodka abdeckt. Aber wenigstens ist mein Plan aufgegangen - es ist kühl hier. Was meinen Aufenthalt im Bordbistro dann aber dennoch verkürzt, sind zwei pöbelnde Betrunkene. Ihrem Alkoholpegel nach zu urteilen, müssen die seit Tagen in nicht-klimatisierten Abteilen sitzen und Freigetränke dafür bekommen. Der Bordbistroober macht uns den Neumüller, allerdings den eierlosen aus den Mottoshows, leider nicht den rausschmeißenden aus den Castings. Schade, ich hätte gerne gesehen, wie die zwei bei voller Fahrt aus dem Zug geworfen werden. Mein Aggressionspotential steigt zusehends und wenn die beiden mir im späteren Verlauf der Reise nochmal begegnet wären, hätte ich das vielleicht selbst übernommen. Oder mir wäre was noch Fieseres eingefallen. Ob der Vakuumdruck auf den Zugtoiletten ausreicht, um ganze Menschen da durchzusaugen?
Jedenfalls beschließe ich, dass ich ein nicht-klimatisiertes Abteil der Gesellschaft besoffener Assis vorziehe und kehre zurück, wobei ich diesmal wohlweislich darauf achte, dass kein Bahnhof in der Nähe ist und so recht ungehindert zu meinem Platz zurückkomme. Kurz darauf hält der Zug. Allerdings ist immer noch kein Bahnhof in der Nähe. Die Schicksalsgötter winken inzwischen ihre Kameraden heran, die noch nicht bemerkt haben, was da unten gerade passiert und zeigen aufgeregt auf mich. Endlich mal wieder was los.
Wir stehen so etwa 20 Minuten, ohne dass etwas passiert. Ich fange ein Gespräch mit meinem Sitznachbarn über mögliche Gründe an: Er denkt, es gibt ein Problem mit der Elektrik. Ich bin inzwischen in einer Stimmung, die mich vielmehr glauben lässt, dass wir jemanden überfahren haben. Allerdings wird seine Theorie dadurch unterstützt, dass sein Laptop, der an eine der Steckdosen im Zug angeschlossen war, nicht mehr läuft, während meine lediglich meiner schlechten Laune entspringt. Kurz darauf geht der Strom wieder an und der Schaffner bestätigt, dass es ein Problem mit der Elektrik gab. Ich quittiere das rechthaberische Lächeln meines Sitznachbarn nicht weiter und tröste mich damit, dass die Elektrikgeschichte vielleicht nur eine Ausrede war, um niemanden zu beunruhigen.
Mit entsprechender Verspätung erreichen wir Köln, wo ich aber feststelle, dass auch der RE in Richtung Aachen verspätet ist und ich ihn noch kriege. Was aber nur ein Teilsieg ist, denn eigentlich hab ich Mordshunger, aber die Verspätung des RE ist gerade so bemessen, dass mir die Zeit nicht mehr reicht um etwas zu essen. Die Schicksalsgötter haben dieses Problem nicht, da haben sich inzwischen Pizza kommen lassen, während sie mir zusehen. Während ich am Bahnsteig warte, stelle ich mit einer Mischung aus Unbehagen und "war ja klar" fest, dass auf der Anzeigetafel Düren statt Aachen als Endstation angegeben ist. Also suche ich nach jemandem, dessen Kleidung darauf hinweist, dass er Ahnung von den Zugverbindungen haben sollte. Ich weiß zwar, dass das oft genug nicht so ist und die Bahn diese Kleidung vermutlich einfach irgendwelchen Obdachlosen, die auf den Bahnhöfen rumlungern, anzieht, damit diese nicht so auffallen, aber diesmal habe ich Glück und erhalte Auskunft: wegen Bauarbeiten auf der Strecke könne der Zug nicht durchfahren, in Düren warte aber ein Anschlusszug, der weiter nach Aachen fahre. Na dann. Aus irgendeinem Grund macht mir das Bauchweh und ich werde Recht behalten.
Kurz vor Düren wird durchgesagt, dass der Zug dort enden werde und wir doch bitte alle aussteigen sollen. Ich habe mich schon oft gefragt, ob es denn Leute gibt, die sich so wohl in den Zügen der DB fühlen, dass sie ohne Aufforderung den Zug nicht verlassen. Ich gehöre jedenfalls nicht zu denen. Etwas nervös macht mich der Zusatz des Schaffners, dass wir doch bitte auf die Durchsagen auf dem Bahnsteig achten sollen, um uns über eventuelle Anschlussmöglichkeiten zu informieren. Ab diesem Moment ist mir klar, dass offenbar kein Zug auf uns gewartet hat und das stellt sich als wahr heraus. Es ist mir zwar unbegreiflich, warum ein Zug, der nur dazu gedacht ist die Passagiere aus einem anderen Zug aufzunehmen, damit diese ihre Reiseziel erreichen, bei einer Verspätung nicht warten kann, aber offenbar ist dem so. Wer auch immer die Fahrplanlogistik bei der DB erstellt, wird sicher Gründe dafür haben, die meinen Verstand übersteigen. Oder die inzwischen vor Lachen am Boden liegenden Schicksalsgötter haben gut dafür bezahlt.
Nun stehen also ein paar hundert Menschen orientierungslos in Düren auf Bahnsteig 2. Keiner bewegt sich. Ich könnte mich auch inmitten einer Herde Schafe befinden. Aus diesem Grund benötige ich etwa zehn Minuten, bis ich mich bis zu einem der Obdachlosen in rot-blauer Kleidung durchgekämpft habe, der mich darüber informiert, dass wir auf den nächsten RE aus Köln warten müssen. Der fährt übrigens bis nach Aachen durch. Hätte ich das in Köln bereits gewusst, hätte ich die Wartezeit auch wunderbar dort verbringen können, mit der Möglichkeit mir etwas zu lesen zu kaufen oder, achja, was zu essen. Stattdessen stehe ich jetzt mit einer Herde Schafe in Düren und meine Beschäftigung besteht darin, mich in Selbstkontrolle zu üben, denn irgendetwas sagt mir, dass wenn ich den Bahnangestellten jetzt an Ort und Stelle umbringe, dass ich dann noch später daheim bin, als sowieso schon.
Etwa eine halbe Stunde später kommt der nächste RE. Da mir vollkommen bewusst ist, dass es kaum genügend Sitzplätze für sowohl die Passagiere, die sowieso schon darin sitzen, plus denen, die mit mir hier am Bahnsteig warten, geben wird, übe ich mich in "progressivem Einsteigen". Wenigstens das klappt. Ich hoffe, ich hab der alten Frau nicht allzu sehr wehgetan und dass es jetzt endlich reibungslos bis nach Aachen weitergeht, denn dann schaffe ich es vielleicht noch den letzten Bus in meine Richtung zu erwischen - und was zu essen zu holen. Doch wie auch immer der Deal zwischen den Schicksalsgöttern und dem Fahrplanpersonal geartet ist, er löscht meine letzten Hoffnungsschimmer zielstrebig aus. Denn aus irgendeinem Grund hält der RE jetzt nicht nur an den üblichen Haltestellen, sondern wirklich in jedem Kuhkaff. Darunter auch ein Ort namens Nothberg, dessen "Bahnhof" aus einem Kiesweg und einem Schild besteht, auf dem ebensogut Nothalt stehen könnte. Es gibt eigentlich einen anderen Regionalexpress, der diese Misthaufen "Dörfer" anfährt. Weder der, in dem ich ursprünglich saß, noch der, in dem ich jetzt sitze, sollte dies tun. Ergo: es gibt keinen logischen Grund dafür, dass der Schaffner trotzdem beschlossen hat, überall zu halten. Außer weiteren Spaß für meine Fans dort oben.
In einem Ort, der auf den aussagekräftigen Namen Eschweiler hört (ich finde solche Orte klingen schon so, als warte man dort noch auf die industrielle Revolution, sorry an alle Eschweilererer....er......er (?)), halten wir nochmal außerordentlich lange. Irgendwann wird durchgesagt, dass wir auf einen Notarzt warten. Ich überlege, ob ich den Schaffner aufsuchen soll um ihn zu bitten, den betroffenen Passagier einfach auf den Bahnsteig zu legen und dann weiterzufahren, der Rettungsdienst würde ihn dort ja sicherlich finden. Aber trotz meiner Gemütsverfassung hält eine lästige Hemmschwelle mich dann doch so lange zurück, bis der Notarzt eintrifft. Ich habe meine ganz persönlichen Gründe zu beklagen, wie lange der Krankenwagen gebraucht hat, auch wenn es vermutlich andere sind als die des Betroffenen.
Schließlich geht es weiter. Ich weiß, dass ich inzwischen keinen Bus mehr kriegen werde und der McDonalds am Aachener Bahnhof bereits geschlossen hat und meine Aggression geht langsam in Resignation über. Mein Sitznachbar erzählt mir eine Geschichte von einer Zugfahrt, bei der irgendwann durchgesagt wurde, dass man aufgrund der sowieso bereits erheblichen Verspätung gar nicht mehr bis zur Endstation weiterfahren würde. Ich glaube er meinte das tröstend, um mir klar zu machen, dass es immer noch schlimmer kommen kann. Ich empfand es in diesem Moment mehr als realistische Prognose und verbrachte den Rest der Fahrt damit, auf genau diese Durchsage zu warten.
Und als hätten die Jungs da oben nicht bereits genug zu lachen gehabt, habe für die letzte Panne des Tages dann auch noch ausgerechnet ich selbst gesorgt. Antizipierend, dass am Bahnhof keinesfalls genügend Taxis für die Passagiere aus gleich zwei Regionalzügen (quantitativ betrachtet, tatsächlich ist ja nur einer jemals in Aachen angekommen) warten würden, beeilte ich mich, als wir dann endlich ankamen, den Zug als einer der ersten zu verlassen (und das gewiss nicht wegen der erneuten, in meinen Ohren inzwischen geradezu höhnischen Aufforderung dazu) und eilte zum Taxistand, ergatterte eines, wollte bereits meinen Koffer einladen - als mir auffiel, dass ich in der Eile meinen Laptop im Zug vergessen hatte. Also überließ ich das Taxi jemand anderem - vielleicht der Frau, der ich zuvor den Sitzplatz weggeschnappt hatte, was wohl unter ausgleichende Gerechtigkeit fallen würde - und rannte zum Bahnsteig zurück. Das sind die Momente, in denen einem bewusst wird, wie scheiße die eigene Kondition ist, vor allem dann, wenn man noch einen Trolli mit sich herumträgt. Auf der anderen Seite bin ich vermutlich bessere Zeiten gerannt als jemals im Schulsport.
Der Zug stand noch da, aber die Türen öffneten nicht mehr. Also so schnell wie möglich vor zur Lok gerannt und mir dabei schon die Seele aus dem Leib geschrien, dass man bitte noch nicht losfahren möge (Aachen ist zwar die Endstation, aber der Zug muss ja noch ins Depot). Im Lauf habe ich dann wenigstens meinen Laptop schon im Zug erspähen können, wodurch ich wusste, dass niemand anderes ihn mitgenommen hatte. Der Schaffner hatte meine Rufe inzwischen gehört und sah irritiert aus dem Fenster der Lokführerkabine, wies mich dann an, mich zu beeilen und entriegelte die Türen. Sein Riesenglück war, dass ich in diesem Moment derart abgehetzt war, dass ich mit keinem Gedanken daran dachte, dass ich gerade den Mann vor mir hatte, der auf der Strecke zwischen Düren und Aachen gefühlte 30 unnötige Stops eingelegt hat, sonst wäre die Situation vielleicht anders ausgegangen, als dass ich mich einfach nur umdrehte und wieder zurückspurtete. Ich weiß nicht ob ich erwähnt hatte, dass das Abteil mit meinem Laptop und die Lok quasi maximal weit voneinander entfernt waren, mir fiel es jedenfalls auch erst so richtig auf, als ich dann wieder zurückrannte. Kennt ihr diesen Geschmack nach Eisen und Blut, wenn man sich körperlich absolut verausgabt hat? Den hatte ich nach dieser Aktion so an die zwei Stunden im Mund.
Als ich dann mit Laptop zum Taxistand zurückkehrte, waren natürlich keine Taxen mehr da. Aber zu dem Zeitpunkt war ich jenseits von gut und böse und ich glaube die Schicksalsgötter waren inzwischen auch müde und wollten ins Bett und so spannend war es dann sicher auch nicht mehr mir noch 20 Minuten zuzusehen, bis wieder eines kam, das mich dann schlussendlich heim brachte, wo ich mir noch kurz überlegte, meine Bahncard 50 in viele kleine Stücke zu schneiden. Dafür war ich dann aber schon zu müde.
Fazit: das nächste Mal fahre ich wieder mit dem Auto.