Rock & Jazz Harmony, Aufgabe Seite 117 V7/sus4-Akkorde

Eigentlich müssten doch beide "dominant chord" heißen?
In der Jazztheorie liegen Stufenakkorde als Vierklänge vor, der Dominantseptakkord ist damit immanent.
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Im englischsprachigen Wikipedia ergibt sich über die Artikel zu den Stichworten auch die Terminologie.
Zitat Mulholland/Hojnacki, p. viii (introduction - chord types and chord symbol nomenclature):
"dominant seventh chord - a major triad with an additional note a minor eventh above the root, C7: 1 3 5 b7."

Aktuell verfügbare Quellen mit hoher Verbreitung sind neben Frank Sikora, Neue Jazz-Harmonielehre auch Veröffentlichungen aus dem Kreis des Berklee College. Barrie Nettles war in den 1970ern Autor der ersten "kompletten" Veröffentlichung zur Akkordskalentheorie. Richard Graf studierte u.a. bei Diether de la Motte und kurze Zeit am Berklee College, er ist Prof. in Wien.
Richard Graf, Barrie Nettles - The Chord Scale Theory & Jazz Harmony
Ihre Veröffentlichung von 1997 liegt auch auf Deutsch vor:
Richard Graf, Barrie Nettles - Die Akkord-Skalen-Theorie und Jazz-Harmonik
Joe Mulholland und Tom lehren bis heute Musiktheorie am Berklee College, ihr Buch erschien 2013.
Joe Mulholland, Tom Hojnacki - The Berklee Book of Jazz Harmony

Gruß Claus
 
Grund: Nachtrag dominant chord
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In der Jazztheorie liegen Stufenakkorde als Vierklänge vor, der Dominantseptakkord ist damit immanent.
Das ist natürlich richtig. Danke für die Literatur, bin immer wieder beeindruckt, was Du alles kennst.

Wenn die Jazztheorie keine Dreiklänge kennt, müsste es ja wahrscheinlich in der klassischen Harmonielehre eine entsprechende Bezeichnung geben.
Zumindest Wikipedia benutzt die Begriffe auch so (wobei mir natürlich klar ist, dass Wiki nicht der Weisheit letzter Schluss ist)
" Dominant chords ... the dominant chord is followed by the tonic chord ... These chords may also appear as seventh chords: typically as a dominant seventh chord"

Danach wäre bei der Übersetzung ein "dominant chord" die funktionelle Bezeichnung Dominant-Akkord und ein "dominant seventh chord" ein (Dur-)Septakkord unabhängig von der Funktion.
 
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Wenn die Jazztheorie keine Dreiklänge kennt, müsste es ja wahrscheinlich in der klassischen Harmonielehre eine entsprechende Bezeichnung geben.
Natürlich sind auch Dreiklänge (Triads) bekannt, Ausgangspunkt der Jazztheorie sind jedoch die Stufenakkorde der Stammtonleiter als Vierklänge.

Nachdem Diether de la Motte "funktionsfreie Dominantseptakkorde" vor bald 50 Jahren als solche bereits im Werk von Schumann gefunden und benannt hat, ist der Sachverhalt musiktheoretisch eindeutig beschrieben.
Im Jazz sehe ich für dein Anliegen ebenfalls kein Problembewusstsein. Eine Unterscheidung von "dominant chord" gegenüber "dominant" bzw. "dominant seventh chord" ist mir nie aufgefallen, schon eher synonymer Sprachgebrauch.

Zur Illustration ein Zitat von Emily Remler aus einem Lehrvideo von vor gut 35 Jahren: "There are two different types of dominant chords in the world. Type I is the type that does not resolve down a fifth. That's simply - it just doesn't resolve down a fifth.
For instance in "Girl from Ipanema": the two chord [plays: Fmaj7 / / / | Fmaj7 / / / | G13 / / / | G13 / G7b13 G7 | Gm9 ./. ].
It doesn't resolve from G7 to C, it goes some place else. Or Killer Joe [plays: C13 ./. | Bb13 ./. | C13 ./. | Bb13 ./. |.
All the dominants that don't resolve down a fifth, that's simply, they belong to this category."
Emily Remler - Advanced Jazz and Latin Improvisation, Zitat ab ca. 18:00 min.

Gruß Claus
 
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Vorausgestellt sei nochmal, dass mir vollkommen klar ist, dass die Thematik "Benennung des Dominantseptakkords ohne Dominantfunktion" musikpraktisch keine Relevanz hat.

Nachdem Diether de la Motte "funktionsfreie Dominantseptakkorde" vor bald 50 Jahren als solche bereits im Werk von Schumann gefunden und benannt hat, ist der Sachverhalt musiktheoretisch eindeutig beschrieben.
Gefunden haben sie ganz sicher zahllose Komponisten und Interpreten vor ihm, ich glaube, wir würden Brahms und Co. Unrecht tun, wenn wir ihnen unterstellen, das nicht bemerkt zu haben.

Auch Diether de la Motte ist ja offensichtlich das Problem aufgefallen, dass der Dur-Septakkord allgemein als "Dominantseptakkord" bezeichnet wurde, es aber ab Schumann eben manchmal kein Dominantakkord mehr ist. In der Wissenschaft muss man in solchen Momenten entscheiden, ob man bei dem nicht ganz korrekten Begriff bleibt oder es anders beschreibt. Er hat sich dann dafür entschieden, die Funktionsbezeichnung "Dominante" zu belassen und "ohne Dominantfunktion" davorzuschreiben. Ganz sicher hatte er seine Gründe dafür.

Aus praktischer Sicht geht das wie gesagt auch völlig in Ordnung. Es ist halt keine exakte Beschreibung und auch keine sprachliche schöne. Ein Dominantakkord ohne Dominantfunktion klingt für mich halt wie eine Gewindestange ohne Gewinde, sprachlich unschön, und es gäbe einen einfacheren und zutreffenden Begriff. Aber das ist ja bei vielen Dingen so, die einen eingeführten Namen haben, der inzwischen nicht mehr für alle Fälle zutrifft.

Dass ein Schraubenzieher keine Schrauben zieht und ein Zollstock bei uns keine Zollmarkierung hat, ändert ja auch nichts an der eingeführten Bezeichnung, und jeder weiß, was gemeint ist.
Analog zur obigen Bezeichnung wäre das vielleicht ein "Zollstock mit Zentimetermarkierung" oder ein "Schraubenzieher mit Drehfunktion", ein "Tempotaschentuch nicht von Tempo" ... ;) .

Was mir auch noch in den Sinn kommt, ist Tucholskys berühmter Spruch
“Laß dir von keinem Fachmann imponieren, der dir erzählt: „Lieber Freund, das mache ich schon seit zwanzig Jahren so!“—Man kann eine Sache auch zwanzig Jahre lang falsch machen.”
Aber wir wissen ja, dass es hier kein falsch und richtig gibt, also trifft der hier selbstverständlich nicht den Kern der Sache.

"There are two different types of dominant chords in the world. Type I is the type that does not resolve down a fifth.
All the dominants that don't resolve down a fifth, that's simply, they belong to this category."
Ich nehme an, Type II ist dann "it resolves down a fifth"?

Diese etwas hemdsärmlige Einteilung ist ja aber ganz anders gedacht.
Sie versucht es eher nach der Funktion einzuteilen - also wie der Akkord sich auflöst. Ein Akkord an sich ließe sich danach gar nicht in Type I oder Type II einteilen, weil Du nicht weißt, ob der Bass sich eine Quinte nach unten auflöst oder nicht.
Allerdings teilt sie damit Trugschluss und Tritonussubstitution - die ja eine Dominantwirkung haben - gemeinsam mit den nicht funktionellen Durseptakkorden in Type I ein.
 
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44 Beiträge später wird mir langsam klar, warum ich 35 Jahre so große Schwierigkeiten mit Musiktheorie hatte. Vermutlich im Versuch es für mich einfacher zu machen, wurde da gerne behauptet, wie unfassbar logisch und einfach das doch sei und ich kriege jetzt mit, dass es im Gegenteil teilweise konfus historisch gewachsen und praktisch ist. Kein Wunder, dass man da im Versuch "das System" zu verstehen
immer wieder gegen Wände läuft. Wird aber insgesamt einfacher (und auch ein wenig sympathischer) wenn man sich darauf einlässt!
 
Ist halt keine Mathematik das Ganze, sondern der Versuch, etwas zu systematisieren, was schon da war.

Das Schöne daran ist, dass man Musik auch genießen kann, wenn man die Theorie beiseite lässt.
Mit Theorie kommen dann gewisse Ebenen des Verständnisses dazu, die analytisch veranlagten Leuten zusätzliche Freude machen können, aber für den eigentlichen Musikgenuss nicht unbedingt notwendig sind.

Einen Hilbertraum zu genießen, ohne ihn zu verstehen, ist dagegen deutlich schwieriger.
 
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Gefunden haben sie ganz sicher zahllose Komponisten und Interpreten vor ihm,...
Und Du könntest uns bestimmt ganz viele Beispiele nennen, wenn dir auch nur eines einfiele. :D

Brahms war gerade mal 7 Jahre alt, als Schumman den Kerner-Zyklus 1840 schrieb, die persönliche Bekannstschaft erfolgte ab 1953, nur 3 Jahre vor Schumanns Tod.

Unbedeutend finde ich die Abfolge funktionsfreier Dominanseptakkorde bei Schumann nicht. Es ist die bislang älteste nachgewiesene Stelle, Schumann folgt mutig dem Klang statt Konventionen. Nicht zufällig verweist de la Motte dabei auf Debussy, der erst Jahrzehnte später lebte.

Diese etwas hemdsärmlige Einteilung ist ja aber ganz anders gedacht.
Zum Eindruck "hemdsärmelig" gebe ich dir recht, zum Grund siehe unten. In den Videos klingt an, dass sie - wie die meisten Jazzer vor der umfassenden Akademisierung - nur soweit an Theorie interessiert war, wie das für ihr Spielen von praktischer Bedeutung war.
Für Dominantseptakkorde interessiert Remler, ob sie sich im Quintfall auflösen oder nicht, weil es das Material ihrer Skalenwahl vorgibt.
Sie lehrt für Dominantseptakkorde ohne Auflösung als Tonleiter zur Improvisation melodisch Moll eine Quinte höher, bezogen auf den Grundton G ergibt das "lydian dominant":
G7 -> D E F G A B C# D, abwärts ebenfalls mit Leitton
Dominantseptakkorde ohne Auflösung spielt sie alteriert bzw. in ihrer Sprache ebenfalls melodisch Moll, einen Halbton über dem Grundton der Dominante:
G7b13 -> Ab Bb Cb Db Eb F G Ab

Gruß Claus
 
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44 Beiträge später wird mir langsam klar, warum ich 35 Jahre so große Schwierigkeiten mit Musiktheorie hatte.
Wenn die Zahl der Diskussionsbeiträge im Musiker-Board die Komplexität des Themas anzeigt, dürfte das Spiel der E-Gitarre zu den unerklärlichsten und misteriösesten Vorgängen im Universum zählen. Dagegen wäre Musiktheorie dann eine selbstverständliche Lapalie.
 
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Und Du könntest uns bestimmt ganz viele Beispiele nennen, wenn dir auch nur eines einfiele. :D
Da ich nicht in die Gedanken anderer Menschen hineinschauen kann, erübrigt sich das ;)
Aber Du denkst wirklich, Diether de la Motte ist der erste Mensch in ca 200 Jahren, dem aufgefallen ist, dass Schumann hier Septakkorde ohne Dominantfunktion benutzt?
Brahms war gerade mal 7 Jahre alt, als Schumman den Kerner-Zyklus 1840 schrieb, die persönliche Bekannstschaft erfolgte ab 1953, nur 3 Jahre vor Schumanns Tod.
Eine persönliche Bekanntschaft braucht es ganz sicher nicht, es hätte gereicht, wenn er den Kerner-Zyklus gekannt hätte. Und ich würde Brahms zutrauen, dass ihm auffällt, wenn etwas vorher nicht dagewesenes in einem Stück vorkommt. Wissen können das weder Du noch ich.

Für die Benennung des Akkords ist der Zeitpunkt nebensächlich, daher ist meine Motivation bei der Suche nach eventuellen weiteren Quellen auch nicht groß.

Unbedeutend finde ich die Abfolge funktionsfreier Dominanseptakkorde bei Schumann nicht.
Hat auch niemand behauptet. Es ist schon sehr cool und innovativ, dass er den Klang des Durseptakkords "an sich" nutzt und die Akkorde so nebeneinandersetzt. Ist durchaus interessant, ich hätte aus der kalten vermutet, dass in irgendeinem Bach-Rezitativ vielleicht mal ein Septakkord vorkommt, der keine Dominantfunktion hat. Da sind die Akkorde (häufig Sekundakkorde) ja auch oft so nebeneinandergesetzt. Natürlich nicht so wie bei Schumann. Und kann auch sein, dass die sich bei Bach doch immer regulär auflösen.

EDIT: Ich habe gerade nochmal in der deutschen Wikipedia gelesen. Dort wird der Begriff "Dominantseptakkord" so verwendet, wie ich ihn mal gelernt habe und verstehe ... "Der Dominantseptakkord (Sigel: D7) ist ein auf der Dominante, also der fünften Stufe einer diatonischen Tonleiter, gebildeter Septakkord." Es wird klar zwischen dem funktionslosen [Dur-]"Septakkord" und dem Dominant-Septakkord unterschieden. - Die englische Wikipedia schreibt dagegen " In most cases, dominant seventh chord are built on the fifth degree of the major scale.", lässt also die Möglichkeit für andere Stufen offen.

Vielleicht gibt es ja doch einen Begriffsunterschied zwischen dem englischen und dem deutschen Sprachraum? Oder verschiedene "Schulen"?
 
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Aber Du denkst wirklich, Diether de la Motte ist der erste Mensch in ca 200 Jahren, dem aufgefallen ist...
Das wäre unwahrscheinlich, allerdings waren es ca. 135 Jahre zwischen beiden Veröffentlichungen (Schumann 1841, de la Motte 1976).
Wesentlich finde ich die von Schumann bewirkte Emanizipation des Klanges, den de la Mottes Analyse als "funktionsfreie Dominantseptakkorde" im eigenen Kapitel einer (fortgeschrittenen) Harmonielehre feststellt.

Weiß jemand, ob sich Hugo Riemann mit der Stelle in Schumann op. 35, 6 beschäftigt hat?

Gruß Claus
 
Ganzton-Dominanten, ..., ohne Dominantfunktion
Und warum sagt man dazu nicht einfach "Septakkorde / Nonenakkorde/..."? Eine Funktionsharmonik haben wir hier doch nicht.
Warum die Funktionsbezeichnung, um sie dann wieder zurückzunehmen? .... ich versteh's einfach nicht ;)

Für mich klingt das immer noch, als würde man einen Reisebus als Flugzeug ohne Flugfunktion bezeichnen.
 
Es ist manchmal eben keine Funktionsbezeichnung, sondern der Name des Akkords, der sich tapfer gehalten hat.
So etwas kommt vor, hast Du dir z.B. schon 'mal ein Lead Sheet zum Gaisburger Marsch genauer angesehen? :D
Lead Sheet
Performance eines Arrangements

Gruß Claus
 
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Es ist manchmal eben keine Funktionsbezeichnung, sondern der Name des Akkords, der sich tapfer gehalten hat.
Was es ist bzw nicht ist, hatten wir ja inzwischen x mal. ;)
Warum war die Frage ... ich dachte halt immer, Musikwissenschaft hat einen anderen Anspruch als alles kleingeschnippelt, dreimal durchgerührt, gekocht und ab auf den Teller ;)
 

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