Mich ärgert dieser totalitäre Anspruch, mit dem sich die gleichstufige Stimmung überall durchgesetzt hat.
Eine Nummer kleiner ging es wohl nicht? Nachher kommen noch irgendwelche querdenkende um die Ecke und tischen eine neue Verschwörungstheorie auf über irgendwelche gleichmacherischen gleichstufig-gleischschwebenden Musik-Echsen-Wesen oder so ...
Im Ernst, es wurde hier ja recht ausführlich und mit vielen sachlichen Argumenten untermauert erklärt, wie es historisch dazu kam, dass sich die gleichstufige Temperatur schließlich durchgesetzt hat. Es handelt sich schlicht um eine der in der Geschichte so oft zu findenden komplexen und verknüpften Entwicklungen, wo sich die Harmonik, die sich zum Dur-Moll-System ausdifferenzierte mit parallelen Entwicklungen im Instrumentenbau und nicht zuletzt tiefgreifenden Wandlungen des musikalischen Geschmacks und des Stils verband. Im Zuge dieser neuen Strömungen empfand man die mitteltönige Stimmung als unzureichend, denn sie engte vor allem die Harmonik ein, die auf dem Weg war, den kompletten Quintenzirkel uneingeschränkt zu erobern. Fortschritte im Instrumentenbau, hier vor allem bei den Holzbläsern, verbesserte durch die Hinzufügung von immer mehr Klappen bei deren Mechanik zunehmend die Klangqualität der alterierten Töne, so dass diese auch immer besser in der Lage waren, vollständig und vor allem sauber chromatisch gespielt zu werden.
Es war auch keineswegs so, dass die frühen die frühen Zeitgenossen die Gleichstufigkeit als unangenehm oder gar unmusikalisch empfanden, wie das folgende Zitat aus dem Wikipaedia-Artikel zur gleichstufigen Stimmung beweist:
„Wir schreiten weiter / und wißen / wenn die Temperatur also eingerichtet wird / daß alle Quinten 1/12 Commat: die Tert:maj: 2/3 die min: 3/4 Comm. schweben, und ein accurates Ohr dieselbe auch zum Stande zubringen / und zu stimmen weiß / so dann gewiß eine wohltemperirte Harmonia, durch den gantzen Circul und durch alle Clavis sich finden wird. Welches dann ein Vorbild seyn kan / wie alle fromme / und wohl temperirte Menschen mit GOtt in stetswährender gleicher / und ewiger Harmonia leben und jubiliren werden“
– Andreas Werckmeister: Musicalische Paradoxal-Discourse, 1707
In diesem Zitat werden weitere Unterstützer dieser Stimmung genannt:
"Es mehrten sich aber die Befürworter der gleichstufigen Stimmung, zu denen z. B. Johann Georg Neidhardt, Friedrich Wilhelm Marpurg und Jean-Philippe Rameau gehörten."
Alles in allem eine ganz normale Art der Entwicklung, des Fortschreitens wie sie der Geschichte an sich einfach eigen ist. Von "totalitären Ansprüchen" kann ich weit und breit nichts erkennen.
Die Kirchen sind gebaut worden, damit die Menschen zusammen kommen und gemeinsam singen. Dafür bieten sie den perfekten Hallraum.
Die Kirchen waren und sind die "Häuser Gottes", sie dienten und dienen vornehmlich dem Gottesdienst. In diesen wurde und wird freilich gerne gesungen, ist doch das Singen die Steigerung des gesprochenen Wortes und damit auch des Gebets.
Aber explizit als Sing-Treff bzw. per se zum Singen wurden die Kirchen definitiv nicht gebaut. So große und weitgehend leere Räume haben natürlicherweise viel Hall, und den Mönchen wird das sicher gut gefallen haben. Geht mir ja auch nicht anders, wenn ich in solchen Kirchen mit viel Nachhall spiele, ich finde das auch toll.
Aber wegen mir wurde diese Kirchen gewiss nicht so gebaut
.
Und die ursprüngliche Aufgabe von Kirchenorgeln war es, dafür die perfekte Begleitung zu liefern. Deswegen waren Kirchenorgeln viele Jahrhunderte bis in die Neuzeit mitteltönig gestimmt.
Damit gehst du aber sehr weit in die Frühgeschichte der Kirchenorgeln zurück, auf denen ursprünglich wohl nicht viel mehr als bordunartige Liegetöne gespielt wurde. Wahrscheinlich wurden viele der ganz frühen Orgeln auch pythagoräisch gestimmt.
Es sollte dir aber nicht entgangen sein, dass sich die Orgelmusik im Laufe der Zeit immer mehr von dieser ursprünglichen Aufgabe emanzipiert und sich eine ganz eigenständige rein instrumentale - und sehr reichhaltige! - Orgelliteratur entwickelt hat.
Deine Äußerungen lesen sich so, als ob du den Gebrauch der Kirchenorgeln auf diese deiner Meinung nach "ursprüngliche" Funktion zurück bringen willst. Wofür du dann die mitteltönige Stimmung als ideal betrachtest, worauf man aber eigentlich nur kommen kann, wenn man die Historie nur sehr verkürzend und oberflächlich betrachtest.
Spreche doch mal Kantoren und Organisten an und erzähle ihnen von deinen Ideen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass du auch nur einen einzigen treffen wirst, der sich dafür erwärmen wird. Die meisten zeigen dir wohl eher einen Vogel. Immerhin würde die Umsetzung deiner Ideen sie eines großen Teils ihres Repertoires berauben, wenn nicht sogar sie weitgehend überflüssig machen.
Musik kann alles Mögliche sein, auch ein Glasperlenspiel für Intellektuelle oder eine Rennbahn für Flitzepiepen.
Ich bin der Letzte, der einem mechanischen Virtuosen-Geplänkel das Wort reden würde, es gibt in der Tat reichlich hohles und langweiliges Gedudel.
Aber zum einen gibt es auch virtuose Vokalmusik wie es überhaupt auch sehr gute und tolle Musik gibt, die auch ein hohes Maß an Virtuosität verlangt (beispielsweise
"Gaspard de la Nuit" von Maurice Ravel), und zum anderen ging es um die zusätzliche Komplexität geteilter Obertasten bei Klaviaturen, deren Anforderungen an die Motorik möglicherweise jede sinnvolle Grenze überschreitet, und das sicher schon bei Stücken, die ansonsten noch lange nicht als virtuos eingestuft würden.
Diese deine Äußerung empfinde ich jedenfalls als despektierlich und herabsetzend, und dein Insistieren hat für mich schon etwas sektiererisches.