Kirchentonleitern: Frage für wirklich tief Denkende

Und jetzt ergibt sich wie durch Zauberhand der Umstand, daß just diese C-Dur-Tonleiter durch Permutation all diese Kirchentonleitern enthält. Und keine weitere mehr.
der nerd in mir besteht darauf: es geht nicht um permutationen, sondern kombinationen.
 
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die Kirchentonleitern, die - ganz ursprünglich und jede für sich gesehen gesehen - ja miteinander überhaupt nichts zu tun haben (?)

Ein wenig schon. Bei den alten Griechen überlappen sich die alten Modi auch genau um jeweils einen Ton. Die untersten vier Töne der dorischen Leiter sind die jeweils tiefsten Töne der vier Modi, also alle Finalis-Töne liegen direkt übereinander. Da hat sich gar nicht viel verändert.
Dieser Zusammenhang ist also schon ziemlich alt. Es kamen später nur noch ein paar Modi dazu.
 
ja miteinander überhaupt nichts zu tun haben (?).
Aber das haben sie doch, da du sie ja "ineinander umrechnen" kannst. Hätten sie nichts miteinander zu tun, würde das nicht gehen. Über ihren Tonvorrat sind sie miteinander verknüpft.

Aber ich denk mal, deine Frage zielt darauf ab, ob dieser Zusammenhang bereits bei der Erfindung der Krichentonarten vorgesehen war oder ob es sich später einfach so herausgestellt hat, dass dieser Zusammenhang exitsiert. Aber würde mich wundern, wenn es dazu historisch belegte Aussagen gibt.
Ich würde vermuten, dass das ähnlich wie bei der gleichstufigen Stimmung gelaufen ist. Da wurde ja auch küntlich ein Zusammenhang zwischen Intervallen hergestellt, damit das System weniger komplex und einfacher in der Anwendung wird.

der nerd in mir besteht darauf: es geht nicht um permutationen, sondern kombinationen.
Bist du sicher? Ich hätte gesagt, es ist handelt sich um einen Spezialfall der Permutation, nämlich der Zyklischen Permutation.
 
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ah, moment, ich hab nur an Tonleitern gedacht, also mit einer Reihenfolge.
Musik an sich spielt man natürlich nicht nur rauf und runter, sondern eben in einer nicht festgelegten Reihenfolge, da hast du recht.
 
Jetzt bin ich komplett verwirrt :D Ich hab auch an Tonleitern gedacht. Aber es ist doch so, dass bei der Permutation die Reihenfolge wichtig ist, während das bei der Kombination nicht zwangsläufig so sein muss?
Wenn man keine Tonleitern betrachtet, hättest du mit Kombination doch wieder Recht.
 
Ist diese Verbindung zwischen Dur-Tonleiter und Kirchentonleitern, wonach jede Dur-Tonleiter gleichzeitig das Tonrecervoir für jene Kirchentonleitern ist, die als Grundton einen der Dur-Tonleitertöne haben, und dass sich alles so scön ausgeht, ist diese Verbindung eigentlich zufällig, oder liegt dem irgendeine Systematik oder innere Logik zugrunde (die ich allerdings noch nicht durchblickt habe) ?
Aber die Verbindung zur Dur-Tonleiter ist eine rein moderne. Ionisch (=Dur) spielte im ursprünglichen System der "Kirchentonleitern" keine Rolle. Ionisch und Äolisch (=natürlich-Moll) kamen erst viel später dazu, die erste Erwähnung wird Glareanus 1547 zugeschrieben.
Im den alten Schriften wird Dorisch als "1. Ton" bezeichnet [Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Kirchentonart]:

Westkirchlicher NameOstkirchlicher Name
(gregorianischer Name[14])
FinalisRepercussa
(Ténor)
Tiefster Ton
1. Modus: DorischErster Ton (Protus authenticus)dad
2. Modus: HypodorischZweiter Ton (Protus plagalis)dfA
3. Modus: PhrygischDritter Ton (Deuterus authenticus)e(h) ce
4. Modus: HypophrygischVierter Ton (Deuterus plagalis)e(g) aH
5. Modus: LydischFünfter Ton (Tritus authenticus)fcf
6. Modus: HypolydischSechster Ton (Tritus plagalis)fac
7. Modus: MixolydischSiebter Ton (Tetrardus authenticus)gdg
8. Modus: HypomixolydischAchter Ton (Tetrardus plagalis)gcd
Wobei interessant ist, dass die Zählung nicht den Stufentönen etwa von Dorisch folgt.

In den alten Notationen mit 4 Linien und dem "C" als Schlüssel, der die Lage der "C" anzeigt (wie es die mitlaufenden Noten beim "Graduale Project" zeigen), lässt sich eine gegebene Melodie im Übrigen ganz leicht in einen anderen Modus transponieren, einfach, indem der C-Schlüssel verschoben wird.
Auf diese Weise werden nicht zwingend die Tonhöhen verschoben, aber der Bezugston, wodurch sich die Intervallstruktur ändert und damit der Modus.
Wenn man es ganz vereinfacht sehen möchte, nutzte man schon damals die "Verschiebungs-Eselsbrücke". Da jedoch die Tonhöhe nicht absolut fest lag, konnte man letztlich jeden Modus von jedem beliebigen Grundton aus anstimmen.

Die Theorie lief also seit jeher der musikalischen Realität hinterher.
Soweit ich einen Überblick über musiktheoretische Schriften quer über die Musikgeschichte habe, war das immer so und konnte auch nicht anders sein, da sich alle Theoretiker stets auf die ihnen vorliegende Musik bezogen und im jeweilig bekannten historischen Kontext auch auf frühere historische Musik.
Aber keine dieser Schriften war dazu gedacht, etwas neues zu erfinden in der Musiktheorie, bzw. neu war allenfalls schon mal eine Nomenklatur, weil jemand Dingen erstmals einen Namen gab (wie z.B. J.P. Rameau, der u.a. den Begriff der "Dominante" und er "Sixte ajouté" einführte).

Ich habe viel über die Entstehung unserer europäischen Mehrstimmigkeit im Mittelalter gelesen und in einem Buch gab einen längeren Absatz mit ziemlich genauen Regeln, die mit reinen Quinten zu tun hatten, die ja in sich niemals sauber aufgehen.
In der a capella Vokalmusik gehen sich die Quinten insofern sauber auf, da sehr gute Sänger sie ja immer sauber aussingen können.
Als ich zum ersten mal das Deller Consort live hörte, die genau das können (bzw. konnten, das Ensemble gibt es ja nicht mehr), war das für mich ein verblüffendes Aha-Erlebnis.

Eine ähnliche Frage wäre für mich: Ist es Zufall, dass das Frequenzverhältnis zwischen A und C das selbe ist, wie zwischen E und G? Nein, der Mensch hat das einfach so festgelegt, weil's praktisch ist.
Nein, das ist kein Zufall. A-C und E-G sind kleine Terzen. In der Obertonfolge sind das die 5. und 6. Harmonische mit dem festen Frequenzverhältnis 5:6 (als reines Intervall). Das Verhältnis bleibt so, egal von welchem Ton aus ich diese kleine Terz bilde, es bleibt damit auch ihr Klangcharakter gleich.
E-G sind die 5. und 6. Harmonische von der 1. Harmonischen C, A-C entsprechend von der 1. Harmonischen F. That´s all.

Ein Klavier wurde einfach so gebaut, dass man am Einfachsten in C-Dur spielen kann.
Ich kenne nicht wenige Pianisten, die das anders sehen. Motorisch ist C-Dur an Tasteninstrumenten nicht unbedingt am einfachsten zu spielen.

Auf der einen Seite steht die C-Dur-Tonleiter, die für alle möglichen harmonischen Überlegungen zur Veranschaulichung als quasi Ausgangspunkt benützt wird. Wahrscheinlich, weil sie keine Vorzeichen (aka "schwarze Tasten") hat.
Siehe oben. Von C-Dur auszugehen ist historisch nicht korrekt. Wir heutigen tun das, weil wir von C-Dur als Stammtonreihe ausgehen und schon lange die "Claviere" danach ausgelegt wurden.
Als sich die alten Modi entwickelt haben und in Gebrauch kamen, gab es noch keine Tasteninstrumente. Und wo keine Tasten, auch keine schwarzen Tasten.
 
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Von C-Dur auszugehen ist historisch nicht korrekt.
Na gut, dann formuliere ich es eben wieder zurück, und greife auf das zurück, was ich schon in Post #1 geschrieben habe:
Ist diese Verbindung zwischen Dur-Tonleiter und Kirchentonleitern, wonach jede Dur-Tonleiter gleichzeitig das Tonrecervoir für jene Kirchentonleitern ist, die als Grundton einen der Dur-Tonleitertöne haben, und dass sich alles so scön ausgeht, ist diese Verbindung eigentlich zufällig, oder liegt dem irgendeine Systematik oder innere Logik zugrunde (die ich allerdings noch nicht durchblickt habe) ?
Das macht aber (für mich) keinen Unterschied.

LG
Thomas
 
Wenn ich eine diatonisch-heptatonische Skala als Ausgangspunkt nehme, und dann sukzessive den ersten Ton unten weg nehme und den dann oben wieder anfüge [Beispiel: Dorisch D-C -> E-D -> F-E usw.], dann ist genau das die Systematik. Alle diese Skalen werden dieselben Töne, dasselbe "Tonreservoir" haben, aber wegen der unterschiedlichen Lage ihrer Halbtonschritte individuell klingen.
Das System funktioniert immer gleich, egal von welcher diatonisch-heptatonischen Skala du startest., sei es Dorisch, Phrygisch ... oder eben Ionisch/Dur.
Historisch hat damals Dorisch "gewonnen" und wurde irgendwann als "1. Ton" gelistet.
Einen genauen statistischen Überblick habe ich leider nicht, meine aber, dass die überwiegende Zahl der Melodien im "Graduale" in Dorisch sind. War scheinbar klanglich am attraktivsten und es ließen sich wohl leichter Melodien in Dorisch (er)finden.
 
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Na, ich probiere auch nochmal einen Wurf:

Ich gehe von der Überlegung aus, daß ich Tonleitern mit 7 Tönen bilden möchte, die sich nicht aus der Durtonleiter durch Permutation bilden lassen. Ich gebe mir dabei die Vorgabe, daß die Tonleitern keinen Hiatus (übermäßiger Sekundschritt) und keine zwei Halbtonschritte hintereinander haben sollen.

Jetzt habe ich herumexperimentiert und komme zu dem Ergebnis: Es gibt welche, z.B.:

1708123768584.png

Jetzt ist aber unschwer festzustellen, daß diese Tonleiter der 3. Modus der melodischen A-Moll-Tonleiter ist. Sobald ich jetzt noch irgendeinen weiteren Ton (oder mehrere) alteriere, habe ich entweder einen Modus der Durtonleiter, oder einen anderen Modus der melodischen Molltonleiter, oder einen Hiatus oder zwei Halbtonschritte nacheinander.

Daraus folgt: Unter der mir selbst gestellten Bedingung gibt es ausschließlich Tonleitern, die automatisch(!) entweder ein Modus der Durtonleiter oder ein Modus der melodischen Molltonleiter sind. Andere Tonleitern kann man in unserem Tonsystem unter dieser Voraussetzung nicht bilden. Es gibt nur diese beiden Systeme!

Zwischen zwei Halbtonschritten liegt entweder ein Ganztonschritt (≙ melodisch Moll), oder es liegen zwei Ganztonschritte (≙ Dur) dazwischen. Alles andere geht nicht oder ist komplementär dazu.

Wenn ich einen Ton mehr erlaube, kann ich noch HTGT bzw. GTHT bilden, wenn ich einen Ton weniger nehme, kann ich die Ganztonleiter bilden, aber das war es dann auch schon.

Mit Hiatus kommt man in den Bereich der harmonischen Molltonleiter, "Zigeuner"-Tonleitern etc., bei zwei Halbtonschritten nacheinander habe ich im Grunde eine Ganztonleiter mit eingefügtem chromatischen Ton.

Wenn ich die Bedingungen aufhebe, geht natürlich noch alles mögliche andere, z.B. Slonimsky, Messiaen, die Pentatoniken usw.

Bis dahin würde ich also so einen Automatismus erkennen, nur aber nicht exklusiv für die "weissen Tasten", sondern auch für die melodische Molltonleiter.

Viele Grüße,
McCoy
 
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Nein, das ist kein Zufall. A-C und E-G sind kleine Terzen. In der Obertonfolge sind das die 5. und 6. Harmonische mit dem festen Frequenzverhältnis 5:6 (als reines Intervall). Das Verhältnis bleibt so, egal von welchem Ton aus ich diese kleine Terz bilde, es bleibt damit auch ihr Klangcharakter gleich.
Das ist nicht ganz korrekt.
Wenn du nach reiner Stimmung gehst (welche auf der Obertonreihe basiert) und deinen Grundton z.B. auf A oder E setzt, ist das richtig. Setzt du deinen Grundton aber z.B auf D, ist das Interval E - G keine kleine Terz mehr, sondern der Sprung von Sekunde zu Quarte mit dem Frequenzverhältnis 32/27. Das ist zwar ungefähr 6/5 aber nicht ganz.
Und genau das ist mein Punkt. Der Mensch ist jetzt hingegangen und hat gesagt: Voll unpraktisch, lass mal 5 grade sein und so tun, als ob das alles das Selbe wäre. Tada, temperierte Stimmung.
Das ist eine rein Menschen-gemachte Konvention, an der es nichts zu verstehen gibt, die man einfach hinnehmen muss.

Und auch die 6/5 einer reinen Terz ist kein wirklich logisches Interval, sondern eine Konvention. Klar kann man sagen, die Obertonreihe ist so schön geometrisch, aber das ist kein rationales Argument. Viele andere Dinge in der Natur und der Kunst sind nicht geometrisch.
 
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Sehr interessante Diskussion!
Der Mensch ist jetzt hingegangen und hat gesagt: Voll unpraktisch, lass mal 5 grade sein und so tun
Nee, nee, so einfach war das nicht.
Es gab lange Zeit keine gleichstufige/temperierte Stimmung, und als sie eingeführt wurde, gab es viel Gegenwind. Es klänge falsch, unsauber usw.

Dem gegenüber stand aber der Vorteil, durch die Tonarten wandern zu können - das war in der alten Musik in vielen Fällen gar nicht notwendig. (Gesualdo ist wahrscheinlich ein Gegenbeispiel). Der Vorteil war dann aber offensichtlich so groß, dass es sich durchgesetzt hat. Von alleine, denn es gab ja noch keine Zentralstelle für Tonleiterangelegenheiten ...

Das ganze hat auch einen "evolutionären" Aspekt ... Hätte die Natur uns mit einer besseren Frequenzauflösung ausgestattet, wäre die temperierte Stimmung für uns wohl nicht möglich. Da wäre vielleicht eine ganz andere Musik entstanden, wer weiß, vielleicht mit Viertel-/Achteltönen, oder viel mehr Spiel mit Schwebungen.

Aber die Frage steht mMn trotzdem noch offen: Ist es logisch, eine Tonleiter so zu bauen, wie wir sie haben (KTL, zwölf Halbtöne, usw.)? Da müsste man sich auf objektive Dinge konzentrieren, und da fällt mir eigentlich nur die Obertonreihe ein. Dh. Eine Tonleiter müsste möglichst viele der Obertonintervalle mit kleinen ganzen Freqenzverhältnissen enthalten (1/2, 2/3), weil die konsonant klingen, und dann müsste man die Lücken möglichst gut füllen.
Konkret wäre das dann, wenn man sich eine Tonleiter bauen würde, erstmal Oktave, Quinte, Quarte (erstmal reine Stimmung), große Terz ... und dann müsste man irgendwie die Töne dazwischen ergänzen,

Klingt das für Euch irgendwie logisch oder ist das schon wieder zu anthropozentrisch?
 
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... Der Sekundschritt wäre ja durch den Abstand große Terz - Quarte definiert, alles weitere ergibt sich dann eigentlich ...
 
Ist es logisch, eine Tonleiter so zu bauen, wie wir sie haben
"Logisch" m.E. in keinem Falle. Es hat mit Wahrnehmung, Empfinden zu tun und nicht mit Algorithmen o.ä.

Anderswo auf dieser Welt kamen andere Leute ja auch auf ganz andere Resultate. Entweder viel mehr Teiltöne wie in Indien oder zwar zwölf, die aber andere Abstände zu einander haben ...
 
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Ist es logisch, eine Tonleiter so zu bauen, wie wir sie haben (KTL, zwölf Halbtöne, usw.)? Da müsste man sich auf objektive Dinge konzentrieren, und da fällt mir eigentlich nur die Obertonreihe ein.
Aber was genau findest du an der Obertonreihe "objektiv logisch" ?
Ja, es gibt ein erkennbares Muster, aber das hat die gleichstufige Stimmung bspw. auch. Und das eigentlich sogar noch sehr viel stärker ausgeprägt als bei der Obertonreihe, weil ja gar nicht alle Teile der Obertonreihe in der reinen Stimmung verwendet werden.
 
die Systematik ist das Ergebnis der Kombinatorik - das sind alle Möglichkeiten, die du mit den gegebenen Halb- und Ganztonschritten bilden kannst.

Wenn man nur Ganz- und Halbtöne benutzten möchte, dann ergeben sich folgende Möglichkeiten für eine Oktave:
5 und weniger Töne: keine Lösung (Maximum ist ja 5 * 2, da mit kommt man nicht auf 12)

6 Töne: eine Lösung (Ganztonleiter)

7 Töne: drei Lösungen, zwei Halbtöne und 5 Ganztöne unterzubringen (5 * 2 + 2 * 1 = 12)
Die Ganztöne kann man gruppieren:
3:2 (Modi von Dur)
4:1 (Modi von melodisch Moll)
5:0 (Ganztonskala mit einem eigeschobenen Halbton)

Bei 8 Tönen hat man dann noch viel mehr Möglichkeiten!

Aber das erklärt, warum bei Heptatonik mit den 14 Modi von Dur und melodisch Moll hinkommt (die 5:0-Lösung ist eher exotisch): Es gibt keine anderen Lösungen.

Grüße
Omega Minus
 
Irgendwie gefällt mir der Begriff "Kirchentonleitern" nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich Protestant bin und in der Kirche die Musik von Schütz, Bach, Händel und folgenden Komponisten singe.
Aber was hier über "Kirchentonleitern" gesagt wird, trifft ziemlich genau auf das zu, was ich als praktischer Musiker unter "Modi" verstehe. Und in der Musik meiner Heimat, Irland, findet man die verschiedenen Modi in der Tanzmusik - was weiß Gott nichts mit der Kirche zu tun hat!
Meines Wissens gibt es in der traditionell irischen Musik, neben der allseitsbekannten Dur-Tonleiter, zwei weitere Modi, die man als dorisch und mixolydisch bezeichnen kann. Kann; muss nicht! Im Vorwort zu einer alte Sammlung irischer Geigenstücke wird darauf hingewiesen, dass viele Stücke "in the scale of re" oder "in the scale of so" stehen. Diese bezeichnung knüpft and die sängerischen Notenschrift "tonic sol-fa" an. Hier wird der Grundton der Dur-Tonleiter mit "doh" bezeichnet und die forgenden Töne mit re, mi, fa, so, la, ti, doh'. (Bitte nicht mit den Notenbezeichnungen der romanischen Sprachen verwechseln. Bei denen heißt "doh" immer "c"; beim tonic sol-fa ist "doh" stets der Grundton der Tonart des Stückes.)
Das heißt: der praktische Musiker sieht die verschiedene Modi als Abschnitte der Dur-Tonleiter, die bestimmte Töne als Tonika annehmen.

Wie kommt diese Sichtweise zustande?
Nun, in der einfachen Musik, und vor allem in der sehr alten Musik gibt es diatonische Instrumente. In Irland sind das die Harfe, der Dudelsack, die Tin Whistle, die Querflöte ohne Klappen. Die Concertina hat zwei diatonische Knopfreihen; und der traditionelle, ländliche Geiger kennt nur die Tonleiter, die auf einer offenen Saite beginnen.
Und was macht der Spieler eines diatonischen Instruments, wenn der Vortrag in seiner einzigen Dur-Tonart zu langweilig wird? Er versetzt den Anfangston der Melodie, spielt aber die selben Töne - und schwupp! hat er eine erfrischend neue Tonalität und Gefühl.

Für uns Sänger sieht die Sache anders aus. Die wenigsten von uns haben absolutes Gehör, also hilft es nicht, wenn man uns sagt, wir sollen die selben Töne singen, wie in C-Dur, aber g als unser Tonika betrachten, dann wird's mixolydisch. Nein: man muss uns nur sagen, dass wir den vorletzten Ton der Tonleiter statt eines Halbtones einen Ganzton unter dem Tonika singen sollen.

Bei Gitarristen und solchen akkordorientierten Musikern muss man die I-IV-V7-Automatik abschalten. Ein irischer Jig, der sich wie E-Moll anhört, ist bestimmt in E-dorisch - da braucht man die Akkorde Em, D und Hm.

So definiert sich jede Mode unterschiedlich für verschiedene Musikergruppen.

Das ist keine Theorie. Das ist die Praxis!

Cheers,
Jed
 
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Irgendwie gefällt mir der Begriff "Kirchentonleitern" nicht.

Frage mal einen Physiker, was der Spin eines Elektrons ist. Je nach Grad des Humors bekommt man die Antwort:
Spin ist wie ein Ball, der sich um seine eigene Achse dreht.
Nur dreht er sich nicht.
Es ist auch kein Ball.
So ist das auch für mich mit dem Begriff 'Kirchentoanrten'.

Ich habe den Begriff so vermittelt bekommen, aber die Beispiele in der Klavierschule waren alle kirchhintergrundsbefreit. Bei 'Lydisch' denkt man auch nicht an das Volk, das im Westen Kleinasiens lebte. :)

Grüße
 
Irgendwie gefällt mir der Begriff "Kirchentonleitern" nicht.
"Kirchentonleiter" bzw. "Kirchentonart" oder "Kirchenton" ist ein historisch gewachsener Begriff. Heute benutzt man zumeist "Modus", aber der überlieferte Begriff ist durchaus noch sehr häufig in Gebrauch.

Das MGG (Die Musik in Geschichte und Gegenwart) schreibt dazu:
Von den Bedeutungen des Terminus Modus im MA. ist jene die wichtigste, die sich auf den melodischen Charakter bezieht. Sie fand meist im Hinblick auf den liturgischen (gregorianischen) Gesang Verwendung, der im MA. am häufigsten aufgezeichnet und kommentiert wurde (daher die noch heute übliche deutsche Nomenklatur Kirchentöne / Kirchentonarten).
Quelle: https://www.mgg-online.com/search?s=1&n=20&q=kirchentonart&f={}&sectionRestraints=all&collectionRestraints=all

Interessant wäre, mal herauszufinden, seit wann der Begriff überliefert ist bzw. wer ihn als erster gebraucht hat. Hat jemand ein MGG-Abo oder Zugriff darauf?

Viele Grüße,
McCoy
 
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Irgendwie gefällt mir der Begriff "Kirchentonleitern" nicht.
Die Erklärung dazu ist banal, im parallelen Thread zum Thema hatte ich das schon erwähnt:
Die frühesten schriftlichen Überlieferungen modaler Melodien stammen fast ausschließlich aus den Klöstern, wo die Mönche die liturgischen Gesänge in riesigen Folianten aufschrieben. Im frühen Mittelalter konnten nur wenige lesen und schreiben, von Noten lesen und schreiben gar nicht zu reden. Selbst unter den Mönchen war es nur eine Minderheit, die das gut beherrschte. Diese Mönche waren dann auch die Spezialisten in den Schreibstuben (oft die einzigen Räume in den Klöstern die beheizt wurden), die diese Handschriften anfertigten.
Da also praktisch alle frühen Notensammlungen aus Klöstern stammen und in diesen auch praktisch nur liturgische Gesänge verzeichnet sind hat es sich eingebürgert, diese alten Modi "Kirchentonleitern" zu nennen.
 
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Irgendwie gefällt mir der Begriff "Kirchentonleitern" nicht. Vielleicht liegt es daran, dass ich Protestant bin und in der Kirche die Musik von Schütz, Bach, Händel und folgenden Komponisten singe.
Da kann ich Dir nicht folgen, das eine hat mit dem anderen doch nichts zu tun.
Kirchentonleitern heißen sie normalerweise in der klassischen Musik, im Jazz dann eher Modi. Aber Du kannst sie ja nennen, wie Du willst. Moll mit großer 6 statt Dorisch, wenn Dir das besser gefällt.
Es geht halt um die schnelle und eindeutige Verständigung untereinander, und da weiß jeder, was zB G Dorisch ist. Und im Jazz benutzt man die Begriffe Dorisch, Phrygisch, Mixo usw. genauso.

Das heißt: der praktische Musiker sieht die verschiedene Modi als Abschnitte der Dur-Tonleiter
Unzulässige Verallgemeinerung. Dein "praktische Musiker" bist in dem Fall nur Du ;)

"in the scale of re" oder "in the scale of so" stehen. Diese bezeichnung knüpft and die sängerischen Notenschrift "tonic sol-fa" an. Hier wird der Grundton der Dur-Tonleiter mit "doh" bezeichnet und die forgenden Töne mit re, mi, fa, so, la, ti, doh'. (Bitte nicht mit den Notenbezeichnungen der romanischen Sprachen verwechseln. Bei denen heißt "doh" immer "c"; beim tonic sol-fa ist "doh" stets der Grundton der Tonart des Stückes.)
Was soll an dem Kuddelmuddel nun besser sein als an den eindeutigen Bezeichnungen Dorisch, Phrygisch usw.?

Ja, manche schwören auf Solmisation. Wir hatten schon mindestens eine längere Diskussion darüber. Ich konnte da keinen Vorteil erkennen. Spätestens bei einer Modulation, und das kommt oft vor, wird das mehrdeutig, und Du musst wieder anfangen, irgendwas extra zu definieren.

Also mach es gerne, wie Du denkst, aber fang bitte nicht an, Deine Meinung zu verallgemeinern.

Aber was genau findest du an der Obertonreihe "objektiv logisch" ?
Ja, logisch ist das falsche Wort.
Ich meinte, irgendwas, was nicht auf unsere Tradition zurückgeht oder von Menschen ausgedacht ist, sondern irgendwie "da" ist. Wie eben die Obertöne.
 
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