Stellt Euch den klassischen BluesLawyer/Zahnwalt mit viel Geld und minimalsten Fähigkeiten ausgestattet vor (also geschätzten 8 von 10 Instrumentalisten in der Gesamtmarktsicht*). Mit dem richtigen Modeler oder Effekt wird er in die Lage versetzt, seinen verstärkten Klang in situ und live IN TIME und IN PITCH zu spielen (oder sich zumindest so anhören zu können) - nächster Halt SPEED. Wenn er nur schnell genug die Finger auf dem Instrument verschiebt (egal wie inkohärent, es gibt ja ML, um das zu trainieren), spielt er auch mühelos irgendwann zu einer Dream Theater-Platte mit oder kann sich sogar mit seinen Guitar-Buddies "Paco, John und Al" Freitagabends in San Francisco "auf Augenhöhe" vergnügen. Oder vielleicht sogar mit einem chinesischen 11jährigen auf YT, der all das in echt anderthalbmal so schnell spielen kann.
Ich schätze dich ja eigentlich sehr, aber das liegt für mich auf so vielen Ebenen daneben...
Das fängt schon damit an, dass mich die klischeehafte Herabsetzung bestimmter Berufsgruppen mittlerweile echt nervt. Ich könnte da ja irgendwas nicht bekommen haben, aber
warum genau sind Zahnärzte und Anwälte nochmal im Durchschnitt schlechtere Hobbygitarristen als Grundschullehrer, Krankenpflegerinnen, BeamtInnen oder Fliesenleger? Und sollte man ihnen vielleicht gleich verbieten, Musik zu machen? Wie siehts eigentlich mit Steuerberatern, Bankern und Schönheitschirurgen aus, wollt Ihr da nicht auch mal ein bisschen hetzen, wenn die sich teurere Gitarren leisten?
Ich behaupte mal, dass der weit überwiegende Teil von uns nicht als Profi arbeitet, mal abgesehen davon, dass ich schon eine Menge sehr guter Amateure gesehen habe (auch wenn ich deren Einkommen oder Beruf nicht kenne), deren Spiel ich besser fand als bei manchem Berufsmusiker. Vor allem aber suchen die allermeisten was ganz anderes beim Musikmachen als Faken und Angeben:
Dann bin ICH völlig raus, wo bleibt denn da der Spaß?
Das ist der Punkt.
Und deshalb sehe ich gerade im Hobbybereich sogar am allerwenigsten die Neigung, sich spielerisch unter die Arme greifen zu lassen, unanbhängig von den finanziellen Möglichkeiten. Wenn man genau hinsieht, sind das nämlich genau die Leute, die alte einkanalige Röhrenamps restaurieren lassen und mit Relics oder Vintage-Gitarren und ein paar handverlesenen Stompboxen drüber spielen. Und wer den Stress aus einem Beruf gleich welcher Art ausgleichen will oder einfach nur Freude an der Musik hat, der schätzt es in aller Regel doch eher, den PC mal hinter sich zu lassen und sie mit den eigenen Händen zu erzeugen. Kreativität ist doch auch Menschen ein Bedürfnis, die sie nicht zum Beruf gemacht haben oder der Meinung waren, dass es dafür nicht reicht oder so ein Leben einfach nichts für sie ist. Wenn man im Job schon dauernd gefordert wird und sich dafür vielleicht auch mal verbiegen muss, dann ist die Neigung doch eher gering, sich im Spielzimmer zu Hause auch noch selbst zu bescheißen. Und wenns nicht ganz so toll ist, na und?
Die ganze Automatisierung in der Musik wird doch seit jeher vom Profibereich angetrieben. Mehr produzieren in kürzerer Zeit, für weniger Geld, schneller verkaufbare Produlte erzeugen, auch wenn der/die Künstler/in es vielleicht handwerklich nicht so gut draufhat wie imagemäßig.
Aber zurück zum Thema:
Was denkt ihr wie es in Zukunft mit dem Amp-Modeling weitergehen wird ?
Die
Entwicklung dieser Geräte fing mit Rolands COSM VGA-7 im Jahr 2001 an ein Jahr später kam dann der H&K Zentera raus das ist nun knapp 20 Jahre her. Durch die Leistung von DSPs und der Computertechnik ist jetzt mit KI/AI der Punkt erreicht wo jeder Amp komplett nachgebildet werden kann. Wenn man diese AI-Daten die beim Profilen erzeugt werden auswertet dann könnte man in Zukunft jeden Verstärker komplett mit allen Einstellungen miteinander kombinieren und damit auch ganz neue Amps kreieren.
Im Grunde gibts das ja schon längst, allerdings weniger beim Profiling als beim Modelling im engeren Sinne. Ich weiß nicht, wie tief das Editieren beim Helix geht, aber bei Fractal waren die Eingriffsmöglichkeiten schon in der zweiten Generation auf ein Maß angewachsen, dass sogar den User selbst so ziemlich jeden Amp in einen komplett anderen verwandeln lässt. Da werden Spannungen manipuliert, einzelne Kondensatoren im Wert geändert, Röhrentypen geändert und der Eingangsstufe ein vielfaches an Gain verpasst, da gibts Parameter wie "Preamp Hardness" (was immer es sei), die Plate Voltage und gefühlt noch 100 mehr.
Der damals völlig neue Ansatz von Kemper mit dem Profiling ist ja im Grunde eine Abkürzung: statt den Amp Bauteil für Bauteil virtuell nachzubilden, wird die Reaktion auf das Gitarrensignal gemessen. Das Resultat ist also nur der Schnappschuss einer bestimmten Einstellung des Amps. Die so erzeugten Profile finde dann auch sehr überzeugend bis hin zum Spielgefühl - nur habe ich persönlich es so wahrgenommen, dass es dann mit jedem nachträglichen verstellen Abweichung von Gain und EQ immer weiter vom realen Amp wegführt. Das war auch der Grund, weshalb ich mich dann für das Axe Fx entschieden habe. Aber noch lieber spiele ich bis heute meine ollen Röhrenpreamps und füge nur ein paar Effekte digital hinzu...
Ich denke, dass es noch sehr lange aufwendiger und schwieriger bleiben wird, aus dem Profiling rückwärts Daten zu gewinnen als die relativ überschaubare Anzahl von Bauteilen in einem Amp samt Verhalten im Schaltungsumfeld nachzubilden und dann ggf. zu manipulieren. Da ist auch die Frage nach dem warum zu stellen - warum soll ich mit viel Aufwand Analysetools entwickeln, um das Innenleben eines Amps herauszubekommen, wenn ich ihn aufschrauben und nachsehen kann?
Interessant wird es am ehesten durch die Abweichungen realer Bauteile von ihren Nennwerten, sei es durch Herstellungstoleranzen oder Alterung. Die Zukunft sehe ich deshalb am ehesten im Konzept des Cortex, Modelling und Profiling zu kombinieren. Erst mal den Amp virtuell nachbauen und ihm dann per Vergleich zum echten Amp den Feinschliff zu geben. Das ist dann sicher eine Aufgabe, wo die KI zukünftig immer mehr ins Spiel kommen wird.
Letztlich gibt es bis heute jede Menge Leute, die auf Instrumente auf dem Stand des 18. Jahrhunderts zurückgreifen, und das wird wohl auch so bleiben. Auch die Rockmusik wird irgendwann zu einer historischen Musikform werden, den Beginn sehen wir doch schon heute. Aber wie bei Trumscheit und Sackpfeife wird es vermutlich auch in 500 Jahren noch Leute geben, die E-Gitarre spielen und gar nichts moderneres
wollen als den Sound eines Röhrenamps (auch wenn es den in körperlicher Form dann vielleicht nur noch im Museum gibt). Ich vermute sogar, dass die charakteristischen Sounds einfacherer Amps eher im kulturellen Bewusstsein überleben als die der immer komplexeren Weiterentwicklungen. Bei den Röhrenamps ist das schon heute sichtbar, und nicht zuletzt auch in den Amplisten heutiger Modeller.
Gruß, bagotrix