Steht in den Unterlagen und Büchern mit denen ich in der staatlichen Musikschule arbeite nirgends so.
Dort wird ganz normal beschrieben, dass die Abwärtsbewegung meist in natürlich Moll wechselt. So machts fürs Verständnis auch mehr Sinn.
Gut, wenn es nicht kategorisch formuliert ist in den dir vorliegenden Büchern.
Über die gesamte Breite der betreffenden theoretischen Schriften habe ich natürlich keinen Überblick. In einigen Büchern, die ich im Bestand habe, habe ich mal geblättert, und eine Passage wie diese in "Die neue Harmonielehre" (Band 1, Auflage von 1994, Seiten 94/95) von Frank Haunschild:
"Weil der Leitton von Harmonisch Moll und damit auch die Erhöhung der sechsten Stufe bei Melodisch Moll nur im Zusammenhang mit aufwärts strebenden Melodien erforderlich sind, verzichtet man in der klassischen Harmonielehre auf die Erhöhung der 6. und 7. Stufe bei abwärts gerichteten Melodien. Dies hat den sicherlich etwas kuriosen Umstand zur Folge, daß Melodisch Moll in der klassischen Harmonielehre aufwärts einen andere Struktur aufzuweisen hat als abwärts" [folgt die übliche Notenzeile mit aufwärts melodisch Moll und abwärts natürlich Moll - ausdrücklich aber betitelt mit "Melodisch Moll ("klassisch")"]
ist mindestens missverständlich, eigentlich schon irreführend, weil es so formuliert einfach nicht stimmt.
In der "Elementaren Musiklehre" von Christian Nowak (Auflage 1999, Seite 38), die ich als einleitendes Arbeitsbuch im Theoriekurs verwende, steht es so:
"Eine Weiterentwicklung der harmonischen Moll-Tonleiter ist das melodische Moll. Wie der Name schon sagt, wurde hier aus melodischen Gründen neben der erhöhten 7. Stufe auch die 6. Stufe erhöht, allerdings nur aufwärts. Abwärts ist die melodische Moll-Tonleiter mit der natürlichen identisch" [folgt ebenfalls die übliche Notenzeile, aber betitelt nur mit "A-Moll melodisch"]
Immer noch nicht ganz zutreffend, was in dieser Kürze auch sicher auch nur schwer machbar ist, aber immerhin geht der Satz "mit der natürlichen
indentisch" in die richtige Richtung.
Mittlerweile folge ich Diether de la Motte - auf den ich leider sehr spät erst näher aufmerksam wurde - und seinen präzisen Ausführungen in seiner "Harmonielehre" (18, Auflage 2018, S. 77 ff.):
"Unsinnig ist die Aufteilung der Elementarlehre in drei Arten Moll, in drei Molltonleitern. Da sie aber noch allgemein gelehrt wird, sollte man zwar keinen Gebrauch von ihr machen, sie aber kennen. ... Noch nie aber gab es z.B. eine Komposition in harmonisch Moll. Moll existiert nicht als Tonleiter, sondern als Vorrat von 9 Tönen (Dur: 7 Töne), der jeder Moll-Komposition zur Verfügung steht"
[Hervorhebung im Original - es folgt am Beispiel von A- Moll diese Skala: A-H-C-D-E-F-F#-G-G#-A]
Die große Stärke der "Theorie"-Bücher von de la Motte sind die vielen Notenbeispiele aus konkreten Werken, mit denen er seine Erklärungen und Argumente illustriert und begründet - die aber dem flüssigen Lesen auch leider eine etwas anspruchsvolle Hürde vorsetzen.
Z.B. bringt er auch Beispiele mit
Melodieführungen in harmonisch Moll, ´klassisch-kategorische´ Harmonielehren suggerieren hingegen gerne, dass die Skala harmonisch Moll eher der Harmonisation mit der Dur-Dominante geschuldet ist und der Hiatus 6-#7 melodisch verpönt gewesen sein. Das mag oft genug einfach nur zu stark vereinfacht und irreführend formuliert sein, aber weil es historisch bzw. überhaupt nicht stimmt, sollten solche Suggestionen grundsätzlich vermieden werden.
Es geht ja auch präzise, und dazu noch ohne weitschweifige Textwüsten, wie es de la Motte vormacht.
Ärgerlicherweise fürchte ich, dass ein Aufnahmeprüfling, der z.B. eine A-Moll-Tonleiter notieren soll und dann die Folge A-H-C-D-E-F-F#-G-G#-A aufschreibt, dass dieser keinen Punkt dafür bekommt, denn in den Prüfungen wird nach wie vor die kategorisch überlieferte Dreiteilung abgefragt und erwartet.