Ich bin schon ein wenig amüsiert bei einigen Kommentaren.
Muss ich echt sagen. Ich meine das keine Spur bösartig, aber die wenigsten hier scheinen zu wissen, was unter "Worship" wirklich zu verstehen ist, insbesondere unter aktueller Worshipmusik. Erstmal als grobe Abgrenzung: "Worship" (der Einfachheit halber nutze ich den Begriff, auch wenn ich den kritisch sehe) ist eindeutig in Freikirchen zu verorten und ist damit weit weg von der evangelischen und katholischen Landeskirche, die die meisten Leute in Deutschland im Kopf haben, wenn es um "Kirche" geht. An alle, die davon ausgegangen sind, dass diese Musik in traditionellen Kirchengebäuden (die es in den USA übrigens eh nicht oder fast nicht gibt) gespielt wird, schaut euch am besten mal ein Livevideo an. Das dürfte aufschlussreich sein, um den Kontext, in dem die Musik gespielt wird, zu verstehen.
Wenn man die letzten 10 Jahre betrachtet, gibt es in meinen Augen drei maßgebliche Bands:
1. Hillsong
2. Bethel
3. Elevation Worship
Dann gibt es Hunderte (ja, wirklich Hunderte), die praktisch genau so klingen. Und in meinen Augen ist das ganz eindeutig als eigenes Genre zu bezeichnen. Hillsong (genauer gesagt die Untersparte Hillsong United) hat Anfang der 2000er eindeutig Elemente von Coldplay und U2 genommen und damit die damalige Lobpreismusik revolutioniert. Seitdem hat sich einiges geändert, aber gleich geblieben ist, dass die Musik nach wie vor von Bands mit gleich gebliebener Besetzung gespielt wird. Verändert hat sich, dass aktuell Synthesizer sehr viel stärker im Vordergrund stehen als noch vor 10 Jahren. Es gibt auch noch andere Strömungen, die zwar wegen ihrer Funktion genau so als "Worship" gelten. Beispiele wären Housefires und United Pursuit (hauptsächlich akustisch), Kings Kaleidscope (krasses Indie-irgendwas, das keiner definieren kann) oder Planet Boom (elektronisch und ziemlich auf die Fresse). Trotzdem: Wenn keine weiteren Kriterien genannt werden, ist die Richtung der drei oben genannten auf jeden Fall das, was gemeint ist.
Um zu verstehen, warum "Worship" so oft zur Beschreibung von technischem Equipment, Instrumenten, Soundpresets und Samples verwendet wird, muss man bedenken, dass es sich dabei nicht nur um ein Genre handelt, sondern um eins, das in einem ganz spezifischen Kontext auftritt. Sonntag für Sonntag spielen Musiker diese Musik. Die meisten Freikirchen (sowohl hier als auch in Übersee) haben unter 100 Mitglieder und dementsprechend klein ist der Pool an Leuten, aus denen im Durchschnitt Musiker rekrutiert werden können. Die Entwicklung ist in den letzten 10 Jahren stark dahin gegangen, die Originale relativ ähnlich nachzuspielen, oft auch mit Unterstützung durch Backing Tracks. Viele dieser Musiker haben nicht den größten Anspruch, eigene Kreativität auszuleben, sondern arbeiten ein Stück effizienzorientiert. Daraus ergibt sich, dass eben ständig nach so was gesucht wird wie "best guitar for worship", "best keyboard for worship", "drum samples for worship", und ja, auch "best mixing console for worship". Ja, teilweise sind die Leute leider wirklich so blöd, sich nur in unnötig kleinen Blasen zu bewegen und verpassen deswegen Gelegenheiten, Expertise von Leuten einzuholen, die nicht zu dieser Blase gehören. Aber der amerikanische Markt hat das schon lange erkannt und deswegen hat der Begriff "Worship" im Marketing Einzug gehalten. Im Grunde genommen ist das also eine Reaktion darauf, wie und von wem "Worship" typischerweise gespielt wird.
Also, wenn ich das alles richtig interpretiere - die Spaß-Beiträge mal außen vor gelassen - sind es eher weniger spezielle Sounds als eine Musik-Richtung, die nicht zu verwechseln ist mit Gospel!? Und der Begriff ist eher Marketing geschuldet?
Teils teils, würde ich sagen. Um mal Keyboardsounds als Beispiel zu nennen: Natürlich kann man mit allen möglichen Keyboards Pads spielen. Aber die, die man in üblichen Digitalpianos findet, die zusätzlich zu Flügeln und E-Pianos ein paar weitere Sounds haben, sind ALLE UNGEEIGNET. Ich kenn jedenfalls kein Gegenbeispiel. Die typischen Shimmer-Pads kann halt nicht jedes Keyboard. Omnisphere ist ziemlich beliebt, aber es gibt auch ne Menge Leute, die mit Mainstage glücklich sind. Du findest nur herstellerseitig praktisch nie Presets, die schon das machen, was man sich unter "Worship-Pad" vorstellt. Bzw. vielleicht hat sich das inzwischen geändert, aber mir ist das das noch nicht über den Weg gelaufen.
Ich bin ohnehin kein Keyboarder, sondern Schlagzeuger und Gitarrist. Bei E-Gitarrensounds gilt aber genau das Gleiche. Das verwendete Equipment ist alles andere als außergewöhnlich, aber der Sound schon.
Über die Abgrenzung zu Gospel hab ich übrigens neulich nachgedacht.
Die gibt es definitiv. Aber typische "Worship"-Elemente haben auch den Weg in Gospel geschafft. Spontan fällt mir dazu "You Waited" von Travis Greene ein. Diese Musik groovt immer noch (und ich finde, sie macht - im Gegensatz zu Hillsong und Konsorten - Spaß zu hören), aber soundmäßig hat sie sich zum Teil angepasst.
Edit:
Vielleicht noch ein Nachtrag. Ich hab mir vor einiger Zeit mal den Spaß gemacht, bei einem Album von Bethel das Tempo jedes einzelnen Liedes zu ermitteln. Das Ergebnis war glaub ich in etwa, dass 10 von 12 Liedern zwischen 60 und 80 bpm lagen. Zusammen mit dem Sound dient die Musik dazu, ein Gefühl von Tiefe, Schwere und Größe zu erzeugen. Damit beschreibt sie bestimmte Aspekte von Gott ganz gut. Aber inzwischen hat dieser Trend ein wenig nachgelassen, weil man nicht fast 15 Jahre lang die gleichen 4 Akkorde (I, IV, V, VI) im gleichen Tempo mit dem gleichen Sound spielen kann... naja. Manche haben trotzdem genau das gemacht.