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Deleted member 291993
Guest
Ich hatte nicht danach gefragt, was das "künstlerische Wollen sei ...
Was soll's, das sind halt die Übertragungsfehler und Unwägbarkeiten jeglicher Kommunikation.
Ich habe das Wort Molldominante ja nicht benutzt. Ich habe "Moll-Akkord auf der 5. Stufe" verwendet
Stimmt - ich muss offensichtlich bisweilen etwas genauer lesen. Wobei jetzt zu klären wäre, wie ein Mollakkord auf der V. Stufe innerhalb der Dur-Moll-Tonalität zu legitimieren ist - was wir jetzt aber erstmal zurückstellen.
Wird dieser Leitton nicht verwendet, spricht man verdeutlichend von einer Moll-Dominante. (https://de.wikipedia.org/wiki/Dominante#Moll)
Das sollten wir ganz schnell vergessen, zumal der Abschnitt nur belegt, dass Wiki nicht zitierfähig ist. Die zitierte Passage geht von der falschen Prämisse aus, dass "natürliches Moll" zugleich Grundlage von Akkordbildungen ist, und dass erst "harmonisches Moll" die Erhöhung der #VII legitimiert. Diesbezüglich empfehle ich einen Blick in neuere, historisch informierte Harmonielehren, z.B. Diether de la Motte.
Um über einer beliebigen Stufe einen Durklang zu konstruieren, muß ich doch nur wissen, dass es dazu einer großen Terz bedarf - wenn diese große Terz nicht mit dem Tonmaterial einer Skala übereinstimmt, braucht mich das nicht zu kratzen, solange ich mein Vorgehen andersweitig legitimieren kann (im konkreten Fall durch den Vorrang des Leittons #VII vor der "natürlichen" VII). Kompositorisches Handeln ist eben etwas anderes, als das Verwechseln theoretischer Abstraktionen mit der musikalischen Praxis.
Ich vermute, daß da gerade (wieder einmal) ein Hörgewohnheitswandel stattfindet.
Das ist aber ein Trend, der ja bereits im Exotismus des späten 19. Jahrthunderts angefangen hat (David, Debussy, Ravel, de Falla) und dann im Folk-Revival und der Popmusik seit den 1960ern zunehmend Fahrt aufgenommen hat, um sich dann durch Sparten wie Weltmusik, Alte Musik und New Age-Gewabber oder Pseudo-Mittelalter-Getöse (von Blind Guardian bis Extremo) recht solide zu etablieren. Modale Klischees, wie die berüchtigte "andalusische" IV-III-II-I-Kadenz (modo frígio), gehören heute zum Basisrepertoire der westlichen Hörgewohnheiten (und werden daher im Ursprungsland von ernsthaften Künstlern nur noch mit der Kneifzange angepackt oder dem musikalischen Souterrain zugeordnet).
Deshalb: E-Moll nicht mit theoretischem Unterbau begründet, sondern aus dem Hörempfinden der Menschen heraus (gewissermaßen Feldforschung).
Vorsicht bei "Feldforschung": Da betritts du ganz dünnes Eis und ziehst dir argumentativ selber den Teppch unter den Füssen weg!
Eines der Grundprinzipien moderner Feldforschung ist die "teilnehmende Beobachtung", wobei sich der musikethnologische Feldforscher so weit in die zu beobachtende Kultur einarbeitet, dass er als aktives Mitglied an ihr teilhaben kann. Dazu ist es unabdingbar, auch die Terminologie und das musikalische Denken einer Kultur zu übernehmen, um nicht in eurozentristische Denkmuster zu verfallen. So komme ich z.B. bereits jenseits der Pyrenäen mit einem "klassisch" sozialisierten Taktbegriff ebensowenig weiter, wie mit der Annahme, dass von autochthonen Musikern als "Dominanten" empfundene Klänge immer auf der V. Stufe einer Tonart gebildet werden.
So weit, so gut. Allerdings hat sich der Bereich musikethnologischer Feldforschung seit geraumer Zeit von den Nasenflötenspielern aus Papua-Neuguinea auf die Exoten im unmittelbaren Umfeld ausgeweitet, d.h. auf die kleinen Stammesgruppen des eigenen Kulturbereichs, seien es Punker, Headbanger, Jazzmusiker, oder die "klassisch sozialisierten" Mitglieder der eigenen Spezies. Das Spannende an diesem Paradigmenwechsel ist der neue Blick auf die eigene Kultur, die Arbeitsregeln bleiben aber die gleichen, d.h.: Selbst wenn ich "urbane" Feldforschung in einer mir scheinbar vertrauten Kultur betreibe, muss ich die Prinzipien der "teilnehmenden Beobachtung" konsequent einhalten, was zunächst schlichtweg bedeutet, auch mir ungewohnt erscheinende Sichtweisen zumindest als "eine von vielen Sichtweisen" zu akzeptieren.
Wenn ich mich also in einem kulturellen Segment bewege, zu dessen "Stammesreligion" bestimmte, möglicherweise sogar theoretisch elaboriert formulierte Annahmen über musikalische Sachverhalte gehören, dann kann ich das nicht in kolonialistischer Gutsherrenmentalität ignorieren, sondern muss mich in diese "Denke" einarbeiten.
Und da es in "unserer" Kultur unbestreitbar mehr oder weniger elaborierte Konstrukte gibt, die z.B. ein mit "Moll" verbundenes Hörempfinden auch mit einem "theoretischen Unterbau" zu begründen versuchen, solltest du einen Begriff wie "Feldforschung" nicht in den Mund nehmen, wenn du den "theoretischen Unterbau" eines Kulturgemeinschaft als irrelevant in Frage stellst. Das ist nicht "gewissermaßen" Feldforschung, sondern einfach nur Banausentum.