Was ich bisher aus diesem und anderen Threads heraus verstanden habe:
1. Diatonische Instrumente sind gewöhnlich leichter als chromatische. Logisch - haben ja in der Regel weniger Stimmzungen. Schön.
Dass sie leichter und kleiner sind, liegt, wie du ja schon geschrieben hast, allein daran, dass sie (teilweise deutlich) weniger Stimmzungen haben (weniger Chöre, geringerer Ambitus), und i. d. R. auch kein Cassotto oder ähnliche Einbauten, oft auch keine Bassmechanik (Converter sowieso nicht). Du könntest also schon eine ganze Menge an Gewichtsreduktion erreichen, wenn du einfach auf eine Hohner Student oder so was wechselst.
2. Bei diatonischen Instrumenten kann man wählen, ob man eine starke oder eine schwache Schwebung bevorzugt. Viele auf dem Gebrauchtmarkt haben definitiv ein deutlich hörbares Tremolo.
Das ist, wie lil ja schon schrieb, bei gleichtönigen und wechseltönigen gleich. Ältere Instrumente haben meist ein deutliches Tremolo. Bei neueren Instrumenten gibt es mehr, deren Eigentümer kein Tremolo oder ein sehr reduziertes Tremolo wollten. Das geht Hand in Hand mit dem Trend zu teureren Instrumentenausführungen. Tremoloverächter tummeln sich insbesondere in der Szene, aus der deine beiden Videobeispiele stammen.
Da man Gebrauchtinstrumente eh meist überholen und neu reinstimmen lassen muss, kann man dabei dem Akkordeonfritzen eigentlich immer auch angeben, welches Tremolo (und ob überhaupt) man haben will, bei Neuinstrumenten sowieso.
3. Die Knopfbelegung diatonischer Instrumente sind verschieden. Es gibt Steirische in verschiedenen Tonarten (das soll genügen), wobei oft gravierende Eingriffe im Bass-System vorgenommen werden, so dass die sich auch wieder unterscheiden (X-Bass, H-Bass, Moll-Bässe). Davon abgesehen gibt es die "alte Hohnerwelt", also Club-Harmonikas und die Wiener Modelle. Erste Unklarheit hier: Ist Club=Wiener Modell?
Deine Einteilung würde ich so nicht machen.
Es gibt "Steirische/Heligonka". Die gibt’s so im Wesentlichen seit den 1970ern (mit ein paar unbedeutenden Vorläufern). Kenn ich mich nicht weiter mit aus und sind auch in der Szene deiner Videos Tabu.
Was die in deinen beiden Videos spielen sind die derzeit modernen Kisten aus Italien. Das sind im Wesentlichen Zweireiher (wie z. B. von Hohner die Erica und das Goldbrandmodell), aber aufgeputscht. Das heißt, wesentlich besser verarbeitet, mit modernem Design (Holz statt Perloid, Terzabschaltung im Bass usw.) – und meist mit einer zusätzlichen dritten Hilfsreihe sowie erweitertem Bass. Die Belegungen sind grundsätzlich andere als beim Clublayout, und die sind nicht kompatibel, unter anderem deshalb, weil das Clublayout ein paar Änderungen im Basislayout der Zweireiher vornimmt. Club ist in dieser Szene auch Tabu; denn Club spielen nur alte weiße Männer, und man ist ja hipp und modern.
Wiener Modell: Das Wiener Modell ist der Gegenbegriff zum deutschen Modell. Es heißt nichts anderes, als dass die Klappen hinter einem Verdeck versteckt sind, sowohl auf der Diskant- als auch auf der Bassseite. Die deutsche Bauweise wird heute praktisch nicht mehr gebaut, außer bei Einreihern, auf die ich hier nicht näher eingehe.
Club-Harmonika: Club-Harmonika ist ein Name für ein bestimmtes Tonlayout, das auf dem Zweireiher aufbaut und ihn um eine dritte Durtonart erweitert, dafür aber weniger Knöpfe (und Stimmzungen) braucht als ein Dreireiher (= billiger). In der Szene, aus der deine Videos stammen, ist Club ein No-go. Daher haben die sich ihre eigene Hilfsreihe und ihre eigenen Basserweiterungen zusammengebaut.
In Mittel- und Südamerika waren die Leute lange so arm/abgeschnitten, dass die mit den alten Instrumenten klarkommen mussten. (Genauso wie beim Bandonion/Bandoneon.) Daher haben die die neuen Entwicklungen in Europa (Steirische/Balfolk-Kram) nicht mitgemacht. Die spielen ihre eigene Musik daher meist auf alten Dreireihern oder alten Clubharmonikas (die eben auch noch ordentlich Tremolo haben). (Ein paar Detailveränderungen haben die dortigen Akkordeonreparateure eingeführt, aber nichts Wesentliches.) Inzwischen haben die da auch mehr Geld und kaufen sich neue Instrumente, aber eben nicht die, die bei uns gerade modern sind, sondern neue Bling-bling-Versionen von Dreireihern. (Der Dreireiher war schon ein Upgrade vom Zweireiher. Ganz ursprünglich hatten die normale Zweireiher. Daher auch die Erica dort als Anfängerinstrument.)
Die "alte Hohnerwelt" ist gegenwärtig nur noch für den süd- und mittelamerikanischen Markt interessant (und vielleicht noch für die spezielle Szene in England, die allerdings auch gerade zu den modernen Italienern wechselt/gewechselt hat).
4. Der weltgrößte Akkordeonverkäufer ist Liberty Bellows in den USA, die ihre Instrumente gerne auf Youtube anpreisen. Mir fiel auf, dass Erica- und Corona-Modelle oft auf Spanisch vorgestellt werden. Daraus folgere ich, dass die Volksmusik der Hispanics v.a. auf diesen Instrumenten gemacht wird.
5. Zu den Steirischen greifen die Alpenländer. Es gibt zurzeit einen Boom bei diesen Instrumenten. Der Gebrauchtmarkt für diese Instrumente gibt nicht viel her.
Stimmt meine Zusammenfassung bisher?
Abgesehen von Punkt 3 würde ich dir zustimmen.
Unklar ist mir bislang:
1. Ich möchte die Instrumente meiner o.g. Videos gerne einsortieren. Gehe ich recht in der Annahme, dass es sich bei diesen Instrumenten wahrscheinlich um flach gestimmte Club-Harmonikas handelt?
Nein, wie oben dargelegt. Club ist tot.
2. Es scheint so zu sein, dass man den diatonischen Instrumententyp abhängig macht vom eigenen Repertoire.
So eine ähnliche Bemerkung hast du schon mal gemacht. Ich hatte damals sinngemäß geantwortet, dass man das bei dem gleichtönigen Instrumententyp ebenso mache: Wenn du Volksmusik spielen willst, kaufst du dir ein anderes Akkordeon, als wenn du Jazz machen willst. Und nochmal ein anderes, wenn du klassisch unterwegs bist.
Ich fragte, weil ich deutlich machen wollte, dass eine Hohner Erica
alle Töne hat. Ein Zweireiher hat
alle Töne. Auf der Diskantseite eines Zweireihers hast du
c-cis/des-d-dis/es-e-f-fis/ges-g-gis/as-a-ais/b-h. Ein Zweireiher hat alle zwölf chromatischen Töne.
Ich mag ein sehr enges Tremolo und finde das geringe Gewicht der diatonischen spannend.
Das Tremolo kannst du eh nach Belieben einstellen. Das geringe Gewicht kommt durch die weniger zahlreichen Stimmzungen. Mit jedem Knopf mehr hast du zusätzliche Mechanik, zusätzliche Stimmzungen, also zusätzliches Gewicht, und zusätzlichen Platzbedarf, die Kiste wird also größer und unhandlicher (= weniger agiles Spiel). Deshalb kommt jeder Knopf über den normalen Zweireiher hinaus mit einem Trade-off. Das optimale Gleichgewicht aus Versatilität und Masse ist für jeden unterschiedlich. Bei mir liegt es eher bei: möglichst wenig Masse/Gewicht.
Ich liebe alte Musik, Folk, den ich von den Belgiern und Iren auf Youtube hören kann,
Iren spielen nochmal andere Instrumente. Iren spielen Zweireiher, deren Reihen um einen Halbton gegeneinander versetzt sind. (Im Prinzip ähnlich wie die chromatische Mundharmonika.) Das bringt es mit sich, dass sie die Bassseite praktisch kaum verwenden können.
Blues und Jazz. Sollte ich ein Diatöner wählen, dann sollte man damit Blues in Dur oder Moll spielen oder Folk verjazzen können. … Könntet ihr mir für diese Zwecke ein diatonisches Instrument empfehlen? Wenn ja: Welches?
Du willst ein Instrument der gehobenen Preisklasse, also eines von Castagnari oder Saltarelle oder vergleichbaren italienischen Herstellern. (Saltarelle ist nicht italienisch, aber egal.)
Du willst einen Zweireiher mit mindestens acht Bässen oder einen Zweireiher + Hilfsreihe. Eventuell willst du eine Terzabschaltung. (Sorgt dafür, dass die Akkorde zu Powerchords werden, die du für Dur und Moll gleichermaßen verwenden kannst; nimmt der Bassseite aber viel von seiner klanglichen Energie.)
Schau dich bei YouTube um. Eines meiner Vorbilder ist der Schwede da. (Das ist der, der mit einem Kollegen zusammen
Piazollas Libertango spielt – auf zwei Zweireihern; in seiner Vorrede erklärt er, wie das geht.) Der spielt einen Zweireiher (Tonlayout wie bei der Erica, aber mit zusätzlichem 16' [wie Hohner Corso, macht das Ganze natürlich schwerer] und qualitativ gehobener Ausführung).
Oder wie wär’s damit:
Wie viele zusätzliche Knöpfe du darüber hinaus benötigst, das kann ich aus der Lamäng nicht sagen.