Ich verstehe das Problem an der Sache einfach nicht.
Meine Vermutung ist, dass Schwierigkeiten beim Lesen daher kommen, dass man
zu schnell durch die ersten Lektionen auf seinem Instrument gehuscht ist und es für albern hält, dorthin zurück zu kehren.
Außerdem wurden vermutlich
nie Noten von Hand gemalt und
nie der Zusammenhang Note - Ton - Taste bewusst hergestellt und geübt (Lesen - Singen - Spielen, Aufmalen, Intervalle bestimmen und singen usw.).
Das Nachzuholen und einige Übungen dazu zu machen wäre ungleich effektiver als sich durch App-Daddeln zu konditionieren.
Unser Hirn ist nicht für Lernen durch Apps konstruiert, sondern für "
begreifen". Das bedeutet
Handarbeit und
Verstehen lernen.
Überhaupt geht das Lesen doch 1:1 mit dem Spielen lernen einher und der Umfang des Tonraums baut sich dabei erst nach und nach auf.
Gerade auf dem Klavier ist der Sachverhalt außerdem schön einfach, denn man kann ganz wunderbar den Finger auf eine Taste legen, den Namen des Tons sagen und sich die dazugehörende Note in den üblicherweise benötigten Oktaven vorstellen bzw. bei Schwierigkeiten damit natürlich erst einmal von Hand aufs Papier malen.
Noch weiter am Anfang: Nikolajew beginnt mit 7(!) Stücken im Tonumfang einer Terz, das soll nicht zu begreifen sein?
Bei Unterricht fallen mir sofort Übungen ein, den Umgang mit Terzen zu erweitern und die erste dazu wäre natürlich das Singen. Mit Terzen kann man auch sehr gut improvisieren, die Begleitung kommt dann vom Lehrer oder Play-Along.
Da Terz ein Intervall ist, muss es nicht bei c-e bleiben, das Singen, Spielen, Aufmalen und Benennen geht auch mit anderen Tonpaaren aufwärts wie abwärts und zur Ergänzung natürlich auch mit dem Ton dazwischen.
Als nächstes hat man den Fünftonraum.
Wer die Beschäftigung mit so etwas für "läppisch" hält, wenn bereits Probleme beim Lesen bestehen braucht sich nicht wundern.
Deshalb würde ich jeden Spieler mit Problemen zu solchen ersten Lektionen zurückschicken und dann an "Ort und Stelle" klären, worin jetzt genau das Problem besteht.
Besteht die Schwierigkeit nur im Bassschlüssel kann man sich natürlich darauf konzentrieren. Ich würde die Oktavierungen in den fünf bis sechs üblichen Oktaven aber immer wieder einstreuen, weil das Lernen von Zusammenhängen hilfreich ist.
Noch mal zum Anfang: betrachtet man den Fünftonraum c'-g', wie sind da die Intervalle und wie bilden sie sich im Notensystem immer ab?
Was ist das Intervall c-e, e-a, h-f usw., was sind deren Komplementärintervalle, welche Zahl kommt bei der Summenbildung Intervall-Komplementärintervall immer heraus...?
Egal, welche Töne eine Sekunde bilden, die dazugehörenden Noten sind immer direkte Nachbarn und sitzen daher unmittelbar auf Notenlinie/Zwischenraum oder umgekehrt Zwischenraum/Line.
Töne einer Terz sind immer beiden auf benachbarte Zwischenräumen oder benachbarten Linen zu finden, also mit Platz für die Sekunde dazwischen.
Bei Quarten sitzt ein Ton auf einer Linie und der andere im Zwischenraum oder umgekehrt, als Eselsbrücke wäre das der Nachbar einer gedachten Terz.
Quinten sind wieder beide auf Linien oder Zwischenräumen zu finden, natürlich wieder mit dem Platz für die Terz dazwischen.
Lernt man über Verstehen und konkretes Üben der Möglichkeiten, hat man sicher sehr schnell den Bogen raus.
Die offenbar bisher nie gründlich bearbeitete Lektion 1 ist also die Stammtonreihe, deren Intervalle und wo sie im Notensystem zu finden sind - zuerst in einer Oktav, dann in der nächsten.
Kann man die Notennamen vorwärts wie rückwärts flüssig aufsagen, dann kann man für die eingestrichene Oktav plus zweigestrichenem c jeden Ton im Notensystem verorten.
Das malt man ein paar Mal mit Bleistift und Papier einzeln auf und wenn das klappt geht die Übung benennen-im System verorten komplett aus dem Kopf.
Das Aufmalen geht ohne Notenpapier, einfach mit selbst übereinander selbstgezogenen kurzen Linien samt dem passenden Schlüssel davor.
Wie gesagt, unser Gehirn lernt bei diesem Weg über die Handschrift viel einfacher als über eine App.
Ist man erst soweit, ist man ein paar Tagen ein für alle Mal durch und sattelfest.
Die Diskussion hier dauert schon wesentlich länger als man dafür braucht und ich bin mir sicher, das Lernen mit einer App wäre niemals ähnlich effektiv.
Neben Noten im System ist es eine schöne Übung, sich "magisch gedrückte" Tasten vorzustellen und den jeweiligen Ton oder später das Intervall zu benennen, das geht auch aufwärts wie abwärts.
Mit "magisch gedrückt" meine ich den vorgestellten Anschlag der Taste ohne Finger. Zum Finger gibt es bei einzelnen Tönen keine feste Verbindung und deshalb sollte man sich die auch nicht einbilden (=lernen).
Die allereinfachste Übung wäre, sich die ersten Stücke der Klavierschule wieder vorzunehmen. Bei dieser Gelegenheit kann man vom angeschlagenen Referenzton aus die Melodie in Diskant oder Bass auch singen.
Das wurde mit größter Wahrscheinlichkeit auch immer vernachlässigt, obwohl es auf Dauer die wertvollste Lernhilfe überhaupt ist, weil Singen nun einmal Musizieren in der natürlichsten Form bedeutet.
Die Oktavierung der Töne geht schließlich vom Kontra A bis zum viergestrichenen c, wie gesagt samt Verortung im Notensystem aus der Vorstellung oder von Hand aufgemalt.
Das alles macht häppchenweise geübt kaum Arbeit und sollte für den Hausgebrauch reichen. Wenn nicht, dann weiß man jetzt auch, wie das selbständige Erweitern des Gelernten geht.
Gruß Claus