War viel los hier, ist ja auch ein interessantes Thema. Da es schon spät ist, hier aber nur ein paar Anmerkungen in aller Kürze.
"Bildung" ist
das Stichwort. Wenn mir der Computer immer neue Varianten vorspielen würde wie es weiter oben beschrieben wurde, bis ich zufrieden bin, hätte ich dann wirklich eine Möglichkeit, etwas Neues kennen zu lernen? Ich könnte ihn ja immer wider korrigieren, bis ich zufrieden bin. Wenn ich aber bis dahin noch nie eine Fuge gehört hätte und selber nicht auf die Idee einer Polyphonie käme, würde ich dann jemals eine Fuge hören nach diesem Feed-Back-Korektur-System? Wenn die Algorithmen Musik à la H. Fischer als marktbestimmenden Mainstream identifiziert hätten und mir zunächst nur diese Musik zu hören gäben, wie viele Durchläufe und Metamorphosen würde es brauchen, bis ich auch nur ein Stück im Stil und in der Qualität eine Fuge aus dem Wohltemperierten Klavier heraus bekäme oder so etwas wie den Schlusssatz von Mozarts Jupiter-Sinfonie?
Nein, das würde wohl so nicht klappen. Außerdem wäre das das Prinzip des digitalen Musik-Lieferanten als reinen Dienstleister, der mir zu Gefallen liefert nach meinem Gusto. So weit, so gut. So weit, so schlecht.
Komponisten haben zwar seit eh und je Auftrags-Kompositionen angefertigt (so ist auch das Mozart´sche "Requiem" entstanden), aber nicht eigentlich nach wirklich strukturell-musikalischen Vorgaben des Auftraggebers. Sondern diese haben die Komponisten beauftragt, weil ihnen deren Musik zusagte und ihnen in der konkreten Ausgestaltung stets freie Hand gelassen. Wie hätte es auch anders sein sollen, wenn diese von Komposition doch nichts verstanden?
Anders herum wird ein Schuh daraus! Ich will mich mit Stücken
auseinandersetzen, die mich heraus fordern, die mich vielleicht verstören, die mir ein "geistiges Futter" bieten. Ich verlange vom Komponisten fachliche Expertise, die ihn befähigt, mir etwas vorzusetzen, auf das ich selber nicht gekommen wäre. Ich kann das dann mögen oder auch nicht, aber darum geht es eigentlich nicht, wenn es um
Bildung geht. Bildung verlangt etwas von mir, die muss ich mir erarbeiten, dass braucht Zeit und Muße, aber eben auch entsprechendes "Futter" mit ausreichend geistigem Nährwert. Mit dem ´Dienstleistungs-Verfahren´wird das sicher nichts, schon gar nicht, wenn es sich nur um Massen-taugliches ´Fast-Food´ handelt.
Zum Thema "Bildung" kann ich wärmstens die Bücher von prof. Konrad Paul Liessmann empfehlen (
https://de.wikipedia.org/wiki/Konrad_Paul_Liessmann)
Diese Beispiele klingen sehr bescheiden. Warum?! Weil Null Dynamik. Velocity 127 immer schön einheitlich, und Dosenmusik die schrecklicher nicht klingen könnte. Heute gibts bessere Softwareinstrumente, und JEDE DAW hat ein besseren Humanizer. So gesehen sind diese zwei Beispiele wohl von jemandem veröffentlicht worden, der den Computer mit absicht scheitern lassen wollte. Vor 30 Jahren war der Klang eines Gameboys fast so gut wie diese zwei Beispiele. Das geht wesentlich besser heute.
Das ist nur scheinbar ein Problem. Die Klangestalt ist zwar in der Tat bescheiden, aber das tut bei der Beurteilung von Strukturen und die daraus entstehenden Spannungen, Entwicklungen usw. nichts zur Sache. Inhaltlich lassen sich diese digitalen Machwerke auch so gut beurteilen.
Auch bei Menschen-gemachtem Mittelmaß kann dieses allenfalls durch eine besonders gute Aufführung nur etwas kaschiert werden. Dem Kenner bleiben die Mängel aber nicht verborgen.
Dass ich den Marktführer noch ins Spiel gebracht hab, hat folgenden Grund:
Er verkauft am Meisten. Auch wenn Musiker wie du und ich sowas nicht gerne hören, spricht diese Art von Musik sehr viele Leute an. Das spricht für diese Art von Musik, auch wenn du es so darstellst, als wäre diese Musik unser aller Untergang.
Dazu habe mal vor langer Zeit einen Spruch gehört, der dazu passen könnte: "Millionen Fliegen können nicht irren. Esst mehr Sch..."
Ob in der Musik oder anderswo, die Masse/Mehrheit goutiert lieber das Mittelmaß. Mit Qualität hat das zunächst nichts zu tun. Wobei die Masse aber auch Qualität nicht ablehnt, es gibt ja auch gut populäre Musik (z.B. Beatles, Udo Jürgens, aber auch gottseidank etliche andere).
PS: Für die, die es noch nicht wussten: Computer können auch ziemlich erfolgreich Partner vermitteln. Gefühlswelt pur^^. Viele Leute schenken einem Computer ihr ganzes Vertrauen bei der Partnerwahl, verlieben sich und werden glücklich. (oder auch nicht
) Warum sollte das nicht auch bei Musik funktionieren?
Wie "ziemlich erfolgreich"? Halten diese durch Algorithmen vermittelten Beziehungen länger, sind diese nachweislich glücklicher?
Ich meine mal etwas darüber gelesen zu haben wo stand, dass dem nicht so ist. Die Quelle finde ich aber im Moment nicht wieder.
Im übrigen halte ich das "Gerede" von den ach so menschlichen Emotionen für reichlich übertrieben ... letztlich folgt auch der (genial) komponierende Mensch (nur) einem Algorithmus in seinem Hirn. Aber halt einem, der so phantastisch programmiert ist, daß er auch die Möglichkeit für Unerwartetes impliziert ...
Soweit ich die aktuellen Entwicklungen und Erkenntnisse der Gehirnforschung verfolge, sind es eben
keine Algorithmen, nach denen das Gehirn arbeitet. Die Verarbeitung von Reizen im Gehirn ist zwar Reiz-Reaktion orientiert, aber die sehr komplexe Organisation des Gehirns und vor allem die schier unendlich erscheinende Dichte der synaptischen Verschaltungen lassen eben auch chaotische Antwort-Muster zu, aus denen sozusagen Kreativität entstehen kann. Das geht weit über vorhersehbare und mathematisch systematisch beschreibbare Algorithmen hinaus. Es geht dabei nicht nur um das Prinzip des Chaotischen, dass an sich schon mathematisch fassbar wäre, sondern um die anschließende Filterung und Bewertung im Gehirn, die einen vor- oder unbewussten Denkprozess mit einem Ergebnis zu Tage treten lässt.
Wenn ich mir so die Popmusik der letzten Jahre anschaue, so werden Arrangements oder bestimmte Tricks nach einem erfolgreichen Lied von vielen anderen nachgeahmt. Erfolg hat, wer dann noch vorne dabei ist. Der Rest stürzt ab in Langeweile. Ich kann das nur dem Phänomen nach beschreiben da ich kein Musiktheoretiker bin.
Da die Stilistiken im Pop in sich sehr einheitlich sind - sonst wären sie kein Pop, Rap, Hip-Hop usw.- und deren strukturelles Repertoire jeweils ziemlich begrenzt ist, sind auch die Kombinationsmöglichkeiten der stilistischen Elemente nur recht begrenzt. Und möglicherweise mittlerweile auch schon erschöpft.
Es gibt dazu sogar eine Musikwissenschaftliche Publikation:
https://www.amazon.de/Das-Ende-Pop-Musik-Sackgasse/dp/3933060478
Es ist eigentlich relativ egal, ob wir die Entscheidung einem Computer übertragen oder "nur" einem Menschen, der ein starres Regelwerk ("qualitätsgesicherte Prozesse"...) befolgt. Die Algorithmisierung ist der Kern der Änderung, nicht der Computer. Der kann nur schneller (was natürlich zu ganz neuen Anwendungsfällen führt). Da ist es dann auch egal, ob es die Medikamentenverabreichung, die Prüfung der Steuerunterlagen oder aber der regel(ge)rechte vierstimmige Satz algorithmisiert wird.
Wenn es um Kunsthandwerk oder ´nur´ Arrangement oder Tonsatz geht, dann mag die Algorithmisierung tatsächlich greifen und adäquate Ergebnisse liefern. Meiner Meinung nach sind die Algorithmen aus sich selber heraus nicht fähig, das zu kreieren, was ich als "Kunst" ansehen würde. Siehe auch meinen Abschnitt weiter oben zum Thema Bildung.
Ich finde die Fragestellung schon mal gar nicht so interessant: Als musizierender Mensch möchte ich mich ja - z.B. als Interpret klassischer Werke - mit den musikalisch-geistigen Errungenschaften anderer Menschen auseinandersetzen, nicht mit den Erzeugnissen von programmierten oder sich selbst programmierenden Maschinen.
Sehr wahr!
Ich trete oft in Konzerten mit freien Improvisationen auf, oft alleine, aber auch mit anderen Musikern zusammen. Meistens Kirchenmusiker, weil viele Kirchenmusiker mit freier Improvisation vertraut sind (anders als z.B. die meisten studierten "Klassiker"), aber auch mit Amateuren. Ich kenne das Gefühl, wie es ist, wenn Mitspieler mehr oder weniger interaktiv reagieren, mehr oder weniger zuhören, mehr oder weniger musikalisch kommunizieren. Das Gefühl, wo es gelingt, zusammen eine gute Spannung zu erzeugen, aber auch wo es misslingt.
Es wäre ein Experiment wert, wie es wäre, wenn ich mit einem Algorithmus-basierten Computer als musikalischen
Partner zusammen improvisieren würde.
Vor einiger Zeit hatte ich die Gelegenheit, mit einem Synthesizer zusammen zu spielen, der aber über teils analoge, teils digitale Eingaben von zwei Menschen bedient wurde. Das fand ich nur sehr begrenzt spannend, weil diese Kiste einfach viel zu unflexibel und stereotyp war (also nicht die Bediener, sondern tatsächlich die Reaktion der Maschine auf die Eingaben). Diese Improvisation hatte zwar auch ihren Reiz, fiel aber für mich sehr deutlich gegenüber einigen Improvisationen beim gleichen Auftritt ab, die ich zusammen mit menschlichen Partnern gemacht habe. Und selbst da stachen zwei heraus, die ich mit ganz bestimmten Partnern machte. (Es handelte sich bei diesem Auftritt um eine Art Session, bei der die jeweils bei einem Set Mitwirkenden kurz vorher ausgelost wurden).
Welche Qualität würde ein mit künstlicher musikalischer Intelligenz aufgeladener Computer als eigenständiger Partner haben?