Wenn man mal ehrlich ist, ist die Gitarre in Rock und Metal Produktionen eigentlich nur Beiwerk. Der Fokus liegt auf den Vocals. Die sind das wichtigste Instrument.
So eine Herangehensweise würde ich vielleicht von Dieter Bohlen erwarten, aber ganz sicher nicht bei Rock oder gar Metal. In den extremeren Genres kommen teilweise ja nicht einmal die Melodien vom Sänger - bei Arch Enemy oder Amon Amarth übernehmen das ja wohl eindeutig die Gitarren. Auch Gitarrenheldenmusik wie Van Halen I+II oder Whitesnakes 1987 lebt (neben durchaus prominenten Vokalisten) von charakteristischen Riffs und auch deren Sound - hör Dir mal "Ain't Talkin' 'Bout Love" an oder "Still Of The Night". Von AC/DC müssen wir wohl gar nicht erst reden...
Das absolute Fundament des Backings liefern Schlagzeug und Bass. Daher kommen Schub UND Brillanz der Musik. Von beidem haben Gitarren eigentlich nichts. Die verzerrte Gitarre ist eigentlich nur Breitband frequenzmüll, der soweit eingedämmt werden muss, bis er ins Gesamtbild passt.
Schub und Brillanz sind allerdings wesentlich austauschbarer. Denn schon hörpsychologisch spielt sich das wesentliche in den Mitten ab, wo die menschliche Stimme sitzt, aber eben auch der entscheidende Anteil des Sounds einer E-Gitarre. Wenn man die Spielweise und den Groove außen vor lässt: Metallica oder AC/DC klingen mit so ziemlich jedem Bass- oder Drumsound noch wie sie selbst, aber der Gitarrensound ist ein wesentliches Identifikationsmerkmal. Hör Dir mal "Flick Of The Switch" an, dann weißt Du, was passiert, wenn in dem Punkt was nicht stimmt.
Nach eigener Aussage hast Du das ja bewusst überspitzt gemeint, und in sofern muss ich Dir natürlich auch ein bisschen recht geben - das mittigere, etwas gepresste Klangbild beim Close Miking lässt sich schon leichter in einem Mix integrieren. Kein Instrument sollte so breitbandig agieren, dass für die anderen kein Platz mehr ist. Und diese Anforderung kollidiert natürlich schon mit dem Bedürfnis des Gitarristen (und unterstellt auch des Threaderstellers), den überlebensgroßen, tollen Gitarrrensound vor dem Amp auch auf die Aufnahme zu bannen. Davon muss einfach was weg.
Ich muss dennoch widersprechen, wenn man meint, dass Studioaufnahmen immer nur wie auf der Bühne per Nahmikrofonierung erstellt werden. Richtig ist, dass gerade Rock- und Metalsounds einfach von den entsprechenden Hörgewohnheiten geprägt wurden. Dennoch verwenden viele Produzenten Raummikrofone für die Gitarre, zusätzlich oder gelegentlich auch mal ausschließlich. Nach meinem Eindruck aus Interviews und Gesprächen ist das aber wohl eher bei Clean- und Crunchsounds ein Thema. Unabhängig davon spricht jedenfalls nichts dagegen, auch so gewonnene Sounds mit dem Mischpult/DAW-EQ dann wieder so "zurecht zu stutzen", dass sie sich ins Gesamtbild einfügen.
Von daher also mal zurück zum Thema: ich hab ne Weile gebraucht, aber inzwischen ist mir zumindest mal klar geworden, worauf der TE hinaus wollte. "Amp in the room" und kein Mikro-Einfluss, das ganze gemodelt bzw. profiled. Ganz ohne Mikro ist es eigentlich nicht denkbar, aber der spezifische Einfluss des "close miking" sowie von Mikrofonen wie einem SM57, die alles andere als neutral agieren, soll wegfallen.
Ich denke schon, dass das ginge, nur käuflich zu erwerben ist es tatsächlich selten. Ein paar Modeller trennen schon zwischen Boxen- und Mikro-Simulation, allerdings kenne ich das eigentlich nur von etwas älteren Geräten, die heute nicht mehr den Stand der Technik repräsentieren. Liegt einfach daran, dass der früher aus Algorithmen bestand, die den Einfluss von LS, Gehäuse, Mikrofon und dessen Stellung jeweils rechnerisch nachzubilden versuchten und dann addiert wurden. Heute verwenden die Top-Geräte IRs, und das sind ja (wenn ich das Prinzip richtig verstanden habe) bis ins Detail ausgemessene Abbildungen eines in sich kompletten Aufbaus. Die kann man nicht so ohne weiteres wieder in ihre Bestandteile zerlegen.
Dennoch spricht vom Prinzip her nichts dagegen, einen Aufbau als IR abzubilden, der aus einer Box besteht, die eben
nicht in der üblichen Weise abgenommen wird, sondern von einem möglichst neutralen Kondensatormikrofon, das in der Hörposition eines im Raum stehenden Musikers platziert wird. Findet das in einem akustisch nicht zu "lebendigen" Raum statt, sollte es auch noch ausreichend trocken klingen, und die jeweils erwünschten Rauminformationen kann man dann wieder variabel über ein Room Reverb dazu geben. Leider habe ich keine Ahnung, ob man solche IRs schon kaufen kann, aber es gibt ja eigentlich schon Millionen von IRs, also vielleicht auch das.
Die Lösung für den DIY-Gebrauch wäre wohl in der Tat ein Kemper - technisch gesehen zwingt der einen ja nicht dazu, beim Profilen eines Amps zum Close Miking zu greifen. Hat man einen Raum, den man selbst als gut klingend empfindet, kann man von seinem Amp dort mit einem guten, neutral abgestimmten Kondensatormikro ein Profil erstellen. Ob das in der Prxis bzw. dem Bandsound gut funktioniert, müsste man halt ausprobieren.
Gruß, bagotrix