@GEH ,
Jetzt muss ich wirklich eine Lanze für die Mandriola brechen!
Ich bin zu ihr gekommen, wie die Jungfrau zum Kind. Ich suchte eine gute, gebrauchte Mandoline, aber Ebay gab nichts her. Dann sah ich diese Mandriola, die recht gut aussah und billig war, und dachte, ich besaite sie nur doppelt und habe meine Mandoline.
Dieser Entschluss wurde nach dem ersten Anspielen über Bord geworfen, weil der volle Klang mich so verzauberte. Also behielt ic sie als echte Mandriola und spiele sie, wenn sich die Gelegenheit ergibt. (Sie ist nicht mein einziges Instrument.)
Dass die Mandriola heute einen geringen Marktwert hat, ist wahr; wahr ist auch, das dieser Marktwert darauf zurückzuführen ist, dass sie wenig gespielt wird. Aber die Gründe, weshalb sie wenig gespielt wird, sind nicht diejenigen, die du dir denkst!
Richtig zupfen ist auch schwer, bereits bei doppelchörigen Instrumenten triffst du bei zu "rundem" Anschlag nicht richtig beide Saiten.
Schwer höchstens für einen Gitarristen!
Das Tremolieren und der saubere Ab-Auf-Schlag kann man mit nur wenig Übung von der Mandoline übernehmen. Reine Gewöhnungssache!
Auch das Greifen von 3 Saiten mit einem Finger dürfte nicht immer optimal gelingen.
Warum denn nicht? Im 1. Bund sind die 3 Basssaiten lediglich 5 mm auseinander, die hohen Saiten noch weniger. Wenn du mit der Fingerkuppe auf die mittlere Saite eines Chores zielst, erwischst du - normal dicke Finger vorausgesetzt - zwangsläufig die beiden anderen.
Sauber flotte Melodien zu spielen stelle ich mir schwer vor.
Das ist kein Argument! Alle Instrumente, die ich nie gespielt habe, stelle ich mir schwer vor. Auf jeden Fall kann ich genauso flotte Melodien auf der Mandriola wie auf der Mandoline spielen (z.B. irische Jigs).
Vielleicht eher was für ein paar einfache stark schwebende Akkorde.
Ich denke, eher nicht. Schon die neapolitanische und die deutsche Manoline haben einen zu lebendigen Klang, um wirklich angenehme Akkorde zu spielen (die amerikanische Mandoline ist dumpfer, holziger und eignet deshalb sich eher für "chops"). Für Akkorde mit oktavierten Saiten haben wir ja schon die 12-string-Gitarre!
In dem Fall sehe ich schon Gründe, warum sich solche Instrumente leider nicht durchsetzen konnten.
Die Gründe für das weitgehende Verschwinden der Mandriola sehe ich anderswo. Sie ist ja eine Variante der Mandoline. Wer Mandoline gelernt hat, kann sie nach kurzer Gewöhnung (eher Stunden als Tage!) locker spielen. Ich verwende meine Mandriola in der Folkgruppe als eine Art "2. Mandoline", wenn die normale Mandoline oder die Geige melodieführend ist. Die Mandriola ist sozusagen die "Mezzosopranistin" zu der "Sopranistin" Mandoline. Ich stelle mir deshalb die Mandriola als nützliches Mitglied eines Mandolinenorchesters vor - aber Mandolinenorchester gibt es praktisch nicht mehr. Also kein Bedarf!
Es kann auch sein, dass die Mandriola Opfer der Elektronik geworden ist. Jahrhundertelang arbeiteten Instrumentenbauer und Gesangslehrer dran, die Musik laut und deutlich hörbar zu machen. In einem Ensemble hat die Mandriola mir ihren oktavierten Saiten eine größere akustische Präsenz als die Mandoline. Heute, wo PUs und Boxen überall eingesetzt werden, ist diese akustische Rafinesse nicht mehr nötig.
Kommt hinzu, dass die Mandriola zu sehr ein "Nicheninstrument" ist. Die meisten Posten bei der Zupfmusik waren schon vergeben: die Mandoline als Sopran, Mandola als Tenor, Mandocello als Bass, Gitarre als Continuo - und heute gibt's die zahlreichen Bouzoukis, Oktavmandolinen, Citterns, etc. Die Mandriola ist von der Stimmung her gleichzeitig Mandoline und Mandola, also dort überflüssig, wo es Mandolinen und Mandolas gibt. Ich persönlich verwende die Mandriola zwar gern, aber selten. In einer kleinen Gruppe mit Kontrabass, Gitarre und eine Mandoline oder Geige kann die Mandriola abwechselnd sowohl die Melodie führen (Sopran-Rolle) als auch eine kräftige zweite Stimme beisteuern (Mezzo- bzw. Alt-Rolle).
Wo die Mandriola die Mandoline übertrifft ist nach meiner Erfahrung beim Vorspielen einer unbegleiteten Melodie. Hierbei klingt auch eine gute Mandoline etwas dünn und piepsig - die Mandriola aber hat seine "fetten" Bässe!
Das alles schreibe ich nur um klar zu machen, dass die Mandriola ein vollwertiges Instrument, das leider von der Musikgeschichte überrollt wurde.
Cheers,
Jed