Dann mal noch eine ketzerische Frage. Bei einem typischen Synth-Flächen-Sound z.B. Strings, würde man das auf jeden Fall hören, ob da ein Sample zugrunde liegt oder ober das von einem analogen bzw. VA-Synth kommt ? Oder eben nur der Fachmann bzw. nur wenn´s die Samples von einer relativ alten Workstation sind oder läßt sich das nicht pauschal beantworten oder...?
Der Laie weiß gar nicht, daß es da
überhaupt einen Unterschied gibt. Es gibt weiß Gott genug Amateurkeyboarder, denen der Unterschied zwischen analogen und virtuell-analogen Strings auf "amerikanische" Art (2–3 gegeneinander verstimmte Oszillatoren mit Sägezahn oder PWM, null Effekte) und auf "japanische" Art (1 Sägezahnoszillator, jede Menge Chorus drauf), echter Stringmachine (gewaveshapeter, paraphoner Oktavteiler mit Triple Chorus drauf), digital emulierter Stringmachine, gesampleter Stringmachine und gesampleten
echten Streichern vollkommen egal ist, zumal sie außer den echten Streichern eh nichts anderes kennen.
Sobald man ein bißchen in der Materie drinsteckt, wird man den Unterschied bemerken. Besonders auffällig dürfte der sein zwischen Strings von einem klassischen Analogsynthesizer und Strings von einer Stringmachine. Beispielsweise beim Roland Juno-60 hat jede Stimme einen für sich komplett autarken, freischwingenden VCO. Beim Jupiter-8, auf dem man Strings "amerikanisch" baut, hast du derer zwei, also je nach Spielweise bis zu 16 voneinander total unabhängige Oszillatoren, jeder mit seinem eigenen, gleich unzuverlässigen Taktgeber. Beim Solina hast du genau einen einzigen Hochfrequenzoszillator für die ganze Kiste. Jede Stimme, die du hörst, ist nur eine "heruntergerechnete" Frequenz desselben Oszillators. Während beim Synth also alle Stimmen lustig durcheinanderdriften, laufen sie bei der Stringmachine immer derart präzise im Gleichschritt, daß sie je nach Intervall immer im selben Abstand gemeinsame Nulldurchgänge haben. Dann kommt noch oben drauf, daß der Jupi gar keinen Chorus hat, der Juno einen und das Solina derer drei (eine Eminent 310 hätte sogar sechs).
Eine gesamplete Stringmachine ist eine Krücke, und wenn man genau hinhört, merkt man das auch. Dadurch, daß schon die Grundschwingungen Aufzeichnungen sind, werden sie natürlich diesem charakteristischen Gleichtakt entrissen. Du hast zwar immer noch perfekte Stimmungen und kein wildes Durcheinandergedrifte, aber nicht mehr "Gleichschritt marsch". Und dann kommt hinzu, daß naturgemäß der Triple Chorus mitgesamplet wird. Jede Stimme, die du spielst, hat ihren eigenen Choruseffekt mit eigenen LFOs, die mit jedem Tastendruck immer auf dieselbe Phase geresettet werden – statt daß die "trockenen" Stimmen erstmal gemischt und dann allesamt durch einen Triple Chorus geschickt werden. Das ist fast so schlimm wie in den 90ern die Unsitte, bei Hammond-Samples das Leslie mitzusamplen.
Was letztlich aber eine noch viel größere Rolle spielt, ist, daß jedes Gerät einen eigenen Charakter hat. Ein Korg Polysix hat auch einen Triple Chorus, aber du kannst daran rumdrehen, wie du willst, der wird nicht wie ein Solina klingen. Oder ein Roland RS-202. Oder eine Logan String Melody. Oder eine Elka Rhapsody 610. Oder ein Korg Lambda. Das liegt allerdings nicht nur an der Geräteart, sondern auch diese vier genannten Stringmachines klingen alle verschieden. Genauso kannst du beim MicroKorg den Ensemble-Effekt anschmeißen und wirst da nicht hinkommen. Waldorf Streichfett klingt dann nochmal wieder anders. Wenn du einen Nord Lead nimmst und da das "amerikanische" Effekte-sind-für-Pussies-ich-mach-die-Schwebungen-mit-den-Oszillatoren-Spiel spielst, klingt das wieder ganz anders, als wenn du das mit einem Jupiter-8 oder OB-Xa oder Memorymoog oder Access Virus oder Waldorf Microwave machst. Und so weiter. Wohl noch eher als die Gerätegattung erkennt man am Klang das Gerät selber und
dadurch die Gerätegattung.
Jetzt will ich aber noch einmal zurückkommen auf das ursprüngliche Thema, ob Rompler – wahrscheinlich gemeint im Kontext der Produktion elektronischer Musik – out sind. Ich sag mal so: Die waren nie so wirklich in.
Ich meine, Rompler gingen ja erst 1988 richtig los, E-mu Proteus und vor allem Korg M1. Letztere sollte gewissermaßen das Homeproducing revolutionieren und auf Instrumenten- und teilweise auch Effektseite alles im Gehäuse eines einzigen Keyboards bieten. Mixer mit Mikroeingang und Vierspurrecorder dran, Mikro, vielleicht noch 'ne Klampfe (in der ausgehenden Zeit des Synthpop wohl eher weniger) und los.
Tatsächlich kam alles anders. Es sollte aber bis Mitte der 90er dauern, bis die inzwischen zu den Platzhirschen aufgestiegenen Japaner, die die Welt mit Rompler überschwemmten, das begriffen. 1987 wurde in Chicago der Acid House erfunden von drei DJs, die sich nichts besseres leisten konnten als die damals in ziemlichen Mengen in Pfandhäusern und Second-Hand-Läden trotz Billigst-Gebrauchtpreisen verstaubenden Roland TB-303, TR-808 und TR-909. Die haben sich also diese unterausgestatteten, hoffnungslos veralteten (nur die 909 ist auch nur zur Hälfte digital) Kisten gekauft, damit rumexperimentert – und festgestellt, daß man damit einen dermaßen phätten Abgehsound machen kann, daß einem die Dichtungen aus den Fenstern fliegen. Und daß man an der 303 bei laufendem Sequencer wunderbar am Sound rumschrauben kann.
Aus dem Acid House wurde dann ganz schnell Techno, der ab 1988 die Welt überrollte. Da zählten nur fette Beats, fette Basslines ("fett" war etwas, was Romplern immer abging im Vergleich zu echtanalog) und Echtzeitzugriff zu den Parametern der Klangerzeugung – zumindest denen, die man bei einer 303 verdrehen kann. Cutoff, Resonanz, Filterhüllkurvenintensität, Filterhüllkurven-Decay. Daß mußte quietschen, schmatzen und blubbern, mußte das.
Rompler gingen eigentlich nur in der Hochglanzwelt des House, auch da eigentlich nur die Korg M1 und auch da wieder nur ganz spezifische Sounds. Der Piano-Sound der M1 kam Livemuckern sehr entgegen, weil man endlich einen halbwegs brauchbaren Klaviersound hatte, ohne für schweres Geld einen Kurzweil kaufen zu müssen. Echte Pianisten haben ihn allerdings als zu unecht und drahtig verschmäht. Die House-Fraktion dagegen fand ihn gerade
richtig unecht und drahtig, der paßte geil zur gleichermaßen drahtigen TR-909, die noch viel weniger wie eine echte Schießbude klingt. Jede zweite Dance-Produktion der Zeit um 1990, die nicht ausdrücklich "Techno" oder "Rave" draufstehen hatte, hatte ein M1-Piano im Refrain. Und vielleicht auch noch irgendwo eine M1-Orgel. Ansonsten gab's noch ein paar Romplereinsätze, weil einfach mal irgendwo ein Preset zu geil war, um da keinen Track drumrumzubauen ("Insomnia" von Faithless bleistiftsweise).
Und sonst so? Nix sonst so. Bei heutigen Elektronikern ist der Rompler ziemlich uninteressant. Es gibt ihn nicht in klein und vollbeknopft zum Schrauben im Club oder zu Hause. "Klein" wäre noch unbedienbarer als eine Workstation. "Vollbeknopft" wäre Roland JD-800, der deshalb so tief baut, weil irgendwo die ganzen Fader hin mußten, und deshalb nicht mit in den Club paßt. Fett ist der Rompler nicht, da können die Japaner samplen, was sie wollen. Die Hüllkurven sind zu langsam für Blips. Die LFOs sind zu langsam für FM. Oszillatormodulationen (außer Ringmodulator vielleicht noch) gehen prinzipbedingt nicht. Die generischen 08/15-Digitalfilter drücken nicht richtig.
Jetzt könnte man sagen: Rompler haben eigentlich das Potential, damit ganz neue Sachen zu machen, die es so noch nicht gab – vor allem, wenn man sich z. B. mal die semimodulare Roland-JV-Architektur ansieht oder gar V.A.S.T. von Kurzweil. Ja, aber hätte die jemand dafür benutzen wollen, wäre das schon in den 90ern passiert. Ist es aber nicht. Wenn man sich mal im Nachbarforum™ umhorchen sollte (
wer das immer noch nicht kennt) – da werden Rompler entweder gar nicht beachtet, oder sie werden ausschließlich mit digitalen Röchelsounds assoziiert, oder wenn mal einer geil ist, dann ist das ein Multisynthesegerät, bei dem kurzerhand am Rompler vorbeibenutzt wird. Montage gilt da als praktisch reiner FM-Synth und deshalb als geil, weil 8OP, und weil man danach nicht erst den Gebrauchtmarkt nach einem guten Exemplar abgrasen muß. Trotzdem ist der erste DX7 geiler, weil amtlicher und schmutziger, und der FS1R auch, weil nerdiger und abgedrehter.
In der Synthesizer-Szene kräht jedenfalls nach realistischem Piano kein Hahn und nach Rhodes und Hammond auch keiner.
Martman