Jede Rockband braucht eine große Ballade. Bei
Mentha Piperita, meiner zweiten Formation, war es das folgende Stück. Es stammt aus dem Jahr 2008 und heißt
Tonight, Tonight
https://soundcloud.com/williamsbirne/tonight-tonight
Tonight, Tonight (Bandcode:
TNT) ist eines der Stücke, bei denen mich die Muse im Schlaf küsste - ich habe es geträumt. Das heißt: nur den Refrain "to-night, to-night, (a)-(a)-(a)-(a)-(a)-(a)-(a)-(gi__s)-(fi__s)". Ich wachte auf und wusste, dass das eine sensationelle Idee war. Ebenfalls geträumt hatte ich die grobe Struktur - einen A-Teil mit Strophen und einen B-Teil, der ausschließlich aus einem langen Crescendo sich wiederholender Refrains besteht. Ich wusste aber nur noch den Refrain.
Problem also: ich hatte keine Strophen. Als ich mich daransetzte, das Stück fertig zu schreiben war deshalb meine schwerste Aufgabe, erst mal eine Melodie zu finden, die mit dem Refrain gut funktioniert. Ich glaube, allein danach habe ich mehrere Tage lang gesucht.
Ich wollte bei diesem Lied die Melodie(n) extrem herausstellen und legte deshalb zunächst einen Rhythmus fest, der wenig Aufmerksamkeit abziehen sollte: einen ganz einfachen Achtel-Rhythmus. Die entscheidende Idee, um die Strophenmelodie zu finden, war dann, jeweils die erste Silbe allein stehen und danach eine Pause folgen zu lassen.
Mir war auch relativ schnell klar, dass ich das Hauptthema - die Refrainmelodie - schon früh einführen muss, damit bei Einsetzen eigentlichen Refrains ein Wiedererkennungseffekt da ist. Deshalb spielte ich das Thema in allen möglichen Varianten immer wieder als Unterbrechung der Strophen durch. Auch das Intro enthält bereits das Thema. Im Grunde ist der ganze Song ein Durchexerzieren der Idee aus dem Traum, unterbrochen von Strophen und einem Gitarrensolo, das mit komplett eigenständiger Melodie und Begleitung daherkommt - aber ebenfalls wieder ins Hauptthema mündet.
Schön finde ich auch den Abgang nach dem letzten Refrain. Diese Idee hatte ich schon lange herumliegen und war froh, sie endlich irgendwo verwenden zu können.
Unser Schlagzeuger, immer Stammgast beim Wacken Open Air, war von dem Lied sehr angetan - was ich gar nicht erwartet hatte - und erfand die Schlagzeugbegleitung, bei der ich zunächst dachte, irgendetwas daran müsse anders sein. Doch bald konnte ich mir das Stück ohne seine spezielle Begleitung gar nicht mehr vorstellen. Er hat das Feeling des Songs wirklich klasse umgesetzt und dabei seine ganz eigene Note hinterlassen.
Zur Aufnahme (2009) gibt es nicht viel zu sagen. Sie fand statt. Keine besonderen Umstände. Die weibliche Stimme hat meine Frau beigesteuert...
Allerdings bin ich mit der Umsetzung des Songs nicht ganz zufrieden. Der Bass spielt eine eigenständige Linie, die einen schönen Kontrast zum Gesang bildet. Dummerweise war ich vom Bass so angetan, dass ich ihn beim Abmischen bei 50 Hz überbetont habe - obwohl mir der Mischer davon abgeraten hat. Heute ärgert mich das schlecht identifizierbare Gewummer. Die cleane Gitarre klingt zu sehr nach Humbucker. Würde ich heute auch anders machen.
Überhaupt fällt mir vieles ein, wodurch man den Effekt des Songs noch viel stärker hätte herausarbeiten können. Wenn ich dran denke, dass die Umsetzung beim Komponieren und Arrangieren schon weit von dem entfernt war, was ich im Traum "gehört" habe, und dann noch anrechne, wie weit wir bei der Aufnahme unter den Möglichkeiten geblieben sind, die die letztliche Komposition hergegeben hätte...
Wir haben damals (ja, wir waren naiv) einmal bei Emergenza teilgenommen. Es war gerade unser zweiter Auftritt als Band. Das heißt, wir hatten noch keine Fans.
Tonight, Tonight war der letzte Song unseres Sets. Alle Bands waren laut, hart und schnell gewesen. Vor
TNT fragte ich "vorsichtshalber" zum Scherz einmal ins Publikum, ob es erlaubt wäre, auch mal eine Ballade zu spielen.
Ja, ja, macht nur, kamen die Rufe von unten. Dann haben wir
TNT gespielt und es war spürbar, wie sich da unten die Stimmung änderte, alle wurden ruhig und andächtig - eine Woge von "jou man, das isses..." Welche Band weiter kommen sollte wurde am Ende der Veranstaltung per Applaus bestimmt. Deshalb kommen in der Regel die Bands weiter, die die meisten eigenen Fans mitbringen - ein Abzockgeschäft und vor allem gut für die Veranstalter.
Wie gesagt, wir hatten keinen einzigen Fan dabei. Aber wir sind weiter gekommen. Ich denke, das lag zum großen Teil an diesem Lied. Auch wenn man am Ende fast anderthalb Minuten um das hohe A herum singen muss, was ziemlich anstregend ist.