Hier kommen schon wirklich viele interessante Aspekte zusammen. Aber gleichzeitig ist auch festzustellen, dass die Wahrnehmungen doch auch auseinandergehen können und dementsprechend auch die Tipps. Heißt unterm Strich:
1. Jeder definiert Schüchternheit anders.
2. Das was gegen Schüchternheit "helfen" kann, kann für jeden etwas anderes bedeuten
3. Gut gemeinte Ratschläge können mitunter genau das Gegenteil bewirken.
Beispiel:
Jemand ist "schüchtern" im Sinne von "sich in der Band im Hintergrund halten", "nicht genügend Show machen" etc.
Ratschlag:
Z.B. Mitmachen von öffentlichen Sessions.
Mögliches Ergebnis 1:
Der Ratsuchende erfährt das positive Gefühl des miteinander Musizierens, bekommt Lob, Zuspruch Ermunterung und findet darüber einen Weg "etwas mehr aus sich herauszukommen".
Mögliches Ergebnis 2:
Der Ratsuchende erfährt das negative Gefühl des miteinander Musizierens. Oft reicht nur ein leichtes Kopfschütteln eines Mitmusikers, oder der nicht ganz so üppig ausfallende Applaus der Leute. Der Ratsuchende wird dadurch noch unsicherer, als er ohnehin schon ist.
Das hat so etwas davon einen Nichtschwimmer ins tiefe Becken zu schmeißen, nach dem Motto: Wenn Du schwimmen willst, dann versuch es doch wenigstens!
So funktioniert das aber bei einem Musiker nicht. Weil z.B. Schüchternheit kein Ausschlußkriterium für einen Musiker ist. Bedeutet: Ein Musiker darf/kann auch schüchtern sein. Das hat erst einmal auch nicht soviel mit den Fähigkeiten am Instrument zu tun, oder ist zu verwechseln mit dem Lampenfieber. Das sind alles unterschiedliche Dinge.
Jeder Musiker hat erst einmal einen eigenen Anspruch und hier sollte das Ziel sein, seinen eigenen Ansprüchen zu genügen. Hinzu kommen die Dinge die "von außen" herangetragen werden, sei es was das Musizieren selbst angeht, die Präsentation, Sound, Hemdfrage, was auch immer. Dieser Art von Feedback ist man als Musiker immer ausgesetzt. Entweder von den eigenen Leuten bei der Probe (fängt bei der Lautstärke an, und hört bei der Farbe der Chucks noch lange nicht auf ;-)), oder dann nach den Gigs von den Zuhörern, Zeitungskritiken etc. Hier wird man auch feststellen, dass die Wahrnehmungen weit auseinander gehen. Die einen fanden den Sound gut, die anderen schlecht. Die einen fanden den Gitarristen "soooooooo süß", die anderen "schüchtern" usw.
Hier sind wir an dem entscheidenden Punkt: Wie geht man mit all diesen "Infos" um.
Möglichkeit 1:
Man sagt sich. Ist mir alles wurscht, was gesagt wird. Ich zieh mein Ding so durch, so wie ich es für richtig halte.
Möglichkeit 2:
Man gleicht das Gesagte mit seinen eigenen Ansprüchen ab und überlegt sich, ob da etwas bei ist, was einen selbst eventuell weiterbringt, aber noch zu einem selbst passt.
Möglichkeit 3:
Man versucht es allen recht zu machen und verliert sich dabei selbst aus den Augen und versucht womöglich etwas darzustellen, was man selbst gar nicht ist.
(die Grenzen zwischen den Möglichkeiten sind natürlich fließend)
Meiner Meinung nach hat jeder Musiker innen drin etwas nach außen gekehrtes. Bei jedem ist dieses nach außen Gekehrte unterschiedlich. Das kann sich z.B. nur im Spielen des Instrumentes bemerkbar machen (es gibt viele Beispiele von klassischen Pianisten) und/oder auch wie man sich auf der Bühne präsentiert. Da gibt es die berühmte Rampensau (die womöglich gar nicht so gut Gitarre spielen kann, aber trotzdem sein Inneres dabei nach außen kehrt)
Es gibt aber auch Musiker, die erst einmal gar nicht wissen, in welcher Art sie ihr Inneres nach außen kehren wollen. Vielen ist das auch nicht bewusst und denken da auch nicht groß drüber nach, weil es einfach so ist, wie es ist
Aber wenn man mal insich etwas genauer hineinhorcht, nimmt man dieses Bedürfnis wahr. Für den einen reicht es sich im Hintergrund der Band aufzuhalten und fühlt sich dabei total wohl. Der andere muss über die Bühne posen und das am besten in total abgefahrenen Klamotten. All das entspringt dem Bedürfnis "sich zu zeigen". In welcher Art auch immer.
Soll heißen, ich hadere mit meinen Schwächen und das lähmt, blockiert mich...
Diese gefühlten "Schwächen" entspringen bei Dir aus Deinem eigenen Anspruch, welchen Du nicht erfüllst oder (noch) nicht erfüllen kannst. Du bringst Dich selbst damit in einen Kreislauf. D.h. Dadurch, dass Du glaubst diesen Anspruch nicht erfüllen zu können, offenbaren sich Schwächen, mit denen Du dann haderst, wodurch die Schwächen noch stärker zu Tage treten.
Ich habe mir Deine Sound-Demos angehört
Erst einmal finde ich es klasse, dass Du sie hier reingestellt hast und zum anderen hast Du sie echt prima gespielt
Ich kenne natürlich den Unterschied zwischen vor Leuten direkt vorzuspielen und etwas aufzunehmen und um es dann vorzuspielen. Trotzdem braucht es auch dafür Mut. Und den hast Du! Soweit ist es nun gar nicht mehr auch in echt vor die Leute zu treten. Am Spielen liegt es nicht. Das kannst Du. Also müsstest Du für Dich einen eigenen Weg finden vor Leuten zu spielen.
Ich schilder´ Dir mal meinen Weg.
In einem früheren Post hast Du mal geschrieben, dass Du früher mit langer Matte und Sonnenbrille auf die Bühne gegangen bist. Das kenne ich
Auch ich hatte früher (als Punk!!!) lange Haare. Diese boten mir "Schutz". D.h. man konnte mich nicht sehen. War natürlich Quatsch. Das ist so, als ob Kleinkinder die Hände vors Gesicht halten und denken, dass man sie dadurch nicht mehr sehen kann ;-)
Irgendwann war ich die langen Haare leid (es regte sich auch niemand mehr darüber auf) und ließ sie abschneiden. Was zur Folge hatte, dass ich beim Spielen entweder auf den Boden oder meine Greifhand starrte. Nur nicht ins Publikum blicken!!!! Ich fühlte mich aber ansonsten wohl in meiner Haut und überließ unserem Sänger das "Gehampel". Ich entsprach voll dem Typen, der total schüchtern auf der Bühne ist und eigentlich "nur" spielen will. Damit ich meinen Ansprüchen genügte, hab ich geübt was das Zeug hält und tue es noch heute
Jeden Tag, so oft es geht. Früher zur besagten Zeit nächtelang. (Auch auf dem Klo ;-) Mein Umfeld hielt es schlichtweg für übertrieben. Aber für mich war das damals meine Art "mich zu zeigen". Dann - ich werde diesen Tag nie vergessen - erzählte mir ein Schulfreund auf dem Schulhof in der großen Pause von einem Gitarristen, der seinen Arm beim Spielen dreht und springt. Der Schulfreund demonstrierte mir auch, was "Armdrehen" und "Springen" bedeutet. Ich weiß nicht warum, aber das fixte mich an. Ich wollte es zumindest mal ausprobieren. Tja, und danach kam eins zum anderen. Ich fing erst mit dem Armdrehen an. Bei einem langsamen Stück einmal. Dann bei einem weiteren etwas schnelleren 2x. Ich blieb unverletzt ;-) Also machte ich weiter und es machte Spaß. Bei einem Schlußakkord sprang ich und landete intime. Das alles ging nicht von jetzt auf gleich sondern war eine langsame Entwicklung. Ich glaub, wenn ich adhoc versucht hätte wie ein Wilder zu springen, hätte das genau den Effekt gehabt, dass es aufgesetzt gewirkt hätte. Es hätte nicht zu dem gepasst, wie ich mich sonst auf der Bühne verhalten hab. Also kam alles schön langsam der Reihe nach. Das kuriose ist, dass ich das anscheinend schon immer in mir drinne hatte, mir aber dessen nicht bewusst war. Wenn ich heute alte Fotos sehe, muss ich manchmal selbst staunen, wie sehr ich mich auf der Bühne verändert habe.
Ein Musikerkollege, der damals zu selben Zeit gestartet ist, macht überhaupt nichts auf der Bühne. Noch nicht einmal einen Schritt seitwärts. Er steht einfach nur da und spielt und ist dabei mindestens so authentisch wie ich. Er kehrt sein Inneres durch´s Spielen nach außen und das in einer beeindruckenden Art und Weise.
Wenn ich einen Rat geben wollte, dann den, sich nicht von außen verrückt machen zu lassen, sondern man selbst zu bleiben insich hinein zuhorchen um rauszufinden, was sein Anspruch ist und wieviel man wann wem von sich zeigen will. Das alles kann man selbst bestimmen!
Ratschläge wie "bewusst zu lächeln" etc funktionieren nicht! Schon mal einen schlechten Schauspieler lächeln gesehen? Und das sind häufig Leute, die es "gelernt" haben. Das unterscheidet auch den Musiker vom Schauspieler. Der Musiker muss nichts darstellen. Er kann aber, wenn er es will ;-)