@ x-Riff, sorry fuer meine etwas kurze Antwort, aber findest Du nicht, dass es etwas dem eigentlichen Jazz-Gedanken widerspricht, wenn das Original "intensiv studiert" wird bzw. wenn sich da jemand ueberhaupt so viele Gedanken macht?
Nein, finde ich nicht.
Jazz ist ein extrem breites Feld, meiner Wahrnehmung nach, und dazu zählt sowohl die spontane Improvisation als auch eine intellektuell-musikalische Reflexion. Auf gesanglicher Ebene kenne ich mehrere im Jazz verortete Sängerinnen, die mir zu einem Standard-Jazz-Stück mindestens ein halbes Dutzend an bahnbrechenden Interpretationen benennen können sowie mir mitteilen können, worin die Brüche und Neuerungen liegen. Das muss nicht mein Herangehen an Musik sein, aber ich würde eben nicht behaupten, dass dies "dem eigentlichen Jazz-Gedanken" widerspricht, schon allein aus dem Grund, weil ich mir nicht den Schuh anziehen würde, definieren zu wollen, was der eigentliche Jazz-Gedanke denn nun sei, insbesonderen in Kenntnisnahme von den Musikerinnen, die ich eben schilderte und die ich durchaus dem Jazz zuschlagen würde.
Vermutlich ist auch diese Tatsache gerade einer der Gruende, warum ich Jazz nicht mag...
Die Tatsache, dass sich jemand Gedanken um das Original macht - und das angesichts Deines Vorwurfes, dass sich schlechte Interpretation dadurch auszeichnet, dass sie sich gerade nicht um das Original schert?
Ausserdem, was ist daran schlimm, wenn man etwas, was man nicht mag, negative Attribute unterstellt? Damit versuche ich doch zu erklaeren, WARUM ich es nicht mag.
Ich glaube, dass wir uns genau da unterscheiden. Kurz gesagt: Dein Vorgehen erinnert mich stark an Rationalisierung. Rationalisierung ist der Vorgang, dass man im Verstand nach Gründen dafür sucht, was man emotional verabscheut oder milder gesagt nicht mag. Dabei steht das Urteil schon fest - es soll nur, da man ja als rationaler Mensch dazu aufgefordert ist, nicht nur als Geschmacksfrage einherkommen, im Sinne von: Schlager mag ich einfach nicht (Beispiel), sondern irgendwie auch begründbar sein.
Bei Leuten, die dies machen, habe ich bislang immer festgestellt, dass es ihnen eben, unabhängig von ihren Beteuerungen, nicht reicht, zu sagen, dass es ihnen nicht gefällt, sondern sie schieben immer Begründungen nach, die über das einfache Geschmacksurteil hinausgehen und dort nach Bestätigung, im Grunde nach Allgemeingültigkeit suchen.
Im Grunde ist die Aussage ganz einfach: Ich kann mit dem Genre yxz nichts/nicht viel anfangen. Es spricht nicht zu mir, es sagt mir nichts. Wahrscheinlich deshalb, weil ich mit Gesang in einem bestimmten Stil nichts anfangen kann.
Das ist aber ein fundamentaler Unterschied zu einem - und sei es auch noch so subjektiv gehaltenen Urteil - dass es daran liege, dass das Genre oder dessen Interpret_innen arrogant, kopfgesteuert, intellektualisiert, egomanisch oder sonstwas seien. Das ist immer noch eine Aussage über einen Gegenstand und keine Aussage über das Ich und seinen Geschmack, das nicht behauptet, mehr zu sein als es ist: eine Aussage, dass man mit xyz eben grade nichts anfangen kann.
Ich mach mal einen Exkurs: Guvnor - ich kann mir vorstellen, mit Dir in einer Kneipe unglaublich kongenial abzulästern. Ich kann mir auch vorstellen, dass Du mir nach drei Sätzen total auf den Senkel gehst. Ich kann mir auch vorstelllen, dass wir uns herzlich egal sind, wenn wir uns begegnen sollten.
Was aber der Unterschied ist zu einer Kneipe und einem Forum, ist, dass Du Dir in einer Kneipe aussuchst, mit wem Du sprichst, ablästerst oder die Wege eher nicht kreuzt.
Und die ganze Crux dieses vermaledeiten Themas liegt für mich darin, dass Du quasi in einem offenen Raum ablästern willst und sich in diesem Raum aber mindestens eben so viele Leute befinden, die über Dich und Deine Art ablästern könnten und die es schon auch ein bißchen nervt, wenn in - verzeih mir das - etwas nicht vollkommen neuen Art und Weise über sie abgelästert wird. Das vornehmste Verhalten liegt noch darin, dann in einen anderen Raum zu gehen.
Es ist gar nicht so sehr Dein Geschmacksurteil und schon gleich gar nicht Dein Verweis darauf, dass Du gar nichts anderes willst, als nur zu sagen, dass Dir persönlich unheimlich auf die Senkel geht, dass xyz so unglaublich ... und ... und ... und ... ist.
Es ist - aus meinen subjektiven Augen - eher die Frage, was gewonnen ist, wenn wirklich jeder und jede hingeht und nicht viel anderes will als ein Fähnchen in ein Gelände rammeln, auf dem steht: mag ich nicht, während vollkommen klar ist, dass eben so viele Leute ihre Fähnchen in anderleuts Geländer rammeln oder die Fähnchen der anderen aus ihrem Gelände rausrupfen oder sich darüber streiten, wem eigentlich mit welchem Recht welches Gelände gehört und wer überhaupt berechtigt ist, Fähnchen in irgendein Gelände zu propfen.
Um es mal so zu sagen: Natürlich hättest Du nichts dagegen, wenn ich einen thread aufmachen würde, in dem gefragt wird, wie einem übertrieben brave oder gar sklavisch unterwürfige Covers gefallen, wo es doch schon das Original gibt.
Aber würde Dich wundern, wenn das einen anderen Verlauf nähme als dieser thread es seit einige Zeit tut?
Herzliche Grüße
x-Riff