DerZauberer
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Einstieg in den Blues als Gitarrist - wie fange ich an?
oder
Ein weiter Weg
1) WARNUNG VORAB
TL;DR: Your problem, not mine. Eine Zusammenfassung gibt es nicht, der Text ist lang... aber na gut, ganz Eiligen empfehle ich den Sprung zu Kapitel 6 ganz unten.
Ich bin der persönlichen Meinung, dass man beim Herantasten an eine neue Musikrichtung etwas mehr tun sollte als "Hey, ich will Blues lernen, habe keine Ahnung - liebes Forum, bitter erklär mir alles". Wer "nur mal eben schnell ein bisschen Blues lernen will", wird also mit diesem Text nicht happy. Auch serviere ich hier nicht alles auf dem Silbertablett - ich bringe zwar Namen und Genres und Tipps, aber die Suche nach entsprechenden Musikbeispielen oder YouTube-Clips muss man schon selbst machen.
Ich setze also ein gewisses Maß an Interesse und Engagement voraus, und den Willen, sich mal ein paar Stunden mit der Sache zu beschäftigen. Ich kann keinen "quick fix" bieten, dazu hängt bei mir zu viel Herzblut dran - vielleicht können da Andere helfen, ich kann’s nicht.
2) EINLEITUNG
Worum geht es hier?
Immer wieder kommen im Forum Fragen wie "Ich spiele bisher nur Metal, aber nun will auch mal was mit Blues machen - wie fange ich an?" oder "Welche Songs würdet ihr zum Blues-Einstieg empfehlen" oder "Ich will besser werden, welche Blues-Soli empfehlt ihr mir?".
Immer wieder folgt darauf ein Mix aus Song-Empfehlungen, Links zu Lessons, Künstlern die man kennen sollte, Spieltechniken, Pentatonik, Akkorden, Tonleitern, und so weiter. Und: Immer wieder kommen Elemente von "was ist eigentlich Blues" und "der gerade empfohlene Song ist meiner Meinung nach gar kein Blues" sowie "was will der Fragende eigentlich hören". Die dazugehörigen Threads sind recht leicht zu finden, die Diskussionen nicht immer freudig.
Manchmal resultiert das in ziemlichem Chaos. Da ich kein großer Freund von Chaos bin, schreibe ich hier mal auf, wie man meiner Meinung als Gitarrist so starten kann.
Was ist das für ein Text?
Es handelt sich um einen typischen DerZauberer-Rant - irgendwann haben sich zu einem Thema bei mir viel Energie und Gedanken angestaut, das muss dann raus! In der Regel fließen diese Dinge dann in einen längeren "Grundsatztext" von mir, in dem ich meine Sicht der Dinge darstelle. Mir macht das einfach Spaß, das auszuformulieren und nicht nur häppchenweise in diversen Threads kundzutun.
Ich erwarte nicht, dass jeder meine Meinung teilt. Auch erhebe ich keinen Anspruch auf eine absolute Wahrheit oder "den einzig wahren Weg". Ich mag Blues sehr gern, wenn auch nicht alle Spielarten gleich gerne - und der hier propagierte Einstieg mag für einige Leute funktionieren, für andere gar nicht.
Und letztlich: So habe ich es "ein Mal" aufgeschrieben und muss nicht immer wieder von vorne anfangen zu tippen. Wie immer habe ich diesen Aufsatz mehr oder weniger in einem Rutsch rausgehauen, das dauert bei mir viel kürzer als viele von Euch vermuten. Klar, daher habe ich wie immer auch viel vergessen. Aber mein Gott, es ist ein Forenbeitrag und keine wissenschaftlich fundierte Arbeit.
An wen richtet sich dieser Text?
Der Text ist für jeden Gitarristen, der bisher wenig bis keine Erfahrung mit (oder: Ahnung von) Blues hat und dies ändern möchte.
Die Einschränkung auf Gitarristen deshalb, weil ich mich damit halbwegs auskenne - im Gegensatz zu anderen Instrumenten. Man kann sicherlich auch als Pianist oder Vocalist oder Harfenspieler was lernen, aber nach dem Motto "Schuster bleib bei Deinen Leisten" bleibe ich eben bei "meinem" Instrument.
Also beschreibe ich hier einen möglichen Ansatz, wie man sich dem Thema "Blues" nähern kann und gebe einige Standard-Empfehlungen dazu. Das wird nicht alle Fragen beantworten, also erwarte ich weiterhin rege Diskussion dazu im Forum.
Weiterhin mag der Text interessant sein für diejenigen, die sich als Rat gebende bei einer "Wie steige ich in den Blues ein" Diskussion beteiligen.
3) WIE SOLLTE MAN DENN NUN IN DEN BLUES EINSTEIGEN?
Ich empfehle folgende Schritte:
1) Nimm dir Zeit: Blues ist ein Genre mit viel Historie und Entwicklung, dementsprechend vielfältig sind Subgenres und Stile. Das geht nicht von heute auf morgen, es geht nicht um einen Song, es geht um viel mehr. Gute Nachricht: Ohne "etwas Zeit" wärt ihr gar nicht bis zu dieser Stelle im Text gekommen.
2) Beschreibe, warum Du mit Blues anfangen willst: Der eine will halt mal eine neue Musikrichtung kennen lernen, um den Horizont zu erweitern. Am Genre "Blues" kommt man ja kaum vorbei, warum nicht hier? Ein anderer Gitarrist mag sich auf der "Reise zu den Wurzeln" befinden - wer mit (Hard) Rock startet, landet irgendwann mal bei Led Zeppelin oder den Rolling Stones oder Cream/Clapton und schwupps ist es nur ein Sprung bis zu noch früheren Blues-Sachen. Vielleicht hast du auch einen tollen Gitarristen gehört und ein Freund hat gesagt "der spielt Blues". Oder was auch immer. Alles gut! Wichtig ist, dass man sich ein bisschen klar darüber wird, warum man jetzt mal in Blues machen will.
3) Beschreibe, wo du musikalisch jetzt stehst: Es schadet nicht, sich ein bisschen mit sich selbst auseinanderzusetzen und mal kurz zu skizzieren, was man schon an Musik gemacht und an der Gitarre gelernt hat. Dabei meine ich Genres, Songs, Stücke ebenso wie Spieltechnik und Licks/Riffs/Tonleitern. Hilft auch, wenn man irgendwann mal Fragen im Forum stellen will, was man sich denn so anschauen sollte.
4) Beschreibe, was Blues "jetzt" für Dich ist: Die Frage "wie starte ich mit Blues" ist in etwa so "wie starte ich am besten mit so Pop&Rock-Musik", also eigentlich nicht zu beantworten. Es ist natürlich klar, dass man als Blues-Einsteiger nicht der große Experte sein kann, von daher ist es auch absolut okay wenn hier am Ende so Dinge wie "naja, ich will halt lernen wo der Hendrix musikalisch herkommt" oder "ich will ein bisschen Joe Banamassa nachspielen" oder "eigentlich weiß ich das noch gar nicht so genau" steht. Allein dass man drüber nachgedacht hat ist schon ein riesiger Schritt!
Ich empfehle, die Schritte 2-4 genau jetzt zu tun.
Also Lesepause und machen.
Jetzt.
Weiter geht’s:
5) Verschaff dir einen Überblick: Lerne ein bisschen, was Blues so ist bzw. sein kann. Dieser Artikel bietet dazu eine gute Ausgangsbasis, siehe weiter unten.
6) Ganz ganz viel hören: Es gibt unheimlich viel Material, ich beschreibe unten einige wesentliche Künstler und Genres. Fang mal an, YouTube oder Spotify etc. sind Eure Freunde. Finde raus, was dich kickt, was gefällt und was nicht. Geh auf Entdeckungsreise.
7) Gedanken und Gefühle sortieren: Versuche, deine Lieblingslieder/Stile in Worte zu fassen oder anhand von einzelnen Künstlern/Songs zu beschreiben. Reduziere den riesigen Berg an Optionen auf die zwei oder drei Dinge, an denen du arbeiten willst. Lege fest, was du konkret an der Gitarre in Richtung Blues machen willst.
8) Spielen: Schnapp dir einen Song, ein Lehrbuch, einen Lehrer, einen Künstler, eine YouTube-Lesson, oder Tabs. Wenn du nichts findest, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Forenbeitrag. Und dann leg los, am praktischen Beispiel. Probiere aus, suche Hilfe, frag nach. Spiel!
Als Bild zu diesem Vorgehen sehe ich eine Art Trichter:
4) ÜBERBLICK UND HöREN: BLUES HISTORY AND STYLES ACCORDING TO DerZauberer
Ich bin bekennender Fan, und zwar so richtig: Ich kaufe Bücher, sammle die Aufnahmen der alten Blues Meister, und interessiere mich so wirklich mit viel Spaß und Enthusiasmus dafür. Es gibt Doktorarbeiten zu Blues, ganze Forschungszweige, da sind echte Profis am Werk. Blues-Historie ist wie jede Diskussion um Musik sehr vielschichtig und komplex. Der hier folgende Versuch, die Blues-Geschichte und die verschiedenen Stile in wenigen Absätzen zu schildern, ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Denn: Was ganze Bücher nicht ansatzweise zu greifen bekommen, das geht in einem kurzen Text viel weniger. Andererseits: Wenn man gar nichts weiß, ist ein wenig zusammengefasste Info immer noch besser als nichts.
Manche versuchen eine Kategorisierung über geographische Regionen (Piedmont, Delta, Texas), andere über Inhalte (wie z.B. Hokum), andere über Instrumente (Piano Blues, Guitar Blues, Jug Band Blues) und so weiter und so fort. Und so sehr man "typische" Vertreter für jede dieser Richtungen findet, man findet doch ebenso viele Gegenbeispiele für "untypische" Vertreter einer Richtung und Region, und viele Künstler kann man nur sehr schwer eindeutig kategorisieren. Genres und Stile helfen, eine Sprachregelung zu finden, aber man sollte den Kontext und den Künstler nicht vergessen und bei den Schubladen eine gewisse Durchgängigkeit bewahren. Was folgt, ist also ein bunter Mix - nicht vollständig, nicht einer stringenten Systematik folgend, aber in Summe vielleicht eine erste Orientierung.
Blues-Anfänge
Keiner weiß so genau, wann der Blues begann. Und auch nicht, wo genau. In den frühen 1900er Jahren wurden nämlich die Möglichkeiten zur Aufnahme von Tönen gerade erfunden, und wie man sich vorstellen kann, ist Blues damals nicht wirklich in Notenform aufgeschrieben worden. Das gilt nicht nur für Blues, sondern für ganz viel Musik aus dieser Zeit, aus ganz vielen Regionen der gesamten Welt. Nur wenig ist wirklich eindeutig überliefert aus der Anfangszeit. Aber wenn man mal (den eher als Jazz/Pop zu bezeichnenden) "St. Louis Blues" von W.C. Handy als Startdatum setzt (der Song war sehr erfolgreich und ist bis heute ein Standard): Der Song ist von 1914, wir haben gerade das Jahr 2016 begonnen. Wir reden von mehr als 100 Jahren Geschichte einer Musikform, die bis heute ihre Anhänger findet. Da ist viel passiert!
Was man weiß: Blues ist in den Südstaaten der USA entstanden, in der damals noch mit sehr wenigen Rechten ausgestatteten afroamerikanischen Bevölkerung. Einflüsse der (Ex-)Sklaven aus Afrika spielen eine Rolle, aber auch die lokale "weiße" Musik. Als Instrumente musste das herhalten, was sich die weitgehend arme Bevölkerung leisten konnte, am besten sollte es auch portabel sein. Und: Es geht eben auch um Zwischentöne, Achtel- und Vierteltonschritte und nicht nur "korrekte" Chromatik. Daher sind Zupfinstrumente (zunächst Banjo, später die Gitarre) und Mundharmonika - mit der Möglichkeit, Noten zu ziehen/benden/sliden/etc. - auch so verbreitet. Ein Klavier kann man halt nur schwer von Ort zu Ort karren, und teuer ist es zudem.
Classic (Female) Blues
Es ist nicht bekannt, wie lange Blues so vor sich hin existierte, als Popmusik einer weitgehend von der reichen / "herrschenden" Klasse ignorierten Bevölkerungsgruppe. Das änderte sich in den 1920er Jahren, als Blues-Aufnahmen eine gewisse Popularität erreichten. W.C. Handy hat dazu beigetragen, auf
einmal was das Blues-Schema bekannt, es kam gut an und die Post ging ab.
Aber halt - hier reden wir absolut nicht von dem Blues, aus dem dann Rock und Roll und weite Teile der heutigen Popmusik wurden. Wir sind immer noch bei ziemlich stark "durchkomponierten Stücken", mit einem durchaus größeren Orchester (bzw. einer Jazz-Band). Namen wie Ma Rainey, Bessie Smith oder (nicht verwandt) Mamie Smith zeigen, dass die Stars dieser Zeit vor allen Dingen Sängerinnen waren. Interessanterweise eben auch nicht mit Gitarren-Fokus, sondern eben eher eine mehr oder weniger große Jazzcombo mit Piano.
Platten wurden aufgenommen und produziert (bis ca. 1925 noch "akustisch", also ohne eine Mikrofon-Preamp-Kombination wie heute, da war man mit lauter Stimme im Vorteil) und vor allen Dingen verkauft! Auflagen erreichten die Hunderttausende pro "Single" (wir reden ja immer noch von Schellacks mit 78 Umdrehungen pro Minute).
Wer sich als Gitarrist mit dieser Zeit auseinandersetzt, wird feststellen, dass man da schon sehr nah am Jazz ist und auf jeden Fall weit weg vom "rohen" Blues. Hier sind eher gut ausgebildete Musiker am Start, es gibt viel feine Musik. War auch die Zeit, wo Blues und Jazz sich ganz nah waren - man findet Namen wie Duke Ellington oder Louis Armstrong eben auch in den Begleit-Bands von Ma Rainey. Hervorheben will ich mal Lonnie Johnson, einen nur per Zufall als "Blues" kategorisierten Gitarristen und einen der Miterfinder des Gitarrensolos, wie wir es heute kennen.
Ragtime & Piedmont Blues
Es gibt viel Blues-Content, der genauso gut ins Genre "Ragtime" passt, oder anders gesagt - es gibt eine ganze Blues-Schiene, die auf Ragtime-Elemente setzt und damit sehr erfolgreich war. Künstler wie Blind Blake, Rev. Gary Davis, Blind Boy Fuller, Bumble Bee Slim, Curley Weaver oder Josh White sind einerseits Blues-Künstler, aber eben auch Vertreter des "Piedmont Blues" (so genannt wegen einer geographischen Ecke der US-Ostküste, wo viele Künstler dieses Stils herkamen bzw. bekannt wurden).
Auf der Gitarren-Seite gibt es also viel konstanten Rhythmus im Bass (gerne alternierend auf zwei Bass-Saiten) und eine mehr oder weniger stark synkopische Melodie auf den Diskant-Saiten. Wir reden hier also über akustischen Fingerstyle und Techniken, die auch weit jenseits des engen Blues-Fokus Anwendung finden. Wer hier tief einsteigt, wird auch in der Folk- und Country-Ecke entsprechende Anwendung für die Techniken finden, im Irish Folk, in der klassischen deutschen Liedermacher-Richtung, und so weiter und so fort... bis hin zu recht modernen einflussreichen Musikern wir Paul Simon oder Mark Knopfler.
Die "klassischen" Aufnahmen aus den 1920er bis 1940er Jahren waren auch kommerziell sehr erfolgreich. Einzelne Scheiben hatten Auflagen von bis zu einer halben Million (Schellack-)Platten. Auch wenn diese Musik heute ein wenig ein Nischen-Dasein führt, so kann ich nur den Tipp geben, da mal einzuhören - es steckt sehr viel an Spieltechnik, Akkorden, Transfer-Möglichkeit auf andere Stile drin. Nicht vergessen, dieser Stil war sehr einflussreich.
Hokum (Dirty) Blues
Nicht nur Blues an sich war sexy, sondern zum Teil auch die Texte. Unter "Hokum" Blues versteht der Kenner Stücke, wo der Fokus eher auf die sexuelle Komponente gelegt wird. Verglichen mit heutigem Sprachgebrauch waren die Texte extrem harmlos, aber damals halt schon so eindeutig, wie man es gerade noch veröffentlichen konnte. Ich ueberlasse es Euch, die Textbeispiele zu interpretieren: "put my banana in your fruit basket" / "it’s tight like that" / "you can squeeze my lemon till the juice runs down my leg" ... mein Favorit ist "my pencil won’t write no more" als Bild zu Impotenz. Hokum-Inhalte findet man übrigens auch in frühem Country und andern "weißen” Musikrichtungen - Sex in der Popmusik war schon immer ein Thema.
Hier ist es also weniger ein konkreter Stil, sondern eher eine Art der Lyrics, die einen Blues als Hokum ausmachen. Es lohnt sich also, ein bisschen auf die Texte zu achten. Überhaupt: Auf vielen alten Blues-Platten steht (zurecht): "Vocal Blues with Guitar Accompaniment": Blues wurde eben primär GESUNGEN, die Gitarre BEGLEITET. Blues waren immer Songs und keine Aneinanderreihung von Single-Note-Gitarrensoli. Hört mal in Bo Carter, Lil Johnson, The Hokum Boys rein und achtet auf die Texte.
Ich habe Hokum hier aufgenommen, um das anfangs beschriebene Dilemma aufzuzeigen - wie sortiert man Blues-Genres? Machen wir weiter mit einem Genre, das doch einfach klingt.
Country Blues / Down-Home Blues / Rural Blues
Ist doch einfach, oder? Es gab den Blues in den Städten (Urban Blues oder City Blues) und auf dem Land hatte man eben Country Blues. Leider nicht so einfach, denn das "Country" ist groß. Umfasst Country Blues also Delta Blues? Was ist mit Texas Blues, in Texas gibt’s doch auch Städte? Halten wir also fest, dass das alles nicht so ganz eindeutig ist.
Dennoch, mal auf der ganz oberen Ebene: "Auf dem Land" war Blues tendenziell akustisch, von Einzelinterpreten oder Duos bzw. kleinen Combos vorgetragen, vom Stil und Text her lokal verwurzelt. "In der Stadt" gab es mehr Einflüsse anderer Musikstile, die Clubs waren grösser und somit auch die Bands-Besetzung, hier wurde die E-Gitarre als Bluesinstrument "erfunden".
Interessant ist, dass die Musikindustrie der 1920er Jahre vom Erfolg der "Country-Blues" Künstler fast überrascht wurde. Mit dem populären städtisch geprägten Sound des "Classic Blues" erfand die Plattenindustrie die Bezeichnung "Race Records" - Platten, die als Zielgruppe die afroamerikanische Bevölkerung hatten. Gab es vorher nicht! Blues wurde also aufgenommen, weil er sich verkaufen ließ. Das kleine Label Paramount Records (hat nix mit dem Filmstudio zu tun, Paramount produzierte Platten für eine Möbelfabrik, die Schränke mit Grammophonen verkaufen wollte) kam auf die Idee, mit Blind Lemon Jefferson (ein Interpret mit Gitarre) eben mal auf etwas anderes zu setzen - mit relativ großem Erfolg.
Ein Mal als Markt entdeckt, wurde dieses Genre entsprechend bespielt. Künstler wurden "ausgegraben/gefunden" (Eigentümer von Platten-Geschäften fungierten als Talent Scout), und in kleinen Auflagen wurden entsprechende Platten produziert und vermarktet.
Gerade als dieser Markt auf dem Weg nach oben war, schlug die Weltwirtschaftskrise (Great Depression) zu. Verkäufe gingen in den Keller, weil sich die im Schnitt sowieso arme Zielgruppe die Platten nicht mehr leisten konnte. Die "Heiße Phase" war so von 1928 bis 1931, danach ging es sehr steil bergab. Man merkt schon: Das, was wir an Aufnahmen aus dieser frühen Zeit haben, liegt weniger am künstlerischen Wert als am (vermuteten) wirtschaftlichen Erfolg.
Im Blues-Revival der 1960er Jahre wurden viele Künstler der "alten" (Vorkriegs- und somit Vorelektrik-Zeit) wiederendeckt, und somit brauchte man also auch ein Label für das, was die so an Musik gemacht haben. Daher wurden eben Labels wie Country Blues / Rural Blues / Down-Home Blues erfunden. Dazu kam noch die Folk-Welle mit Bob Dylan als prominentestem Vertreter, und auf einmal brachten Vertreter des elektrifizierten Chicago Blues Alben mit dem Titel "Folk Singer" oder "The Real Folk Blues" heraus - weil sich alles mit "Folk" eben gut verkaufte. Auch hier: Money makes the world go around!
Als Gitarrist ist das Spektrum gigantisch. Die Vielzahl von Künstlern und Stilen ist riesig und viel zu vielschichtig, um hier in die Tiefe zu gehen. Folgende Künstler lege ich jedem ans Herz - Musik suchen, hören, bei Interesse tiefer einsteigen: Barbecue Bob, Scrapper Blackwell, Big Bill Broonzy (hier aufpassen - Broonzy hat lange gelebt und sich durch viele Genres bewegt, bis in den Chicago Blues hinein), Sleepy John Estes, Lightnin‘ Hopkins (gut, der hat dann auch mal elektrisch gespielt), Tampa Red, Mississippi John Hurt, Peetie Wheatstraw, Big Joe Williams, Sonny Boy Williamson I (nicht die Nummer 2 später). Die Liste ist zu kurz, nicht "sauber", aber ein Anfang.
Delta Blues
Delta Blues ist ein Bestandteil des Country Blues - warum extra? Schlichtweg aus dem Grund, weil diese Musikrichtung bis heute einen riesigen Nachhall im Blues hat. Gleich hier: Man muss (!) wissen, dass der klassische Delta Blues rein vom Verkauf her ein ziemliches Desaster war. Charlie Patton war der einzige Künstler mit signifikanten Verkäufen. Delta-Legenden wie Robert Johnson, Son House, Skip James oder Bukka White hatten allerhöchstens winzige lokale Erfolge und waren zeitlebens weit weg von wirklichen "Hits".
Noch spannender wird das dadurch, dass im Zuge des Folk Revival eben auch die Suche nach den Wurzeln amerikanischer Musik losging, und die Veröffentlichung des Albums "King Of The Delta Blues Singers" einige Stücke von Robert Johnson einem breiten Publikum bekannt machte. Zu danken haben wir dafür John Hammond bei Columbia Records - einem Musikmanager, der für die Karrieren von Künstlern wie Bob Dylan, Stevie Ray Vaughan und Bruce Springsteen (neben vielen anderen) ausschlaggebend war. Man kann sich schon fragen, wo die Pop&Rockmusik ohne diesen Typen heute wäre.
Wie dem auch sei - die Robert Johnson Songs kamen genau zur richtigen Zeit. Einerseits war das Folk Ding im Gange, andererseits war man in Großbritannien gerade dabei, die Rockmusik neu zu erfinden. Aufstrebende Gitarristen wie Keith Richards, Eric Clapton, Jeff Beck, Jimmy Page, Ronnie Wood (und so weiter) hörten diese Aufnahmen, hörten auch die in den 1960ern verfügbaren Chicago Blues Aufnahmen, und erweiterten ihre Spielkenntnisse damit. Und weil hier ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung der Rockmusik folgte, wurde auch auf einmal dieser kratzige und so gut wie vergessene Delta Blues wichtig und bedeutend. Auf der anderen Seite des Atlantiks ist Bob Dylan die herausragende Figur - unter den frühen Dylan Werken findet sich z.B. ein Cover von Bukka White’s "Fixin‘ To Die", auch andere alte Blues-Gitarristen haben ihn beeinflusst. Der Nachhall geht bis heute - Jack White ist bekennender Fan, Son House hat er ein White Stripes Album gewidmet, und so weiter.
Delta Blues ist also quasi "Posthum" wichtig geworden. Einige Künstler - diejenigen, die das Glück hatten, lange genug zu leben - konnten von diesem Revival noch etwas profitieren durch Verkäufe und Auftritte, oder im besten Fall durch die Weiterverwertung in Cover-Versionen (z.B. Skip James, der durch das Cream-Cover von "I’m So Glad" mehr verdient hat als durch seine eigenen Aufnahmen).
Für einen Gitarristen steckt hier viel drin: Rhythmik, Slide Guitar, Bottleneck, seltsame Gitarren-Stimmungen, einzigartige Songs, Künstler die Regeln und Konventionen ignorieren - ein sehr spannendes Feld. Viele Robert Johnson Songs sind verdammt schwer nachzuspielen, auch die "eigentlich" spieltechnisch einfachen Songs von Son House oder Bukka White ist wegen der immensen Energie der Performance nur schwer zu kopieren. Ein Ausflug lohnt sich aber durchaus.
Mississippi Hill Country Blues
Ganz kurz: Eine Art "Sub-Genre” des Delta Blues, oft mit etwas repetitivem Rhythmus, viele One-Chord-Songs mit "Droning Bass", Melodie oft mit Slide untermalt. Wichtig deswegen, weil mit Mississippi Fred McDowell und R.L. Burnside zwei bekannte Blues-Musiker diesem Genre zugeordnet werden, und weil wiederum einige eher aktuellere Bands ihre Einflüsse daraus ziehen - ich nenne mal nur die Black Keys. Also eine weitere Fundgrube für Gitarristen.
Folk Blues
Vom Folk Revival und in dem Zuge "wiederentdeckten" Country Blues hatte ich ja schon gesprochen, auch davon, dass das dann gerne als "Folk Blues" verkauft wurde. Ich möchte aber einen enorm einflussreichen Künstler nicht unerwähnt lassen: Lead Belly (auch mal als Leadbelly geschrieben). Mit
richtigem Namen Huddie Ledbetter, eine einzigartige Figur in der Geschichte der amerikanischen Musik. Huddie Ledbetter hat mit Blind Lemon Jefferson Musik gemacht, sich nach einer Verurteilung wegen Totschlags aus dem Gefängnis "freigespielt", hat John und Alan Lomax auf ihren Field Recordings für die Library of Congress begleitet, und in seinem auch nur 61 Jahre dauernden Leben hunderte von Songs aufgenommen.
Lead Belly kann man schwer auf ein Genre festlegen, da ist verdammt viel "echte" Folk Music drin, ein bisschen Blues, Lead Belly war ein "Songster" mit einem unerschöpflichen Repertoire an Songs. Aus seine Aufnahmen gehen so bekannte Songs wie "House Of The Rising Son", "Black Betty", "Midnight Special", "Goodnight, Irene", "Where Did You Sleep Last Night” zurück, eine riesige Menge von Künstlern wurde von ihm beeinflusst. Die britische Skiffle-Bewegung, die wiederum für Beatles, Stones, Clapton & Co. ein Start war, griff sehr viel auf das Material zurück, das Lead Belly populär gemacht hat.
Für den Gitarristen wird es schwer. Lead Belly als "King of the 12-String" hat einen einzigartigen Stil, der ohne entsprechendes Instrument nur schwer zu kopieren ist. Dazu eine wirklich durchdringende Stimme. Ich sage aber: Man MUSS ihn gehört haben, wenn man beim Blues mitreden kann. Auch, wenn die große Mehrheit der Aufnahmen von ihm eigentlich kein Blues sind, sondern eher Folk.
Classic Chicago Blues
Durch die Weltwirtschaftskrise wurde die Abwanderung der Landbevölkerung aus den Südstaaten in Richtung Norden, wo die Industrie bessere Jobs und Lebensbedingungen versprach, noch beschleunigt. So fanden sich in Städten wie Detroit oder Chicago recht viele Entwurzelte, die in der neuen (und vergleichsweise kalten) Heimat eben auch Musik aus der alten Heimat suchten.
In der Stadt wurde es lauter, die Gigs auch, die E-Gitarre wurde populärer. Musiker konnten wieder in festen Bands in einer begrenzten Anzahl Clubs spielen, da wurden auch schwer transportierbare Instrumente wie Piano oder ein Drum Kit wieder interessanter. Zusätzlich zur E-Gitarre prägt die gerne durch einen kleinen Tube Amp verzerrte Mundharmonika den Chicago-Blues Sound.
Die Großmeister des Chicago Blues sind so eine knappe Generation nach den Delta- und Country Blues-Granden einzusortieren. Die ganzen rohen kratzigen 78s kommen eben aus den späten 1920er bis frühen 1930er Jahren, 20 bis 30 Jahre später ging’s in Chicago zur Sache. Um die Staffelstab-Übergabe richtig zu sortieren: Howlin‘ Wolf wurde 1910 in Mississippi geboren und hat unter anderem von Charlie Patton das Gitarrenspiel gelernt. Muddy Waters wurde 1913 in Mississippi geboren, hat 1941 ein paar Stücke auf der akustischen Gitarre eingespielt (klassischer Delta Blues), ging 1943 nach Chicago und war ab 1945/46 elektrisch unterwegs. Es gibt also eine direkte Abstammung des Chicago Blues aus dem Delta Blues.
In Chicago kamen viele gute Dinge zusammen - Maxwell Street war ein riesiger Markt, eine tolle Bühne für Musiker in Geldnot. Das Plattenlabel Chess Records wurde in Chicago gegründet. Die großen Plattenlabels (RCA/Columbia) entdeckten das Marktpotenzial und begannen, den Chicago Blues international zu vermarkten (wodurch dann wiederum die Rolling Stones und Clapton etc. unter den Einfluss gerieten, aber das hatten wir ja schon).
Hier ging’s dann aus moderner E-Gitarren-Sicht so richtig ab. Denn zum Einen gab’s eben quasi durchgängig E-Gitarre, dazu aber eben auch eine mehr oder weniger komplette Band - die Gitarre musste nicht mehr allein den Song tragen, sondern konnte sich auf Rhythmus- oder Lead-Rolle konzentrieren, je nach Bedarf. Es gibt Stücke, die sind noch sehr vom Delta Blues geprägt, andere Songs sind ziemlich exakt durchkomponiert und deutlich komplexer als ein 12-Bar-Blues. Die Liste einflussreicher Gitarristen ist endlos, ich beschränke mich mal auf eine Handvoll: Freddie King, Otis Rush, Luther Allison, Buddy Guy, Johnny Shines - dazu Muddy Waters selbst und Hubert Sumlin als bedeutendster Gitarrist hinter Howlin‘ Wolf. Da sind ganz viele Namen dabei, an denen man als Blues-Interessierter nicht vorbeikommt, und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Wo also anfangen? Man schnappe sich die großen Hits und höre, was die Gitarre da so tut. Das reicht je nach Song von ganz ganz einfachen ein- bis zweitaktigen Vamps (heute würde man "Riffs" sagen), die den ganzen Song hindurch gespielt werden bis hin zu recht komplexen 7/9/13-Konstruktionen. Es gibt nicht viele prominente Gitarrensoli (nein, immer noch nicht, liebe Gitarristen-Gemeinde!), aber viele ganz klassische und viel zitierte Licks. Mein Tipp als Ausgangspunkt ist "Spoonful" (geschrieben von Willie Dixon), gespielt von Howlin‘ Wolf und Band - schnappt Euch das, und macht Euch an die Gitarrenspur. Das Lied hat EINEN Akkord, ein gitarrenfreundliches E. Blues kann so einfach, aber auch so vielschichtig sein.
Ganz lustig ist, dass zur selben Zeit auch John Lee Hooker bekannt wurde - der lebte aber nicht in Chicago, sondern Detroit (natürlich auch 1917 in Mississippi geboren). Einen wirklichen "Detroit Blues" gibt es aber nicht, weil es außer JLH keine bedeutenden Künstler in Detroit gab. Das führt einem ganz gut vor Augen, wie absurd diese Genre-Bezeichnungen und Schubladen so sind. Hooker war nämlich auch ein einzigartiger Gitarrist mit absolut unverwechselbarem Stil.
Texas Blues
Hier haben wir sie endlich, die Gitarrensoli! Stevie Ray Vaughan! Jawoll!
Moment. Texas Blues ist wieder so eine geographische Bezeichnung für einen Stil, das passt wie wir wissen ja nicht so immer. Oft wird z.B. Blind Lemon Jefferson dem Texas Blues zugeordnet, allein weil er in Texas geboren wurde. Auch Lightnin‘ Hopkins wird wegen dieser Tatsache in diese Schublade gesteckt, was für meine Ohren nicht wirklich passt.
Was ist also "Texas Blues"? So wie ich es mir zusammengereimt habe, geht es beim Texas Blues auch um einen urbanen (städtischen) Blues, wo die Gitarren etwas prominenter sind (mit Soli!) und wo es in Summe etwas mehr "swingt" als im vom rohen Delta abstammenden Chicago Blues. T-Bone Walker ist für mich "der" Vertreter des Genres, einer der am meisten kopierten Gitarristen überhaupt, Albert Collins ist auch so einer. Ich kann auch hier nur empfehlen, sich mal einzelne Songs der "großen Namen" vorzunehmen.
Später kamen dann Johnny und Edgar Winter, Jimmy und Stevie Ray Vaughan oder auch die frühen ZZ Top. In Summe muss ich aber sagen, dass ich mit "Texas Blues" als Genre immer ein Problem hatte - in den Anfängen ist es eben irgendwie keine besonders eindeutig zu differenzierende Country Blues Geschichte, später dann ebenso schwer anhand stil-prägender Elemente festzunagelnder elektrische Blues.
Rhythm And Blues
Nein, es geht nicht um das, was wir heute als "Contemporary R&B" kennen, sondern um eine Vorform davon. Man nehme Blues und lege mehr Wert auf Tanzbarkeit, schnappe sich noch gleich ein paar Soul/Gospel-Einflüsse, nehme ein bisschen Karibik-Feeling mit, und schon ist man da. Die Genre-Bezeichnung kommt auch (mal wieder) von der Plattenindustrie, die einen Namen für die an die afroamerikanische Zielgruppe zu vermarktende Musik brauchte. Insofern ist "Rhythm&Blues" der etwas modernisierte Name für "Race Records".
Als Gitarrist sollte man Bo Diddley mal gehört haben, auch Gitarristen wie Chuck Berry wurden unter diesem Genre vermarktet, genauso wie die Piano-Meister Little Richard und Ray Charles. Kurzum: So richtig gebrauchen kann man das als Genre-Bezeichnung nicht, aber ihr habt’s jetzt mal gehört.
British Blues
Jetzt haben wir sie endlich, die Soli: Wie ja schon mehrfach anklang, hat eine talentierte Riege junger britischer Gitarristen sowohl die alten Meister entdeckt als auch den Chicago Blues und andere Blues-Varianten der 1950er/60er Jahre in sich aufgesogen. Dann ging’s ab.
Eric Clapton, Jimmy Page Keith Richards, Brian Jones, Peter Green, Jeff Beck - und damit auch die Yardbirds, Rolling Stones, Fleetwood Mac, Cream, Led Zeppelin. All diese Bands haben starke Blues-Wurzeln, gerade auf den frühen Aufnahmen hört man das. Man kann sogar Jimi Hendrix hier mit einsortieren wenn man will, denn ohne den Erfolg in England wäre er wahrscheinlich auch nicht zum absoluten Gitarrengott geworden.
Interessanterweise hat dieses britische Blues-Revival der 1960er eben die Rock-Geschichte insgesamt mitgeschrieben. Der Erfolg schwappte wieder zurück in die USA, wo auf einmal die Briten den Amis beibrachten, was denn Blues so ist.
Die Namen und Bands stehen oben, das verfügbare Material für Gitarristen ist quasi unerschöpflich. Viel Spaß!
Blues Rock
Wenn man das, ich mit dem British Blues beschrieben habe, auf eine größere Skala hängt, hat man eben Blues Rock. Künstler/Bands "kommen aus dem Blues" und entwickeln sich. Manchmal bleiben viele Blues-Elemente erhalten, manchmal gehen diese in den Hintergrund.
Aus Blues mit Rock-Elementen kann man Hard Rock, Roots Rock, Southern Rock oder meinetwegen auch Heavy Metal ableiten. Der Blues-Grundstock wird verändert, ein bisschen mehr Riffing, ein bisschen mehr Zerre, man bleibt vielleicht nicht immer beim I-IV-V und 12 Takten, wird schneller, weniger Shuffle und mehr straighter Beat,... ihr seht schon, Blues Rock ist wirklich nicht eindeutig zu beschreiben. Nagelt einen Pudding and die Wand, das ist leichter.
Wir haben jetzt auch einen Punkt erreicht, wo ich mich mit Genres und Stilen sehr schwer tue. Blues ist jetzt als Grundstock in die Rock- und Pop-Musik eingeflossen (den ganzen Ast mit Soul, Funk, Rap habe ich mal ausgeklammert, ebenso die Blues-Jazz-Interferenzen, African Blues und und und), gleichzeitig gibt es sehr viele Interpreten und Bands.
Als Gitarrist ist es leicht und schwer zugleich. Einerseits ist das Material verfügbar und die Bands sind bekannt. Andererseits wird’s eben auch schwammig damit, wo wie viel oder wenig Blues drin ist. Hier muss man für sich rausfinden, was man will - und nicht den großen Kopf drum machen, ob das (noch) Blues ist oder was ganz anderes.
Modern Blues
Hier geht’s dann wild durcheinander. Alle bisherigen Einflüsse und ganz viele nicht erwähnte, es wird sich überall bedient - das Feld ist riesig.
Ein paar aktuellere Blues- und Blues-Rock-Vertreter: John Mayer, Joe Bonamassa, Jack White / White Stripes, Black Keys, Black Crowes. Gibt noch verdammt viele mehr, hier eher die weiter bekannten und erfolgreichen.
Hier gilt ebenso - notfalls mit einem Interpreten oder Song anfangen und von dort aus erkunden.
Der Auftrag hier ist ganz klar - Hören, hören, hören! Irgendwann kann man anfangen, das zu sortieren ...
5) SORTIEREN - EIN VERSUCH
Wer sich bis hierher durchgekämpft hat, wird merken - das ist nicht so einfach. Genre-Grenzen sind schwammig bis sinnlos, viele Künstler durchbrechen sie immer wieder oder halten sie nicht ein. Andererseits brauchen wir doch irgendwelche Begriffe, um bestimmte Stile zu beschreiben.
Ich arbeite gerne mit folgenden Wortpaaren:
Die häufig zu lesende Wortpaarung Pre-War / Post-War wird oft synonym für ein ganzes Bündel verwendet. Der klischeehafte Pre War Blues ist Classic/Acoustic/Rural/Solo Artist, ein stereotyper Post War Blues wäre dementsprechend Modern/Electric/Urban/Band. Es ist zu beachten, dass der Zweite Weltkrieg aus US-Sicht erst mit dem Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 losging - viele Blues-Historiker definieren also alles bis einschließlich 1941 als Aufnahme- bzw. Erscheinungsdatum als "Pre-War Blues".
Warum komme ich mit dieser Vereinfachung erst jetzt? Weil ich der Meinung bin, dass man sie nur halbwegs nachvollziehen kann, wenn man vorher den Trichter aufgemacht hat und sich mal in ganz viele verschiedene Richtungen bewegt und viel gehört hat.
Die Übung ist jetzt: In Worte fassen, was man - nachdem man nun etwas mehr gelernt und ganz viel gehört hat - denn in Richtung Blues machen will. Wenn das anders ist als zu Beginn, dann ist das halt so. Wenn die Richtung aus dem Bauchgefühl heraus bestätigt wurde - auch gut. Bereit für dem letzten Schritt?
6) UND JETZT - SPIELEN!
Für jetzt ist alles gesagt, die oben dargelegten Schritte haben wir durch. Bis auf den letzten: Spielen!
Blues-Theorie und Hintergrundwissen sind gut und können Spaß machen, aber letztlich wollen wir doch Musik machen. Also munter drauf los!
Wer jetzt einfach nur spielt und sich einen Dreck um diese 5.000 Worte schert - good for you! In der Zeit, die man für das Durcharbeiten dieser Anleitung braucht, kann man locker eine Handvoll Blues-Songs lernen inklusive Soli. Aber nicht hinterher im Forum kommen mit "Ich will jetzt Blues lernen, wie fange ich an?" oder "Was ist eigentlich Blues".
7) DANKE AN ALLE LESER!
Schreiben hat mir Spaß gemacht. Lesen - keine Ahnung, sagt mal. Bin ich ein Weltverbesserer und Blues-Gutmensch? Vielleicht. Glaube ich damit, die Welt aus den Angeln zu heben? Nein. Ich bin happy, das runtergerasselt zu haben - nun kann ich zum Thema schweigen (theoretisch, praktisch werde ich weiterhin meine Meinung kundtun)
oder
Ein weiter Weg
1) WARNUNG VORAB
TL;DR: Your problem, not mine. Eine Zusammenfassung gibt es nicht, der Text ist lang... aber na gut, ganz Eiligen empfehle ich den Sprung zu Kapitel 6 ganz unten.
Ich bin der persönlichen Meinung, dass man beim Herantasten an eine neue Musikrichtung etwas mehr tun sollte als "Hey, ich will Blues lernen, habe keine Ahnung - liebes Forum, bitter erklär mir alles". Wer "nur mal eben schnell ein bisschen Blues lernen will", wird also mit diesem Text nicht happy. Auch serviere ich hier nicht alles auf dem Silbertablett - ich bringe zwar Namen und Genres und Tipps, aber die Suche nach entsprechenden Musikbeispielen oder YouTube-Clips muss man schon selbst machen.
Ich setze also ein gewisses Maß an Interesse und Engagement voraus, und den Willen, sich mal ein paar Stunden mit der Sache zu beschäftigen. Ich kann keinen "quick fix" bieten, dazu hängt bei mir zu viel Herzblut dran - vielleicht können da Andere helfen, ich kann’s nicht.
2) EINLEITUNG
Worum geht es hier?
Immer wieder kommen im Forum Fragen wie "Ich spiele bisher nur Metal, aber nun will auch mal was mit Blues machen - wie fange ich an?" oder "Welche Songs würdet ihr zum Blues-Einstieg empfehlen" oder "Ich will besser werden, welche Blues-Soli empfehlt ihr mir?".
Immer wieder folgt darauf ein Mix aus Song-Empfehlungen, Links zu Lessons, Künstlern die man kennen sollte, Spieltechniken, Pentatonik, Akkorden, Tonleitern, und so weiter. Und: Immer wieder kommen Elemente von "was ist eigentlich Blues" und "der gerade empfohlene Song ist meiner Meinung nach gar kein Blues" sowie "was will der Fragende eigentlich hören". Die dazugehörigen Threads sind recht leicht zu finden, die Diskussionen nicht immer freudig.
Manchmal resultiert das in ziemlichem Chaos. Da ich kein großer Freund von Chaos bin, schreibe ich hier mal auf, wie man meiner Meinung als Gitarrist so starten kann.
Was ist das für ein Text?
Es handelt sich um einen typischen DerZauberer-Rant - irgendwann haben sich zu einem Thema bei mir viel Energie und Gedanken angestaut, das muss dann raus! In der Regel fließen diese Dinge dann in einen längeren "Grundsatztext" von mir, in dem ich meine Sicht der Dinge darstelle. Mir macht das einfach Spaß, das auszuformulieren und nicht nur häppchenweise in diversen Threads kundzutun.
Ich erwarte nicht, dass jeder meine Meinung teilt. Auch erhebe ich keinen Anspruch auf eine absolute Wahrheit oder "den einzig wahren Weg". Ich mag Blues sehr gern, wenn auch nicht alle Spielarten gleich gerne - und der hier propagierte Einstieg mag für einige Leute funktionieren, für andere gar nicht.
Und letztlich: So habe ich es "ein Mal" aufgeschrieben und muss nicht immer wieder von vorne anfangen zu tippen. Wie immer habe ich diesen Aufsatz mehr oder weniger in einem Rutsch rausgehauen, das dauert bei mir viel kürzer als viele von Euch vermuten. Klar, daher habe ich wie immer auch viel vergessen. Aber mein Gott, es ist ein Forenbeitrag und keine wissenschaftlich fundierte Arbeit.
An wen richtet sich dieser Text?
Der Text ist für jeden Gitarristen, der bisher wenig bis keine Erfahrung mit (oder: Ahnung von) Blues hat und dies ändern möchte.
Die Einschränkung auf Gitarristen deshalb, weil ich mich damit halbwegs auskenne - im Gegensatz zu anderen Instrumenten. Man kann sicherlich auch als Pianist oder Vocalist oder Harfenspieler was lernen, aber nach dem Motto "Schuster bleib bei Deinen Leisten" bleibe ich eben bei "meinem" Instrument.
Also beschreibe ich hier einen möglichen Ansatz, wie man sich dem Thema "Blues" nähern kann und gebe einige Standard-Empfehlungen dazu. Das wird nicht alle Fragen beantworten, also erwarte ich weiterhin rege Diskussion dazu im Forum.
Weiterhin mag der Text interessant sein für diejenigen, die sich als Rat gebende bei einer "Wie steige ich in den Blues ein" Diskussion beteiligen.
3) WIE SOLLTE MAN DENN NUN IN DEN BLUES EINSTEIGEN?
Ich empfehle folgende Schritte:
1) Nimm dir Zeit: Blues ist ein Genre mit viel Historie und Entwicklung, dementsprechend vielfältig sind Subgenres und Stile. Das geht nicht von heute auf morgen, es geht nicht um einen Song, es geht um viel mehr. Gute Nachricht: Ohne "etwas Zeit" wärt ihr gar nicht bis zu dieser Stelle im Text gekommen.
2) Beschreibe, warum Du mit Blues anfangen willst: Der eine will halt mal eine neue Musikrichtung kennen lernen, um den Horizont zu erweitern. Am Genre "Blues" kommt man ja kaum vorbei, warum nicht hier? Ein anderer Gitarrist mag sich auf der "Reise zu den Wurzeln" befinden - wer mit (Hard) Rock startet, landet irgendwann mal bei Led Zeppelin oder den Rolling Stones oder Cream/Clapton und schwupps ist es nur ein Sprung bis zu noch früheren Blues-Sachen. Vielleicht hast du auch einen tollen Gitarristen gehört und ein Freund hat gesagt "der spielt Blues". Oder was auch immer. Alles gut! Wichtig ist, dass man sich ein bisschen klar darüber wird, warum man jetzt mal in Blues machen will.
3) Beschreibe, wo du musikalisch jetzt stehst: Es schadet nicht, sich ein bisschen mit sich selbst auseinanderzusetzen und mal kurz zu skizzieren, was man schon an Musik gemacht und an der Gitarre gelernt hat. Dabei meine ich Genres, Songs, Stücke ebenso wie Spieltechnik und Licks/Riffs/Tonleitern. Hilft auch, wenn man irgendwann mal Fragen im Forum stellen will, was man sich denn so anschauen sollte.
4) Beschreibe, was Blues "jetzt" für Dich ist: Die Frage "wie starte ich mit Blues" ist in etwa so "wie starte ich am besten mit so Pop&Rock-Musik", also eigentlich nicht zu beantworten. Es ist natürlich klar, dass man als Blues-Einsteiger nicht der große Experte sein kann, von daher ist es auch absolut okay wenn hier am Ende so Dinge wie "naja, ich will halt lernen wo der Hendrix musikalisch herkommt" oder "ich will ein bisschen Joe Banamassa nachspielen" oder "eigentlich weiß ich das noch gar nicht so genau" steht. Allein dass man drüber nachgedacht hat ist schon ein riesiger Schritt!
Ich empfehle, die Schritte 2-4 genau jetzt zu tun.
Also Lesepause und machen.
Jetzt.
Weiter geht’s:
5) Verschaff dir einen Überblick: Lerne ein bisschen, was Blues so ist bzw. sein kann. Dieser Artikel bietet dazu eine gute Ausgangsbasis, siehe weiter unten.
6) Ganz ganz viel hören: Es gibt unheimlich viel Material, ich beschreibe unten einige wesentliche Künstler und Genres. Fang mal an, YouTube oder Spotify etc. sind Eure Freunde. Finde raus, was dich kickt, was gefällt und was nicht. Geh auf Entdeckungsreise.
7) Gedanken und Gefühle sortieren: Versuche, deine Lieblingslieder/Stile in Worte zu fassen oder anhand von einzelnen Künstlern/Songs zu beschreiben. Reduziere den riesigen Berg an Optionen auf die zwei oder drei Dinge, an denen du arbeiten willst. Lege fest, was du konkret an der Gitarre in Richtung Blues machen willst.
8) Spielen: Schnapp dir einen Song, ein Lehrbuch, einen Lehrer, einen Künstler, eine YouTube-Lesson, oder Tabs. Wenn du nichts findest, wäre jetzt der richtige Zeitpunkt für einen Forenbeitrag. Und dann leg los, am praktischen Beispiel. Probiere aus, suche Hilfe, frag nach. Spiel!
Als Bild zu diesem Vorgehen sehe ich eine Art Trichter:
- Zunächst mal Kopf und Ohren ganz weit aufmachen und viel hören, mitnehmen, aufnehmen.
- Dann einengen auf das, was einem am meisten liegt.
- Unten am Trichter ist dann ein Filter, der nur noch das durchlässt, womit man wirklich starten will.
- Und wenn unten aus dem Trichter endlich was rausgetropft ist (man also einen ersten Einstieg geschafft hat), dann wartet unter diesem Trichter ein weiterer.
- Man kann sich fragen: Was habe ich erreicht? Finde ich das gut? Was will ich (anders) machen? Wo will ich jetzt hin?
- Und das Spiel beginnt erneut.
4) ÜBERBLICK UND HöREN: BLUES HISTORY AND STYLES ACCORDING TO DerZauberer
Ich bin bekennender Fan, und zwar so richtig: Ich kaufe Bücher, sammle die Aufnahmen der alten Blues Meister, und interessiere mich so wirklich mit viel Spaß und Enthusiasmus dafür. Es gibt Doktorarbeiten zu Blues, ganze Forschungszweige, da sind echte Profis am Werk. Blues-Historie ist wie jede Diskussion um Musik sehr vielschichtig und komplex. Der hier folgende Versuch, die Blues-Geschichte und die verschiedenen Stile in wenigen Absätzen zu schildern, ist von vorneherein zum Scheitern verurteilt. Denn: Was ganze Bücher nicht ansatzweise zu greifen bekommen, das geht in einem kurzen Text viel weniger. Andererseits: Wenn man gar nichts weiß, ist ein wenig zusammengefasste Info immer noch besser als nichts.
Manche versuchen eine Kategorisierung über geographische Regionen (Piedmont, Delta, Texas), andere über Inhalte (wie z.B. Hokum), andere über Instrumente (Piano Blues, Guitar Blues, Jug Band Blues) und so weiter und so fort. Und so sehr man "typische" Vertreter für jede dieser Richtungen findet, man findet doch ebenso viele Gegenbeispiele für "untypische" Vertreter einer Richtung und Region, und viele Künstler kann man nur sehr schwer eindeutig kategorisieren. Genres und Stile helfen, eine Sprachregelung zu finden, aber man sollte den Kontext und den Künstler nicht vergessen und bei den Schubladen eine gewisse Durchgängigkeit bewahren. Was folgt, ist also ein bunter Mix - nicht vollständig, nicht einer stringenten Systematik folgend, aber in Summe vielleicht eine erste Orientierung.
Blues-Anfänge
Keiner weiß so genau, wann der Blues begann. Und auch nicht, wo genau. In den frühen 1900er Jahren wurden nämlich die Möglichkeiten zur Aufnahme von Tönen gerade erfunden, und wie man sich vorstellen kann, ist Blues damals nicht wirklich in Notenform aufgeschrieben worden. Das gilt nicht nur für Blues, sondern für ganz viel Musik aus dieser Zeit, aus ganz vielen Regionen der gesamten Welt. Nur wenig ist wirklich eindeutig überliefert aus der Anfangszeit. Aber wenn man mal (den eher als Jazz/Pop zu bezeichnenden) "St. Louis Blues" von W.C. Handy als Startdatum setzt (der Song war sehr erfolgreich und ist bis heute ein Standard): Der Song ist von 1914, wir haben gerade das Jahr 2016 begonnen. Wir reden von mehr als 100 Jahren Geschichte einer Musikform, die bis heute ihre Anhänger findet. Da ist viel passiert!
Was man weiß: Blues ist in den Südstaaten der USA entstanden, in der damals noch mit sehr wenigen Rechten ausgestatteten afroamerikanischen Bevölkerung. Einflüsse der (Ex-)Sklaven aus Afrika spielen eine Rolle, aber auch die lokale "weiße" Musik. Als Instrumente musste das herhalten, was sich die weitgehend arme Bevölkerung leisten konnte, am besten sollte es auch portabel sein. Und: Es geht eben auch um Zwischentöne, Achtel- und Vierteltonschritte und nicht nur "korrekte" Chromatik. Daher sind Zupfinstrumente (zunächst Banjo, später die Gitarre) und Mundharmonika - mit der Möglichkeit, Noten zu ziehen/benden/sliden/etc. - auch so verbreitet. Ein Klavier kann man halt nur schwer von Ort zu Ort karren, und teuer ist es zudem.
Classic (Female) Blues
Es ist nicht bekannt, wie lange Blues so vor sich hin existierte, als Popmusik einer weitgehend von der reichen / "herrschenden" Klasse ignorierten Bevölkerungsgruppe. Das änderte sich in den 1920er Jahren, als Blues-Aufnahmen eine gewisse Popularität erreichten. W.C. Handy hat dazu beigetragen, auf
einmal was das Blues-Schema bekannt, es kam gut an und die Post ging ab.
Aber halt - hier reden wir absolut nicht von dem Blues, aus dem dann Rock und Roll und weite Teile der heutigen Popmusik wurden. Wir sind immer noch bei ziemlich stark "durchkomponierten Stücken", mit einem durchaus größeren Orchester (bzw. einer Jazz-Band). Namen wie Ma Rainey, Bessie Smith oder (nicht verwandt) Mamie Smith zeigen, dass die Stars dieser Zeit vor allen Dingen Sängerinnen waren. Interessanterweise eben auch nicht mit Gitarren-Fokus, sondern eben eher eine mehr oder weniger große Jazzcombo mit Piano.
Platten wurden aufgenommen und produziert (bis ca. 1925 noch "akustisch", also ohne eine Mikrofon-Preamp-Kombination wie heute, da war man mit lauter Stimme im Vorteil) und vor allen Dingen verkauft! Auflagen erreichten die Hunderttausende pro "Single" (wir reden ja immer noch von Schellacks mit 78 Umdrehungen pro Minute).
Wer sich als Gitarrist mit dieser Zeit auseinandersetzt, wird feststellen, dass man da schon sehr nah am Jazz ist und auf jeden Fall weit weg vom "rohen" Blues. Hier sind eher gut ausgebildete Musiker am Start, es gibt viel feine Musik. War auch die Zeit, wo Blues und Jazz sich ganz nah waren - man findet Namen wie Duke Ellington oder Louis Armstrong eben auch in den Begleit-Bands von Ma Rainey. Hervorheben will ich mal Lonnie Johnson, einen nur per Zufall als "Blues" kategorisierten Gitarristen und einen der Miterfinder des Gitarrensolos, wie wir es heute kennen.
Ragtime & Piedmont Blues
Es gibt viel Blues-Content, der genauso gut ins Genre "Ragtime" passt, oder anders gesagt - es gibt eine ganze Blues-Schiene, die auf Ragtime-Elemente setzt und damit sehr erfolgreich war. Künstler wie Blind Blake, Rev. Gary Davis, Blind Boy Fuller, Bumble Bee Slim, Curley Weaver oder Josh White sind einerseits Blues-Künstler, aber eben auch Vertreter des "Piedmont Blues" (so genannt wegen einer geographischen Ecke der US-Ostküste, wo viele Künstler dieses Stils herkamen bzw. bekannt wurden).
Auf der Gitarren-Seite gibt es also viel konstanten Rhythmus im Bass (gerne alternierend auf zwei Bass-Saiten) und eine mehr oder weniger stark synkopische Melodie auf den Diskant-Saiten. Wir reden hier also über akustischen Fingerstyle und Techniken, die auch weit jenseits des engen Blues-Fokus Anwendung finden. Wer hier tief einsteigt, wird auch in der Folk- und Country-Ecke entsprechende Anwendung für die Techniken finden, im Irish Folk, in der klassischen deutschen Liedermacher-Richtung, und so weiter und so fort... bis hin zu recht modernen einflussreichen Musikern wir Paul Simon oder Mark Knopfler.
Die "klassischen" Aufnahmen aus den 1920er bis 1940er Jahren waren auch kommerziell sehr erfolgreich. Einzelne Scheiben hatten Auflagen von bis zu einer halben Million (Schellack-)Platten. Auch wenn diese Musik heute ein wenig ein Nischen-Dasein führt, so kann ich nur den Tipp geben, da mal einzuhören - es steckt sehr viel an Spieltechnik, Akkorden, Transfer-Möglichkeit auf andere Stile drin. Nicht vergessen, dieser Stil war sehr einflussreich.
Hokum (Dirty) Blues
Nicht nur Blues an sich war sexy, sondern zum Teil auch die Texte. Unter "Hokum" Blues versteht der Kenner Stücke, wo der Fokus eher auf die sexuelle Komponente gelegt wird. Verglichen mit heutigem Sprachgebrauch waren die Texte extrem harmlos, aber damals halt schon so eindeutig, wie man es gerade noch veröffentlichen konnte. Ich ueberlasse es Euch, die Textbeispiele zu interpretieren: "put my banana in your fruit basket" / "it’s tight like that" / "you can squeeze my lemon till the juice runs down my leg" ... mein Favorit ist "my pencil won’t write no more" als Bild zu Impotenz. Hokum-Inhalte findet man übrigens auch in frühem Country und andern "weißen” Musikrichtungen - Sex in der Popmusik war schon immer ein Thema.
Hier ist es also weniger ein konkreter Stil, sondern eher eine Art der Lyrics, die einen Blues als Hokum ausmachen. Es lohnt sich also, ein bisschen auf die Texte zu achten. Überhaupt: Auf vielen alten Blues-Platten steht (zurecht): "Vocal Blues with Guitar Accompaniment": Blues wurde eben primär GESUNGEN, die Gitarre BEGLEITET. Blues waren immer Songs und keine Aneinanderreihung von Single-Note-Gitarrensoli. Hört mal in Bo Carter, Lil Johnson, The Hokum Boys rein und achtet auf die Texte.
Ich habe Hokum hier aufgenommen, um das anfangs beschriebene Dilemma aufzuzeigen - wie sortiert man Blues-Genres? Machen wir weiter mit einem Genre, das doch einfach klingt.
Country Blues / Down-Home Blues / Rural Blues
Ist doch einfach, oder? Es gab den Blues in den Städten (Urban Blues oder City Blues) und auf dem Land hatte man eben Country Blues. Leider nicht so einfach, denn das "Country" ist groß. Umfasst Country Blues also Delta Blues? Was ist mit Texas Blues, in Texas gibt’s doch auch Städte? Halten wir also fest, dass das alles nicht so ganz eindeutig ist.
Dennoch, mal auf der ganz oberen Ebene: "Auf dem Land" war Blues tendenziell akustisch, von Einzelinterpreten oder Duos bzw. kleinen Combos vorgetragen, vom Stil und Text her lokal verwurzelt. "In der Stadt" gab es mehr Einflüsse anderer Musikstile, die Clubs waren grösser und somit auch die Bands-Besetzung, hier wurde die E-Gitarre als Bluesinstrument "erfunden".
Interessant ist, dass die Musikindustrie der 1920er Jahre vom Erfolg der "Country-Blues" Künstler fast überrascht wurde. Mit dem populären städtisch geprägten Sound des "Classic Blues" erfand die Plattenindustrie die Bezeichnung "Race Records" - Platten, die als Zielgruppe die afroamerikanische Bevölkerung hatten. Gab es vorher nicht! Blues wurde also aufgenommen, weil er sich verkaufen ließ. Das kleine Label Paramount Records (hat nix mit dem Filmstudio zu tun, Paramount produzierte Platten für eine Möbelfabrik, die Schränke mit Grammophonen verkaufen wollte) kam auf die Idee, mit Blind Lemon Jefferson (ein Interpret mit Gitarre) eben mal auf etwas anderes zu setzen - mit relativ großem Erfolg.
Ein Mal als Markt entdeckt, wurde dieses Genre entsprechend bespielt. Künstler wurden "ausgegraben/gefunden" (Eigentümer von Platten-Geschäften fungierten als Talent Scout), und in kleinen Auflagen wurden entsprechende Platten produziert und vermarktet.
Gerade als dieser Markt auf dem Weg nach oben war, schlug die Weltwirtschaftskrise (Great Depression) zu. Verkäufe gingen in den Keller, weil sich die im Schnitt sowieso arme Zielgruppe die Platten nicht mehr leisten konnte. Die "Heiße Phase" war so von 1928 bis 1931, danach ging es sehr steil bergab. Man merkt schon: Das, was wir an Aufnahmen aus dieser frühen Zeit haben, liegt weniger am künstlerischen Wert als am (vermuteten) wirtschaftlichen Erfolg.
Im Blues-Revival der 1960er Jahre wurden viele Künstler der "alten" (Vorkriegs- und somit Vorelektrik-Zeit) wiederendeckt, und somit brauchte man also auch ein Label für das, was die so an Musik gemacht haben. Daher wurden eben Labels wie Country Blues / Rural Blues / Down-Home Blues erfunden. Dazu kam noch die Folk-Welle mit Bob Dylan als prominentestem Vertreter, und auf einmal brachten Vertreter des elektrifizierten Chicago Blues Alben mit dem Titel "Folk Singer" oder "The Real Folk Blues" heraus - weil sich alles mit "Folk" eben gut verkaufte. Auch hier: Money makes the world go around!
Als Gitarrist ist das Spektrum gigantisch. Die Vielzahl von Künstlern und Stilen ist riesig und viel zu vielschichtig, um hier in die Tiefe zu gehen. Folgende Künstler lege ich jedem ans Herz - Musik suchen, hören, bei Interesse tiefer einsteigen: Barbecue Bob, Scrapper Blackwell, Big Bill Broonzy (hier aufpassen - Broonzy hat lange gelebt und sich durch viele Genres bewegt, bis in den Chicago Blues hinein), Sleepy John Estes, Lightnin‘ Hopkins (gut, der hat dann auch mal elektrisch gespielt), Tampa Red, Mississippi John Hurt, Peetie Wheatstraw, Big Joe Williams, Sonny Boy Williamson I (nicht die Nummer 2 später). Die Liste ist zu kurz, nicht "sauber", aber ein Anfang.
Delta Blues
Delta Blues ist ein Bestandteil des Country Blues - warum extra? Schlichtweg aus dem Grund, weil diese Musikrichtung bis heute einen riesigen Nachhall im Blues hat. Gleich hier: Man muss (!) wissen, dass der klassische Delta Blues rein vom Verkauf her ein ziemliches Desaster war. Charlie Patton war der einzige Künstler mit signifikanten Verkäufen. Delta-Legenden wie Robert Johnson, Son House, Skip James oder Bukka White hatten allerhöchstens winzige lokale Erfolge und waren zeitlebens weit weg von wirklichen "Hits".
Noch spannender wird das dadurch, dass im Zuge des Folk Revival eben auch die Suche nach den Wurzeln amerikanischer Musik losging, und die Veröffentlichung des Albums "King Of The Delta Blues Singers" einige Stücke von Robert Johnson einem breiten Publikum bekannt machte. Zu danken haben wir dafür John Hammond bei Columbia Records - einem Musikmanager, der für die Karrieren von Künstlern wie Bob Dylan, Stevie Ray Vaughan und Bruce Springsteen (neben vielen anderen) ausschlaggebend war. Man kann sich schon fragen, wo die Pop&Rockmusik ohne diesen Typen heute wäre.
Wie dem auch sei - die Robert Johnson Songs kamen genau zur richtigen Zeit. Einerseits war das Folk Ding im Gange, andererseits war man in Großbritannien gerade dabei, die Rockmusik neu zu erfinden. Aufstrebende Gitarristen wie Keith Richards, Eric Clapton, Jeff Beck, Jimmy Page, Ronnie Wood (und so weiter) hörten diese Aufnahmen, hörten auch die in den 1960ern verfügbaren Chicago Blues Aufnahmen, und erweiterten ihre Spielkenntnisse damit. Und weil hier ein wesentlicher Schritt in der Entwicklung der Rockmusik folgte, wurde auch auf einmal dieser kratzige und so gut wie vergessene Delta Blues wichtig und bedeutend. Auf der anderen Seite des Atlantiks ist Bob Dylan die herausragende Figur - unter den frühen Dylan Werken findet sich z.B. ein Cover von Bukka White’s "Fixin‘ To Die", auch andere alte Blues-Gitarristen haben ihn beeinflusst. Der Nachhall geht bis heute - Jack White ist bekennender Fan, Son House hat er ein White Stripes Album gewidmet, und so weiter.
Delta Blues ist also quasi "Posthum" wichtig geworden. Einige Künstler - diejenigen, die das Glück hatten, lange genug zu leben - konnten von diesem Revival noch etwas profitieren durch Verkäufe und Auftritte, oder im besten Fall durch die Weiterverwertung in Cover-Versionen (z.B. Skip James, der durch das Cream-Cover von "I’m So Glad" mehr verdient hat als durch seine eigenen Aufnahmen).
Für einen Gitarristen steckt hier viel drin: Rhythmik, Slide Guitar, Bottleneck, seltsame Gitarren-Stimmungen, einzigartige Songs, Künstler die Regeln und Konventionen ignorieren - ein sehr spannendes Feld. Viele Robert Johnson Songs sind verdammt schwer nachzuspielen, auch die "eigentlich" spieltechnisch einfachen Songs von Son House oder Bukka White ist wegen der immensen Energie der Performance nur schwer zu kopieren. Ein Ausflug lohnt sich aber durchaus.
Mississippi Hill Country Blues
Ganz kurz: Eine Art "Sub-Genre” des Delta Blues, oft mit etwas repetitivem Rhythmus, viele One-Chord-Songs mit "Droning Bass", Melodie oft mit Slide untermalt. Wichtig deswegen, weil mit Mississippi Fred McDowell und R.L. Burnside zwei bekannte Blues-Musiker diesem Genre zugeordnet werden, und weil wiederum einige eher aktuellere Bands ihre Einflüsse daraus ziehen - ich nenne mal nur die Black Keys. Also eine weitere Fundgrube für Gitarristen.
Folk Blues
Vom Folk Revival und in dem Zuge "wiederentdeckten" Country Blues hatte ich ja schon gesprochen, auch davon, dass das dann gerne als "Folk Blues" verkauft wurde. Ich möchte aber einen enorm einflussreichen Künstler nicht unerwähnt lassen: Lead Belly (auch mal als Leadbelly geschrieben). Mit
richtigem Namen Huddie Ledbetter, eine einzigartige Figur in der Geschichte der amerikanischen Musik. Huddie Ledbetter hat mit Blind Lemon Jefferson Musik gemacht, sich nach einer Verurteilung wegen Totschlags aus dem Gefängnis "freigespielt", hat John und Alan Lomax auf ihren Field Recordings für die Library of Congress begleitet, und in seinem auch nur 61 Jahre dauernden Leben hunderte von Songs aufgenommen.
Lead Belly kann man schwer auf ein Genre festlegen, da ist verdammt viel "echte" Folk Music drin, ein bisschen Blues, Lead Belly war ein "Songster" mit einem unerschöpflichen Repertoire an Songs. Aus seine Aufnahmen gehen so bekannte Songs wie "House Of The Rising Son", "Black Betty", "Midnight Special", "Goodnight, Irene", "Where Did You Sleep Last Night” zurück, eine riesige Menge von Künstlern wurde von ihm beeinflusst. Die britische Skiffle-Bewegung, die wiederum für Beatles, Stones, Clapton & Co. ein Start war, griff sehr viel auf das Material zurück, das Lead Belly populär gemacht hat.
Für den Gitarristen wird es schwer. Lead Belly als "King of the 12-String" hat einen einzigartigen Stil, der ohne entsprechendes Instrument nur schwer zu kopieren ist. Dazu eine wirklich durchdringende Stimme. Ich sage aber: Man MUSS ihn gehört haben, wenn man beim Blues mitreden kann. Auch, wenn die große Mehrheit der Aufnahmen von ihm eigentlich kein Blues sind, sondern eher Folk.
Classic Chicago Blues
Durch die Weltwirtschaftskrise wurde die Abwanderung der Landbevölkerung aus den Südstaaten in Richtung Norden, wo die Industrie bessere Jobs und Lebensbedingungen versprach, noch beschleunigt. So fanden sich in Städten wie Detroit oder Chicago recht viele Entwurzelte, die in der neuen (und vergleichsweise kalten) Heimat eben auch Musik aus der alten Heimat suchten.
In der Stadt wurde es lauter, die Gigs auch, die E-Gitarre wurde populärer. Musiker konnten wieder in festen Bands in einer begrenzten Anzahl Clubs spielen, da wurden auch schwer transportierbare Instrumente wie Piano oder ein Drum Kit wieder interessanter. Zusätzlich zur E-Gitarre prägt die gerne durch einen kleinen Tube Amp verzerrte Mundharmonika den Chicago-Blues Sound.
Die Großmeister des Chicago Blues sind so eine knappe Generation nach den Delta- und Country Blues-Granden einzusortieren. Die ganzen rohen kratzigen 78s kommen eben aus den späten 1920er bis frühen 1930er Jahren, 20 bis 30 Jahre später ging’s in Chicago zur Sache. Um die Staffelstab-Übergabe richtig zu sortieren: Howlin‘ Wolf wurde 1910 in Mississippi geboren und hat unter anderem von Charlie Patton das Gitarrenspiel gelernt. Muddy Waters wurde 1913 in Mississippi geboren, hat 1941 ein paar Stücke auf der akustischen Gitarre eingespielt (klassischer Delta Blues), ging 1943 nach Chicago und war ab 1945/46 elektrisch unterwegs. Es gibt also eine direkte Abstammung des Chicago Blues aus dem Delta Blues.
In Chicago kamen viele gute Dinge zusammen - Maxwell Street war ein riesiger Markt, eine tolle Bühne für Musiker in Geldnot. Das Plattenlabel Chess Records wurde in Chicago gegründet. Die großen Plattenlabels (RCA/Columbia) entdeckten das Marktpotenzial und begannen, den Chicago Blues international zu vermarkten (wodurch dann wiederum die Rolling Stones und Clapton etc. unter den Einfluss gerieten, aber das hatten wir ja schon).
Hier ging’s dann aus moderner E-Gitarren-Sicht so richtig ab. Denn zum Einen gab’s eben quasi durchgängig E-Gitarre, dazu aber eben auch eine mehr oder weniger komplette Band - die Gitarre musste nicht mehr allein den Song tragen, sondern konnte sich auf Rhythmus- oder Lead-Rolle konzentrieren, je nach Bedarf. Es gibt Stücke, die sind noch sehr vom Delta Blues geprägt, andere Songs sind ziemlich exakt durchkomponiert und deutlich komplexer als ein 12-Bar-Blues. Die Liste einflussreicher Gitarristen ist endlos, ich beschränke mich mal auf eine Handvoll: Freddie King, Otis Rush, Luther Allison, Buddy Guy, Johnny Shines - dazu Muddy Waters selbst und Hubert Sumlin als bedeutendster Gitarrist hinter Howlin‘ Wolf. Da sind ganz viele Namen dabei, an denen man als Blues-Interessierter nicht vorbeikommt, und das ist nur die Spitze des Eisbergs.
Wo also anfangen? Man schnappe sich die großen Hits und höre, was die Gitarre da so tut. Das reicht je nach Song von ganz ganz einfachen ein- bis zweitaktigen Vamps (heute würde man "Riffs" sagen), die den ganzen Song hindurch gespielt werden bis hin zu recht komplexen 7/9/13-Konstruktionen. Es gibt nicht viele prominente Gitarrensoli (nein, immer noch nicht, liebe Gitarristen-Gemeinde!), aber viele ganz klassische und viel zitierte Licks. Mein Tipp als Ausgangspunkt ist "Spoonful" (geschrieben von Willie Dixon), gespielt von Howlin‘ Wolf und Band - schnappt Euch das, und macht Euch an die Gitarrenspur. Das Lied hat EINEN Akkord, ein gitarrenfreundliches E. Blues kann so einfach, aber auch so vielschichtig sein.
Ganz lustig ist, dass zur selben Zeit auch John Lee Hooker bekannt wurde - der lebte aber nicht in Chicago, sondern Detroit (natürlich auch 1917 in Mississippi geboren). Einen wirklichen "Detroit Blues" gibt es aber nicht, weil es außer JLH keine bedeutenden Künstler in Detroit gab. Das führt einem ganz gut vor Augen, wie absurd diese Genre-Bezeichnungen und Schubladen so sind. Hooker war nämlich auch ein einzigartiger Gitarrist mit absolut unverwechselbarem Stil.
Texas Blues
Hier haben wir sie endlich, die Gitarrensoli! Stevie Ray Vaughan! Jawoll!
Moment. Texas Blues ist wieder so eine geographische Bezeichnung für einen Stil, das passt wie wir wissen ja nicht so immer. Oft wird z.B. Blind Lemon Jefferson dem Texas Blues zugeordnet, allein weil er in Texas geboren wurde. Auch Lightnin‘ Hopkins wird wegen dieser Tatsache in diese Schublade gesteckt, was für meine Ohren nicht wirklich passt.
Was ist also "Texas Blues"? So wie ich es mir zusammengereimt habe, geht es beim Texas Blues auch um einen urbanen (städtischen) Blues, wo die Gitarren etwas prominenter sind (mit Soli!) und wo es in Summe etwas mehr "swingt" als im vom rohen Delta abstammenden Chicago Blues. T-Bone Walker ist für mich "der" Vertreter des Genres, einer der am meisten kopierten Gitarristen überhaupt, Albert Collins ist auch so einer. Ich kann auch hier nur empfehlen, sich mal einzelne Songs der "großen Namen" vorzunehmen.
Später kamen dann Johnny und Edgar Winter, Jimmy und Stevie Ray Vaughan oder auch die frühen ZZ Top. In Summe muss ich aber sagen, dass ich mit "Texas Blues" als Genre immer ein Problem hatte - in den Anfängen ist es eben irgendwie keine besonders eindeutig zu differenzierende Country Blues Geschichte, später dann ebenso schwer anhand stil-prägender Elemente festzunagelnder elektrische Blues.
Rhythm And Blues
Nein, es geht nicht um das, was wir heute als "Contemporary R&B" kennen, sondern um eine Vorform davon. Man nehme Blues und lege mehr Wert auf Tanzbarkeit, schnappe sich noch gleich ein paar Soul/Gospel-Einflüsse, nehme ein bisschen Karibik-Feeling mit, und schon ist man da. Die Genre-Bezeichnung kommt auch (mal wieder) von der Plattenindustrie, die einen Namen für die an die afroamerikanische Zielgruppe zu vermarktende Musik brauchte. Insofern ist "Rhythm&Blues" der etwas modernisierte Name für "Race Records".
Als Gitarrist sollte man Bo Diddley mal gehört haben, auch Gitarristen wie Chuck Berry wurden unter diesem Genre vermarktet, genauso wie die Piano-Meister Little Richard und Ray Charles. Kurzum: So richtig gebrauchen kann man das als Genre-Bezeichnung nicht, aber ihr habt’s jetzt mal gehört.
British Blues
Jetzt haben wir sie endlich, die Soli: Wie ja schon mehrfach anklang, hat eine talentierte Riege junger britischer Gitarristen sowohl die alten Meister entdeckt als auch den Chicago Blues und andere Blues-Varianten der 1950er/60er Jahre in sich aufgesogen. Dann ging’s ab.
Eric Clapton, Jimmy Page Keith Richards, Brian Jones, Peter Green, Jeff Beck - und damit auch die Yardbirds, Rolling Stones, Fleetwood Mac, Cream, Led Zeppelin. All diese Bands haben starke Blues-Wurzeln, gerade auf den frühen Aufnahmen hört man das. Man kann sogar Jimi Hendrix hier mit einsortieren wenn man will, denn ohne den Erfolg in England wäre er wahrscheinlich auch nicht zum absoluten Gitarrengott geworden.
Interessanterweise hat dieses britische Blues-Revival der 1960er eben die Rock-Geschichte insgesamt mitgeschrieben. Der Erfolg schwappte wieder zurück in die USA, wo auf einmal die Briten den Amis beibrachten, was denn Blues so ist.
Die Namen und Bands stehen oben, das verfügbare Material für Gitarristen ist quasi unerschöpflich. Viel Spaß!
Blues Rock
Wenn man das, ich mit dem British Blues beschrieben habe, auf eine größere Skala hängt, hat man eben Blues Rock. Künstler/Bands "kommen aus dem Blues" und entwickeln sich. Manchmal bleiben viele Blues-Elemente erhalten, manchmal gehen diese in den Hintergrund.
Aus Blues mit Rock-Elementen kann man Hard Rock, Roots Rock, Southern Rock oder meinetwegen auch Heavy Metal ableiten. Der Blues-Grundstock wird verändert, ein bisschen mehr Riffing, ein bisschen mehr Zerre, man bleibt vielleicht nicht immer beim I-IV-V und 12 Takten, wird schneller, weniger Shuffle und mehr straighter Beat,... ihr seht schon, Blues Rock ist wirklich nicht eindeutig zu beschreiben. Nagelt einen Pudding and die Wand, das ist leichter.
Wir haben jetzt auch einen Punkt erreicht, wo ich mich mit Genres und Stilen sehr schwer tue. Blues ist jetzt als Grundstock in die Rock- und Pop-Musik eingeflossen (den ganzen Ast mit Soul, Funk, Rap habe ich mal ausgeklammert, ebenso die Blues-Jazz-Interferenzen, African Blues und und und), gleichzeitig gibt es sehr viele Interpreten und Bands.
Als Gitarrist ist es leicht und schwer zugleich. Einerseits ist das Material verfügbar und die Bands sind bekannt. Andererseits wird’s eben auch schwammig damit, wo wie viel oder wenig Blues drin ist. Hier muss man für sich rausfinden, was man will - und nicht den großen Kopf drum machen, ob das (noch) Blues ist oder was ganz anderes.
Modern Blues
Hier geht’s dann wild durcheinander. Alle bisherigen Einflüsse und ganz viele nicht erwähnte, es wird sich überall bedient - das Feld ist riesig.
Ein paar aktuellere Blues- und Blues-Rock-Vertreter: John Mayer, Joe Bonamassa, Jack White / White Stripes, Black Keys, Black Crowes. Gibt noch verdammt viele mehr, hier eher die weiter bekannten und erfolgreichen.
Hier gilt ebenso - notfalls mit einem Interpreten oder Song anfangen und von dort aus erkunden.
Der Auftrag hier ist ganz klar - Hören, hören, hören! Irgendwann kann man anfangen, das zu sortieren ...
5) SORTIEREN - EIN VERSUCH
Wer sich bis hierher durchgekämpft hat, wird merken - das ist nicht so einfach. Genre-Grenzen sind schwammig bis sinnlos, viele Künstler durchbrechen sie immer wieder oder halten sie nicht ein. Andererseits brauchen wir doch irgendwelche Begriffe, um bestimmte Stile zu beschreiben.
Ich arbeite gerne mit folgenden Wortpaaren:
- Classic / Modern (also eher orientiert an alten/klassischen Songs/Stilrichtungen oder an neueren)
- Acoustic / Electric (also unverstärkt / verstärkt)
- Rural bzw. Country / Urban bzw. City (also eher ländlich einfach oder etwas feiner aus der Stadt)
- Solo Artist / Band (also der sich selbst begleitende Saenger oder eine richtige Combo mit mehreren Instrumenten)
Die häufig zu lesende Wortpaarung Pre-War / Post-War wird oft synonym für ein ganzes Bündel verwendet. Der klischeehafte Pre War Blues ist Classic/Acoustic/Rural/Solo Artist, ein stereotyper Post War Blues wäre dementsprechend Modern/Electric/Urban/Band. Es ist zu beachten, dass der Zweite Weltkrieg aus US-Sicht erst mit dem Angriff auf Pearl Harbor im Dezember 1941 losging - viele Blues-Historiker definieren also alles bis einschließlich 1941 als Aufnahme- bzw. Erscheinungsdatum als "Pre-War Blues".
Warum komme ich mit dieser Vereinfachung erst jetzt? Weil ich der Meinung bin, dass man sie nur halbwegs nachvollziehen kann, wenn man vorher den Trichter aufgemacht hat und sich mal in ganz viele verschiedene Richtungen bewegt und viel gehört hat.
Die Übung ist jetzt: In Worte fassen, was man - nachdem man nun etwas mehr gelernt und ganz viel gehört hat - denn in Richtung Blues machen will. Wenn das anders ist als zu Beginn, dann ist das halt so. Wenn die Richtung aus dem Bauchgefühl heraus bestätigt wurde - auch gut. Bereit für dem letzten Schritt?
6) UND JETZT - SPIELEN!
Für jetzt ist alles gesagt, die oben dargelegten Schritte haben wir durch. Bis auf den letzten: Spielen!
Blues-Theorie und Hintergrundwissen sind gut und können Spaß machen, aber letztlich wollen wir doch Musik machen. Also munter drauf los!
Wer jetzt einfach nur spielt und sich einen Dreck um diese 5.000 Worte schert - good for you! In der Zeit, die man für das Durcharbeiten dieser Anleitung braucht, kann man locker eine Handvoll Blues-Songs lernen inklusive Soli. Aber nicht hinterher im Forum kommen mit "Ich will jetzt Blues lernen, wie fange ich an?" oder "Was ist eigentlich Blues".
7) DANKE AN ALLE LESER!
Schreiben hat mir Spaß gemacht. Lesen - keine Ahnung, sagt mal. Bin ich ein Weltverbesserer und Blues-Gutmensch? Vielleicht. Glaube ich damit, die Welt aus den Angeln zu heben? Nein. Ich bin happy, das runtergerasselt zu haben - nun kann ich zum Thema schweigen (theoretisch, praktisch werde ich weiterhin meine Meinung kundtun)
- Eigenschaft