Die deutsche Rechtsprechung hält sich recht strikt an das Prinzip Schöpfungshöhe.
...und im amerikanischen Recht gibt es den entsprechenden Begriff "threshold of originality".
The threshold of originality is a concept in Anglo-American-based copyright law systems that is used to assess whether a particular work can be copyrighted. It is used to distinguish works that are sufficiently original to warrant copyright protection from those that are not. In this context, "originality" refers to "coming from someone as the originator/author" (insofar as it somehow reflects the author's personality), rather than "never having occurred or existed before"
http://en.wikipedia.org/wiki/Threshold_of_originality
Bitte beachten, daß ich bereits ausgedrückt habe, daß ich den Rhythmus allein und die Kuhglocken allein nicht für schutzwürdig erachte.
Der Haken bei dem Thicke/Williams-Song ist, wie ebenfalls schon ausgedrückt, daß die Gesamtheit aller Elemente, sich zu nahe an die Vorlage anlehnen. In meinen Ohren und wurde genau "the author's personality" des Originalsongs geklaut.
Aus dem Urteil herauslesen zu wollen, daß ein Genre, e.g. Funk-Groove allgemein, monopolisiert wird, halte ich für weit überzogen. Man höre sich mal alle Funk-Hits vor 1977 an, man wird keinen einzigen Song finden, der dem Original so ähnlich ist, wie der Thicke/Williams-Song. Es ist also legitim, daß aus den gefüllten Taschen von Thicke/Williams einiges in die Taschen der Gaye-Familie transferiert wird.
Dieses Urteil war eine Einzelfallprüfung und man sollte nicht vorschnell auf weitere Fälle schließen. Es wird sicher künftige Fälle geben, die entsprechend abgelehnt werden und es wird genauer definiert werden, wo die Grenze zwischen Kopie und Original verläuft.
Interessant, daß die Jury, nach sieben Verhandlungslagen und detaillierten Untersuchungen von mehreren Musikologen zu dem Urteil gekommen ist, ohne die beiden Songs insgesamt anzuhören. Das wurde nämlich vom Thicke/Williams-Anwalt untersagt und die Gaye-Familie befüchtete deshalb Nachteile:
.. the judge looked to old standards under the 1909 Copyright Act and concluded that the Gaye family hadn't sufficiently shown it made necessary deposits of the "Got to Give It Up" sound recording at the Copyright Office. As such, Gaye's copyrights on the song were limited to the sheet music compositions.
...
"Pharrell Williams and Robin Thicke started this lawsuit against the Gaye family, but then filed motions asking the court to prohibit the playing of Marvin Gaye's song, which prevents the jury from comparing the songs," says Busch. "We know of no similar case where this has occurred, and do not believe that a truly fair trial can take place if the jury cannot hear and compare both songs. We are currently exploring all of our options."
...
"A truly fair trial requires only a comparison of the compositions, not the sound recording, which is not owned by the Gayes," says King. "Given the fact that the compositions have absolutely no substantial similarities, there is little chance the Gayes can prevail at trial or on any threatened appeal."
Quelle:
Eriq Gardner: Marvin Gaye's Family Doubts "Fair Trial" In 'Blurred Lines' Lawsuit
The eight jurors in the case were instructed by the judge, John A. Kronstadt of United States District Court, to compare “Blurred Lines” and “Got to Give It Up” only on the basis of their “sheet music” versions — meaning their fundamental chords, melodies and lyrics, and not the sounds of their commercial recordings.
Quelle:
BEN SISARIO and NOAH SMITH: ‘Blurred Lines’ Infringed on Marvin Gaye Copyright, Jury Rules
Das Urteil untersuchte nicht nur eine Komponente, wie z.B. früher meist die Melodie, sondern es wurden mehrere genauestens untersucht.
Die Originalität der Melodie spielt in der heutigen Musik eine deutliche geringere Rolle als früher. Der Schutz von Originalen muß sich daher stärker als früher durch andere erweiterte Betrachtungen manifestieren. Dies gilt um so mehr, als daß es mit den heutigen technischen Methoden, ein leichtes wäre, sich ein Original vorzuknöpfen und "mechanisch" die Forderungen früherer Rechtsprechung nachträglich einzubauen.
Es wird ja auch vielfach die mangelnde Qualität heutiger Popmusik beklagt, welche mit einer unkreativen Produktionsweise in Verbindung gebracht wird.
Elton John wäre sogar für ein (undurchführbares) Experiment:
I do think it would be an incredible experiment to shut down the whole internet for five years and see what sort of art is produced over that span. There’s too much technology available. I’m sure, as far as music goes, it would be much more interesting than it is today.
...
In the early ‘70s there were at least ten albums released every week that were fantastic. Now you’re lucky to find ten albums a year of that quality.
Quelle:
Elton John: Shut Down The Internet
Kaum ein Komponist in der Musikgeschichte ist ohne Vorbilder ausgekommen. Einer lernt vom anderen und entwickelt daraus sein eigenes.
Völlig korrekt. Man studiert die Vorbilder, imitiert sie sehr lange und allmählich entwickelt sich etwas Eigens. Es muß aber etwas wirklich "Eigens" sein. Wird das Stück bekannt und man verdient viel Geld damit, ist es wahrscheinlich, daß genau überprüft wird, inwiefern es etwas "Eigenes" ist.
Die wirklich kreativen Künstler, sind nicht an Vorlagen interessiert, sondern sie möchten Neuland erobern. Und genau diese Künstler mögen wir so gerne und sie dienen lange Zeit als Vorbilder für nachfolgende Generationen von Künstlern.
Daß Thicke abgekupfert hat, steht mich für mich eigentlich außer Frage. Nur daß der Funk-Groove eine originäre Erfindung Marvin Gayes war, glaube ich nicht.
Im ersten Satz stimmen wir überein und beim zweiten Satz könntest Du durchaus recht haben. Doch eine Rechtsprechung ist auf Beweise angewiesen - Glaube zählt nicht.
Wenn der Beweis erbracht wird, auch nach Jahrzehnten, so wird auch entsprechend gerichtlich entschieden, wie z.B. bei dem alten Hit "The Lion Sleeps Tonight". Die musikalische Vorlage wurde zunächst (gerne) für ein Volkslied gehalten, bis gezeigt wurde, daß Solomon Linda ihn 1939 für seine Auftritte in Johannesburger Bars und Kneipen geschrieben hatte. Seine Familie erhält jetzt Einnahmen:
Im Februar 2006 einigten sich die Erben mit dem Verlag Abilene Music, der inzwischen als Inhaber der Rechte an Mbube agierte, über eine Zahlung von Lizenzgebühren für die weltweite Nutzung der Komposition...
http://de.wikipedia.org/wiki/Solomon_Linda
Mbube - Solomon Linda's Original Evening Birds- Wimoweh.wmv
Tokens - The Lion Sleeps Tonight
Auch in diesem Fall wurde die Originalität des Songs (author's personality) übernommen, der Rest war in großen Teilen nicht schutzwürdiges kompositorisches Handwerk, ist aber dennoch eine schützenswerte Bearbeitung.
Für Bearbeitungen ist die Lizenz des Urhebers erforderlich (bzw. desjenigen, der seine Rechte wahrnimmt).
Viele Grüße
Klaus