Hm, das Irre ist vielleicht mehr, dass wir jetzt eine so riesige Auswahl an allem Möglichen haben. Nicht nur Gibson und Fender und vielleicht Squier und Epiphone und Höfner, sondern noch zig brauchbare oder gute bis sehr gute Konkurrenten dazu, kleine oder größere Schmieden. Nicht nur der gedruckte Katalog und die Info aus der Musikzeitschrift oder vom Kollegen, sondern tausende von Onlineshops mit hunderttausenden Artikeln, alle bunt und schön präsentiert. Dazu Foren, in denen man über marginale Unterschiede von Bodentretern, Cliptunern, Saitensätzen, deren Haltbarkeit ... Plektren etc. etc. diskutiert. Gleiches bei Amps.
Und alles auf dem Silbertablett serviert. Alles so scheinbar nah und präsent.
Der fortgeschrittene Kunde ist sehr viel informierter als früher, selbst der hoffentlich bemühte "Fuzzi" der XY-Abteilung mit T-Shirt und langen Haaren kann oft nicht mehr mithalten wenn es um speziellere Fragen geht. Der muss im Laden sein und hat nicht die Zeit, stundenlang nach speziellen Teilen zu googlen oder Diskussionen mitzulesen. Der Kunde nimmt das als schlechten Service wahr, schließlich ist ER der Kunde und der ANDERE der Spezialist, oder nicht? Darin liegt eine grundlegende Fehleinschätzung des Kunden von sich und vom Wesen eines Musikalienhandels. Gleichzeitig macht die viele Information den Kunden zwar informierter, aber nicht schlauer. Wenn ich mir hier die vielen Anschaffungen durchlese und den Durchsatz an Waren, den einige hier so haben OHNE irgendwann zu einem wenigstens zeitweise festen Setting zu kommen und mir überlege, wieviel Zeit für die Informationsbeschaffung im Einzelfall draufgeht, frage ich mich, ob dieses Käuferverhalten wirklich zielführend ist.
Der (vielleicht) kaufwillige Kunde, der nicht gern als Depp dasteht, versucht das letzte aus seinem Euro rauszupressen und liest und liest und liest und stellt fest, dass im Preissegment von XXX bis YYYY Euro die Marken Ziggy und Wabble (Disclaimer: erfunden
) das Nonplusultra sind. Warum dann was kaufen wenns woanders noch 5% mehr fürs Geld gibt? Da wäre man als Kunde ja schön doof. Nur, dass der örtliche Handel nicht alle halbe Jahre sein Sortiment umstellen kann und vor allem nicht fünf Versionen "abseitiger", aber gerade frisch gehypter Marken z.B. der Dreadnought "Wabble DC450 L" (warum nur eine?
schließlich will man selektieren also das meiste rausholen) nebst Grand Auditorium der Marke "Ziggy" GA180 XL vorrätig hat, zum Vergleich für den informierten Kunden wohlgemerkt, der letztlich oft genug doch online kauft. Schließlich hat er seine Kenntnis ja auch nur aus You-Tubes und Forendiskussionen.
Ich hab das hier schonmal geschrieben, glaube ich: Die schöne neue Warenwelt ist durch den Bedarf des Kunden und nicht zuletzt durch den Onlinehandel geschaffen worden, ein lokaler Musikalienhändler kann das gar nicht leisten. In dieser Erkenntnis steckt sowohl Resignation als auch Potential. Man macht das Beste daraus und schärft sein Profil, mit der Folge, dass das Angebot sich meist auf Einsteigerware und ein paar wenige und risikoreiche Ausflüge eine Ebene höher beschränkt wenn der Laden das Geld dafür hat. (Oft genug gelesen hier: Der Händler hat zwar Marke XY, aber das Modell ist von 2008 OHNE das neue Wiring, FAIL !!!) Die Profis unter den Kunden müssen hier unter den Tisch fallen, weil alles andere wirtschaftlich kaum darstellbar ist, es sei denn man spezialisiert sich - was wiederum eine Beschränkung des Angebots zur Folge hat.
Kurz: Der Kunde sollte sich darüber im Klaren sein, dass er in aller Regel einen Informationsvorsprung hat und der lokale Handel in aller Regel nicht das superspezielle Teil vorrätig hat auf das der Kunde gerade giert und wenn mal doch, dass man dann eben eine winzige Lacknase oder minimale Benutzungsspuren (ein anderer informierter Kunde hatte das Teil schon begrabbelt oder getreten) hinnehmen muss. Will der Kunde aber nicht. Auf dem jamaikanischen Onlineshop war alles so schön neu und bunt und perfekt.