Hey Sigi,
ich habe mir gerade Deinen Post
#73 nochmal durch gelesen, und ich finde, Du machst es Dir etwas zu einfach.
In meinen Augen und Ohren ist Blues eine Volksmusik.
Auch in europa gibt es Volksmusik. Nehmen wir als Beispiel mal die Österreichisch Stubenmusik mit Hackbrett, Harfe, Kontrabass und steirischer Handorgel.
Diese Musik entspricht historisch in etwa dem ursprünglichen afroamerikanischen Blues.
Es kamen dann gut ausgebildete Musiker, haben diese Stubenmusik als Vorbild genommen, sie veredelt und sogenannte Kunstmusik daraus entwickelt. Diese Musiker waren z.B. Haydn, Mozart, Beethoven und Schubert.
So eine Musik wurde dann nicht mehr beim Heurigen gespielt, sondern - natürlich - in Konzerthäusern.
Ein ähnliches Verhältns besteht nun zwischen der ursprünglichen afroamerikanischen Bluesmusik und der konzertanten Jazzmusik seit den 40er und 50er-Jahren. Es gab eben in Amerika gut ausgebildete Musiker, die haben die Bluesmusik als Vorbild genommen und daraus eine Kunstmusik entwickelt. Diese Musiker waren z.B. Charlie Parker, Dizzy Gillespie und Miles Davis.
Und natürich gab es in Amerika einen Faktor, den es in Europa zunächst nicht gab: die Vermischung von Schwarzen und Weissen. Und natürlich war es in Amerika damals so, wie es auch heute noch unter Musikern und Künstlern ist: rassische Ressentimenents überliess man den Politikern und Unternehmern. Unter Musikern versteht man sich auf der ganzen Welt eigentlich immer vorbildlich. Also haben die weissen Musiker von den Schwarzen gelernt und die Schwarzen von den Weissen. Also habe weisse Musiker begonnen, sich mit ihrem musikalischen Hintergrund für die Bluesmusik zu interessieren und sie auf ihre Weise
weiterentwickelt. Ebenso haben schwarze Musiker Strawinski und Bach studiert und diese Traditionen in ihre musikalischen Hintergründe aufgenommen und diese
weiterentwickelt. Als typische Beispiele nenne ich mal Stan Kenton oder das Modern Jazz Quartet.
Natürlich gab es auch immer Menschen, die versucht haben, aus solchen musikalischen Strömungen Geld zu machen, und das waren meistens keine schlechten Musiker. In Österreich war das vielleicht Johann Strauss Sohn, in Amerika z.B. Glenn Miller. Schwarze gab es bestimmt auch. Aber auch diese Leute waren im Grunde geniale Musiker.
Nach den unsäglichen Weltkriegen kam es aus historischen Gründen dazu, daß die amerikanische Jazzmusik nach Europa schwappte, und hier bei den weltoffenen Musikern auf offene Ohren traf: Man denke nur an Kurt Edelhagen, Paul Kuhn, Max Reger, die ihre schwarzen Kollegen hier mit offenen Armen empfingen. Im Grunde war man auch froh, daß es durch diese interkontinentalen Kontakte endlich möglich war, die in Europa untergegengene Kultur der Improvisation wieder zu beleben. Toots Thielemans gehört auch zu diesen weltoffenen, weiterentwickelnden europäischen Musikern, wie auf diesem Video eindrucksvoll zu sehen ist:
Von einer Verwässerung kann unter diesen Gesichtspunkten ja überjaupt nicht die Rede sein, vielmehr von einer gegenseitigen Befruchtung. Und so ist es heute üblich, daß auf den internationalen Opernbühnen z.B. asiatische, europäische, afrikanische, arabische und amerikanische Musiker ebenso zu sehen sind wie auf den Jazzbühnen.
Mir gefällte die Stubenmusik übrigens genauso gut wie die Bluesmusik, die klassische Musik oder der Bop.
Zum Abschluss noch eine kleine Anekdote:
Letzte Woche kam eine Schülerin in meinen Unterricht und sagte, daß sie in der Schule im Musikunterricht jetzt den Blues durchnehmen. Auf meine Frage, was denn nach Meinung des Lehrers Blues sei, antwortete sie: Die Schwarzen wurden nach Amerika gebracht und mußten dort als Sklaven arbeiten. Deshalb waren sie traurig und sangen traurige Lieder. So entstand der Blues.
Aua!
So ein Kram wird heute noch an den staatlichen Schulen den Schülern erzählt.
Viele Grüße,
MCoy