Auch wenn's schon ein paar Jahre her ist: die Frage lautete meines Erachtens nicht "Was ist ein Komponist bzw. wann bin ich Komponist?" sondern "Was ist Kompositionslehre?".
In der Kompositionslehre werden unter anderem die harmonischen Zusammenhänge in der wohltemperierten Stimmung (12 Töne pro Oktave) dargestellt. Stichwörter z.B.: Terzschichtung, Quintenzirkel, Leitton, Paralleltonarten, Kontrapunkt u.v.a.m. und zum anderen lernt man -zumindest in der Klassik- auch Dinge, wie man z.B. eine Posaunenstimme erstellt, ohne daß der Posaunist innerhalb von 2 Takten seinen Zug 10 Meter weit bewegen muß. Weiterführend wird man an der Uni auch noch ein wenig über Vierteltonleitern usw. lernen, aber das lassen wir jetzt mal außen vor, weil das in unserer euroamerikanischen Musik praktisch nicht vorkommt.
Mit anderen Worten: es ist nicht kreativer als ein Maschinenbaustudium.
Ich halte es aber für Popmusik, Swing, Fusion u.ä. nicht für notwendig, ein Studium zu absolvieren, denn an sich sind die harmonischen Zusammenhänge zwischen den lediglich 12 Tönen ausgesprochen simpel, d.h. wenn man es mal kapiert hat, ist es fast genauso wie Autofahren, d.h. man denkt nicht mehr groß darüber nach, wann man die Kupplung losläßt. Bleibt man bei einem Stück innerhalb einer einzigen Tonart - wie bei gut 90% der Popmusik der Fall - dann ist es noch viel, viel einfacher.
Bücher über Kompositionslehre machen das Ganze oft sinnlos kompliziert (wenn ich z.B. lese, daß man die dorische Tonleiter am Klavier auf dem D beginnt dann kriege ich ********) und völlig unverständlich, denn die harmonischen Zusammenhänge sind - wie schon erwähnt, ausgesprochen simpel.
Es ist irgendwann selbsterklärend, daß die betonten Noten der Melodielinie in dem jeweiligen Begleitakkord enthalten sein müssen, daß man eine Dominante bzw. einen Akkord mit Leitton vor den Schlußakkord setzt, nicht unbedingt die Septime auf die 1 im Baß spielt usw. Zweite, dritte, vierte Stimmen ergeben sich fast automatisch daraus, daß man die anderen Tönde der jeweiligen Akkorde auzf die betonten Taktzeiten setzt. Wer Bach mag (und wer tut das nicht?) setzt gerne mal die betonten Zeiten der zweite Stimme abwechselnd Terz - Quint - Terz - Quint oder legt mal auf den Bass die Terz des Akkords usw.
Natürlich kann man mit Rhythmik, Sound, ungewöhnlichen Melodiewendungen und Instrumentierungen, Wiederholungen bzw. dem Weglassen derselben unendliche Variationen erzeugen, selbst wenn man bei der Erstellung der Begleitung = Arrangement nach Schema F vorgeht.
Ein Tip: finde heraus, welche Akkorde bei den ersten paar Stücken des Wohltemperierten Klaviers zu finden sind, damit kennst Du so fast alle harmonischen Zusammenhänge, die man vom Barock bis zum Jazz finden kann (in der Popmusik sowieso).
Die Frage nach dem Unterschied zwischen Beethoven und Bohlen ist dabei schnell erklärt: Beethoven war nicht nur bei der Erschaffung von großartigen Melodien ein Genie, er hat - obwohl noch sehr an Bach orientiert (es gibt schließlich noch einen Kontrapunkt) - auch bei der Begleitung/Arrangement und Harmonik für seine Zeit völlig neue Maßstäbe gesetzt. Spätestens mit der "Eroica" hatte er die romantische Musik "erfunden" und die Klassik eines Haydn weit hinter sich gelassen.
Bohlen produziert hingegen genau das, was das Publikum schon tausende male gehört hat, mit minimalsten Variationen beim Text und evtl. noch beim Sound. Nichtsdestotrotz ist er ein Komponist.
Das ist wie der Unterschied zwischen Michelangelo und Anstreicher Schulze: beide sind Maler, beide klatschen Farbe an die Decke. Michelangelo malt sein Lebenswerk, Schulze variiert von Weiß bis Eierschale und macht pünktlich um 5 Feierabend.
Tip: Wer die harmonischen Zusammenhänge lernen will, egal ob er sich als Michelangelo oder Schulze sieht: es hilft übrigens sehr dabei, Zusammenhänge/Akkordverwandschaften zu erkennen, wenn man entweder ein Tasteninstrument spielt oder, was noch sinnvoller ist, eine Partitur in ein Notensatzprogramm eingibt, mit dem man sich den Schmu auch gleich anhören kann.
Und ich bin ebenfalls der Ansicht von Vincent Stone: eine Komposition ist erst dann eine fertige Komposition, wenn es reproduzierbar ist. Auf welche Weise es reproduzierbar gemacht wird (Noten, Aufnehmen, vorpfeifen), ist dabei egal.
Es ist aber KEINE Komposition, zu sagen "...und da stelle ich mir dann irgend so'n beethovenmäßiges Streichquartett-Brett vor und der Typ im Eck haut 'n paarmal die Becken zusammen...". Wenn man Mitmusiker hat, die das umsetzen, o.k., dann ist man vielleicht Arrangeur oder Dirigent oder Producer, aber kein Komponist.
Zu einer Komposition gehört immer Kreativität UND Handwerk, beim einen mehr, beim anderen weniger.