Und wie wir jetzt wissen, ist es tatsächlich so geblieben wie vorhergesagt. Jetzt kann ich mir zwar einen drauf einbilden, dass ich mit vielen meiner Vermutungen richtig lag - Dänemark gewonnen, Norwegen weit vorne,
Island hatte es wohl am schwersten, weil es mit Startplatz 19 genau zwischen den späteren Erst- und Zweitplatzierten (Dänemark und Aserbaidschan) lag, und ist entsprechend weit hinten gelandet - aber andererseits ist es natürlich auch weniger spannend, wenn man a) aufgrund wachsender ESC-Erfahrungen allmählich die Sieger immer besser im Voraus abschätzen kann und b) sich obendrein auch keine Hoffnungen für das eigene Land zu machen braucht.
2013 hat trotzdem einige historische Ereignisse geliefert:
-
es war das erste Jahr völlig ohne den Balkan im Finale; alle Länder des ehemaligen Jugoslawien sind schon vorher rausgeflogen (Serbien, Montenegro, Kroatien, Bosnien & Herzegovina, Mazedonien, außerdem auch noch Slowenien und Bulgarien).
Diese Länder waren ja in den vergangenen Jahren in den Medien beim ESC öfters fürs "Punkte-hin-und-her-Schieben" verschrien; auch, wenn es hauptsächlich an kulturellen Gemeinsamkeiten und damit verbunden sehr ähnlichen Musikgeschmäckern gelegen haben dürfte, dass die Punkte aus dem Balkan meist auch auf dem Balkan blieben, so hat die recht große Zahl dieser vielen kleinen Länder (Tendenz steigend, man denke an das mittlerweile unabhängige Kosovo), die ja alle nochmal jeweils ihre 1 bis 12 Punkte vergeben durften, das Ergebnis im Finale doch bisher immer stark beeinflusst.
--> stattdessen waren diesmal Rumänien und Moldawien zusammen vertreten, das Kaukasus-Dreiländereck Armenien, Aserbaidschan und Georgien, natürlich wieder im Zusammenspiel mit Ukraine und Russland. Aber auch die westlichen Länder haben bewiesen, dass sie das oft kritisierte "Punkte Zuschieben" mindestens genauso gut drauf haben:
-
es war das erste Mal seit 2004 (der Einführung des Halbfinals), dass Holland mit im Finale war - und Belgien noch gleich mit dazu. Wären also eigentlich gute Bedingungen für Deutschland gewesen, wenn einige holländische Zuschauer mehr zugucken. Denn Sympathiepunkte gab's dieses Jahr fast überall; zwischen Holland und Belgien war es sogar 1:1 (12 Punkte für 12 Punkte). Fast jeder hat also seinem Nachbarn irgendwelche Punkte gegeben; blöd nur, dass Deutschland sich durch die offensichtliche Anlehnung an den Vorjahressieger da offenbar mal wieder zwischen alle Stühle gesetzt hat, sodass Belgien und die Niederlande die Punkte lieber untereinander ausgetauscht haben.
- von wem haben wir stattdessen Punkte bekommen? Von Österreich, einen Gnadenpunkt von der Schweiz, drei Punkte aus Spanien von den deutschen Mallorca-Bewohnern und... ausgerechnet
von Albanien und Israel?! Israel, ernsthaft?
Das war das erste Mal, dass wir von Israel Punkte bekommen haben (bei unserer Geschichte ja auch eigentlich verständlich), und dann gleich 5, also was hat sich geändert?
Ansonsten wären eben noch die Schlagwörter:
- einige Plagiatsvorwürfe im Vorfeld (Deutschland, Russland, und das slowenische Lied aus dem Halbfinale klang verdächtig nach "Titanium" von Sia ^^)
- viele
Balladen (Russland, Estland, Island, Moldawien, Niederlande, England, Aserbaidschan, Italien, Georgien, Ukraine, evtl. auch noch Armenien)
- reichlich Nummern mit
Trommeln (Dänemark, Irland, Weißrussland, diverse Songs aus den Halbfinal-Shows)
-
Kampf der Titanen (Rumänien / Moldawien / Ukraine)
bei den beiden rumänischsprachigen Ländern wurde mit übergroßen Röcken und der hochfahrbaren Säule getrickst, um ihre Sänger größer zu machen; der "Sängerinnen-Heranschlepper" der Ukraine war halt wirklich so groß

Das sind auch gleichzeitig die Länder mit den höchsten Gesangstönen:
--> Ukraine & Moldawien: höchster vollstimmiger Belt (Ukraine bis e'' mindestens, bei dem einzelnen fis'' bin ich mir nicht sicher; bei Moldawien ein f'')
-->
Rumänien: höchster Ton aller Kandidaten, und zwar von einem Mann! (mit g'') ^^
Der
höchste Ton des Abends kam witzigerweise von keinem der Teilnehmer, sondern
von der Moderatorin ^^ in ihrem Schweden-Klischee-Song (ein
gis'', wie mir mein absolut hörender Bruder mitteilte). Also insgesamt alles verhältnismäßig tief, da habe ich in den vergangenen Jahren auch schonmal die ein oder andere dreigestrichene Note gehört. ^^
Über Deutschlands Platz kann ich mich jetzt nicht wirklich aufregen, sondern eigentlich nur noch über das
Verhalten unserer Jury:
-
Lena hat in Sachen Peinlichkeit für Deutschland den Sack endgültig zu gemacht (dass man Punkte falsch ansagt, kommt hin und wieder noch mal vor, vor allem, wenn man ja lieber stundenlang darüber labert, wie toll die Show doch war, wie "bezaubernd" die Moderatorin und wie geil die Stimmung in Hamburg doch sei; aber dann auch noch in diesem Kleid... Hilfe!

)
- mit Lena und Tim Bendzko hatten wir gleich zwei Nasen aus der Voice Kids-Jury auch in der ESC-Jury sitzen. Die beiden hatten selbst bei den kleinen Kiddies kein Problem, dezente Kritik zu äußern und Tipps zu geben, was ihrer Meinung nach an deren Gesang noch verbessert werden könnte (obwohl sie das auch weitaus seltener getan haben, als sie es hätten tun können).
Warum hat also keiner von der Jury den *rsch in der Hose gehabt, die liebe Frau Horler drauf hinzuweisen, woran ihre bescheidene Platzierung gelegen haben könnte? (neben der Ähnlichkeit des Songs zu "Euphoria", was ja von Anfang an bekannt war)
Sie hat sicherlich besser gesungen als die No Angels damals 2008 (das wäre allerdings auch nur schwer zu unterbieten), aber es gab einige Töne, die dann doch entweder deutlich daneben lagen, leicht zu hoch oder zumindest gebrüllt klangen, ähnlich auch wie bei der spanischen Sängerin, die teilweise etwas "sharp" gesungen hat (d. h. leicht über dem Ton lag). Davon abgesehen kamen Cascada mEn gesanglich auch einfach nicht so richtig gegen die Soundwand aus Synthies an, was die Lautstärke und Durchsetzungsfähigkeit angeht (das Problem hatten aber noch einige andere Sänger, u.a. der Belgier). Roger Cicero war sicherlich damals von der Musik experimenteller, hat aber sauberer gesungen und landete auf Platz 19.
Zwischen No Angels (Platz 23) und ihm ist die Platzierung von Cascada also vollkommen passend.
Statt aber mal Klartext zu reden und unter Musikerkollegen dezent auf diese Fehler hinzuweisen, haben alle um Schöneberger & Co.
mal wieder die politisch unverfängliche "Du-hast-alles-perfekt-gemacht-und-die-anderen-haben-einfach-Tomaten-auf-den-Ohren"-Haltung an den Tag gelegt, betont, wie unverständlich das Ergebnis doch sei. Die anderen sollen also mal wieder schuld sein und Deutschland nur das arme Opfer, das keiner versteht.
Ich meine, Lena hat das Ding zumindest mal gewonnen und beim zweiten Mal den 10. Platz gemacht, Tim Bendzko hat beim Bundesvision Song Contest gesiegt, die wissen also beide, wie es ist, bei so einem Event mitzumachen. Das ist aber imho auch schon die einzige Erfahrung, die sie für die Jury qualifiziert.
Denn ganz offensichtlich
bewertet die sogenannte Expertenjury auch mehr nach individuellem Geschmack und nicht nach musikalischem Anspruch der Komposition, der Performance oder des Gesangs - oder was bitte soll am ungarischen Song "Kedvesem" so toll gewesen sein? ^^ Ansonsten hätten sicherlich die Ukraine und der Rumänier mehr Punkte abgeräumt. Eine "Expertenjury" sollte doch gerade dazu da sein, die verborgenen Qualitäten der Songs zu erkennen, die dem einfachen Zuschauer halt meist entgehen, weil sie zu kompliziert sind (wie etwa, wenn "Gravity" alle zehn Sekunden die Tonart wechselt, wie Peter Urban schon richtig erkannt hat).
Für das Urteil nach individuellem Geschmack sind die Millionen von Fernsehzuschauern doch eigentlich ausreichend; da braucht man nicht auch noch ein Team von fünf aufgrund ihrer derzeitigen Popularität ausgewählten Personen, die, anstatt ihr musikalisches Wissen (sofern überhaupt wirklich vorhanden) anzulegen, ebenso nur nach subjektivem Empfinden urteilen, und die
dadurch ihren eigenen Geschmack prozentual viel ausschlaggebender machen als den der gesamten restlichen Bevölkerung des Landes. (
5 Stimmen, die genauso viel zählen wie die von mehreren Millionen Menschen.)
Wenn man also eine
Expertenjury hat, dann gehören da imho Musikprofessoren o.ä. rein, die sich jeweils mit verschiedenen Genres beschäftigt haben und eben tatsächliches Fachwissen darüber sitzen, nicht irgendein Pop-Star, der sich eigentlich nur überlegt, was gerade hip und angesagt ist und womit er/sie am besten wirkt, wenn er/sie dafür stimmt bzw. vor den Massen sagt: "Ja, das fand ich toll!"
Aber über den eigentlichen ESC geredet wird bei dieser Aftershow Party ja sowieso kaum; Hauptsache, man bietet nach allen zwei gesprochenen Sätzen immer wieder einer neuen Truppe von Künstlern, die mit dem ESC in diesem Moment rein gar nichts zu tun haben und denen dieser im Zweifel auch völlig egal ist, eine Gelegenheit zu einem Auftritt mit Vollplayback, damit nichts schiefgehen kann und man das oftmals frustrierte Publikum bei Laune hält.
Fazit: Das Siegerlied ist eigentlich genau mein Fall, was das Genre angeht (eben folkig), mir gefällt nur die Interpretationsweise der Sängerin nicht so sehr, deshalb habe ich auch nicht dafür angerufen (sie klingt irgendwie stets, als wäre sie außer Atem, und nach der Aufregung des Sieges gleich noch mehr ^^).
Schön für die Ukraine, Gesangsleistung wird also doch noch ab und zu gewürdigt.
Auch schöne Überraschung für Holland, Ungarn und Malta, dass sie nach den Flauten der letzten Jahre nochmal so weit vorne waren.
Schade für Island, immerhin gab's 8 Punkte von Deutschland (wir haben bei uns im Haushalt aber auch 4x für ihn angerufen! ^^). Gut auch, dass Armenien und Estland noch an Deutschland vorbeigezogen sind, die haben's nämlich auch verdient, obwohl sie anfangs hinter uns lagen.
Über Irlands Ergebnis war ich auch überrascht, das wird ein harter Schlag für das führende ESC-Land mit seinen 7 Siegen, schon das zweite Mal der letzte Platz; aber irgendwie hält sich mein Mitleid für die Iren da gerade in Grenzen. Dieser Taio Cruz-Verschnitt, der aussah wie Michael Bully Herbig, war mir dann doch zu komerziell und zu sehr auf Sieg ausgerichtet.
Peter Urbans Kommentare gehören einfach dazu, da waren wieder ein paar Kracher dabei (zu Frankreich: "Wen immer sie da so leidenschaftlich zur Hölle schickt, eins ist klar: Der kommt da nicht mehr raus!", oder zum langhaarigen Bartträger aus Island: "Ah, David Garrett hat seine Geige vergessen.") Und diesmal hat er sich auch nicht so oft versprochen / verlesen wie in den letzten Jahren! ^^
Ich glaube übrigens auch nicht, dass wir mit "LaBrassBanda" erfolgreicher gewesen wären. Cascada musste sich gewissermaßen mit Norwegen, Schweden und anderen Stampf-Mampf-Nummern messen; LaBrassBanda hätten dafür mit der griechischen Ska-Band konkurriert, aber "Alcohol is free!" ist nunmal leichter zu merken und mitzugrölen als bayerischer Kauderwelsch, den man selbst als Deutscher aus einem anderen Bundesland kaum versteht - wie wäre das erst dem Rest von Europa gegangen? ^^