Hi Ho,
erstmal vielen vielen Dank an den Threadersteller. Hab mir zufälligerweise in den letzten Tagen über quasi das gleiche Thema Gedanken gemacht, wusste aber nicht ob und vor allem wie ich mit dem Thread anfangen soll. Hier passen aber meine Gedanken rein, so here it goes:
Ich finde eher fast das Gegenteil ist wahr und will ein Beispiel dafür geben: Vor ein paar Monaten war ich dabei als ein 14-jähriger vor kleiner Runde "Love in the old country" von Preston Reed zum Besten gegeben hat. Der Kleine spielt seit 2 Jahren Gitarre und es war natürlich kein Preston-Reed-Niveau (er war auch sichtlich nervös), aber trotzdem beeindruckend, vor allem weil man merkte das er tatsächlich geackert hat und es grad nicht einfach nur "gut lief". Und das erste was ein Bekannter, selber Gitarrenlehrer seit 15+ Jahren, zu dem Jungen sagte war "Jaja, an dem Rubato musst du noch arbeiten!". Ich war so enttäuscht.
Und das ist viel eher was ich immer mehr seh und was glaub ich in den USA jetzt schon krasser ist als hier: Wenn man nicht richtig richtig gut ist, noch besser: Der Beste, dann soll man doch bitte das Instrument hinlegen. Wer irgendeine schwierige Übung oder ein kniffeliges Stück nach 1; 2 Wochen noch nicht kann ist offensichtlich untalentiert ergo wird es nie zu was bringen.
All das ist in meinen Augen Nonsense und echt kontraproduktiv für alle Beteiligten. Ich bin auch viel auf Youtube unterwegs, guck mir Cover-Versionen an etc., und es ist doch wirklich selten das in den Kommentaren mal was positives dabei ist. Meistens ist es doch "You suck (at guitar.)" "You fail (at guitar)", etc.
Ich find tatsächlich es geht viel verloren (Potenzial? Freude? Jam-Möglichkeiten?) weil Musiker oft unkooperativ sind; sich nicht gegenseitig unterstützen und vor allem, und das wurde ja schon erwähnt, deutlich, deutlich, zuviel nachgeahmt wird. Aber auch das ist glaub ich Teil des gleichen Problems: Der spielt saubere 16tel bei 10.000bpm, also muss ich es bei 10.001 können.
Und das insgesamt hat glaub ich schon was mit dem Land zu tun, aber noch viel mehr mit der Generation. Die USA sind da schon weiter, in Deutschland sind wir aufn nem guten Weg. Und ich les hier auch in den USA sei das Niveau ja soviel höher. Was das angeht: Also ich wäre ungern junger Musiker in Korea oder China, wo das Niveau wahnsinnig hoch ist und Leistungen alles sind.
Ich kann echt nicht zählen wie oft ich schon von Leuten gehört hab "Ich würde ja so gerne ein Instrument spielen, grade Gitarre, aber ich hab einfach kein Talent." Und auch das ist finde ich ein Symptom von "Sei extrem gut oder lass es sein". Ähnliche Sachen hab ich auch öfters von Leuten über 40 gehört die mich gefragt haben ob es sich noch lohnt mit Gitarre anzufangen. Manche von denen wurden dann später meine Schüler. Einmal hatte ich sogar eine Unterhaltung mit einem älteren Herren der im Musikladen sehnsüchtig die Gitarren anguckte, es stellte sich heraus das es tatsächlich nur Sehnsucht war und er nur vorbeikommt um sich die Klampfen anzugucken, aber eigentlich schon seit Kindertagen spielen will.
Und wie gesagt: Ich glaub allen würde etwas weniger Strenge gut tun. Leute würden mehr Gitarren kaufen. Den Läden würde es besser gehen (Wie oft schon in nem Gitarrenladen gewesen und man war der einzige Kunde?). Und ich glaub das wenn einfach mehr Leute spielen würden wär auch eher der nächste Jimi Hendrix dabei, selbst wenn sagen wir mal 7 von 10 eher mau spielen, 1 richtig gut, 1 sehr sehr gut und 1 halt auf Hochschulniveau.
Keine Frage, wenn jemand grade so G-Dur in zweiter Lage greifen kann und behauptet der nächste Emmanuel/Hedges/York/Petrucci zu sein ist das schon eher lustig. Aber wie gesagt, ich glaub meine Generation, die Youtube-Generation ist viel zu schnell mit Gemeinheiten, Neid und Kleinigkeiten an der Hand.
Und ebenfalls absolut richtig: Der Tellerrand wird immer höher. Letztens hatte ich ne neue Schülerin die schon seit 2 Jahren Akkorde schrubbelt (mehr schlecht als recht), dann kam sie zu mir und ich hab was gespielt ich glaub Andrew York oder Andy Mckee. Zitat "Ich wusste nicht das man auch die Finger so benutzen kann". Aber auch unter Gitarristen: Ich mach auch viel Metal-Gitarre und viele Schüler sind überrascht wenn ich anfange von Groove zu reden; quasi das es noch eine Welt gibt jenseits von Gain, Alternate Picking und "Ich will den Sound von Band XY".
Zum Abschluss: Ich find halt nicht alles muss immer spektakulär sein. Ungelogen: Ich hatte einige meiner besten Sessions mit Leuten die nur ein paar Akkorde schrubbeln können. Die lass ich sie halt schrubbeln (scheiss aufs Timing, scheiss auf immer makellose Griffwechsel) und ich spiel ein Solo drüber. Mehr als einmal gabs hinterher leuchtende Augen und ein "Das war geil!".
Was also tun wenn wieder jemand hier im Forum was postet was jetzt nicht so toll, aufregend, perfekt, auf-hohem-Niveau ist? "Gut gemacht, bleib am Ball, achte vielleicht noch mehr auf dies, jenes." Fertig aus. Ich glaube das würde auch auf lange Sicht dafür sorgen das sich wieder mehr Leute trauen verrückte Sachen mit der Gitarre zu machen, verrückte Sounds zu finden etc.
Was mich ebenfalls gut vorstellen kann: Das jemand wie José Gonzales (den ich sehr interessant finde), oder jemand wie Michael Hedges, oder jemand wie Preston Reed, oder jemand Robbie Basho, oder jemand wie Buckethead sich am Anfang anhören musste "Du spielst falsch./Das will keiner hören." Haben sich diese Musiker also selbst überschätzt oder war es eher Mut?
Man kann auf Youtube unendlich viele Videos finden wo Leute "Drifting" von Andy Mckee verhunzen, am besten noch mit crappy Sound mit dem Handy gefilmt. Ich nehm davon eher mit wie ich es nicht machen will, statt mit, pardon, aufzuregen.
Übrigens was das "wer will sich sowas hier ansehen" angeht: Niemand zwingt dich zu klicken. Warum guckst du es dir an, um dich hinterher zu beschweren wie schlecht Leute spielen?