Die kunst der improvisation

  • Ersteller Günter Sch.
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Normal-begabt-talentiert-genial, ein abgesang.

Zunächst: eine hörerfreundliche form mit wiederholung und wiedererkennung ist die "bar-form", bekannt aus dem meistergesang des 16.jhs. und durch Richard Wagner aufgefrischt. Man erfindet einen "stollen", wiederholt ihn, auch variiiert und lässt einen mehr oder weniger langen, kontrastierenden "abgesang" folgen. Wir finden so etwas auch in Schumanns liedern, wo das klavier in einem nachspiel die stimmung ausklingen lässt, sehr zum verdruss der sänger, die dann nicht wissen, "was sie machen sollen". Über das unverständnis mancher sänger für alles instrumentale will ich kein klagelied singen, fand mich aber in den memoiren prominenter "begleiter" bestätigt.

Goethe war für seine geistreichen bemerkungen im freundeskreis bekannt, aber wenige wussten, dass ihm diese einfälle vorher gekommen waren, er sie gespeichert hatte, um sie bei passender gelegenheit anzubringen.
August von Kekulé sah in einem zustand zwischen schlafen und wachen, wie ein schlänglein sich in den schwanz biss und sich zum ring rundete, blitzartig wurde ihm klar, wie sich kohlen- und wasserstoffatome mit doppelbindung zum benzolring fügten.
Er hatte darüber lange nachgedacht, ohne zu einem ergebnis zu kommen, die strukturformel war geboren und erklärte die eigenschaften mancher verbindungen.
Solche einfälle kommen spontan, oft nach länger schlummernder vorbereitung, Beethoven trug stets ein skizzenbuch bei sich, seine ideen kamen ihm beim spazierengehen, er skizzierte sie mit noten oder auch worten, denn "was man schwarz auf weiß besitzt - - ", nicht jeder hat ein so phänomenales gedächtnis wie Mozart, auch das ist eine spezielle begabung. Aber bei dem rohmateriel blieb es nicht, er feilte und machte aus "bon" "meilleur".
Warum hat der eine ideen, kann sich längere passagen, seien es worte, töne, farben, formen, strukturen aller art? merken? Der begabte, talentierte, besonders der geniale ist nicht "normal", sein gehirn tickt anders, er ist "von der Muse geküsst", ihm kommen einfälle, wie nie jemandem zuvor, er ist besessen von etwas.
Westwärts über den unbekannten Atlantik zu segeln oder den Orinoco zu erkunden, war nicht jedermanns angelegenheit, ebenso wenig wie die decke der Sixtinischen Kapelle auszumalen, täglich in der sonnenglut der Provence mit der staffelei auzuziehen oder über 1 000 musikstücke zu erfinden und niederzuschreiben.
Nicht immer sind begabungen, talente vielseitig, kreativität und gedächtnis gehen nicht immer hand in hand, nicht jeder tüchtige sänger ist ein guter darsteller, nicht jeder schauspieler kann singen, manch musiker ist einseitig, ein anderer vielseitig, der eine schafft nach, der andere erfindet, begabungen werden weit gestreut und kombiniert.
Und manchmal zeigt sich die "abnormität" des genies. wenn grenzen überschritten werden, einfallsreichtum zum wahn wird. Viele genies waren unglückliche menschen, wenig kommunikativ, einseitig auf ihr schaffen konzentriert, und wenigen war ein hohes, harmonisches alter beschieden.
"Heiter und glücklich ist dann das alter" dichtete Hölderliin, aber er selbst endete im narrenturm in Tübingen. Ein meisterwerk, das die risiken des genialen schildert, ist "Dr. Faustus" von Thomas Mann, der auch irgendwie "am rande" lebte.
Ob genie oder talent, man kann es sich nicht aussuchen, die grenzen sind fließend und handwerkliches können kann intuitives ergänzen oder verdecken, so manches ist "gut gemacht" aber nicht genial, und nicht jeder äußerliche und zeitliche erfolg beruht auf dem kuss einer muse.
In diesem sinne lebt, musiziert, improvisiert, komponiert, normal , begabt, talentiert oder genial ! Gut ist, seine grenzen zu kennen.




 
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Der reiz am improvisieren liegt im eigenen tun, man macht etwas nach eigenem belieben und können, ohne dass jemand dazwischenredet. Daher ist es schwer, beinahe unmöglich, sie nach einem schema zu lehren,man kann allenfalls darauf verweisen, wie es andere vordem getan haben und noch tun. Das betrifft auch das studium von komposition oder philosophie: man lernt nicht zu komponieren oder zu philosophieren, sondern ein handwerk, eine fachsprache, das denken in kategorien, alles weitere muss man selber tun.
Das ist auf allen ebenen möglich, und ohne erfindergeist und experimentierlust geht es nicht. Wie weit sich diese entwickeln lassen, ist die frage, der eine bringt es mit fleiß zu einem begrenzten niveau, der andere überspringt mit elan manche stufe, "die mühsal der ebene" gibt es auch: das gefühl, auf der stelle ziu treten, zu warten und hoffen, dass ein türlein sich öffnen möge. Manches muss "sich setzen", das kennt jeder, der sich ernsthaft mit musik beschäftigt.
Physiologisch gesehen, ist die fähigkeit, ständig neue synapsen zu bilden und gewohnte nervenbahnen zu verlassen, nicht jedem gegeben, auch die geschwindigkeit, mit der sich nervenimpulse verbreiten, ist individuell verschieden, seit der antike unterscheiden sich die temperamente, beim phlegmatiker geht alles schön langsam, beim choleriker entladen spannungen sich sprunghaft, der sanguiniker neigt zum heiter/spielerischen, und ein schuss melancholie kann steckt in vielerlei musik.
Da wir es hier mit musik und speziell dem klavier zu tun haben, können wir unseren spieltrieb ausleben, mit der fertigkeit im spielen wachsen auch die möglichkeiten, eigenes zu gestalten und wiederzugeben.
Ob man sich dabei wie Otto Lilienthal mir flugweiten von 250m zufriedengeben muss oder unter nutzung von aerodynamik und thermik über die lande schwebt, hängt von verschiedenen faktoren ab, aber gewiss war Ottos kreative leistung höher als die eines modernen segelfliegers bei verschiedenen resultaten.
Neuland zu betreten und zu erforschen, ist immer riskant, mühsam und wenig ergiebig.


Hier einige vorschläge:
am anfang steht immer ein "einfall" - der kann melodisch, rhythmisch, harmonisch sein -
sucht eine tonfolge, diatonisch, modal, chromatisch, pentatonisch,ganztönig, probiert alles. Sie kann kurz oder lang sein, merkt euch die und "spielt"mit ihr, versetzt sie als "sequenz" in andere lagen, umspielt die stammtöne, schon erweitert sich der ursprüngliche tonbereich
Wer sich eine 12-tonreihe merken kann, hat meinen respekt, ich kann es nicht, ich muss sie notieren, und da komme ich zu der kühnen behauptung, dass es immer lohnt, musik lesen und schreiben zu können ,auch um theorie und fachsprache kommt man nicht herum. All das wäre nur mit genialer, sich bahn brechender kreativität zu umgehen, die aber sehr selten ist. Mussorgsky brauchte einen Rimsky-Korssakow, um seine ideen ins reine zu bringen, Léhar konnte das, war aber später zu bequem und überließ die ausarbeitung Robert Stolz,
Ich kannte jemanden, der "alles" spielte, aber nur in F-Dur, da hatte er sich daran gewöhnt, kannte alle schliche und ausweichungen und war damit zufrieden. Ein anderer spielte nur auf schwarzen tasten, das klang zunächst verblüffend, aber nach einer weile fand man, dass es immer dasselbe war, sein spielraum war begrenzt (das ist ein hauptargument gegen 12-tonmusik, bei statistisch immer wiederholtem material stellt sich überdruss ein).
Dass beide nur "solo" spielen konnten, sich nicht anpassen konnten, sei am rande vermerkt, aber noten kannten und brauchten sie nicht.
 
Zwischenfrage etwas out of Topic:
Günter Sch.;6248259 schrieb:
Das betrifft auch das studium von komposition oder philosophie: man lernt nicht zu komponieren oder zu philosophieren, sondern ein handwerk, eine fachsprache, das denken in kategorien, alles weitere muss man selber tun.
Aber wie bewertet ein Dozent dann die künstlerische Arbeit "Komposition". Was ist der Grund eine 2,3 anstatt eine 2,0 zu geben? Reines Handwerk wird ja bewertet, wenn man im Theorieunterricht seine "18. Jhd Choralsätze" schreibt. Eine kreative Leistung (auch Improvisaton) mit x/10 Punkten zu bewerten kann ich mir nicht so richtig vorstellen.
 
Lehrjahre sind keine herrenjahre, bei studium und ausbildung geht es um abrechenbare, bewertbare prüfungsergebnisse und vorbereitung auf einen musikalischen beruf. Außerhalb ihrer eigenen sphäre sind dozenten hilflos. Was sagte Simon Sechter zu Anton Bruckner? "Wenns dann komponieren, vergessens halt alls, was' bei mir g'lernt ham!"
Das ist wie bei sportarten mit künstlerischem einschlag: im eistanz zeigten französische paare avantgardistische tendenzen, die punktrichter waren damit überfordert und änderten die regeln, alles musste überschaubar sein, auch die zugrunde liegende musik, wie will man die harmonie von bewegung und musik beurteilen, wenn sie über den eigenen horizont hinausgeht?
Minkus ist eben gut fürs ballett, da hört man den takt raus!
Schon die zensierung von schulaufsätzen bringt manchen deutsch-lehrer zur verzweiflung, wie erst bei künstlerisch/kreativen fächern!
 
Zuletzt bearbeitet:
Es ist ratsam, den melodischen fluss durch pausen, länger oder nur "atemzeichen" zu gliedern, auch wenn der klavierspieler nicht wie bläser an atem oder der streicher an bogenlänge gebunden ist. Phrasierung hilft, der musik zu folgen, continua sind schwer nachzuvollziehen.
Ob motive sich aneinanderreihen, wiederholt, variiert werden oder kontrastieren, ob frage-antwort-spiel, es gibt eine fülle von möglichkeiten, wobei auch die linke hand einbezogen werden kann in das melodische geschehen, wechsel beider hände, ineinandergreifen, kreuzen, verdoppeln, alles ist möglich.

Jeder ton oder klang hat eine "dauer", das relative system hat sich bewährt, aber klangflächen oder einzelne abschnitte werden auch absolut berechnet, wobei der improvisation keine grenzen gesetzt sind, es sei denn, man bewegt sich in einem bestimmten "genre". Ich kann töne gleichförmig wie eine perlenschnur aneinanderreihen, ich kann ihnen durch wechsel der dauer vilefältige, rhythmische gestalt geben, ich kann betonungen setzen, regelmäßige oder unregelmäßige, ich kann literarische metren verwenden: trochäen, jamben, anapäste bis zu antiken kombinationen pentameter und hexameter, immer pendele ich zwischen freiheit und gebundenheit. Absolute freiheit erfordert nämlich ein hohes maß an imagination, man muss alles selber tun! Viel leichter ist es, sich einem konventionellen gerüst zu unterwerfen.
Ein solches bietet sich im jazz. Hier kontrastiert ein durchgehender "beat" mit synkopischem "off-beat", der oft ternär aufzufassen ist, auch die harmonik ist mit 4-und 5-klängen weitgehend geregelt, klassisch der 4/4 takt, reizvoll "modern" der 5/4.
Immer interessant sind a-symmetrische bildungen, wie in balkanischer folklore: 3+2+2, die karibische rumba 3+3+2 und andere kombinationen, wobei man die einzelnen gruppen zu zählzeiten zusammenfassen kann. Jede tanzform hat ihre spezifische rhythmik.
 
Ich kann jedem, der musikalisch kreativ ist oder sein will, nur wärmstens ans herz legen, das innere ohr zu pflegen, d. h. sich von anfang an intervalle, tonverläufe, harmonien, rhythmen usw. vorzustellen, sie zu erproben und realisieren. Trocken üben geht überall, ein ganzes konzertprogramm kann man mental durchgehen, heikle stellen so oft wie nötig wiederholen und sich die nötige sicherheit verschaffen. Früher oder später stellt sich dann das gefühl ein, dass es in einem "arbeitet", bis es aus dem unbewussten ans tageslicht tritt.
Vielleicht ließe sich dabei vermeiden, dass improvisationen allzu "beliebig" ausfallen, aber auch darin, dass es keine festen grenzen gibt, kann ein besonderer reiz liegen - - - - - ein weites feld!
Und da man sich selbst die regeln setzt, darf man gegen andere verstoßen, es sei denn, man bewegte sich in einem festgefügten genre.
 
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Von anfang an, diese devise gilt nicht nur für den instrumentalunterricht, auch schulmusik, chorwesen und gesangsunterricht könnten von methoden wie Ja-le profitieren.
Dieses system mit tonsilben und handzeichen wird leider kaum noch praktiziert, es löst die probleme der intonation, gehörbildung, musikalischer vorstellungskraft spielend, ja spielerisch, man muss sich nur damit beschäftigen und es einüben, es schult das innere gehör, erfolg in kurzer zeit, ja vom ersten tag an garantiert, man hat etwas fürs ganze leben! Übrigens nicht nur tonal, auch chromatisch nutzbar.
Leider ist das einfache so schwer zu machen!

http://www.buchholz-komponist.de/downloads/JALE_1.pdf
Das ist gründlich, hier ein kurzlehrgang, ich habe jahrelang damit gearbeitet.

1.tag:
ro - mi, (kleine terz abwärts), da relativ, in allen lagen. Als "ruf-intonation"= "hallo!" jedermann bekannt.
Ro=Senkrechte hand , daumen aufwärts etwa in schulterhöhe -Mi=waagerechte hand, rücken oben etwas tiefer (es muss noch eine stellung dazwischen passen),
Das kann jeder, auch aufwärts mi-ro, es merkt sich leicht, und man kann alle möglichen texte unterlegen.
2.tag: ja (grundton) - quinte abwärts von ro - große terz von mi
locker geballte faust unter mi
ebenso aufwärts von ro (quarte)
Ja tief - ja hoch=faust in stirnhöhe (oktave)Da hätten wir den Dur-dreiklang und können nach belieben mit ihm umgehen (signale), alles in bequemer singelage oder auch stumm. Oder mit einer hand zeigen, mit der anderen spielen, auch mit partner, der eine zeigt, der andere singt oder spielt, tonlängen, rhythmus und wiederholungen ergeben sich aus dem wechsel der zeichen.

Das stimmpflegerische ergibt sich aus den anlautend, einschwingenden konsonanten, die vokale folgen dem alphabet, halbtonschritte=gleiche vokale, alles systematisch und einprägsam, wer es einmal kann, vergisst es nie wieder.
Das prinzip ist, so viele bereiche wie möglich zu erfassen und zu betätigen: hand, mund, gehör, gehirn.
 
Zuletzt bearbeitet:
3.tag (es dürfen auch jeweils wochen sein): von ro ausgehend erreichen wir "su" mit einem schritt darüber, das handgelenk hebt sich, die hand hängt locker herab.
Auf die dreitönige kinderliedmelodik ro -su - ro - mi gibt es viel texte, von "Backe, backe" und "Hoppe, hoppe" ad infinitum, erfindet neue, kinder mögen den eigenen namen in musik gesetzt.
Welche intervalle können wir schon klar definieren, hören, nachsingen oder uns vorstellen (auch die handzeichen kann man rein mental verwenden) ?
alle töne wiederholt=prime
ro-su= große sekunde
mi-ro, su-ja hoch=kleine terz
ja-mi= große terz
ro-ja hoch=quarte
Ja tief-ro= quinte
mi-ja hoch=kleine sexte
ja tief-su=große sexte

Da fehlt nicht mehr viel, was von unten nach oben geht, geht auch von oben nach unten, und die lücken schließen wir morgen !
Und da wir zwei hände haben, können wir zweistimmig improvisieren und uns zweiklänge (harmonische intervalle) vorstellen, dazu gehört einige übung.
 
Wer mir bis hierher gefolgt ist, kennt schon eine menge, und vor allem, kann auch vieles, nämlich: Intervalle erkennen, benennen und damit umgehen, Dur und moll unterscheiden und akkorde umkehren.
Ja-mi-ro = Dur, mi-ro-ja (h)= sextakkord, ro-ja (h)-mi (h)= quartsextakkord
su-ja-mi =moll, ja-mi-su= sextakkord, mi-su-ja (h)= quartsextakkord

Wer sich 2 töne gleichzeig vorstellen kann, kann es auch mit dreien, vorübung: nacheinander in schneller folge.
Wer kein notenmuffel ist, stellt sich das jeweils geschrieben vor, in verschiedenen tonarten, und siehe da: er kann transponieren, denn die reihe passt auf alle 12 töne.
ja-mi-ro kann c-e-g- sein, aber auch as-c-es oder e-gis-h.
su-ja-mi kann a-c-e- sein, aber auch f-as-c oder cis-e-gis

Wir übersehen und beherrschen das gesamte tonale system. das relative lässt sich absolut verwenden. Sogar absolutes gehör lässt sich entwickeln und fördern, wo es nicht von vornherein vorhanden ist.
 
"LE" schließt die lücke zwischen ja und mi. Wir erinnern uns, dass vokale wie stimmhafte konsonanten (nicht die explosiven und zischlaute) dem alphabet folgen. Die "ja-faust" öffnet sich. die die ausgestreckten finger zeigen leicht nach oben. Wir haben neue große sekunden gewonnen: ja-le und le-mi, eine neue quarte: le-ro, eine neue quinte: le-su, dazu die kleine septime: le-ja (h). Wir erkennen , dass jeweils 2 intervalle sich zur oktave ergänzen, der teufel steckt nur in gleicher teilung.

Vor allem haben wir zugriff zur 5-tönigkeit, der pentatonik, mit der sich vieles anstellen lässt, und mit der man sich in den fernen osten versetzen kann. Ja-le-mi-ro-su-ja oder su-ja-le-mi-ro-su, rauf und runter und gemischt.
Die handzeichen gehen fließend ineinander über, nur wo noch sprünge sind - - - - - - - -aber die krije mer schpäter
 
Die halbtöne haben wir bisher ausgespart, hier sind sie:
mi-ni, gleiche vokale, das handgelenk hebt sich, der zeigefinger zeigt als leitton nach unten.
Die antike theorie spricht von "tetrachord", der vierseitigen kithara, bei deren stimmung sich die heutige durchsetzte: 2 ganztöne, ein halbton. Es waren auch andere einteilungen üblich, aber da wir nur die theorie, nicht die praxis kennen, ist es müßig zu streiten. Fügt man ein zweites tetrachord hinzu, kommt man zum umfang einer oktave, deren umfang naturgegeben ist als grundton bis 1.oberton, bzw. halbierung des schwingenden mediums.
1.tetrachord: ja-le-mi-ni
2.tetrachord: ro-su-wa-ja bei "wa" dreht sich die hand ein wenig nach außen, der zeigefinger zeigt nach oben (leitton!)
De erfindung der 7- tönigen, 8saitigen kithara muss eine sensation gewesen sein (die oktave gilt nicht als "neuer" ton).

Wir lernen halb- und ganztonschritte zu unterscheiden und machen uns die leittonwirkung von mi-ni und wa-ja bildlich, physisch und akustisch klar. Die notenschrift verzichtet darauf, aber jede tastatur oder jedes griffbrett macht den unterschied sichtbar.

Wir haben jetzt eine vollständige diatonische skala oder tonleiter und machen pause, um all das zu verinnerlichen und zu automatisieren.
Und wer noch einen schritt weiter gehen will:
Jeweiliger grundton ja=Dur, le=dorisch, mi=phrygisch, ni=lydisch, ro=mixolydisch, su=moll, ganz einfach.
Und morgen modulieren wir.
 
Jede stufe lässt sich zu jeder stufe umdeuten, so erhalten wir zugriff zum gesamten praktikablen spektrum.
RO wird JA=modulation in die dominant-tonart, mit NI-JA geht es in die subdominante, es wird klar, welcher ton verändert werden muss, im ersten fall der 7., im anderen der 4.
Der quintenzirkel ist nicht nur theorie, sondern dargestellte und gehörte praxis.
Eine reizvolle übung: alle stufen umdeuten, sei es singend, spielend oder "trocken"
auf jeder stufe einen dreiklang bilden, auch als sext und quart-sext, dabei leittöne heraushören, die zu akkordverbindungen führen, sonderrolle auf WA
mittels umdeutung eine ganztonleiter bilden
harmonische zweiklänge zeigen, aufwärts/abwärts und simultan hören
und, und, und - - - - - - - ad infinitum
 
Ob man den eben beschriebenen weg geht oder einen anderen, um sich zugang und überblick zu unserem tonsystem zu verschaffen, und damit freien umgang: wir sollten uns immer klaren sein, dass es nur ein historisch begründeter ausschnitt aus der vielfalt der möglichkeiten ist. Es wird zwar gestützt von den naturbedingten obertönen und schriftlicher fixierung, andere zeiten und völker fanden andere respektable lösungen, und die spanne von 1750, als Dur-moll sich durchgesetzt hatte, bis heute ist zu kurz, um allgemeingültigkeit einzufordern.
Nun aber geht es uns wie dem schulmeister Baculus, der angesichts der ihm winkenden 5 000 taler ausruft "Götter, was mach ich?"
Unser system hat sich unter dem zwang zur mehrstimmigkeit mit dem primat der harmonik entwckelt, Dur und moll taugten am besten für den 4stimmigen satz, 3tönigkeit mit verdoppelung eines tones. Eine reiche chorliteratur wird dem gerecht, aber auf dem klavier suchten komponisten aller zeiten die homophonie durch akkordbrechungen aufzulockern. War klaviermusik vor Bach weitgehend linear, oft 2 oder 3stimmig polyphon, suchte man immer raffiniertere lösungen von den "Alberti-bässen" über Chopins und Schumanns phantasievolle, die mehrere schichten übereinander lagern bis hin zur wiederum simplen "Adeline".
Man spiele ein Präludium aus dem WTK und verdichte die figuration zu simultanen akkorden, dann hört man die harmonischen fortschreitungen, verzichtet aber auf das spielerische. Da es bei improvisation aber vorwiegend um das letztere geht: löst akkordballungen durch spielerische elemente auf, da werden auch 12tönige bildungen - mehr hat das klavier nicht - ohrgerecht.
 
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Es ist alter brauch, "über" ein gegebenes thema zu phantasieren. Da gibt es zwei formen, die figurale und die charakter-variation.
Beliebt war, über einer ostinaten bassfigur immer neue bauten zu errichten, war sie im 3er-takt und acht takte lang, nannte man sie Chaconne (spanisch) oder Passacaglia (italienisch), über La Folìa http://en.wikipedia.org/wiki/Folia gibt es viele auskomponierte versionen, ein anderes beispiel sind Bachs "Goldbergvariationen". Hier kann man sich die figuralen improvisiert vorstellen, die kanons in allen intervallen oder in umkehrung sind aber raffinierte kompositionen, andere wiederum sind charaktervariationen (ouverture, arie, tänze u.a.), in dreiergruppen sind die verschiedenen typen zusammengefasst.
Ostinate bassläufe finden wir wieder im Boogie-woogie, je 2 takte tonika-subdominante- dominante, wobei der tonika gern die blues-septime zugefügt wird, auch die 6taktigkeit und der "shuffle-rhythmus" verraten den ursprung. Die verschiedenen formen, ob oktavengänge oder im quintbereich mit "blues-terz" findet man in jeder jazz-klavierschule. Darüber kann man lange improvisieren.
Das klavier erlaubt manches jazz-typische nicht, hot-tones (stark vibrierende), smear (das verschmieren von tonstufen), stufenloses glissando u.a. gehen nicht, da finden sich auswege wie sekunden als vorschläge oder simultan und tremolo.
Dafür kann das klavier gleichzeitig den "beat" mit der linken, off-beat mit der rechten hand wiedergeben.
Wer über etwas improvisiert, sollte sich im klaren über den jeweiligen stil sein. Ob zickig-synkopierter rag-time mit stride-begleitung, bei dem noch der militärmarsch duchschimmert, eleganter, vielharmonischer, ternärer swing oder be-bop http://de.wikipedia.org/wiki/Bebop ,sei es nach regeln moderner jazzharmonik oder frei. Wenn nach regeln, sollte man sie kennen, sie sind ein stützgerüst, das hilft, nicht auszuufern, sich verständlich zu machen und beim hörer einen wiedererkennungseffekt auszulösen..
 
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Anton Webern suchte, musik aus "einem keim heraus" zu entwickeln, Hermann Hesse träumte von bunten glasperlen, die in immer wechselnden mustern zum klingen gebracht würden, wir nennen das heute einen "klangteppich". Einzelelement oder kaleidoskop, beide vorstellungen regen an zu eigenem tun.
Was ist ein einzelner ton? Es gibt keine beziehung, weder melodisch, noch harmonisch (wenn man die obertöne außer acht lässt, etwa bei einem sinuston) oder rhythmisch. Aber welche spannung liegt in einem intervall! Zwei töne nehmen eine beziehung auf, sie sind mehr oder weniger voneinander entfernt, verschmelzen als konsonanz oder dissonanz mehr oder weniger, und ein jedes hat einen eigenen charakter, wobei man nicht den romantischen vorstellungen E.T.A. Hoffmanns folgen muss, zur kenntnis nehmen kann man sie wohl, der horizont kann gar nicht weit genug sein.
Wie Faust zu den "müttern", dem ursprung aller dinge hinabsteigt, tut es gut, sich der elementarkraft der intervalle bewusst zu werden, sie haben alle eine spezifische wirkung, sie sind die bits und bytes der musik.
Dabei spielen sich viele vorgänge in unserm kopf ab, so strebt "ais" nach oben, "b" jedoch nach unten, obwohl "temperiert" beide töne identisch sind. Man stelle sich das in allen möglichen intervallen vor.
Neben frequenz, dauer, amplitude (lautstärke) und oberton-bedingte klangfarbe spielt in neuer musik auch tondichte als parameter eine rolle. Man kann einen dünnen faden spinnen, und das gewebe immer dichter werden lassen, "umgekehrt ist auch gefahren", Hermann Hesse hat wahrscheinlich 12 farben auf seiner palette. da aber musik in der zeit verläuft, haben wir unendlich viele metrisch/rhythmische möglichkeiten, einen klangteppich changieren zu lassen. Dass das klavier in seinen möglichkeiten begrenzt ist, versteht sich, ein dichter cluster wie von einer streichergruppe, ist nicht möglich, auf "weißes rauschen" müssen wir verzichten.
Musik bis zum jahrhundertwechsel um 1900, ob orchester oder streichquartett, ließ sich auf dem klavier reduziert darstellen. In der praxis gingen sänger mit einem klavierauszug um, der übersichtlicher, lesbarer und leichter war als die partitur, aber das für sie wichtige darstellte. Zum leidwesen der dirigenten lieferten auch die verlage bei operetten nur eine solchen, sodass sie bei der ersten probe manche überraschung erlebten.
Bei neuer musik geht das nicht mehr, da hat das klavier ausgedient und wird bei theaterproben durch tonträger ersetzt.
 
Musik ist eine additive kunst, ton reiht sich an ton oder töne schichten sich über einander. Ich könnte sie mir auch subtraktiv vorstellen. Ein bildhauer oder- schnitzer hat einen stamm oder block vor sich und entfernt alles, was ihn von seiner vorstellung trennt, bis nur das gewünschte übrigbleibt. Selbst Michelangelo soll sich eines tricks bedient haben, er legte ein verkleinertes modell in wasser, das er stufenweise abließ, erst schaute die nase heraus, alles andere musste weg, und so arbeitete er schicht um schicht in den stein hinein, besser gesagt, er löste die figur aus dem block heraus.
Eine interessante, "doppelte" technik ist das "sgraffitti", additiv werden so viele farbschichte übereindergelegt wie gewünscht, dann wird herausgekratzt, was die gewünschte farbe am gewünschten ort verdeckt.
Man könnte aus weißem rauschen frequenzen herauslöschen, sodass nur die gewünschten zur rechten zeit übrigblieben, und das über das gesamze spektrum hinweg. Wer versuchts?
Ich habe lange an den brunnen der Piazza Navona in Rom gesessen, die vielfältigen formen des wassers beobachtet, vom tropfen, über rinnsale bis zum breiten schwall, und der musik gelauscht. Noch ergiebiger sind die wasserspiele der Villa d'Este in Tivoli, weißes rauschen in immer anderen frequenzbändern, abhängig von form, höhe und volumer der fontänen.
Franz Liszt hat sich daran versucht, das klavier bleibt zwar mit seiner diskreten tonerzeugung manches schuldig, doch der effekt, dass im vorübergehen die akustischen eindrücke einander folgen, ist ihm gelungen.
http://www.youtube.com/watch?v=olwUE0z0ajc
Wie man 14 formen des regens musikalisch " beschreibt", lässt uns Hanns Eisler hören. Wer jeweils ca. 8 ' zeit hat:
http://www.youtube.com/watch?v=ICuBQVnYlAQ

Ob man rein musikalischen belangen folgt oder sich anregen lässt, sei es von schwesterkünsten, naturlauten oder stimmungen, alles ist improvisatorisch möglich. Musik wird oft mit architektur verglichen und umgekehrt, baustein um baustein, zierrat um zierrat, ton um ton, klang um klang entsteht ein werk, sei es im raum oder in der zeit.
Wir haben die wahl, etwas aus einem keim organisch entstehen zu lassen oder als baumeister phantastische luftschlösser zu bauen, denn unsere werke zerrinnen unwiderruflich und schneller als skulpturen aus sand oder eis.
 
Neben anderen skurrilen typen gibt es in Th. Manns "Dr. Faustus" den getreuen Rüdiger Schildknapp (die namen sind sinnig gewählt, so wie der des chronisten, des braven gymnasiallehrers Serenus Zeitblom, der 1944/5 mit Monsignore Hinterpförtner die wünschbarkeit des deutschen endsiegs erörtert). Besagter drückt sich immer, wenn es konkret wird, und seine ständige redewendung ist, "man müsse/ solle/könne doch mal dies oder jenes tun, was dann freilich nie getan wird.
Wenn ich hier über das improvisieren improvisiere, zeige ich möglichkeiten auf, wie man was machen könne, wobei ich gestehe, selbst manches nur mental realisiert zu haben. Von der "jazz-nische" abgesehen gibt es nämlich wenig gelegenheit zum praktizieren, und da dem blattspieler eine schier unendliche fülle schöner klaviermusik vom "Fitz-William-Book" bis . . . . . . zur verfügung steht, muss er entscheiden, wenn er sich ans instrument setzt, ob er lieber Froberger, Bach; Beethoven, Chopin, Bartok, Ligeti oder sich selbst spielt.
Aber abseits vom instrument geht mir vieles durch den kopf, und in wartezimmern, bahn oder bus vollführen die füße mit hacke und spitze die absonderlichsten metren und rhythmen.
Anderer leute leben mag anders verlaufen, meines war dank der frühen oder späten geburt eines der verpassten gelegenheiten, als ich wissen und können brauchte, stand es der kriegsbedingten lückenhaften ausbildung nicht zur verfügung, als ich vieles konnte und wusste, brauchte ich es nicht mehr. Es ist wie bei den wünschen: sind sie erfüllt, verliert sich das interesse und wendet sich anderen dingen zu.
Unter theaterleuten gilt als manko, "stinknormal" zu sein, auf der anderen seite, was soll man von leuten halten, die sich allabendlich verkleiden, sich farbe ins gesicht schmieren, um dann laut und unnatürlich fremde texte zu sprechen, die sie nicht immer selbst verstehen? Ich will mich nicht mit fremden federn schmücken, diese redewendungen stammen nicht von mir, auch nicht der stoßseufzer "Ach, hätte ich doch nur einen anständigen beruf erlernt!". Wer dem schaffensprozess von genies nachspürt, wird finden, dass vieles abseits der normalität verläuft, auch dass eben diese selten glückliche ausgeglichene menschen waren, eher kontaktarm, getrieben vom eigenen schaffensdrang bis ins pathologische. Aber vielleicht kann man es sich nicht aussuchen, man ist eben so, wie man ist, so oder so.
Schluss der beichte.
 
Günter Sch.;6365701 schrieb:
Wenn ich hier über das improvisieren improvisiere, zeige ich möglichkeiten auf, wie man was machen könne, wobei ich gestehe, selbst manches nur mental realisiert zu haben. Von der "jazz-nische" abgesehen gibt es nämlich wenig gelegenheit zum praktizieren...

Sicher, am meisten wird heute in Blues und Jazz bzw. in davon abhängigen Stilrichtungen improvisiert. Doch

.. um 1390 schrieb ein Mönch aus Salzburg von der Kunst, eine Kontrapunktstimme zu einer bekannten Melodie zu improvisieren.
...
Manchmal nahmen die Improvisationen sogar überhand. 1613 schrieb Pietro Cerone in "El melopeo y maestro": "Wenn alle Musiker gleichzeitig improvisieren, könnte man meinen, man befinde sich in einer Synagoge oder in einer Schar Gänse."

Quelle: Lennart Winnberg: Improvisation - etwas für jede(n)?

Zur Gelegenheit: Die bietet sich eigentlich immer, wenn man sich an das Instument setzt und die Noten weggelegt sind. Als Ausgangsthema reichen wenige Töne aus, die nicht einmal sonderlich anspruchsvoll ausgewählt sein müssen, wie die Beispiele b-a-c-h oder g-g-g-es zeigen. "Auf die Verarbeitung kommt es an." sagte J.S.Bach.

Es dürfte allerdings für die Verarbeitung das gelten, was Leonardo da Vinci in Bezug auf die Malerei erachtete:

Ohne gute Theorie macht man nichts gut in den Zufällen der Malerei.

Dies ist übrigens der Leitspruch eines Buches mit dem Titel dieses Threads:

Wehle: Die Kunst der Improvisation

Bereits 1949 (oder gar 1925) geschrieben (letzte Auflage 1981), geht der Autor von Volksliedern aus und vertritt nachdrücklich die Ansicht, daß das Improvisieren, wie auch das Komponieren, lehrbar sind: Natürlich die Technik, nicht aber der Geist, der daraus ein Kunstwerk macht.

Auch diese Improvisatoren nahmen Volkslieder als Grundlage:

Ein Jugendlicher: Alle meine Entchen
Ein Konzertpianist: Hänschen klein
Eine Virtuosin: Twinkle Twinkle Little Star (Morgen kommt der Weihnachtsmann) 1. Improv., 2. Improv.
(oder lieber Mr lasse de Dom in Koelle?)

Günter Sch.;6365701 schrieb:
...und da dem blattspieler eine schier unendliche fülle schöner klaviermusik vom "Fitz-William-Book" bis . . . . . . zur verfügung steht, muss er entscheiden, wenn er sich ans instrument setzt, ob er lieber Froberger, Bach; Beethoven, Chopin, Bartok, Ligeti oder sich selbst spielt.

Sicher haben die Meister eine breite Palette von Gefühlen in ihrer Musik vorbildlich zum Ausdruck gebracht und es ist äußerst interessant, ihre Musik nachzuvollziehen. Doch manchmal kommen wir an den Punkt, an dem wir für unsere Gefühle nicht die passende komponierte Musik finden. Das Improvisieren ermöglicht, umittelbar das auzudrücken, was wir am jeweiligen Tag oder jeweiligen Moment ausdrücken möchten. An einem anderen Tag verläuft die Improvisation über das gleiche Thema ganz anders. (Siehe auch die beiden o.g. Improvisationen von Gabriela Montero über "Twinkle Twinkle Little Star".)

Die Musik wäre dann viel stärker wie das Leben selbst: ständigen Veränderungen unterworfen und nicht eingefroren oder als Tonkonserve unverändert.

Viele Grüße

Klaus
 

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